Beiträge von Aurelia Corvina

    Glücklicherweise konnte Corvina nicht sein Gesicht sehen, als Callistus ihre Bemerkung für sich einordnete. Der Fußboden war auch nach zigfacher Betrachtung noch immer der Ort, zu dem Corvinas Blick immer und immer wieder zurückkehrte. Erst, als er gestand, Senator werden zu wollen, sah sie wieder auf und sah sein Lächeln. Ganze Gebirgsketten fielen von ihrem Herzen dabei ab, und auch sie lächelte ihn einen Augenblick lang nur glücklich an. Warum er sie eben noch mit seiner Frage auf den Arm genommen hatte, war da gar nicht wichtig. Sie war einfach nur glücklich, ihre kleine Träumerei noch einen Augenblick lang weiterführen zu können. “Dann wirst du das auch ganz sicher werden.“ Und nicht nur, weil Corvina sich dies wirklich wünschte.


    Erst nach einem Augenblick, in dem sie sich gegenseitig einfach nur anzulächeln schienen, fing Callistus an, etwas sagen zu wollen. Doch je mehr er versuchte, etwas zu sagen, umso weniger verstand Corvina, was er sagen wollte. Eine vage Ahnung kam ihr in den Sinn, aber das war sicherlich nur Einbildung! Ein junger, aufstrebender Mann wie er würde sicher nicht so direkt nach einem Treffen fragen! Nein, es musste etwas anderes sein, wenngleich Corvinas Herz sich mit seinem Herzschlag noch einmal steigerte. Wenn das so weiter ging, würde es sicher im Laufe dieses Gespräches noch aus ihrer Brust springen. Ach, was gäbe sie wirklich dafür, wenn sie einfach nur ein wenig allein mit Callistus sein konnte! Ein wenig im Garten spazieren, oder... nein, an ein verschwiegenes Zimmer traute sich Corvina nicht einmal, zu denken.


    Schließlich aber fand Callistus noch die Worte, die er wohl sagen wollte, und bot ihr etwas zu trinken an. Das brachte Corvina kurz in eine moralische Zwickmühle. Frauen im allgemeinen und ihr im Besonderen war es eigentlich nicht erlaubt, Wein zu trinken. Es hieß, das sei gegen die Moral, wenngleich sich die wenigsten Damen daran hielten. Nichts desto trotz trank Corvina üblicherweise keinen Wein, aber ihn abzulehnen wäre irgendwie unhöflich gewesen. Und zur Feier dieses Tages und der Hochzeit zweier patrizischer Familien würde ihr Onkel sicherlich einen einzelnen Becher verdünnten Weines genehmigen.
    Also bejahte Corvina die Frage und ließ sich von Callistus einen Becher Wein anreichen. Als er ihn ihr übergab, streiften sich kurz wieder ihre Finger, und beinahe hätte Corvina dabei vergessen, den Becher auch festzuhalten. Du bist dennoch eine Närrin!


    Als Callistus also ihr zuprostete, erwiderte Corvina die Geste und nahm auch einen dezenten, kleinen Schluck. Der Wein schmeckte verboten, süß, wagemutig und warm. Unsicher drehte sie den Becher leicht in ihren Händen und überlegte, wie sie ihre Freude in Worte fassen sollte, dass er Senator würde. Es sollte ja nicht vollkommen übertrieben klingen, auch wenn Corvina absolut sicher war, dass er einen wundervollen Senator abgeben würde. In einer toga praetexta sah er sicherlich noch beeindruckender aus, als ohnehin schon.
    Während sie aber gedanklich schon wieder ins schwärmen geriet, stellte Callistus nun eine Frage, die sie so unvermittelt traf, dass sie gar nicht wusste, wie ihr geschah. “W... Womit...?“ brachte Corvina nur heraus und ihre Hände fingen an, zu zittern. War ihr Verhalten so ungebührlich gewesen? Fand er sie aufdringlich? Hatte jemand umstehendes das ebenfalls so gesehen? Sie konnte doch nicht hier hergehen und sagen, dass ihr Herz jedesmal flatterte, wenn sie ihn nur sah! Und dass er in nicht nur einem Traum eine tragende Rolle gespielt hatte!
    So sehr von diesem kurzen Schreck ergriffen fiel das Trankopfer an die Götter etwas größer aus, als es wohl üblich war. Corvina schüttete einen guten Schluck Wein über ihre zittrigen Hände und auf den Boden und verfehlte dabei nur sehr knapp ihr eigenes Kleid und auch Callistus' Schuhe. “Oh, das tut mir leid. Ich... das war sehr ungeschickt von mir. Ich wollte nicht...“ Corvina starrte erschreckt auf den verschütteten Wein. Was machte sie nur hier? Warum konnte sie nicht wenigstens ein bisschen so sein wie ihre Cousinen, die das alles mit einem Scherz und ein paar zweideutigen Worten aus der Welt geschafft hätten. Warum musste sie die schüchterne, kleine, ungeschickte, brave Corvina sein, die noch nicht einmal zehn Sätze mit ihrem Angebeteten wechseln konnte, ohne sich komplett zur Närrin zu machen?
    Corvina gab ihren Weinbecher dem nächstbesten Sklaven und sah noch einmal zu Callistus auf. “Es tut mir leid. Ich... ich sollte meinen Onkel suchen“, bevor sie noch mehr Dummes tat und sich vollkommen lächerlich machte.

    Seine Rückfrage erwischte Corvina ein wenig kalt. Hatte sie einen Fehler gemacht? Sie hatte sich nicht vorstellen können, nicht einmal theoretisch, dass Duccius Callistus keine Träume hegen könnte, die er verfolgte, sondern einfach nur seine Pflicht tun wollte, nicht mehr. “Nein, man muss natürlich nicht, ich dachte nur...“ Und wieder war die Unsicherheit mit voller Kraft zurück und schnürte Corvina die Luft zum Atmen ab.
    Was wäre, wenn er nur Rechtsgelehrter werden würde? Ja, dann hätte er sicherlich einen ehrbaren Beruf, auch einen wichtigen. Aber keinen, bei dem Corvina ihrer kleinen Träumerei weiterhin nachhängen konnte. Keiner, bei dem sie sich ernsthafte Hoffnungen machen durfte. Noch nicht einmal die kleinste, verwegendste Hoffnung. Schon jetzt war ihre Schwärmerei für den hochgewachsenen, jungen Mann mehr wilder Wunsch als alles andere. Aber wenn er Senator werden würde, oder vielleicht auch ein aufstrebender Ritter, dann bestand zumindest die theoretische Möglichkeit, dass ihr Weg und der des Duccius sich nicht nur hier und da kreuzen würde, sondern vielleicht sogar zusammenführen konnte.
    Doch wenn er nur Rechtsgelehrter würde, nichts weiter, und vielleicht danach auch aus Rom wieder abreisen würde, dann... dann war alles Hoffen und Beten vergebens. Allein der Gedanke daran hinterließ in Corvina eine schmerzliche, schwarze Leere, die sie den Tränen nahe brachte. Dumme Närrin. Hör auf zu träumen!


