Beiträge von Titus Decimus Scapula

    Als nächstes folgte Quintilius Luscus, ein dem Decimer völlig unbekannter aber nichtsdestotrotz guter Redner. Scapula war noch lange nicht wieder auf dem aktuellen Stand über all jene von Rang und Namen – oder Interesse - in Rom und das würde sicherlich noch ein Weilchen dauern. Quintilius würde es wohl auf die Liste derer schaffen, die man sich merken sollte. Angespannt ließ er sich zu einem angemessenen Applaus hinreißen. Jetzt würde es ernst, als nächstes war er an der Reihe. Tief einatmen. Tief ausatmen. Der Applaus der Menge verebbte wieder und Calpetanus kündigte ihn an. Tief einatmen. Tief ausatmen und dann mit bestimmten Schritten zur Rostra.


    Oben angekommen blickte er euphorisch zum Publikum, sog die Menge in sich auf. Ein wahnsinniges Gefühl den der Applaus schon jetzt in einem auslöste. Kein Wunder, dass es so viele immer und immer wieder auf die Rednerbühne zog – wer einmal vom Kuchen probierte, kam schwerlich davon wieder los. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, ehe sich die Menge wieder beruhigte. Scapula wartete noch einen kleinen Moment ab, dann legte er los:


    “Salve, ihr Bürger Roms! Ich frage euch: Liebt ihr Rom? Liebt ihr sie, die urbs aeterna?“ Er begann mit einer… eher rhetorischen Frage. Die Klienten seiner Familie, Freunde und Verwandte begannen zustimmend zu rufen und zu nicken, unbekannte Umstehende pflichteten bei. “Ich sehe das Nicken und höre eure Zustimmung und ja, wie kann man diese Stadt nicht lieben? Ist sie nicht die großartigste aller Städte? Was aber genau macht sie so großartig? Was macht Rom so besonders?“


    Begann Scapula seine Rede zentral auf der Bühne, bewegte er sich nun mit sicheren Schritten erst zur rechten und dann zur linken Seite der Bühne. Stets darauf bedacht, so viele der Menge mit seinen Worten und auch seinem Blick zu erfassen. Der Abschluss dieser Choreographie würde jedesmal in der Mitte sein und von einer gewichtigen Pause untermalt.


    "Lasst mich euch von Rom erzählen, aber bedenkt: Das ist nur ein Teil des Bildes, so wie jeder meiner Mitbewerber ihrerseits nur einen Ausschnitt gezeigt hat oder zeigen wird. Wie könnte man nur imstande sein, die Größe und Erhabenheit dieser Stadt vollständig zu fassen? Muss man nicht ebenso erhaben sein wie Rom selbst? Nun denn:
    Über die Schönheit Roms wurde schon viel geschrieben – und ja, Rom ist eine wunderschöne Stadt! Was könnte man da noch hinzufügen? Aber auch: Ist die reine Schönheit einer Stadt ein hinreichendes Maß für dessen Großartigkeit? Ich bin viele Jahre gereist und sah viele wunderschöne Städte, nicht zuletzt in Alexandria habe ich einige Zeit verbracht. Schönheit kann man dort an vielen Orten finden doch ist diese Stadt in Bezug auf Bedeutung, Größe und Ruhm weit entfernt von Rom. Die Schönheit alleine ist bei weitem nicht ausreichend um zu beschreiben, was Rom zu besonders, so großartig, so bedeutsam macht."


    Da war sie, die gewichtige Pause. Sie würde allerdings nicht so lange sein, denn der Decimer wollte seine Zuhörer nicht mit zu vielen Fragen und Unklarheiten zurück lassen.


    "Von den vielen Merkmalen Roms, sticht für mich eines ganz besonders hervor: Rom ist. Rom steht. Und nicht nur das. Rom wächst!"


    Decimus Scapula stand zentral auf der Bühne und ließ einen Moment verstreichen, in der er die Menge aufmerksam begutachtete. Er hatte keine Ahnung, was er aus ihr lesen sollte, also fuhr er fort und begann dabei wieder seinen Tanz von einer zur anderen Seite der Bühne.


