Beiträge von Anahita Amba

    Hin- und hergerissen war sie, nachdem Lala losgelaufen war. War es die richtige Entscheidung? Er war zwar nur ein Junge, trotzdem konnte es gefährlich werden. Andererseits lag hier noch irgendwo ihr Armband. Sie wollte es wiederhaben. War der Preis zu hoch? Es war zwar ein schlechter Vergleich, der ihr in den Sinn kam, aber Neriman war gestorben, während sie auf der Suche war. Wäre sie zuhause geblieben, sie würde vielleicht noch leben. Ihre Suche war allerdings eine andere gewesen, eine, die die Zukunft verändern konnte. Ob sie es jemals bereut hatte?


    Es war nur ein Armband, Lala sollte sich nicht dafür in Gefahr bringen... Ihr Blick durchkämmte suchend die Menge, doch sie konnte Lala nirgends mehr erkennen. Sie hätte sie aufhalten sollen. Dann aber raffte der Sklave die Tunika des dicken Römers noch ein Stückchen höher und plötzlich konnte sie es sehen. Ihr Armband hatte sich tatsächlich unter dem Saum verfangen und lag umhüllt von Dreck und vertrockneten Blättern direkt vor ihren Füßen. Anahita bückte sich eilig und hob es erleichtert auf. Sie pustete den Staub von den bunten Steinen und polierte es mit dem Stoff ihrer Tunika, dann hielt sie es triumphierend über die Schulter des Römers, um dem Verginier zu signalisieren, dass sein Manöver von Erfolg gekrönt war.


    Fast hätte sie schon nicht mehr damit gerechnet, doch endlich hatte sie es wieder. Blieb die Sorge um Lala, die nun eigentlich grundlos einem angeblichen Dieb hinterherrannte. Auf jeden Fall wollte sie hier auf sie warten. Der Brunnen war dazu bestens geeignet. Ana setzte sich auf die Stufen, stellte den Korb neben sich und legte sich ihr Armband um. Dann beobachtete sie die Szene weiter, die der andere Römer mit dem Dicken angezettelt hatte. Ob das auch ein gutes Ende nehmen würde?

    Der Dicke trat einen Schritt zur Seite und Anahita beeilte sich, den Pfirsich zu schnappen, bevor sein Fuß ihn zu Mus verarbeitete. Dann drehte sie sich zu Lala, die noch immer versuchte, den Sklaven abzulenken, mit sichtlich schwindendem Erfolg. Schließlich bemerkte er den Blick seines Herrn und ließ Lala einfach stehen, eilte zu seinem Dominus, der schon etwas ungeduldig wirkte. Den Moment nutzte Anahita, um kurz zu Lala zu gehen. Der Pfirsich wechselte zu seiner Besitzerin und kurz darauf hörte Ana, dass ein Dieb sein Unwesen trieb. Den dunklen Lockenkopf sah auch sie nur noch kurz, bevor er in der Menge untertauchte. Wenn er nun schneller war und er das Armband bereits gefunden hatte? Sie flüsterte Lala etwas ins Ohr. Die reichte ihr den Korb, nickte und verschwand ebenfalls im Getümmel.


    Noch war da aber die Hoffnung, dass das Gesuchte dem Dieb ebenfalls verborgen blieb, und so drehte sie sich wieder zu dem Römer, unter dessen Tunika sie ihr Armband vermutete. Der Sklave war nun bei ihm und als er verstand, schickte er sich an, den Saum zu heben, der die Knöchel verbarg. Nur vorne zuerst, dass sein Herr die Beine frei hatte, um sie zu zeigen. Hinter ihm schob der Stoff sich in Richtung Fersen, hob sich dabei auch ein kleines Stück, wodurch ein Häufchen Dreck zum Vorschein kam. Ob sich darin das Gesuchte verbarg? Ein kleines Stück des hellen Bandes könnte das sein, das dort herausstand. Anahita war zu weit entfernt, um es erkennen zu können. Bevor noch jemand anderes ihr Armband fand, beeilte sie sich, wieder hinter den dicken Römer zu kommen.