    “Ich verstehe leider nicht sehr viel von Rechtslehre und weiß daher nicht, wie tiefgründig sie ist. Aber...“ Warum nur verunsicherte er sie so sehr? Machte er das mit Absicht, oder sah er nur einfach nicht, wie sehr sie sich mit ihm unterhalten wollte und nicht wusste, wie sie das tun sollte? Ein verzweifelter Mut ergriff Corvina, die dieses Gespräch hier schon als die letzte Gelegenheit für derlei zu sehen begann. “.. Aber ich fände es sehr schade, wenn du keine weiteren Träume für deine Zukunft hättest. Weil dann würde ich wohl nicht so viel mehr von dir hören.“
    Corvina war sich sicher, dass ihre Ohren rot leuchten mussten. Sie wagte es kaum, länger als zwei Sekunden zu Callistus aufzublicken. Sie hatte noch nie wirklich mit einem jungen Mann geflirtet, zumindest nicht bewusst und niemals ernsthaft. Sie war sich nur allzu sehr bewusst, wie holprig dieser Versuch war, wenn er überhaupt als solcher bemerkt werden würde. Oh, Venus, hoffentlich bemerkte er es nicht! Oder doch? Corvina wusste selber nicht, was von beiden Möglichkeiten schlimmer wäre.
    Im Moment wünschte sie sich nur, dass die anderen Menschen einfach verschwinden würden, so dass sie sich nicht so beobachtet fühlen würde. Oder wahlweise, dass sie im Boden versinken könnte, ehe sie noch mehr Unsinn redete. Callistus musste sie inzwischen sicherlich für die dümmste Frau auf diesem Fest halten.

    Sie war allein auf einer weiten Ebene. Corvina wusste nicht, wo es war oder wie sie hierher gekommen war. Es gab weder Sonne, noch Sterne, und doch war hier Licht. Es war wie ein Nebel in weiter Ferne, der alles von ihr abschirmte. Ihr war etwas mulmig, und sie rief, in der Hoffnung, dass jemand antworten würde und diese bedrückende Weite damit vertrieb, aber da war niemand.
    Corvina wanderte über die graue Ebene und rang dabei mit ihren Händen. Es war, als gäbe es da etwas direkt hinter diesem Nebel, das sie bedrohte, was sie aber weder sehen noch hören konnte. Dennoch war es da und lauerte. Corvina rief noch einmal, doch nur ihr Echo verhallte in dieser leeren Welt des Nichts.
    “Ist denn niemand da?“ jammerte sie schon fast und war nahe daran, zu weinen.
    “Doch.“ Es war nur ein einziges Wort, und doch fing Corvinas Herz an, zu springen. Sie drehte sich um, und da war er. Seine dunklen Augen lagen auf ihr mit diesem kecken Glitzern darin. Seine große Gestalt zeichnete sich klar und deutlich gegen das graue Nichts ab, das markante Kinn, die breiten Schultern, die feine Nase, dieses vorwitzige Haar.
    Corvina konnte sich nicht daran erinnern, sich bewegt zu haben, und doch stand sie mit einem Mal direkt vor ihm und blickte zu ihm auf. Ihr Herz schlug so laut, dass es die ganze Welt erfüllte mit seinem BUM – BABUM. Sie wollte etwas sagen, aber kein Ton kam heraus. Dennoch strebte ihr Körper immer weiter auf den seinen zu, und plötzlich war sie in seinen Armen. In seinen nackten Armen. Und auch sie war ihrer Kleidung beraubt. Eine Welle der Hitze drang durch ihren Körper, als er sie immer weiter in seine Arme zog und festhielt. Es war nicht beängstigend, und doch wieder. Noch nie hatte Corvina sich so sicher und unsicher gleichzeitig gefühlt. Und dann beugte er seinen Kopf zu ihr hinunter, und seine Lippen trafen die ihren...



    Mit einem Zittern, das ihren ganzen Körper elektrisierte, wachte Corvina auf. Ihr Herz schlug so stark gegen ihre Brust, dass es schmerzte. Sie legte die Hand auf ihre Brust, um es zu beruhigen. Es war ein Traum, sie wusste, es war ein Traum, und trotzdem fühlte sie noch immer diesen Kuss auf ihren Lippen und ihr ganzer Körper bebte noch vor Verlangen danach.
    Corvina ließ sich zurück in ihre Kissen sinken und wollte am liebsten heulen. Warum nur? Warum nur quälte Venus sie mit solchen träumen? Warum, wenn sie doch nicht einmal wusste, wie sie ihn wiedersehen sollte?
    Die Sonne war aufgegangen und bald würde das ganze Haus wieder wach sein und seiner täglichen Arbeit nachgehen. Also lohnte es sich nicht, sich noch einmal umzudrehen und weiterschlafen zu wollen. Zumal Corvina ohnehin nicht wieder einschlafen hätte können, ohne sich zu jenem Punkt zurückzuwünschen, an dem sie aufgewacht war. Wie gerne wüsste sie, ob sich seine Lippen so anfühlten, wie sie es geträumt hatte! Und wie gerne wüsste sie noch andere Dinge...
    Und so lag Corvina einmal mehr an einem frühen Morgen wach und grübelte darüber nach, was sie denn tun könnte, um diese Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Aber sie hatte nicht die geringste Ahnung.

    Ach, es war so entsetzlich. Auch wenn weit und breit alle anderen Gäste mit sich selbst und dem Brautpaar beschäftigt schienen, kam es Corvina vor, als würden doch nur alle zu ihr und Callistus herübersehen. Als wüssten sie genau, was Corvina dachte. Das Bedürfnis, heulend wegzurennen, wurde immer schlimmer. Zumal sie sich noch nicht einmal mit Callistus unterhalten konnte. Mit jedem auf dieser Feier konnte sie ein paar Worte wechseln und sich gepflegt unterhalten. Es gab genug belanglose Themen, die man anschneiden konnte. Und hier und da ein Kompliment zu machen war nun wirklich nicht so schwer. Das funktionierte bei jedem. Nur nicht bei Callistus.


    Doch schließlich fing er dann ein Gespräch an. Und das Thema war augenscheinlich Architektur. “Oh“, kommentierte Corvina, als er sie mit seinen Worten so aus ihrer Lethargie holte und ließ den Blick über die Inneneinrichtung schweifen. Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte. Die meisten Villen, die sie besucht hatte, waren ähnlich ausgestattet. Was konnte sie also beitragen? Dass der Stuck an den Säulen an Muscheln erinnerte? Dass die Fresken exquisit waren? Dass sie glaubte, dass Blattgold bei einzelnen Bildern verwendet worden war? Das war doch alles blöd und kaum konversationsgeeignet.


    Glücklicherweise sprach Callistus auch gleich weiter und brachte sie damit leicht zum erröten. Zu den patrizischen Damen gehörte immerhin auch sie. Wenngleich sich auch sogleich diese dumme Eifersucht wieder meldete, die sehr wohl bemerkte, dass dieses Kompliment wohl auch allen anderen Damen galt.
    Doch als er sich schließlich zu ihr herunterbeugte und ihr ein Kompliment ins Ohr flüsterte, da wurden Corvinas Knie mit einem Mal so weich, dass sie Angst hatte, zu stürzen. Und wie er sie dabei ansah! So verwegen, so wagemutig, so... so... anbetungswürdig! Corvina konnte nicht anders, als höchst verlegen und doch bis über beide Ohren zu lächeln, während ihre Wangen eine leichte Erdbeerfärbung bekamen. Zu einer Antwort war sie jetzt nicht wirklich imstande. Das einzige, was sie gerade noch so hinbekam, war, heftig den Kopf zu schütteln. Nein, sie würde niemandem von diesem Kompliment erzählen, erst recht nicht Claudia Sassia. Sie würde es in ihrem Herzen tragen und die nächsten Tage nur davon zehren und jedes Mal lächeln müssen, wenn sie daran dachte. Sie würde das mit niemandem teilen.