    “Ist diese Tatsache alleine nicht ein untrügliches Zeichen für Roms Größe? Was ist dieser Stadt schon alles widerfahren? Marodierende Barbaren, verheerende Feuer und spaltende Bürgerkriege – immer wieder sehen wir uns konfrontiert mit Bedrohungen von außen und von innen und doch steht Rom noch immer, wird größer und größer. Unaufhaltsam. Wo andere Städte, andere Reiche zerfallen oder zumindest stillstehen, hat uns jedes Hindernis, jede Bedrohung nur noch größer macht. Rom ist das Zentrum einer Zivilisation, die ihresgleichen sucht und es wird nicht fallen. Rom wird standhaft sein und überdauern, denn wir haben etwas Entscheidendes, was anderen fehlt: Euch!"


    Ein weiteres Mal war seine Runde beendet, sein letztes Wort unterstrich er mit einer einladenden Handbewegung in die Menge. Diese Rede war nicht nur Rom, sondern auch seinen Bürgern gewidmet. Bürgern, wie sie hier und heute vor Ort waren, dessen Aufmerksamkeit er genoss und die ihn mit diesem donnernden Applaus auf die Bühne geholt hatten.


    “Beruht denn alles was eine Stadt ausmacht nicht auf seinen Bewohnern? Wer wenn nicht wir sorgen mit unserem Denken, unserem Handeln und unserer Liebe für diese Stadt dafür, dass Rom jeden Tag aufs Neue die großartigste aller Städte ist? Wer wenn nicht wir sorgen dafür, dass der römische Geist bis in den hintersten Winkel der Welt getragen wird? Wir alle leisten unseren Beitrag, um den Ruhm der Ewigen zu mehren.“


    Scapula würde keine weitere kontrollierte Runde über die Bühne drehen. Nein, sporadisch würde er sich einzelne Menschen aus der Menge herauspicken und sie direkt ansprechen – oder zumindest so tun. Es war eine kleine Kunst in der Masse einen ganz bestimmten, niemanden und alle zusammen gleichzeitig zu adressieren:


    “Sei es der Töpfer, der jeden morgen seine Handwerkskunst zum Besten gibt; der Bäcker, der seinen Teil zur Versorgung Roms beiträgt; der Urbaner, der im inneren der Stadtmauern für Recht und Ordnung sorgt; der Priester, dessen Ratschläge und kultischen Hilfestellungen in jeder Hinsicht unerlässlich sind; der Senator, der die Geschicke dieses Reiches lenkt und nicht zuletzt der Imperator Aquilius selbst, der über alles sein wachendes Auge hat und seine schützende Hand legt."

    Die letzte Ansprache galt nicht der Menge vor ihm, sondern der Richterbank. Genauer gesagt der Augusta, die dem Imperator von allen Anwesenden natürlich am nächsten kam. Wenn es in einer Rede um die Bürger Roms ging, durfte der Imperator nicht fehlen. Zum einen war er essentieller Bestandteil, zum anderen könnte die Rede ohne Erwähnung auch leicht... anders aufgefasst werden. Das wollte Scapula vermeiden. Ohne große Unterbrechung fuhr er fort. Nun folgte der Schluss, eine kurze Zusammenfassung des Gesagten und ein Appell an alle Zuhörer:


    “Lasst mich euch sagen: Eine Stadt ist nur so groß wie seine Bürger – was Rom so besonders macht ist für mich nur allzu offensichtlich: Es hat die großartigsten! Lasst uns also weiterhin dafür sorgen, dass Rom weiterhin sein wird.“


    Damit beendete Scapula seine Rede mit einem wohlwollenden Lächeln zum Publikum und einem leichten Nicken zur Richterbank. Er vertraute seinen Anheizern, dass sie genügend Stimmung machten und verließ die Rostra in Richtung seiner Familie.