    Anahita tauschte vielsagende Blicke mit Lala, bevor der Verursacher dieses Schlamassels sich an seinen spontan zurechtgelegten Plan machte. Etwas abseits, versuchte sie dennoch, etwas vom Gespräch mitzubekommen. Fast hätte sie die Augen verdreht, bei der Lobhudelei, mit der dieser Verginier den Dicken umschmeichelte. Wäre sie die Angesprochene, sie hätte ihn gefragt, was er denn überhaupt wollte. Oder ihn einfach ignoriert. Umso überraschter war sie, dass der Plan aufzugehen schien. Waren Männer so leicht zu manipulieren? Kopfschüttelnd beobachtete sie die Szene. Der Römer wurde tatsächlich aufmerksam und setzte sich ein Stück in Bewegung. Anahita rückte zu ihm auf, denn sie wollte nicht, dass jemand das Armband vor ihr fand. Den Boden hinter der Tunika ließ sie deshalb keine Sekunde aus den Augen. Ein Schritt, noch einer - nichts. Das Teil war so lang, dass er damit sicher schon einen halben Eimer Dreck und was sonst noch unter dem Stoff mitzog.


    Der Verzweiflung nahe, überlegte sie fieberhaft, wie sie es schaffen könnte, dessen Tunika unauffällig hochzuheben. Ihr fiel aber beim besten Willen nichts ein, was nicht irgendwie komisch ausgesehen hätte. Vielleicht mit dem Fuß, wenn sie nahe genug an ihm vorbeigehen würde... Da bemerkte sie plötzlich Lala, die in den Sklaven lief und dabei den Korb auskippte. Pfirsiche kullerten und lenkten auch ihren Blick für einen Moment ab. Ein anderer Römer mischte sich ein und beschimpfte den armen Kerl auch noch. Ein Pfirsich rollte unbemerkt genau vor ihre Füße. Etwas verwirrt besah sie sich das Schauspiel eine Weile, bis sie begriff. Das war kein Zufall, das war Absicht. Die beiden lockten den Sklaven weg. Da entdeckte sie das Obst zu ihren Füßen. Ob das funktionieren könnte? Mit dem Fuß tippte sie den Pfirsich an und der rollte in Richtung des Dicken, verfehlte ihn aber um ein kleines Stück. Anahita versuchte, einen Blick von Mamercus zu erhaschen, um ihm schulterzuckend zu erklären, dass sein Plan noch nicht zum Erfolg geführt hatte.

    Anahita hielt kurz in ihrer Suche inne und starrte den Fremden verständnislos an. Was, bitte, sollte es sonst gewesen sein? "Natürlich, mein Armband. Es hing an meinem Arm, wie der Name schon sagt, und es muss wohl heruntergerutscht sein, als du in mich hineingelaufen bist. Natürlich hier an diesem Ort!" Wo sollte es sonst gewesen sein, wenn sie genau jetzt genau hier zu suchen begann. Nun war sie tatsächlich verärgert, auch wenn er es wahrscheinlich nicht böse gemeint hatte. Es war eben nicht nur irgendein Armband. Es war teuer gewesen und es sollte vor allem ein Andenken an ihre letzte Reise sein. Natürlich war es nicht so teuer, wie es die Reichen und Schönen in Rom trugen, aber eben auch nicht billig. Und vor allem nicht ohne Wert. Es gefiel ihr einfach.

    Ana sah sich weiter um, als Lala in ihren Weg lief. Freudig über die unerwartete Begegnung, lächelte sie ihr dankbar zu. "Mir geht es gut, aber ich habe mein Armband verloren, eins mit verschiedenen Steinen." Ihr Blick ging wieder zu dem Fremden. Immerhin war er nun auch dabei, sich an der Suche zu beteiligen. Den Namen, den er beiläufig nannte, um sich vorzustellen, konnte sie sich erstmal nicht merken. Dafür war sie zu viel zu aufgeregt. Vielleicht später, in aller Ruhe.