    Und mit einem Mal wollte sie unbedingt mit Callistus reden. Wollte ihn so vieles fragen! Ob er sich in sie verliebt hatte. Wann sie sich wohl wiedersehen würden. Welches Theaterstück ihm das liebste war. Ob er sich in sie verliebt hatte. Welche Bücher er kannte. Was seine Pläne für die Zukunft waren. Wo er herkam und wie es da war. Ob er sich in sie verliebt hatte.
    Als sie wieder einigermaßen zu Atem gekommen war und sich zutraute, wieder zu reden, brachte sie aber noch immer nicht viel zusammenhängendes zustande. “Und was... was sind deine Zukunftspläne? Ich meine, warum bist du in Rom?“ Nein, das klang irgendwie vorwurfsvoll, das wollte Corvina nicht. Kurz blickte sie erschrocken drein und versuchte, ihre Eloquenz wiederzufinden. “Also, was ich sagen wollte, war... ein junger Mann wie du... und als Klient von Flavius Scato, da hast du doch sicher große Ambitionen.“ Warum konnte sie mit jedem Menschen reden, aber nicht mit ihm?

    Gerade wollte Corvina zu einer Antwort auf die Frage des Bräutigams ansetzen, als sie unerwartet unterbrochen wurde. Und nicht nur von irgendwem, nein, da war ER und stand einfach so neben ihr! Corvinas Herz hüpfte so wild in ihrer Brust herum, dass sie meinte, man müsse es nach außen sehen. Selbst, wenn ihr Leben in diesem Moment davon abgehangen hätte, sie hätte nicht sprechen können, so überrascht und... sie hatte kein Wort dafür. Es war einfach, als wäre in diesem Moment die Zeit eingefangen und bis zur Unendlichkeit ausgedehnt. Es war, als richtete sich all das, was gewesen war, alles, was gerade passierte und alles, was in Zukunft passieren würde, nur auf diesen, einen Augenblick aus, als wäre die gesamte Essenz allen Lebens zwischen den Sternen nur dazu erschaffen worden, diesen einen Moment zu gebären und hielte jetzt gebannt den Atem an, um dieses fragile Gebilde aus hauchfeinem Glas nicht durch einen unbedachten Luftzug zu zerstören.
    Aber die Zeit war natürlich nicht bis zur Unendlichkeit ausgedehnt, und das Leben um sie herum wartete auch nicht auf ihre Reaktion. Und so fing sich Corvina nach der ersten Schrecksekunde auch wieder und schaute rasch zu Boden, ehe ihr Blick noch als Starren mißinterpretiert werden konnte. Die Worte von Claudia Sassia bezüglich einer zukünftigen Hochzeit von Corvina verhallten wie in weiter Ferne. Und natürlich hörte sie das Kompliment, dass Callistus der Braut machte, und völlig irrationaler Weise verspürte sie hierbei einen Stich. Närrin!
    Als er sich danach an sie wandte und ihr die Hand entgegen streckte, half hierbei nur bedingt weiter. Sie hatte sehr wohl gehört, dass er ihr kein Kompliment zu ihrem Aussehen gemacht hatte. Dumme Närrin! Dennoch reichte sie ihm ihre kleine Hand, die er in seine große nahm. Eine Kribbeln wie ferner Donner rollte von dieser Berührung durch Corvinas gesamten Körper, ein Gefühl von Elektizität und dem Sonnenschein am ersten Tag des Frühlings. Wie die Geburt eines neuen Sterns und das zersplittern der gläsernen Realität. “Es freut mich auch, dich wieder zu sehen“, hörte Corvina sich selbst in diesem Augenblick sagen. Ihr Blick ruhte auf seinem Gesicht, dem feinen Schwung seiner Nase, dem tiefen, tiefen Braun seiner ruhigen Augen, seinen feinen Lippen, den geschwungenen Brauen.
    Als die Braut sich just da wieder an sie beide diesmal wandte, zog Corvina ihre Hand schnell errötend zurück und mühte sich, den Blickkontakt zur Gastgeberin zu halten, ohne sich irgend etwas von ihrer Verunsicherung anmerken zu lassen. Dabei fiel ihr schmerzlich auf, dass sie nicht wusste, wohin mit ihrer Hand! Wohin tat sie ihre Hände sonst? Sie an den Seiten herunterhängen zu lassen erschien ihr irgendwie unnatürlich mit einem Mal, doch verschränken wollte sie die Arme auch nicht, das wirkte so abwehrend. In einer linkischen Bewegung nahm Corvina die Hände hinter ihren Rücken. Erst da bemerkte sie, dass die Braut sie und den Duccius davon komplimentierte. “Oh, selbstverständlich“, sagte Corvina daher mit einem höflichen Lächeln. Sie wusste, sie sollte noch eine höfliche Floskel anbringen, aber ihre Gedanken schienen eine einzige, karge Wüste zu sein. “Ich freue mich schon auf unser nächstes Gespräch“, fügte sie daher etwas unsicher an und machte dann den Platz vor dem Brautpaar für weitere Gäste frei.


    Mit einem Hals, der trockener nicht sein konnte, fand sie sich also sehr unerwartet und plötzlich allein mit Duccius Callistus dastehend wieder am Rand der Festgesellschaft und neben einem toten Schaf, dessen Körper gerade zum Abtransport in die Küche bereit gemacht wurde. Wieder blickte sie zu ihm auf. Sie wollte etwas sagen. Etwas kluges, gewitztes, charmantes. Sie holte sogar Luft dafür, nur um sie langsam wieder auszuatmen, weil ihr nichts einfiel. Elende, dumme Närrin! Am liebsten wollte sie einfach heulend davonrennen wegen ihrer eigenen Unzulänglichkeit. “Ich...“ aber es fiel ihr nichts ein, den Satz fortzuführen. Nicht einmal das kleinste bisschen.

    Ein wirklich segensreicher Zukunftsspruch! Corvina freute sich für das Brautpaar. Was konnte man sich schon mehr wünschen, als Liebe, Gesundheit und ein paar Kinder? Das war weit mehr, als die meisten Frauen ihres Standes bekämen. Corvina konnte nur hoffen, dass wenn sie einmal heiraten würde, ihr Mann sie auch lieben würde, und sie ihn. In ihren Träumen in den letzten Wochen nahm dieser Gedanke immer wieder sogar recht konkrete Formen an, die sie in wachen Momenten sich nicht einzugestehen getraute.


    Ihr Onkel winkte sie heran, und gehorsam kam Corvina näher und bekam noch den Dank der beiden Brautleute an ihren Onkel mit, ebenso wie seine Antwort darauf. Als ihr Onkel sie mit seiner blutigen Hand kurz an der Wange streifte, errötete sie in schüchterner Anmut und lächelte kurz verlegen. Natürlich glaubte auch sie an die Macht des Blutes und den Zauber, der damit übertragen wurde. Allerdings hätte sie sich nie getraut, danach zu fragen.
    Um nicht ganz wie ein dummes Kind dazustehen, erinnerte sich Corvina schließlich an ihre Erziehung und überbrachte auch ihre Glückwünsche. “Salvete, Flavius, Claudia. Ich beglückwünsche euch zu eurer Eheschließung und dem guten Segen, den die Götter hierfür vorhersagen.“
    Gerne hätte Corvina noch ein wenig Plauderei angefügt, aber alles, was ihr einfiel, war, sich nach dem Klienten des Flaviers zu erkundigen. Aber das konnte sie vor ihrem Onkel keinesfalls tun. So blind konnte er nicht sein, diese Frage nicht zu durchschauen oder zumindest einen Argwohn zu entwickeln.
    Allerdings entschuldigte sich der Haruspex auch gleich, um sich umzukleiden, ehe das Blut noch trocknete, und so sah sich Corvina schneller als erwartet allein dem Brautpaar gegenüber. Da musste sie natürlich dann weiter sprechen, um nicht unhöflich zu erscheinen. “Es ist wirklich ein sehr schönes Fest. Ich hoffe, meine Hochzeit wird dereinst wenigstens halb so prächtig. Und es sind auch so viele bekannte Gesichter hier wieder versammelt! Deine Verwandten, werte Claudia, habe ich ja bereits auf dem Fest meines Onkels kurz kennen lernen dürfen, und deine natürlich auch, geehrter Flavius. Deine Klienten sind sicher auch zahlreich erschienen?“ So war die Frage definitiv sehr viel unverfänglicher und sehr viel allgemeiner.