    Der Tag des Rhetorenwettstreits – Scapula war tatsächlich aufgeregt. Ihm war es wie eine gute Idee vorgekommen, am Wettstreit teilzunehmen. Fernab von Politik (naja, war nicht alles in Rom irgendwie Politik?) einen öffentlichen Auftritt haben? Sich schon einmal den wichtigen Leuten der Stadt präsentieren und wenn alles gut läuft sogar noch ein Stück Land mit nach Hause nehmen? Eine solche Gelegenheit konnte man sich nicht entgehen lassen und doch… fühlte er sich nicht gut vorbereitet. Tatsächlich war er auch nicht gut vorbereitet. Er hatte deutlich weniger Zeit in die Ausarbeitung seiner Rede gesteckt, als ihm lieb war. Der Decimer war noch immer nicht ganz in Rom angekommen, zumindest gedanklich. Es gab noch einiges zu tun und diese Rede schien ihm hin und wieder eher wie eine störende Ablenkung. Deswegen die Aufregung: Würde es reichen? Letztendlich trat er nicht nur für sich, sondern auch für die Gens Decima an.


    Recht früh hatten sie sich schon auf dem Forum versammelt. Sie – das war der halbe Hausstand und Dank Faustus Bemühen befanden sich auch viele Klienten hier, die strategisch verteilt für Stimmung sorgen sollten – ganz normal Tricksereien. Eine Weile stand Scapula noch bei Faustus und Quintilia, sonderlich gesprächig war er allerdings nicht. Aufmerksam beäugte er die Menge, versuchte, ein Gefühl für die Masse zu bekommen und sog die Atmosphäre des Tages in sich auf. Noch ehe der erste Redner begann, machte er sich dann allerdings auf den Weg zu den anderen Rhetoren. „Passt mir auf Nereos auf.“ Mit einem Grinsen blickte Scapula seinen Leibsklaven an. „Er verläuft sich gerne mal in den Straßen Roms. Bis später!“ Ertappt und verlegen schaute Nereos zu Boden und wünschte seinem Herrn viel Erfolg, ehe dieser langsam durch die Menge schritt.


    ~~~


    Freundlich grüßte er die Anwesenden Redner, stellte sich dann allerdings ein wenig abseits, um seine Rede in Gedanken noch einmal zu rezitieren. Ein guter Vortrag war ebenso wichtig wie der Inhalt einer Rede und nichts war unangenehmer als auf der Rostra zu stehen und sich zu verhaspeln oder sogar Teile der Rede zu vergessen. Als es losging mischte sich der Decimer jedoch unter die anderen und lauschte gespannt den Beiträgen seiner Mitstreiter. Erst Iulius Caesoninus, dann Valerius Flaccus. Beides gute, jedoch sehr unterschiedliche Reden. Beide quittierte er mit angemessenem Applaus – eine starke Konkurrenz!

    [Blockierte Grafik: https://s17.directupload.net/images/190918/temp/b6s23qsy.png~~~ Nereos


    Nicht wirklich konnte Nereos einschätzen, welchen Eindruck er bei Grian hinterließ – es war zumindest nichts im Bereich „verschreckt“, „eingeschüchtert“ oder „angeekelt“. Sehr gut. Darauf ließ sich aufbauen. Timaia allerdings… das war eine andere Geschichte. Was genau war ihr Problem? Vielleicht war sie einfach ein wenig schwer von Begriff, das gab es ja öfter in größeren Anwesen: Verdiente Sklaven bekamen ein Kind und das war einfach… nicht besonders talentiert. Für einfache Aufgaben konnte man sie allerdings ganz gut gebrauchen. Er wechselte den prüfenden Blick von Timaia wieder zu Grian. Sie war alles andere als auf den Kopf gefallen und vor allem fast schon… vorlaut? Das konnte Ärger bedeuten…


    Nereos löste sich von der Wand und verschränkte die Arme zu einer defensiv anmutenden Haltung. Rahel… Rhea… scheiße! Er war ertappt! Offensichtlich würde niemand von den beiden (naja, vielleicht doch die zurückgebliebene Timaia) daran glauben, dass er schon ein ziemlich gutes Verhältnis mit der Vilica des Hauses hat, wenn er nicht einmal ihren Namen kann. Er überging diesen Fauxpas einfach. „Ah, das Zimmer auf Vordermann bringen…“ Die braunen Augen des Sklaven wanderten durch den Raum. „Dann seid ihr ja noch nicht so weit gekommen… Naja, ich will nichts gegen die Anordnung der Vilica sagen – wenn das eure Aufgabe ist, könnte ich zumindest helfen.“ … und die Chance nutzen, Grian ein wenig besser kennenzulernen. Wenn doch nur diese Timaia nicht hier rumstehen würde. Wirklich nützlich war sie bestimmt eh nicht.