    Mittlerweile hatte sie den Umkreis des Zusammenstoßes gründlich abgesucht und nichts gefunden. Schon wollte sie resigniert aufgeben, als er ihr plötzlich ungewöhnlich nahe kam und etwas ins Ohr flüsterte. Natürlich sah sie sofort und überhaupt nicht unauffällig zu dem Dicken, den er ihr beschrieben hatte. Dann musterte sie dessen Tunika von oben bis zum Saum, der ohne Zwischenraum den Boden berührte. Man könnte auch sagen, er wischte damit den Dreck von den Steinen. Fast hätte sie daraufhin gelacht. Die Vorstellung, er würde darunterkriechen...
    Kopfschüttelnd drehte sie sich weg, ein Grinsen im Gesicht und gar nicht mehr wütend. Dann bemühte sie sich, ernst zu bleiben und flüsterte zurück. "Das ist, glaube ich, keine gute Idee, aber du könntest ihn ablenken. Wenn du es schaffen würdest, dass er ein paar Schritte geht..." Gut, es könnte sein, das Armband blieb hängen, und er würde es nur mitschleifen. Vielleicht aber hatten sie Glück und es lag tatsächlich darunter. Einen Versuch wäre es wert.

    Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als sie Lala am Brunnen entdeckte. Gerade wollte sie ihr zuwinken, um auf sich aufmerksam zu machen im Trubel der vielen Besucher, da wurde sie unsanft angerempelt. Dabei stieß sie auch noch gegen einen anderen Mann, bei dem sie sich natürlich sofort entschuldigte. Dann wandte sie sich dem Kerl zu, der das alles ausgelöst hatte. Erst wollte sie tatsächlich schimpfen, hatte schon die passenden Worte auf den Lippen. Seine Entschuldigung aber stimmte sie milde, so dass sie erst einmal prüfend an sich heruntersah. "Nein, alles noch dran. Du solltest aber besser nach vorne sehen, wenn du läufst." Kritisch musterte sie das Bürschchen, dann musste sie selbst gestehen. "Ein wenig war es wohl auch meine Schuld. Eine Freundin wartet auf mich, da habe ich wohl den Weg aus den Augen verloren." Plötzlich erschrak sie fürchterlich. Das Armband. "Ohnein, mein Armband. Es ist weg!!" Panisch suchte sie die Umgebung ab. Es war sicher beim Zusammenstoß heruntergerutscht.

    Neugierig schlenderte sie über den Markt. Erst hier wurde ihr bewußt, dass sie noch nicht einmal wirklich den Markt besucht hatte. Kurz die nötigen Einkäufe, das ja. Einfach durchschlendern und alles ansehen, dazu war nie die Zeit. Daher genoss sie es nun umsomehr, einfach von Laden zu Laden, von Stand zu Stand zu wandeln, hier etwas zu begutachten, dort etwas zu prüfen. Unzählige Stoffe wanderten durch ihre Hände, etwas weniger Schmuckstücke lagen auf ihrer Haut. Nur eines wechselte in ihren Besitz, ein Armband mit unterschiedlichen Steinen. Der Mann legte es um ihr Handgelenk und Anahita betrachtete es am ausgestreckten Arm. Die Steine funkelten in der heißen Sonne. Lächelnd bezahlte sie und ging dann fröhlich weiter. Zum ersten Mal, seit sie wieder in Rom war, fühlte sie sich frei, unbeschwert. Die Aufgabe war erfüllt und es blieb noch genug Zeit, bis sie zurück nach Hause musste. Ein Blick zum Himmel, die Sonne wanderte immer höher. Nun musste sie sich beeilen, zu dem Brunnen zu kommen, an dem sie sich mit Lala treffen wollte.