    An der Seite ihres Onkels hatte Corvina die Villa Flavia betreten. Es war das erste Mal, dass sie dieses Haus betrat, und sie wollte einen guten Eindruck hinterlassen. Nicht nur, weil Corvina sich immer mühte, an der Seite ihres Onkels einen guten Eindruck zu hinterlassen. Sie wusste natürlich auch um die alte Freundschaft zwischen den beiden Häusern und wollte diese nicht durch eine unbedachte Handlung oder ein unwertes Auftreten irgendwie ins Wanken bringen. Überhaupt wollte sie eigentlich keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
    Und natürlich gab es da durchaus noch einen anderen Grund – oder eher eine vage Hoffnung. Es war wahrscheinlich, dass bei diesem Fest auch jede Menge Klientel der Flavii und Claudii anwesend sein würde, um mitzufeiern. Da wollte Corvina umso mehr einen positiven Eindruck hinterlassen. Wenngleich sie nicht wusste, was mit diesem allein anzufangen wäre.


    In dieser Mischung, einen guten Eindruck hinterlassen zu wollen und gleichzeitig nicht zu sehr aufzufallen, hatte sie sich also für ein lavendelfarbenes Kleid aus feiner Baumwolle entschieden, das nur durch ein einfaches Band gestickter Blattmuster verziert war. Auch ihre Schmuckauswahl war äußerst dezent, nur ein paar Armreife mit zum Kleid passenden Amethysten, passend dazu Ohrringe und ein paar Haarnadeln, die ihre Frisur beisammen hielten. Nichts außergewöhnliches, nichts allzu auffälliges, und dennoch dem Anlass durchaus entsprechend.


    Ihr Onkel wurde auch sogleich vom Bräutigam aufgefordert, die Zeichen der Götter zu lesen, und gebannt beobachtete Corvina das Tun. Sie hatte schon sehr viel gehört von der Kunst der Etrusker, der letztendlich auch ihr Teil der Familie entstammte, aber sie hatte es noch nie selbst gesehen. Nach Griechenland verirrte sich nur selten ein echter Seher, der kein Scharlatan war, und hier in Rom hatte ihr Onkel sie bislang noch nie zu einer Gelegenheit mitgenommen, wenn er die disciplina durchgeführt hatte. Was auch daran liegen mochte, dass in der höheren Gesellschaft Roms anscheinend niemand die Zeichen einholte. Aber eine Kritik hierüber stand Corvina nicht zu.
    Gebannt also beobachtete sie das Schauspiel, als das Schaf sein Leben ließ, um den göttlichen Willen zu erkunden, und wartete wie wohl alle anderen gebannt auf das Urteil durch ihren Onkel. Nur hin und wieder glitt ihr Blick durch die Menge abseits des Geschehens. Sie erkannte die Kaiserin wieder und ebenfalls Tiberia Maximilla. Doch war ihr Blick in diesen Momenten eher auf der Suche nach einem anderen Gesicht.

    Da stand sie nun. Es wären keine fünf Schritte gewesen, nur hinaus ins Licht und ein Stück weit die Tribüne wieder hinunter. Von hier aus konnte Corvina gut sein helles Haar sehen und seine breiten Schultern. So hinter ihm stehend konnte sie die Züge seines Gesichtes nur erahnen, und doch stand es ihr ganz deutlich vor Augen. Die dunklen Augen, die irgendwie in sie hineinzublicken schienen, die kantigen Linien seines Kiefers, der sanfte Schwung der Nase. Corvina musste nur ein paar Schritte gehen, dann würde sie all das auch wirklich wieder sehen.


    Und doch konnte sie es nicht. Sie konnte einfach nicht. So sehr sie sich danach irgendwie sehnte, allein bei der Vorstellung, es zu tun, verwandelten sich ihre Knie in Wasser und ihr Herz schlug so schnell, dass es gleichzeitig stillzustehen schien. Immer mehr Gedanken mischten sich ein. Was, wenn er sie auslachte, hier vor allen Leuten? Was, wenn ihr Onkel sie sah? Was, wenn andere Leute sie sahen und erkannten? Was, wenn sie sich vollkommen lächerlich machte? Was, wenn sie kein Wort herausbrachte?
    Nein, sie konnte einfach nicht. So sehr sie sich auch wünschte, doch einmal mit ihm zu sprechen, doch einmal einen ihrer Träume einer Wirklichkeit gegenüber zu stellen, die ebenso traumhaft wäre. Nein, die Angst, dass es eben doch nur ein Traum war, war einfach zu groß, und die Zeit, die sie nun der Loge ihres Onkels ferngeblieben war, wurde langsam auch zu lange. Sie konnte das einfach nicht.


    Wie lange sie da stand, vermochte sie nicht wirklich zu sagen. Irgendwann aber rempelte sie einer der eilenden Verkäufer leicht an, und sie erwachte aus ihrer Starre. Einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf Callistus werfend, riss sie sich schließlich los und eilte zurück. Und hoffte, dass sie auf dem Weg zurück nicht in Tränen ob ihrer Unfähigkeit ausbrechen würde.

    Über sich hörte Corvina die Menge einmal aufstöhnen. Irgend etwas musste passiert sein, das diese Reaktion hervorgerufen hatte. Aber Corvina wollte nicht einmal wissen, was es war. Sie hörte es zwar, aber so wirklich realisieren konnte sie es ohnehin nicht. Sie stand noch immer hier, im Halbdunkeln. Unweit von ihr flackerte das Licht einer Lampe an einer Wandhalterung, ab und an flitzte ein Bediensteter vorbei. Meistens waren es Verkäufer, die Nachschub für ihre Bauchläden holten, um weitere Zuschauer mit ihren Leckereien versorgen zu können. Hätte Corvina also wirklich etwas zu essen gewollt, sie hätte es sich schon längst bringen lassen können. Aber an Essen war überhaupt gar nicht zu denken. Vor lauter Aufregung war ihr ohnehin schon flau im Magen.


    Da oben war der Durchgang. Es waren nur ein paar Schritte und ein paar Stufen. Sie konnte das Tageslicht von dort hereinfallen sehen, strahlend hell gegen das Halbdunkel hier unten. Dort oben war er. Zumindest, falls er inzwischen nicht gegangen war. So lange, wie Corvina zögerte, war das im Bereich des Möglichen.
    Vielleicht hatte sie sich das alles ja auch nur eingebildet? Wenn sie so überlegte, war sie sich nicht mehr wirklich sicher, ob er tatsächlich zu ihr gesehen hatte. Vielleicht hatte er zwar in ihre Richtung gesehen, aber wer wusste schon, ob er sie gesehen, geschweige denn erkannt hatte? Und wenn ja, vielleicht war es von seiner Seite aus ja auch nur Freundlichkeit, die ihm nun peinlich war, da er mitbekommen hatte, wie sie errötet war?