    Mit einem bestimmten Schritt trat Nereos nun in den Raum, als ihm eine Idee kam: Sein Dominus liebte es, nach einer Reise noch einmal in Ruhe den ein oder anderen Becher Wein sowie ein paar kleine Leckereien zu sich zu nehmen. Die musste ja jemand besorgen – Auftritt Timaia! „Ti…maia? Richtig?“, wandte er sich an die noch immer regungslose Sklavin auf der anderen Seite des Raumes und fuhr fort, ehe er eine Antwort bekam: „Könntest du für Dominus Scapula schon einmal etwas Wein und einige kleine Happen vorbereiten lassen und aufs Zimmer bringen?“ Währenddessen schnappte er sich eine der Tuniken, legte sie weniger routiniert als er gerne hätte zusammen und hielt sie Grian zum Wegräumen hin, die er dann mit einem leichten Schmunzeln anschaute. Guter Plan - er war in Höchstform!




    SKLAVE - TITUS DECIMUS SCAPULA

    [Blockierte Grafik: https://s17.directupload.net/images/190918/temp/b6s23qsy.png~~~ Nereos


    Wow… den gewünschten Effekt hatte Nereos nun überhaupt nicht erreicht. Was genau hatte er erwartet? Ein halbwegs autoritärer Ton und alle im Raum würden strammstehen und vor ihm salutieren? Nein, das sicher nicht – die unbehelligte Reaktion der blonden… Schönheit allerdings… Er erblickte die blonde Mähne nun das erste Mal und dann auch den Rest dieser zart anmutenden Gestalt. Sie musste aus den nördlichen Provinzen stammen! So etwas bekam man in Alexandria nicht so häufig zu sehen. Wahnsinn... Er bemerkte, dass sein Mund ein klein wenig offenstand und fing sich wieder. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass die andere Sklavin doch deutlich besser auf ihn reagierte. Der hellenische Sklave riss den Blick von Grian und wandte sich der anderen, eher… unauffälligen Timaia zu. Er setzt einen etwas abschätzigen Blick auf während er sich lässig an den Türrahmen lehnte.


    “Ich bin Nereos. Zusammen mit meinem Dominus Scapula bin ich vorhin von unserer langen Reise aus Alexandria angekommen!“, stellte er sich vor, wobei er beim zweiten Teil seiner Vorstellung wieder Grian anblickte. Ja genau… Alexandria, ziemlich beeindruckend oder?, dachte er. Leider kam ihm gerade keine gute Idee in den Sinn, wie er möglichst unauffällig seinen athletischen Körper präsentieren konnte. Die germanische (gallische? keltische?) Schönheit musste umworben werden, auch wenn sie vielleicht schon mit wem anderen anbandelte. Letztlich blieb er aber erstmal angelehnt. Wahrscheinlich war das auch besser so, am Ende würde er sich dabei noch total ungeschickt anstellen und sich lächerlich machen. Aber hier konnte er Eindruck schinden und zeigen, aus was für einem Holz er gemacht war! Die Chance durfte er nicht vertun.


    “Wer seid ihr beide denn? Ich glaube nicht, dass Rahel jemand anderen als mich zum neuen cubiculum von Dominus Scapula schicken würde.“. Sollten die beiden nur denken, dass er schon ziemlich engen Kontakt mit der Vilica des Hauses (deren Namen er sich nur fast gemerkt hatte) hätte und er in der Hierarchie des Haushalts nicht weit nach ihr drankam.