    Sim-Off:

    Dieser Markt ist offen, wer ebenfalls hier unterwegs ist, darf Anahita und Lala auch gerne über den Weg laufen ;)

    "Danke." Anahita war nicht nur dankbar für das kostenlose Essen und den Wunsch, gut nach Hause zu kommen. Auch für die Umarmung, das tat gut, gerade jetzt. Im Grunde war sie ziemlich einsam in dieser großen Stadt, die ihr immer noch fremd und doch so vertraut war. "Bis morgen." Nachdem Lala gegangen war, stand sie auf und sah sich noch einmal um. Hier hatte sie also gelebt und geabeitet. Mit den vielen Eindrücken und den wenigen, und doch wichtigen Geschichten, die sie heute erfahren durfte, drehte sie sich um und ging.

    Neue Geschäftsbeziehungen? Das war gar nicht so dumm und es wäre sicher auch gut für ihre Zukunft. Darüber musste sie nachdenken. "In zwei Tagen schon?" Nein, da blieb wirklich keine Zeit mehr. Ein wenig bedauerte sie diesen Umstand, doch wer wußte schon, ob es nicht tatsächlich besser so war. Als er die Hand auf das Amulett legte, wurde ihr warm ums Herz. Das war wohl wahre Liebe, die die beiden verbunden hatte. Ob sie das auch in der Form erfahren würde? Anahita hoffte es sehr. Er nahm ihre Hände und ehe sie sich versah, küsste er sie. Eine sanfte Röte zierte ihre Wangen schneller, als sie versuchen konnte, es zu verhindern. Seine warmen Hände.. Anahita schluckte. "Ja, vielleicht." Da stand er schon, bereit zu gehen. "Gute Reise." wünschte sie ihm ein letztes Mal, dann war er weg. Germania Superior - das wollte sie sich auf jeden Fall merken. Wer wußte schon, was die Zukunft bringen würde. Anahita winkte Lala zu sich, um zu bezahlen. Dann wollte sie erst einmal alleine sein.

    Die Stirn kraus, suchte sie in seinen Augen, ob das ein Scherz war. Offensichtlich, wie sollte das auch gehen? Wäre sie unabhängig, Anahita würde nichts lieber tun als mit ihm zu kommen. Allein seine Frage weckte ihre Sehnsucht, die Welt zu entdecken. Germania - gehört hatte sie darüber viel, das Glück, dorthin zu reisen, blieb ihr aber verwehrt. Die Handelspartner ihres Vaters saßen vor allem in Rom. Und genau der wollte seine Tochter sicher unversehrt zurück. Also blieb ihr, schweren Herzens, nur, die Einladung auszuschlagen. Sie tat es mit dem gleichen Lächeln, das er ihr entgegenbrachte. "Liebend gerne, aber ich fürchte, das geht nicht. Mein Vater wäre sicher nicht begeistert, wenn ich mich alleine in einem fremden Land herumtreibe. Wann geht es denn los?" Er war schon bereit für eine Abreise, zumindest schloss sie das aus seinen Worten. Anahita hätte mit ihm gerne noch über Neriman gesprochen, ihm von ihr erzählt, etwas von ihm über sie erfahren. Über das Wichtigste aber hatten sie gesprochen. So blieb ihr nur noch ein Abschied, denn sie würde ihn wohl nicht mehr wiedersehen. "Ich wünsche dir eine gute Reise und viel Glück für die Zukunft. Das Amulett wird dich schützen."Neriman würde darin immer bei ihm sein.

    Als sie von seiner Hand wieder hochsah, erkannte sie den Schmerz in seinem Gesicht. Die Tränen, die er jetzt und später um Neriman weinen würde. Wie gerne hätte sie etwas gesagt, etwas getan, um ihn zu trösten. Sie wußte, dass das nicht möglich war. Die Zeit allein würde diesen Schmerz lindern, irgendwann. Bis dahin herrschten Trauer und Verzweiflung. Anahita ließ ihm Zeit, sah ihm zu, hörte ergriffen seine Worte. Und als das Amulett um seinen Hals lag, verborgen an seinem Herzen, war sie glücklich, ihr Versprechen eingelöst zu haben.


