Sie fühlte sich nicht nur unglaublich blöd, weil sie überhaupt auf die Nase gefallen war - sie fühlte sich auch noch im selben Maße als Idiotin, weil sie ihn auch noch mit sich riss. Sicher, irgendwie war er ja selbst Schuld an der Sache, so wie er an ihr gezogen hatte. Andererseits hatte er das ganz sicher auch nicht böse gemeint, schließlich wollte er ihr helfen. Sie schlitterte gegen ihn und rappelte sich auch sofort wieder auf. Für Entschuldigungen oder Erklärungen war jetzt nicht die Zeit; sie sah Marcus an, der sich kaum nach ihr wieder besonnen hatte und ebenfalls wieder auf die Beine gekommen war. Sie atmete heftig und ihr Herz schlug sehr rasch in ihrer Brust. Dann hörte sie Stimmen, sah seinen Blick und folgte diesem - ihre Verfolger waren dicht hinter ihnen. Verdammt. Sie hatte inständig gehofft, dass sie die Mühe einfach nicht wert waren. Hinter ihr selbst würden sie vermutlich tatsächlich nicht allzu lange herlaufen; dieser Marcus hingegen schien ein appetitlicher Happen für die Entführer zu sein. Einer, den sie sich nicht entgehen lassen wollten. Sie würde die Bedeutung seiner Herkunft wohl noch erfahren. Sie empfand tatsächlich ein gewisses Interesse daran, zu wissen, mit wem sie hier auf der Flucht war - obwohl sie eigentlich anderes im Kopf haben sollte.
Sie reagierte schnell auf die Zeichen und hastete weiter hinter Marcus her. Nun, da sie ihre Hände frei hatte, viel es ihr wesentlich leichter zu rennen, denn sie konnte den Rock recht gut lupfen. Sicherlich hatte es schon würdevollere Momente gegeben als diesen, in dem sie mit mehr als halb entblößten Beinen in heilloser Panik und in dunkler Nacht über matschigen Boden rannte, aber Würde brachte ihr die Freiheit halt auch nicht zurück. Sie schrie kurz auf, als sie das Handgemenge dicht bei sich mitbekam. Die Aufforderung, so schnell zu rennen wie sie konnte, brauchte sie nicht extra. Das tat sie schon. Völlig ziellos und einigermaßen blind rannte sie einfach. Äste schrabbten über ihre Haut, aber sie klagte nicht.
Sie konnte nicht recht sagen, wie lange sie am Ende gerannt war, aber ihre Lungen schienen zu brennen. Sie arbeitete viel daheim, sie bewegte sich auch viel. Allgemeinhin hatte sie den Ruf einer emsigen und braven jungen Frau. Jetzt konnte sie nicht mehr. Sowieso war sie erschöpft. War es gewesen, noch bevor sie ihrem Begleiter die Fesseln geöffnet hatte, um diese Flucht überhaupt erst zu bewerkstelligen. Jetzt kam noch diese immense Belastung hinzu; ständig stolperte sie in der Finsternis, riss sich irgendwo die Haut kaputt und vertrat sich.
Hustend blieb sie stehen und versuchte gleichzeitig, das Husten und Schnaufen durch gemäßigtes Atmen zu tauschen. Ein Unterfangen, das ihr nicht wirklich gut gelang, denn über das Luftschnappen verhandelte ihr Körper einfach nicht mit ihr. Sie beugte sich leicht nach vorn und stützte sich auf den Knien ab. Wenn Eldrid mal rannte, dann nur, weil sie mit Sarolf herumgealbert hatte, oder mit den Kindern spielte. Das war eine ganz andere Form der Anstrengung als... das hier. Immer wieder hielt sie kurz die Luft an, um leiser zu sein und brach dann doch wieder hervor. Sie hatte das Gefühl, gleich umzufallen. Ein dünner Schweißfilm bedeckte Stirn und Hals, das Haar war leicht verklebt.
"Sind... sind... weg?" brachte sie mühsamer denn je im Lateinischen hervor. Sie wagte nicht, sich hinzusetzen. Wie sie einen neuerlichen Spurt schaffen sollte, wusste sie allerdings auch nicht. Sollten sie sie doch schnappen, sie würde schon irgendwie nach Hause finden. Nein - natürlich war das nicht ihr Wunsch. Wie es aber eben häufig so war, wenn man kurz vorm vermeintlichen Ende stand, wurde auch Eldrid kompromissbereit. Wenigstens theoretisch. "Ich kann nicht mehr." bekundete sie das Offensichtlichliche und ließ sich nun doch einfach auf den Boden fallen. Unter ihrem Hintern war es matschig und sie überlegte besser erst gar nicht, was da nun genau war; aller Wahrscheinlichkeit einfach nur feuchtes Moos oder etwas Ähnliches. "Ich... ich dachte... du hast einen Plan." warf sie ihm nun vor und deutete ein etwas hysterisches Lachen an, das aber sofort in ein geplagtes Husten überging. Sie sah erschöpft in Richtung des Himmels, von dem sie immerhin ein paar Sterne sah.