    Hach, das alles war einfach schrecklich! Entsetzlich! Da war sie schon so weit gegangen, hatte ihren Onkel angelogen, und wofür? Dass sie nun hier stand und sich nicht traute, weiter zu gehen? Corvina schalt sich selbst eine Närrin. Noch einmal blickte sie sehnsüchtig zu dem Licht die wenigen Stufen dort oben. Es waren nur wenige Stufen, doch es erschien ihr wie der Olymp, den zu erklimmen sie sich anschickte.
    Sie schluckte einmal und ging ganz vorsichtig weiter. Erst eine Stufe, dann die nächste. Sie konnte nun schon über den Rand blicken, denn auf der anderen Seite fiel die Tribüne natürlich wieder nach unten ab, um allen Zuschauern einen guten Blick in die Arena zu gewähren. Schließlich ging sie noch einen Schritt weiter, bis zum Rand des Ausgangs.
    Vorsichtig sah sie den Gang entlang nach unten, wo der Grund ihres Herzflatterns saß. Er war wirklich nah, vielleicht fünf Schritte, und sie wäre bei ihm. Aber es hätte genauso gut eine Meile sein können, so unüberwindbar erschien Corvina diese Distanz. Sie hatte keine Ahnung, was sie denn sagen sollte. Ihre Cousinen konnten so etwas, einfach so einen Mann ansprechen, als wäre es das natürlichste der Welt. Corvina konnte das nicht. Allein schon bis hier her zu kommen hatte mehr Mut erfordert, als sie glaubte, zu besitzen. Ihn jetzt sofort anzusprechen, das wäre zu viel.

    Er... er erlaubte es? Corvina war sich sicher gewesen, dass ihr Onkel bemerkt hatte, dass sie gelogen hatte. Und auch, als er ihre Abwesenheit erlaubte, war sie dank seines Kommentares noch immer unsicher, ob er nicht doch wusste, dass sie nicht die Wahrheit gesagt hatte und sie trotzdem gehen ließ. Aber er ließ sie gehen.
    Vermutlich trug die Pause, die nach seiner Erlaubnis entstand, nicht unbedingt zu ihrer Glaubwürdigkeit bei. Aber Corvina brauchte einen Moment, um ihren Erfolg wirklich zu realisieren, ehe sie ihre Sprache wiedergefunden hatte. “Ich werde mich beeilen, geliebter Onkel“, versprach sie und stand etwas unsicher von ihrem Stuhl auf.
    Noch einmal sah sie zu der Tribüne und zu dem großen Duccius. Immerhin musste sie im Gewirr der Gänge jenseits der Arena gleich den richtigen Eingang finden, um tatsächlich bei ihm heraus zu kommen. Glücklicherweise saß er am Rand der Sitzreihe, so dass sie tatsächlich zu ihm würde gehen können. Sie würde... ihr Herz begann wieder zu rasen, und sie sah noch einmal schnell zu ihrem Onkel und schenkte ihm ein etwas gequältes Lächeln. Danach ging sie.


    Die Loge des Editors hatte natürlich einen eigenen Aufgang. Immerhin saß hier auch mitunter durchaus der Kaiser höchstselbst, und niemand konnte erwarten, dass dieser sich durch die Schlangen am Eingang quälte. Aber jenseits der Tür gab es natürlich Abzweigungen nach links und rechts – zusätzlich gesichert mit diversen Türen – um den Verkäufern, Dienern und auch manchmal dem ein oder anderen Besucher zu erlauben, ungesehen von einem Punkt der Arena zum anderen zu kommen.
    Und eben jene Schleichwege nutzte nun Corvina. An den meisten Türen standen Wachen, da sie aber zum einen als Begleitung des Aedils gesehen worden war und zum anderen ein junges Mädchen, betrachtete sie niemand als auffällig oder gar Gefahr, so dass sich die Türen für sie natürlich öffneten. Nur recht dunkel war es, da nur in einigen Abständen hier immer Lampen an gesicherten Stellen standen. Nur ab und an, wo ein Fenster den Blick nach draußen, außerhalb der Arena freigab, drang noch Tageslicht ebenfalls in diese Versorgungsadern des Theaters.


    Corvina schritt also durch die trübe Dunkelheit und hörte über sich die Rufe der Zuschauer und ab und an das Brüllen eines Löwen. Es war sehr unheimlich, aber sie nahm ihren Mut zusammen und schritt durch den Gang. Weit war es ja nicht. Und dann würde sie den Duccius wiedersehen! Und dann würde sie... sagen... Ihre Schritte verlangsamten sich, bis sie stehen blieb. Ja, was würde sie sagen? Na, erstmal salve! fiel ihr ein, und sie setzte ihren Weg fort. Bis der nächste Gedanke kam. Was, wenn er daraufhin auch nur mit 'Salve' antwortete? Was dann? Wie wollte sie ihr Erscheinen erklären? Was sollte sie ihm dann sagen?
    Ihre Schritte verlangsamten sich wieder, bis sie schließlich stehen blieb. Es waren nur noch wenige Schritte bis zum nächsten Treppaufgang und damit wieder hoch zur Arena. Die Tür stand auch offen. Sie musste nur hindurchgehen und dann hinauf, dann war sie fast bei ihm. Aber vielleicht war es ja eine blöde Idee... was, wenn er sie nur ansah, als hätte sie den Verstand verloren? Vielleicht galten seine Blicke ja ohnehin nur der Tatsache, dass sie eine Frau war und er ein Mann, aber sonst nichts weiter. Oder vielleicht interpretierte sie das ganze auch nur total falsch.
    So kurz vor dem Ziel verließ Corvina erst einmal der Mut, und sie blieb hier im Halbdunkeln erst einmal stehen, um die Sache doch noch einmal genau zu bedenken.

    Zitat

    Original von Sextus Aurelius Lupus
    In der Loge des Editors wiederum verfolgte Sextus das Spektakel mit anderem Interesse als wohl das restliche Publikum. Ihm war mehr daran gelegen, das Volk zu zerstreuen und diesem ein gutes Programm zu bieten, als selbst unterhalten zu werden. Daher war er mehr damit beschäftigt, die Reaktionen des Publikums zu lesen, als sich tatsächlich vom Geschehen in der Arena zerstreuen zu lassen.
    In diese Beobachtung also drang dann unerwarteter Weise seine Nichte ein, als sie ihn bat, sich entfernen zu dürfen, um Essen von einem Verkäufer zu holen. Sextus riss sich von dem Geschehen los und blickte das Mädchen etwas verwirrt an, blickte dann einmal nieder zu dem Tischchen zwischen ihnen. Dort stand ein Tablett mit allerlei Obst und auch einigen Fleischspießen und anderen Leckereien. Mehr als skeptisch blickte er wieder zu Corvina. “Dieses Essen hier schmeckt nicht?“ fragte er daher mit einem Tonfall nach, der die Verwunderung über ihre Erklärung mehr als betonte.


    Es war nicht die intelligenteste Ausrede gewesen, die sie vorgebracht hatte, aber Corvina war eine von Grund auf ehrliche und anständige Person und hatte schlichtweg keinerlei Übung darin, zu lügen. Jetzt im Nachhinein kam sie sich ziemlich dumm vor, ausgerechnet diesen Grund anzuführen, aber welcher andere Grund wäre besser gewesen?
    Dass sie austreten musste? Und was wäre, wenn ihr Onkel sie dann gleich auf der Tribüne sah?
    Dass sie eine Freundin gesehen hätte? Dann hätte ihr Onkel gefragt, welche es sei und sie am Ende noch mit in die Loge hier gebeten, um die ominöse Freundin kennen zu lernen, die er in der Villa noch nicht gesehen hatte. Ihre Cousinen schieden aus ähnlichen Gründen als Ausrede aus.