    Was sie nun tun würde? Das war eine gute Frage. Niemals hätte sie damit gerechnet, so schnell auf die Beiden zu treffen. "Ich werde in Rom bleiben, bis mein Vater mich nach dem Winter holen kommt." Für ihre Ankunft zuhause hatte ihr Vater sicher alles geregelt. Eiine kleinen Erhöhung der Mitgift würde ihrem Zukünftigen die Wartezeit von einem Jahr ohne Zweifel vergessen machen. Hochzeit, Kinder bekommen... die Zukunft war geplant. Das Einzige, das ihr ein wenig Angst machte - sie wußte nicht, wie ihr Ehemann aussah. Sie wußte nur, er war fast doppelt so alt wie sie selbst und Händler wie ihr Vater. Ein kleines Seufzen war zu hören, bevor sie weiter überlegte. Helfen? Nein. Anahita schüttelte den Kopf. "Es war schön, den Mann kennenzulernen, von dem Neriman so viel erzählt hat. Und es ist Dank genug für mich, wenn du Neriman in deinem Herzen behältst." Das meinte sie ehrlich und nun schaffte sie es auch, ihn anzulächeln. Es war angenehm, in seiner Gegenwart und Anahita konnte verstehen, wieso Nerimans Augen immer zu leuchten begannen, wenn sie von ihm erzählte. Ob es ihr nun zustand oder nicht, ein wenig mutig geworden, griff sie seine Frage von vorhin auf. "Und was wirst du jetzt tun?"

    Er schien doch nicht so kalt, wie sie zuerst dachte. Es hätte auch nicht zu dem gepaßt, das sie von Neriman über ihn wußte. "Von einer Tabula weiß ich nichts, nur von dem Amulett. Neriman nahm es und wollte es dir zurückbringen. Aber es ging nicht mehr, ihr Leben war nicht sicher. Deines im übrigen auch nicht, wäre sie mit dir gegangen." Anahita holte ein wenig aus. "Neriman lebte einige Zeit in Alexandria. Dort wurde sie verschleppt. Ein Kerl namens Herodorus hat sie eines Nachts in seine Gewalt gebracht und nahm sie mit nach Rom. Dort sollte sie für ihn arbeiten.. stehlen. Neriman konnte irgendwann fliehen. Sie wollte zurück zu ihrer Familie, suchte Händler, die sie mitnehmen würden. Doch ohne Bezahlung, aussichtslos. Da begegnete ihr Lala. Ihr vertraute sie sich an und Lala hatte die Idee, sie hierherzubringen. In der Garküche konnte sie sich einen kleinen Lohn erarbeiten und mit gefärbten Haaren und etwas Schminke war sie relativ sicher. Dort hast du sie gefunden. Sie war so glücklich, dich wiederzusehen. Wären Herodorus und seine Männer nicht gewesen, sie wäre sicher mit dir mitgekommen. Weil sie aber Angst um dein Leben hatte, hat sie es nicht gewagt. Herodorus lässt sich seine Beute nicht wegnehmen - hat sie gesagt. An dem Tag wäre sie auch fast von ihm erwischt worden. Sie hat nur noch ihr Gespartes gepackt, sich von Lala verabschiedet und ist aus Rom verschwunden. Eine Weile kam sie bei Bauern auf dem Land unter, bis sie endlich ein Handelsschiff fand... unseres. Dann wurde sie krank, sehr krank. Es ging ihr immer schlechter, bis sie schließlich starb. Wir konnten ihr nicht helfen. Sie war doch noch so jung... " Wieder kamen ihr die Tränen, dabei wollte sie sich wenigstens bei ihm zusammennehmen. Schnell wischte sie sich mit dem Ärmel übers Gesicht, kramte dann in ihrer Tasche und holte ein kleines Bündel heraus. Sie schlug den Stoff auseinander und nahm das Amulett heraus. Zögernd fasste sie nach seiner Hand, öffnete die Faust und legte es vorsichtig hinein. "Hier, es war ihr sehr wichtig, dass du es zurückbekommst. Ich musste ihr versprechen, dich so lange zu suchen, bis ich dich finde."