    SKLAVE - TITUS DECIMUS SCAPULA

    [Blockierte Grafik: https://s17.directupload.net/images/190918/temp/b6s23qsy.png~~~ Nereos


    Völlig überfordert mit der Gesamtsituation stolperte Nereos durch die Casa Decima Mercator. Die neuen Eindrücke waren überwältigend, alles war so anders als er es sich vorgestellt hatte. Er dachte, seine Zeit in Alexandria gut mit der Vorbereitung auf seine kommende Zukunft in Roma genutzt zu haben. Römische Sitten und Gebräuche zu lernen war das eine, römische Sitten und Gebräuche zu erleben etwas ganz anderes! Es fing ja alles schon mit dem Anwesen selbst an… Gebäude in römischen Stil hatte er schon von innen gesehen, aber das hier war etwas ganz anderes! Die reich verzierten Fresken und Wandmalereien, die Töpferarbeiten und die Größe ganz generell – Wahnsinn! Und dann die ganzen neuen Gesichter. Der Haushalt der Decimer war riesig und dabei hatte er nur beiläufig aufgeschnappt, dass es derzeit eher ruhig zuging. Wie war das denn hier zu anderen Zeiten? Es gab so viele Sklaven wie Nereos, dass er das Gefühl hatte, unmöglich alle Namen lernen zu können – und das war nur die Dienerschaft der Familie. Jeder Bewohner hatte ja noch seine ganz eigene Riege, die man auch mal nur sporadisch antreffen würde… Hilfe!


    Erst einmal wurde Nereos der Vilica des Hauses, Rhea – wichtiger Name, merken! – vorgestellt. Sie zeigte eine klare Kante und Scapulas Leibsklave konnte sich lebhaft vorstellen, welche Konsequenzen die Missachtung der Anweisungen oder Hausordnungen nach sich ziehen konnten. Einige andere hatte er nur flüchtig kennengelernt, viele wurden auch sofort mit neuen Aufgaben betraut, um die Ankunft des Decimers vorzubereiten. Es war nicht genügend Zeit gewesen! Scapula war kurz nach Nereos eingetroffen - er würde sich ein wenig den Blicken seines Herren entziehen! Sollte dieser sich erst einmal mit seiner Familie beschäftigen. Das gab Nereos auch die Gelegenheit, sich ein wenig zu erholen. Er war völlig abgehetzt! Der ganze Stress hörte hier drinnen ja gar nicht auf! "Das cubiculum deines Herren befindet sich dort hinten!", hörte er die Vilica noch abschließend sagen. Sie zeigte in Richtung... einer Wand… jetzt musste er selbst rausfinden, wo genau das war. Er konnte das ja jetzt nicht fragen… sie würden ihn für dämlich halten. Also stapfte er los.


    ~~~


    Er war mindestens in fünf verschiedenen Zimmern gewesen und hatte jedes Mal Glück, dass keiner drin war – es waren fünf falsche Zimmer! "Verdammt…. Das muss doch hier sein…", murmelte Nereos und näherte sich der nächsten Tür. Diese war nur angelehnt und von innen hörte der Stimmen. Ganz sachte öffnete er die Tür ein wenig und lugte durch den größer werdenden Spalt hinein. Er konnte nur eine Frau sehen, von der Optik her handelte es sich aber vermutlich um eine… Kollegin. "Boah, schau mal! Das sind echte Goldfäden!", brüllte sie plötzlich und lenkte damit, wenn schon nicht Timaias Interesse, so doch jenes von Nereos auf die Tunika, die zweifelsohne seinem Herrn gehörte! Bestimmt öffnete er die Tür komplett und trat in das Zimmer. Hier musste er richtig sein! "Würdet ihr bitte sorgsam mit den Habseligkeiten meines Herrn umgehen!", überraschte er die beiden Sklaven und klang dabei vermutlich deutlich weniger autoritär als er sich das vorstellte. Sein Ziel, gegenüber diesen Hausdienern eine klare Kante zu zeigen würde möglicherweise nicht so gut funktionieren, wie das bei Rhea geklappt hatte.