    Nein, es gab keinen vernünftigen Grund. Also blieb Corvina ohnehin nichts anderes übrig, als bei ihrem unlogischen Grund zu bleiben, auch wenn ihr Onkel die Ausrede wohl durchschauen würde. Aber sie wollte ja wirklich gehen. Sonst wäre die Gelegenheit vorbei, und wer konnte schon wissen, wann sie sich jemals wieder bieten würde? “Doch, schon. Aber... keine gebratene Maus...“ Corvina hoffte Inständig, dass ihr Onkel auch solche kleinteiligen Leckereien verteilen ließ oder es zumindest glaubwürdig genug war, dass sie sich nach so etwas umsehen wollte.
    Ihn ansehen konnte Corvina bei diesen Worten allerdings nicht, nicht einmal ansatzweise. Sie kam sich so falsch, so ungehorsam und ungebührlich vor, und gleichzeitig waren ihre Gedanken gar nicht im hier und jetzt, sondern so voller Hoffnung bei dem, was vielleicht sein könnte. Und Corvina war sich sicher, dass wenn ihr Onkel ihr nur einen Augenblick in die Augen sehen würde, er all diese Dinge ebenfalls klar und deutlich darin erkennen würde.

    Inzwischen hatte Corvina das Gefühl, die gesamte Bevölkerung Roms eigenhändig abgesucht zu haben, doch nirgendwo hatte sie eine Spur des Duccius gefunden. Enttäuscht blickte sie zu Boden und unterdrückte ein Seufzen. Es war ja auch eine Narretei gewesen. Hier waren über Tausend Menschen. Wie sollte sie da ausgerechnet den einen herausspähen, wenn er nicht gerade aufsprang und laut rief? Wie hatte sie sich das vorgestellt?
    Es hinnehmend, dass ihre Hoffnung zerplatzt war, sah Corvina zur Arena hinunter, wo die Löwen aufliefen. Sie hatte schon einmal einen in Athen gesehen, dennoch waren sie immer wieder beeindruckend. So beeindruckend, dass auch im Publikum jemand etwas laut aufrief. Mehr aus Reflex denn aus echter Neugier wandte sie auch den Blick in diese Richtung ins Publikum. Und da stand er. Und rief. Naja, eigentlich rief der Mann hinter ihm etwas, was Corvina auf die Entfernung nicht verstand. Aber dennoch. Da war er, so groß und schlank und mit hellbraunen Haaren, wie sie ihn in Erinnerung hatte.


    Erst der nächste Aufruf aus dem Publikum brachte Corvina aus ihrer hypnotisierten Betrachtung des jungen Mannes und sie realisierte, dass sie gestarrt haben musste. Ebenso bemerkte sie erst jetzt ihren trockenen Mund und ihr wild pochendes Herz, sowie das Brennen auf ihren Wangen, das bis zu den Ohren zu gehen schien. Vermutlich war sie zutiefst errötet.
    Betreten sah sie zu Boden und mühte sich, ihre Fassung wiederzuerlangen. Sie hatte ihn tatsächlich gefunden, unter all den Menschen! Oh Saturn, welch goldene Zeit, dass solch ein Wunder tatsächlich geschah! Aber was machte sie jetzt? Sie konnte ja kaum zu ihm herübergehen und einfach so salve sagen? Und noch weniger konnte sie einfach gehen, ohne ihren Onkel zu fragen. Und was sollte sie ihm sagen?
    Noch einmal sah sie auf und in die Menge, ob sie vielleicht noch eine ihrer Cousinen fand, die sich lieber unter die Leute mischten, oder eine andere Bekanntschaft, die ihre Abwesenheit vernünftig rechtfertigen würde, aber sie fand niemanden. Und die bislang gefundene Prisca war wohl eine eher eine schwache Entschuldigung. Zumal die Gefahr bestand, dass Sextus seine Cousine einfach zu ihnen heraufbat. Nein, das war keine Lösung.


    Noch einmal sah Corvina zu dem Duccius hinüber. Und er blickte auch zu ihr. Corvina merkte, wie die Röte auf ihre Wangen zurückkehrte, dennoch war sie so verwirrt davon, dass er sie ansah, trotz der Löwen in der Arena, trotz der Jäger bei den Löwen, trotz der tausend anderen Menschen. So dauerte es einen ganzen Augenblick, den sie ihn einfach nur ansah, ehe sie sich davon losreißen konnte und wieder mit glühenden Wangen zu Boden sah. Wieder pochte ihr Herz wie verrückt und sie wusste noch weniger, wie sie weiterhin richtig vorgehen sollte. Nur aus den Augenwinkeln und kurz traute sie sich, wieder in seine Richtung zu sehen, zu groß war das Gefühl des möglichen Ertappt-Werdens.


    Ach es war furchtbar! Ach, es war wundervoll! Und verwirrend! Aber was nun?


    Corvina überlegte, welchen Grund sie haben könnte, zu ihm zu gehen. Darüber, was sie dann sagen wollte, mochte sie gar nicht erst nachdenken, sonst würde sie sich gar nicht erst trauen, zu gehen. Aber sie wollte gehen. Sie wollte einmal nur halb so weltgewandt sein wie ihre Cousine Lentidia oder einmal so mutig wie ihre Cousine Drusilla. Wenn nicht zu den Saturnalien, wann denn dann?
    Also tat sie etwas, das sie nie geglaubt hatte, zu tun: Sie benutzte eine kleine Lüge ihrem Onkel gegenüber.
    “Onkel? Ist es in Ordnung, wenn ich kurz auf die Tribüne gehe? Ich... ich möchte mir etwas zu Essen von einem der Verkäufer holen.“

    Nur mit halben Auge beobachtete Corvina tatsächlich das Schauspiel in der Arena, wenngleich ihr Onkel scheinbar keine Kosten gescheut hatte, um wirklich die besten Jäger zu finden, die man eben finden konnte. Auch wenn Corvina für sich selbst nicht einmal träumte, Pfeil und Bogen zu benutzen, musste sie doch anerkennend befinden, dass diese beiden Amazonen diese Kunst meisterlich beherrschten.
    Nein, ihr Blick glitt nach wie vor über die Reihen der Zuschauer, ob sie den jungen Mann entdecken würde, den wiederzusehen sie durchaus das ein oder andere Mal erträumt hatte. Angesichts der Größe des Theaters war dies wohl ein absolut närrischer Wunsch, aber wann konnte man einen solchen wohl hegen, wenn nicht zu den Saturnalien? Wann wäre die Chance größer, ihn tatsächlich ansprechen zu können? Nicht, dass Corvina wissen würde, was sie sagen sollte.


    Doch sie sah ihn nicht. Sie entdeckte den Quaestor Flavius, der mit dem jungen Klienten des Purgitius Macer zusammengestoßen war – jener, welcher so unbeholfen ein Kompliment an sie gerichtet hatte, als sie ihm vorgestellt worden war. Sie entdeckte auch ihre Cousine Prisca, die den Consular Flavius geheiratet hatte. Dieser winkte Corvina auch kurz zu, allerdings glaubte sie nicht, dass dies gesehen worden war. Im Gegensatz zu ihr beobachtete Prisca tatsächlich das Geschehen in der Arena.
    Nach ein wenig weitere Suche entdeckte sie auch Purgitius Macer mit einem kleinen Mädchen – wohl seine Tochter – und lächelte auch höflich in dessen Richtung, für den Fall, dass er zurücksehen mochte.