    Anahita bedankte sich für die Hilfe und ließ die Münzen klimpernd zurück in ihren Beutel fallen, nachdem er seinen Namen genannt hatte. Sie würde wohl noch eine Weile bleiben müssen. Seine Fragestellung machte sie allerdings misstrauisch. Damit hatte sie nicht gerechnet. Wie sollte sie ihm also antworten? Neriman wollte unbedingt, dass er das Amulett bekam, aber mehr schien ihn auch nicht zu interessieren. "Bring mir bitte noch etwas verdünnten Wein." wandte sie sich an Lala, bevor sie Massa fragte. "Möchtest du auch etwas?" Ana wartete kurz, dann fing sie an, ihm zu antworten. "Ja, ich weiß, wo das Amulett ist. Neriman hat es mir gegeben, als sie... als sie starb." Dabei sah sie ihm in die Augen, wollte seine Reaktion sehen. Seine Frage nach dem Amulett, ohne etwas über Neriman wissen zu wollen, schien ihr so kalt, dass sie versucht war, ihm das Amulett zu verweigern. "Sie hat mir auch von dir erzählt, von dem Tag, an dem sie dich das letzte mal sah. Du hast ihr das Amulett zurückgegeben und bist gegangen." Wieso.. wollte sie noch fragen, hielt sich aber zurück. "Neriman..." Eine Träne glitzerte in ihrem Augenwinkel. ".. sie hat dich sehr geliebt, wusstest du das?" Ihr Blick ruhte weiter auf ihm. Es gab so viele Fragen und so viel zu erzählen, wenn es ihn denn interessieren würde.

    Der Nachtisch war lecker, doch Anahita registrierte es nicht. Ihre Gedanken waren bei Neriman, und bei Lala. Das Tuch stand ihr gut. Neriman würde es gefallen, könnte sie es sehen. Seufzend legte sie den Löffel zur Seite. Sie wollte zahlen, doch dann sah sie, wie dieser Kerl Lala festhielt. Neugierig beobachtete sie die Szene, war aber beruhigt, als er wieder losließ. Das Leben als Sklavin in diesem Lokal war sicher nicht leicht. Vor allem dann, wenn die Männer betrunken waren.


    Anahita kramte umständlich in ihrem Beutel, sah hoch, weil sie sehen wollte, ob sie bei Lala zahlen konnte. Da stand wie aus dem Nichts dieser Kerl von vorhin direkt an ihrem Tisch. Erschrocken zuckte sie zusammen und einige der Münzen verteilten sich unter dem Tisch. Hinter dem Fremden stand Lala. Hilfesuchend blickte Anahite zu ihr. Dann wieder hoch zu Massa. Er war groß, vor allem, weil sie noch immer auf ihrem Stuhl saß. War das einer der Männer, vor denen Neriman Angst hatte?

    Anahita hätte gerne etwas gesagt, oder getan, um ihr den Verlust erträglicher zu machen. Sie wußte, dass das nicht möglich war, also wartete sie geduldig, selbst mit erneuten Tränen kämpfend. Es war so schwer gewesen, Lala von Nerimans Tod zu erzählen. Trotzdem war sie auch erleichtert, einen Teil ihres Versprechens erfüllt zu haben. Immer noch hielt sie Lalas Hand. Mit ruhiger Stimme nahm Anahita das Gespräch wieder auf. "Sie hat mir so viel von dir erzählt. Du warst ihre beste, ihre einzige Freundin. Und sie war dir so dankbar, dass du ihr geholfen hast. Damit hast du ihr ein schlimmes Schicksal erspart." Anahita drückte Lalas Hand. Sie wußte, wie schwer es war, jemanden zu verlieren, den man so sehr mag. Mit Neriman hatte auch sie eine gute Freundin verloren.