    SKLAVE - TITUS DECIMUS SCAPULA

    Mit einem leisen Stöhnen glitt der Decimer ins Caldarium. Die Augen entspannend geschlossen hielt er sich mit den Armen am Rand des Beckens. Tiefes Einatmen. Tiefes Ausatmen. Das warme Wasser tat ihm gut, er hätte sich gewünscht, die Stationen vor dem Caldarium überspringen zu können. Doch da waren die Thermen eigen, ein Abbild der römischen Gesellschaft als Ganzes: Es gab Regeln, eine Reihen- oder Rangfolge die es zu befolgen gab, wollte man sich nicht misstrauischen Blicken oder offener Missbilligung aussetzen. Tiefes Einatmen. Tiefes Ausatmen.


    Löste sich da etwa das zermalmende Brummen in seinem Schädel? Ein hallendes Salve vom anderen Ende der Halle führte zu einem scharfen Stich in den Schläfen und holte Scapula sofort zurück in die unbarmherzige Realität seines Leids. Bereute er den gestrigen Abend? Nein… keineswegs! Es war ein kleiner aber umso herzlicher Empfang gewesen, dem ihm sein Vetter Serapio und dessen Libertus Icarion bereitete. Der drohende Brummschädel sollte sein Problem von Zukunfts-Scapula sein – der war er nun. Die Thermae Aggripae schienen auf dem Papier ein gutes Heilmittel, bis er den ersten Fuß vor die Casa setzte: lautes Treiben auf dem gesamten Weg zu den Thermen und auch hier war es – selbstverständlich – voll und grell. Nereos hatte sich jedoch so sehr gefreut und Titus irgendwie auch. Jetzt war er nunmal hier und würde das Beste daraus machen. Das Caldarium war schon immer sein liebstes Becken. Hier konnte man gut entspannen und häufig auch gute Gespräche führen – wenn es nur nicht so laut wäre.


    Leichte, rhythmische Bewegungen der Beine ließen den Decimer leicht treiben und die Anspannung seiner Reise ganz ganz langsam von ihm fallen. Für einen kurzen Augenblick hatte er sogar das Gefühl, hier sei es still, ein Ort der reinsten Erholung und der ungetrübten Sorglosigkeit. Ein schwaches "Bona Dea" entfuhr Scapula, während er noch immer mit geschlossenen Augen versuchte, das Pulsieren seines Kopfes mit reinster Willenskraft zu lindern.


    Sim-Off:

    Wer mag, darf sich gerne dazugesellen.

    Ein breites Grinsen bildete sich auf Scapulas Gesicht, als er Serapios Vorschlag eines ordentlichen Mischverhältnisses des Caecubers vernahm. Schneller als vielleicht ratsam leerte er den letzten Rest – in guter Gesellschaft trank er recht zügig – seines Bechers und hielt diesen erneut dem jungen Mundschenk hin. "Ich dachte schon, du fragst nie!" Natürlich hatte das ganz erlesene Gründe: Wie konnte man das Aroma dieses vorzüglichen Weines denn beurteilen, wenn er zur Hälfte mit Wasser gestreckt war? Nein, der Wasseranteil musste reduziert und der Caecuber noch einmal ausgiebig (!) neu verköstigt werden.


    Trotz des vielen Weins fiel es Titus doch auf, dass die berufliche Zukunft seines Vetters nicht unbedingt zu dessen aktuellen Lieblingsthemen gehörte. Oder vielleicht wollte er sich auch einfach nicht heute Abend damit auseinandersetzen. Die knappen Antworten lieferten dem Heimgekehrten unabhängig der Beweggründe den Hinweis, nicht nur die eigenen Zukunftspläne von der Auswahl der heutigen Gesprächsthemen zu streichen. Die Begeisterung und Schwärmerei über das Bigafahren machte es leicht, welches Thema denn dann eher Serapios Geschmack entsprach.