    Aber den jungen Hünen, der sie so eindringlich angesehen hatte, den entdeckte sie zu ihrem Verdruss nicht.

    Natürlich begleitete Corvina ihren Onkel. Selbst, wenn es nicht seine eigenen Spiele gewesen wären, hätte sie gehofft, ihn begleiten zu dürfen, und das aus mehreren Gründen. Zu allererst natürlich, weil Saturnalien waren, ihre ersten Saturnalien in Rom, und Corvina hatte schon so viel davon gehört! Ein solch fröhliches Treiben sollte es sein, so viel zu sehen, so eine ausgelassene Zeit, dass sie natürlich davon träumte, es selbst zu erleben und ein Teil davon zu sein. Sie konnte ja nicht immer nur zuhause sein und sich nur anhören, was ihre Cousinen erlebten und taten, während sie in ihrer Kammer sitzen blieb und einfach nur älter wurde.
    Zum zweiten natürlich war dies wohl eine der wenigen Gelegenheiten, überhaupt einmal Spiele zu sehen. Ihr Onkel hatte ein paar sehr eiserne Prinzipien, was sein Idealbild einer Frau anging, und sie schien dieses verkörpern zu sollen. Und ein Teil dieses Idealbildes bezog sich wohl darauf, dass Frauen an den gewalttätigen Spektakeln in der Arena keinen Gefallen zu finden hatten. Gut, Gladiatorenkämpfe fand Corvina wohl wirklich etwas sehr blutig, sie mochte Krieg und Kampf nicht. Dabei zuzusehen stellte sie sich kaum schöner vor. Sie brauchte kein spritzendes Blut, um sich zu amüsieren. Aber Tierhetzen waren da weniger grausam – hoffte sie zumindest – und da ihr Onkel Aedil war, erlaubte er ihr die Teilnahme, da musste sie es nutzen.


    Der dritte Grund war absolut kindisch und wohl unrealistisch, wenn man ihn genau betrachtete. Es war eigentlich kein Grund in dem Sinne. Vielleicht sollte man es eher als ganz vage, jugendliche, unvernünftige und unbegründete Hoffnung beschreiben.
    Während ihr Onkel also seine Rede hielt und die Spiele eröffnete, sah sich Corvina in den Rängen um und suchte nach einem Gesicht. Es wäre schon mehr als nur leichter Zufall, wenn sie ihn wirklich in diesen Menschenmassen finden würde, und selbst wenn, was würde es ihr nützen? Er würde wohl kaum hier in der Loge des Editors auftauchen, um mit ihr zu reden. Und sie konnte auch nicht einfach gehen und sich zu ihm auf die Ränge setzen. Oder? Und auch am Ende der Kämpfe würden sich ihre Wege wohl eher weniger wahrscheinlich treffen, so dass sie sich unterhalten würden.
    Aber es waren Saturnalien, die strengen Regeln waren hinweggewischt und alle durften ein wenig albern sein und sich über Beschränkungen hinwegsetzen. Zumindest theoretisch. Und, naja, vielleicht dachte er ja auch an sie? Ach, Närrin, er hat dich schon längst vergessen, schalt sie sich selbst in Gedanken. Hätte er ernsthaftes Interesse an ihr gehabt, hätte er doch sicher auf dem Fest damals mit ihr gesprochen, oder? Aber andererseits hatte sie ja auch nicht mit ihm gesprochen.


    Hach. Corvina atmete einmal tief durch und ließ ihren Blick weiter über das Publikum schweifen. Vielleicht erblickte sie den hühnenhaften, jungen Mann ja doch noch einmal, und konnte sich wenigstens vergewissern, dass er genau so aussah, wie sie ihn in ihrer Erinnerung und in dem ein oder anderen Traum sah.

    Als ihr Onkel ihr ein kleines Handzeichen gab, entschuldigte sich Corvina selbstverständlich sofort aus der Gesellschaft der Flavii und Claudii, um zu ihm und der Kaiserin herüber zu gehen. Im Gehen streifte ihr Blick noch einmal ganz flüchtig den des Duccius, und sie fühlte wieder dieses Kribbeln auf den Wangen, das darauf hindeutete, dass diese leicht erröteten. Corvina bemühte sich, sich selbst zu sagen, dass dies nur der Aufregung des Abends geschuldet war und der Tatsache, gleich der Kaiserin gegenüber zu treten.
    Ihr Onkel stellte sie und ihre Cousinen auch gleich gewohnt wortgewandt vor. Corvina warf ihm einen warmen Blick zu, als er sie mit dem Wort 'Augenstern' bedachte. Zwar glaubte Corvina, dass diese Wortwahl im Moment hauptsächlich Kalkül war, dennoch war sie gleichfalls der Überzeugung, dass ihr Onkel zumindest ein wenig Zuneigung ihr tatsächlich entgegenbrachte, so wie sie ihm.
    Aber viel Zeit, sich hierüber zu freuen, blieb ohnehin nicht, da die Kaiserin sie direkt ansprach, noch ehe Corvina die Chance gehabt hatte, selbst auch nur einen Ton zu sagen. Überhaupt war dieser Augenblick so aufregend! Sie stand leibhaftig der Kaiserin des römischen Reiches gegenüber! Dabei war sie vor nicht allzu langer Zeit doch selbst erst aus Athen hier her nach Rom gekommen und fühlte sich noch immer etwas fremd in dieser schillernden, lauten, atemberaubenden Welt.
    Zu mehr als einem “Salve, Augusta“, reichte es danach dann auch nicht, da Cousine Lentidia gleich offenbarte, die Kaiserin schon zu kennen, und sich zwischen diesen beiden ein Gespräch zu entwickeln begann. Corvina war da bei weitem nicht forsch genug, dazwischen zu reden, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Überhaupt hätte sie auch gar nicht gewusst, was sie hätte sagen sollen. Und ihre Gedanken drifteten auch so immer wieder zu einem anderen Ort, so dass sie sich ermahnen musste, nicht den Blick abzuwenden oder gänzlich in Tagträumen aufzugehen.

    Weitere Gäste kamen an. Eine junge Frau in einem roten Kleid, das durchaus einige Blicke auf sich zog, und etwas später auch ein junger Mann mit Corvinas Cousine Lentidia. Beide stellten sich als Claudier heraus und waren wohl die Gäste, die Lentidia unbedingt einladen hatte wollen. Corvina lächelte ihnen einfach nur höflich zu und versuchte, möglichst unauffällig zu sein. Zwar war durchaus klar, dass ihr Onkel sie heute Abend wohl noch mehrfach ins Zentrum der Aufmerksamkeit befördern würde, aber für den Moment war sie ganz glücklich damit, im Hintergrund bleiben zu können.
    Vor allen Dingen, als wenige Momente danach die Kaiserin eintraf in einem Kleid, wie Corvina es noch nie gesehen hatte. Sie würde sich ja nie im Leben trauen, so etwas zu tragen, selbst wenn sie es sich hätte leisten können! Das Kleid zog die Blicke aller Gäste geradezu magnetisch an!