    Plötzlich stand die Köchin hinter Lala. Anahita sah sich um. Sie hatten nicht bemerkt, wie voll es wieder geworden war. "Du solltest zurück an die Arbeit gehen. Vielleicht können wir uns einmal treffen und über alles reden?" Es gab noch so vieles, dass sie ihr erzählen wollte, so viele Fragen, die sie stellen musste. "Warte." Bevor sie ging, musste sie ihr noch etwas geben. Anahita holte ein Tuch aus der Tasche und hielt es ihr hin. "Hier, das soll ich dir von ihr geben. Sie wollte, dass du es bekommst. Es hat ihr viel bedeutet." Eigentlich alles, Anahita kannte die Geschichte und hoffte, sie könnte Lala irgendwann davon erzählen.

    Anahita war froh, dass die junge Frau an ihren Tisch kam und fragte, ob sie helfen konnte. Nun gab es kein Zurück mehr, und auch, wenn sie ein wenig Angst vor dem Gespräch hatte.. genau deswegen war sie schließlich hier. Seufzend nickte sie und deutete auf den freien Stuhl ihr gegenüber. "Wenn du einen Moment Zeit hast, ja, du kannst mir helfen." Während sie kurz wartete, ob Lala sich setzen würde, dachte sie über die richtigen Worte nach. "Du bist Lala, richtig? Und nun wunderst du dich sicher, woher ich deinen Namen kenne." Es fiel ihr nicht leicht, weiterzusprechen. "Vor einiger Zeit habe ich eine junge Frau kennengelernt, ihr Name war Neriman. Neriman Seba." Anahita hielt kurz inne, bevor sie ruhig weitersprach. "Sie hat mir von dir erzählt, von ihrer Zeit hier. Du hast ihr geholfen und sie war dir so unendlich dankbar... und so traurig, dass sie dich verlassen musste." Nun war es eine kleine Träne im Augenwinkel, die ihre Erzählung unterbrach. Anahita strich sie mit dem Finger weg. "Sie war auf dem Schiff meines Vaters, als wir auf der Heimreise waren. Dort habe ich sie kennengelernt und wir haben uns angefreundet. Wir hatten viel Zeit und so hat sie mir schließlich ihre Geschichte erzählt... und dann..." Anahita schluckte schwer und nahm Lalas Hand. "Sie wurde krank, sehr krank. Sie wurde immer schwächer. Wir haben alles versucht, aber wir konnten ihr nicht helfen. Sie ist... " Nun konnte sie die Tränen nicht mehr hinunterschlucken. "Sie starb in meinen Armen." Mit gesenktem Kopf saß sie da, wischte mit dem Stoff ihres Ärmels über die Augen. Dann hob sie den Blick und hielt noch immer die Hand in ihrer. "Es tut mir so leid!"

    Sie ließ sich Zeit, beobachtete die sich verabschiedenden Gäste, wartete ab, was der ältere Herr wollte. Unterdessen nahm sie etwas aus ihrer Tasche, ein kleines Bündel Stoff. Vorsichtig hielt sie es auf ihrem Schoß verborgen, wickelte es auf und legte ein kleines Amulett frei. Ihr Finger glitt sanft über die Verzierungen. Etwas war darin eingeschlossen, doch es war nicht möglich, es zu öffnen. Schon oft hatte Anahita es versucht, einen Verschluss oder ähnliches gesucht. Es blieb ein Geheimnis. Die Gedanken wanderten zurück zu der Zeit, als sie mit ihrem Vater auf dem Schiff war. Hätte sie ihren Vater nicht überredet, sie noch ein letztes Mal mitzunehmen, sie hätte die junge Frau niemals kennengelernt.


    Traurig wickelte Anahita das Amulett wieder in das Tuch und schob es zurück in die Tasche. Es schmerzte, wenn sie daran dachte, wieso sie hier war. Es sollte ihre letzte Reise werden, doch diese Reise veränderte alles. Ihre Zukunft... Seufzend löffelte sie den Rest aus ihrem Schüsselchen, versuchte, sich mit fröhlichen Gedanken abzulenken, und wartete, ob sich die Gelegenheit ergab, mit dem Mädchen zu sprechen.

    Anahita lächelte dankbar und schon beim Geruch der leckeren Speisen knurrte ihr plötzlich der Magen. "Danke!" Dann war das Mädchen auch schon wieder weg. Es war wirklich voll und somit auch ziemlich laut in dem Raum. Anahita versuchte, einzelne Gesprächsfäden aus dem Gewirr von Stimmen zu erhaschen, während sie von Puls und Gemüse probierte. Es stimmte, das Essen war gut. Und der eigentliche Grund ihres Besuches musste ohnehin warten, da konnte sie sich Zeit lassen. Die nutzte sie, die anderen Gäste zu beobachten und natürlich die junge Frau.


    Als auch der Nachtisch aufgegessen war, wurde es allmählich ruhiger. Die ersten Gäste gingen, ein neuer Gast trat ein. Anahita bestellte noch eine zweite Portion Äpfel mit Honig und etwas verdünnten Wein dazu. Sie wollte noch ein wenig abwarten.

    Ein junges Mädchen, schon eher eine junge Frau, war es, die den Raum betrat. Anahita musterte sie eingehend. Ob das das Mädchen war, das sie suchte? Es musste viel Zeit vergangen sein, so dass es natürlich möglich war. Niemand blieb ewig ein Kind, auch wenn man sich das manchmal wünschen mochte. Schließlich kam die junge Frau auch zu ihr, um nach der Bestellung zu fragen. Die feuchten Hände verbarg Anahita unter dem Tisch, während sie überlegte, was sie essen wollte. Hunger hatte sie nicht, dafür war sie zu aufgeregt. Allerdings wollte sie erst einen geeigneten Moment abwarten. "Ich hätte gerne eine kleine Portion Puls mit Gemüse, wenn das möglich ist und den Nachtisch auch." Vielleicht kam der Appetit, wenn das Essen vor ihr stand, etwas Süßem konnte sie ohnehin selten widerstehen. Freundlich lächelte sie die Bedienung an. "Und etwas verdünnten Wein, bitte!"

    Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen. War das nun endlich die richtige Garküche? Der Blick wanderte von der Zeichnung in ihrer Hand zurück zur Fassade des Hauses. Die Häuser in dieser Stadt sahen fast gleich aus. Möglicherweise kam es ihr auch nur so vor, denn hier war alles fremd. Nur die Sprache, die beherrschte sie wie ihre eigene. Ein Vorteil, der ihr nun hoffentlich zugute kam.


    Das mulmige Gefühl im Magen drängte zum Umkehren. Doch dabei stand ihr dieses Versprechen im Weg, der eigentliche Grund ihrer Anwesenheit. Es blieb ihr keine andere Wahl. Eine kleine Familie betrat den Gastraum, der folgte sie ins Innere und nahm dann an einem der kleineren Tische Platz. Der Raum machte einen sauberen Eindruck und auch an Gästen mangelte es offensichtlich nicht. Ein sicheres Zeichen, wenn man auf der Suche nach einer guten Küche war. Nun konnte sie nur noch hoffen, dass es auch die richtige war. Ein junges Mädchen sollte hier arbeiten. Bislang war nur eine ältere Frau an den Töpfen zu sehen. Anahita wollte abwarten und beobachtete in der Zwischenzeit die anderen Gäste.