    Sich dieser Tatsache bewusst, wandte Corvina in diesem geschützten Moment allerdings einmal kurz den Blick ab und noch einmal dem jungen Mann zu. Duccius Callistus war sein Name, das hatte sie sich gemerkt. Er sah irgendwie anders aus, auch wenn Corvina nicht so recht wusste, woran sie das genau festmachen sollte. Warum er sie vorhin wohl so angesehen hatte? Wärme auf ihren Wangen machte ihr klar, dass sie wieder dabei war, zu erröten, also sah sie schnell wieder zu Boden und dann zu ihrem Onkel und der Kaiserin. Nun, da sie eingetroffen war, konnte das fest so richtig beginnen.

    Natürlich war Corvina der junge Mann aufgefallen, der zusammen mit den Flavii gekommen war. Nicht nur, weil er mit seiner Art und Aufmachung aus der Gruppe herausstach, sondern weil er so geradlinig den anwesenden Frauen hinterher sah. Als sein Blick auch auf sie fiel, errötete sie leicht und bemühte sich, beiseite zu sehen und so zu tun, als hätte sie nichts gemerkt. Dies gelang allerdings auch nur solange, bis ihr Onkel sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte und allen Beteiligten vorstellte.
    “Claudia Sassia, dein Kleid ist wirklich außerordentlich schön. Du musst mir verraten, wo du es her hast“, stürzte sich Aurelia Corvina also auf die einzige weibliche Person. Ein Gespräch hier zu beginnen schien ihr um einiges einfacher zu sein, als mit sämtlichen der Herren. Von Tribunaten oder Politik hatte sie nämlich keine Ahnung, und wenn der Duccius ihr noch einmal so einen Blick zuwarf, würde sie wahrscheinlich nur wieder rot werden. Und das war ganz und gar unziemlich.
    Allerdings zu den Herren gar nichts zu sagen wäre auch grob unhöflich gewesen, also schon Corvina noch eine kleine Begrüßung hinterher. “Flavius Scato, auch ich gratuliere dir und heiße dich, Flavius Gracchus Minor und auch deinen Klienten Duccius herzlich willkommen.“

    “Es freut mich auch sehr, dich wiederzusehen, Consular Purgitius“ antwortete Corvina artig und etwas schüchtern. Sie wusste nicht so recht, was sie sonst noch sagen sollte, und der hochgewachsene, junge Mann, der so fleißig den Boden absuchte, war auch keine besonders große Hilfe. Wenn der Purgitius sein Gedächtnis erst auffrischen musste und sich nur träge an sie erinnerte, schien sie ja keinen besonders bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. Das verunsicherte sie doch ein wenig und nahm der Situation ein wenig die Lockerheit, die ihr Onkel sicherlich mit Begehung der Feierlichkeit verbreiten wollte. Daher fügte sie nur ein “Und natürlich ist es mir auch eine Ehre, deinen Klienten kennen zu lernen. Sei auch du gegrüßt, Pompeius.“

    Auch Corvina hatte sich herausgeputzt. Ganz wohl fühlte sie sich dabei nicht wirklich. Andere Frauen mochten es lieben, teure Kleider nach dem modischsten Schnitt zu tragen und sich mit Gold und Juwelen zu behängen. Corvina war da eher bescheiden und trug eigentlich am liebsten die Sachen, die sie selbst gewebt hatte. Aber ihr Onkel gab ein Fest für die bessere Gesellschaft Roms, da durfte sie ihn keinesfalls blamieren. Also hatte sie ausnahmsweise den Rat ihrer Cousinen in dieser Angelegenheit gesucht und schließlich ein Kleid auf dem Markt gekauft. Auch sie hatte sich dem Familientrend des heutigen Tages angeschlossen und trug so ein blaues Kleid – allerdings aus ägyptischer Baumwolle. Seide war ihr doch zu protzig erschienen. Darüber trug sie eine Palla aus hauchdünnen, weißen Leinengewebe, deren Spitzen beinahe den Boden berührten und mit kleinen Perlen abgesetzt waren. An Schmuck trug sie nur eine einfache Kette aus Lapislazuli und Perlen mit einer goldenen Lunulla, die sie von ihrem Onkel geschenkt bekommen hatte. Ihre Haare waren von Saba zu einem kleinen Kunstwerk mit nur sieben Haarnadeln zusammengesteckt worden.
    Aber es war aufregend! Abgesehen von den Besuchern der Villa kannte Corvina praktisch niemanden, und heute würden so viele hochgestellte Persönlichkeiten kommen! Consulare, angehende Consule, vielleicht sogar der Kaiser höchstselbst! Allein die Aussicht darauf ließ Corvinas Herz vor Aufregung flattern und ihre Knie weich werden.
    Und so stand sie nun da, herausgeputzt wie sonst nie, und bemühte sich, niemanden zu blamieren und nicht allzu sehr aufzufallen, während ihre Cousinen entweder nach Komplimenten fischten oder selbst aufgeregt noch hierhin und dorthin schwirrten, als die ersten Gäste eintrafen.


    Unter diesen war schließlich auch eine Person, die sie kannte: Purgitius Macer war gekommen. Corvina erinnerte sich nur bruchstückhaft an ihre Unterhaltung vor Ewigkeiten und hoffte, damals keinen zu schlechten Eindruck hinterlassen zu haben. “Purgitius Macer ist eingetroffen“, wies sie ihren Onkel leise flüsternd auf den neuen Gast hin, falls dieser ihn noch nicht selbst bemerkt haben sollte.

    Sim-Off:

    Dafür hab ich deine Antwort übersehen. Wir heißen einfach zu ähnlich....


    “Oh, Götter! Das ist ja entsetzlich!“ entfuhr es Corvina. Was waren das für Menschen, die so etwas schreckliches taten? Und weswegen? Corvina wohnte ja nun noch nicht so lange in Rom, allerdings hatte sie in dieser Zeit nichts davon mitbekommen, dass die Tiberier unbeliebt oder grausam wären, so dass dieses Verhalten eine solche Tat irgendwie heraufbeschworen hätte. Nein, sie waren eine ganz normale, römische Familie, etwas reicher als die meisten, aber auch nicht so reich wie andere. Und sie hatten schon einige Schicksalsschläge und Attacken hinnehmen müssen, nach dem, was Corvina gehört hatte. Sie mussten die Götter wirklich schrecklich verärgert haben, anders war das doch gar nicht zu erklären.


    Corvina empfand schreckliches Mitleid, traute sich aber nicht, diesem durch eine Umarmung Ausdruck zu verleihen. Immerhin kannte sie ihre Namensvetterin gar nicht, und so schnell, wie diese das Thema beständig wechselte, schien sie auch nicht erpicht darauf, sich irgendetwas davon von der Seele zu reden und durch diese schmerzliche Erfahrung eine Freundschaft zu knüpfen oder ähnliches. Überhaupt war sich Corvina unsicher, wie sie jetzt am besten reagieren sollte. Sie war noch nie in der Situation, mit einer traumatisierten Fremden konfrontiert zu sein!
    “Mein ehrwürdiger Onkel wird sicherlich alles dafür geben, dass du hier sicher bist und bald wieder heim kannst. Er... im Krieg, also im Bürgerkrieg, hat er meine Cousine Prisca gerettet, obwohl der Praefectus Praetorio sie entführt und mit aufs Schlachtfeld genommen hatte, um ihn und Vetter Aurelius Ursus so zur Aufgabe zu zwingen. Sie hatte nicht einen Kratzer, und er hat die Schlacht gewonnen. Er weiß ganz sicher, was zu tun ist.“ Corvina war sich selbst nicht ganz sicher, ob sie diesen Gedanken laut ausgesprochen hatte, um die Tiberia zu beruhigen, oder vielmehr, um sich selbst nochmal zu beruhigen, dass ihr hier so etwas schreckliches nicht passieren konnte.