    "Oh, wenn du das sagst? Ich hatte beim Zuschauen immer das Gefühl, dass das ein ganz schönes Kunstwerk sei! Diese Geschwindigkeiten, dann muss man auch noch mehr als ein Pferd im Zaum behalten und auf dem Wagen muss man sich ja auch noch halten!" Er lachte bei der Vorstellung, wie er, mit wettergegerbter, braungebrannter Haut und nacktem Oberkörper auf dem Gespann stand und gen Ziellinie fuhr, ein verwegenes Siegergrinsen dem Publikum zuwerfend. Schnell wurde die Szenerie durch die spektakulären Unfälle verdrängt, die sich immer wieder ereigneten und Scapulas Lachen erlosch ein wenig unsanft. "Hast du denn einen guten Lehrer an der Hand? Oder… übernimmt das der hauseigene Rennmeister persönlich?" Trotz des ordentlichen Respekts gegenüber dieser Freizeitbeschäftigung traute Titus dem Urteil seines Vetters. Vielleicht war es doch weniger ein Kunststück wie es die professionellen Fahrer aussehen ließen. Den Sieg davon zu fahren war schließlich nur eine Seite eines guten Fahrers, die Fähigkeit die Menge zu unterhalten gehörte ohne Frage auch dazu!


    "Wie könnte ich dem Ruf der Factio widerstehen? Vielleicht ist es auch eher der Ruf des Meridius‘, aber für viele ist das auch gleich." Maximus hatte an vielen Orten Roms seine Spuren hinterlassen. Seine Arbeit in der Factio Aurata ist seit je her prägend gewesen und er erinnerte sich noch gut an die Worte als Kind Es gibt nur die Aurata! Komm‘ ja nicht auf eine andere Idee! Damals war das lustig, heute fragte er sich, wie viel Ernst tatsächlich in diesen Worten lag. "Wird nicht das erste sein, was ich in Rom mache, aber Sotion mit lautem Zuruf von den Rängen zu unterstützen… das wird hoffentlich nicht lange auf sich warten lassen!"


    Serapio schien ein gutes Stück lockerer! Der Wein zeigte wohl auch bei ihm Wirkung und selbst Icarion meldete sich schließlich zu Wort. Während Scapula dem kurzen Austausch über Medea folgte, verleibte er sich ein gutes Stück des Wildschweins ein. Mhhhmm… tatsächlich war das Fleisch butterzart, die Kruste hingegen herrlich knusprig. Die Augen des Decimers weiteten sich leicht, ehe sie sich zu genießend fast schlossen. Je länger er das Aroma genoss, desto mehr entfaltete es sich und wurde noch intensiver. Was immer er auch vorhin Schlechtes zum Thema Wildschwein dachte: Das war Geschichte! Von nun an sollte es nur noch Wildschwein geben! Rasch griff er nach dem nächsten Stück. "Ahhh, Theater! Ich liebe gutes Theater, vor allem die Klassiker! Du bist wohl ein Freund moderner Inszenierungen?", versuchte er aus den Aussagen Serapios herauszulesen "Ich habe bei vielen dieser neumodischen Formen des Theater das Gefühl… sie wollen einfach nur anders sein." Das konnte einen ärgern: Man freute sich auf ein gutes Stück, kannte natürlich die Geschichte sowieso aber man ließ sich ja gerne auf etwas neues ein. Doch dann… war es einfach schlecht. Im Bestreben, gänzlich neu und unverbraucht zu sein, war die Qualität oftmals nur noch Nebensache und so durfte man einer ewig langen Vorstellung beiwohnen, die jeder ganz toll fand, aber ehrlich gesagt einfach nur mies war. Ganz zu schweigen vom anderen Extrem der völlig trivialen Phlyaken-Posse und dergleichen Formen des "Theaters". Vor allem während seiner Aufenthalte in Achaia und Alexandria hatte er viel Kontakt mit dem Theater gehabt. Scapula lockerte die Toga noch ein gutes Stück und lehnte sich näher richtung der beiden Theaterfreunde. "Recht früh auf meiner Reise konnte ich eine sehr interessante Interpretation der Orestie sehen, eine kleine Truppe, ein erstaunlich kleines Theater, aber seltsam… intensiv…"


    ~~~


    Niemand konnte mit absoluter Sicherheit sagen, wie lange die drei noch in der Cena lagen, ob das Mischverhältnis den Caecubers ein weiteres Mal „korrigiert“ wurde oder ob Icarion nicht doch noch die Möglichkeit bekam, mit seinen Rezitationskünsten zu brillieren – vielleicht mit etwas heiterem als Medea. Sicher war nur eines: Mindestens ein Schädel würde am nächsten Tag ordentlich brummen…

    Genau, sowas. Die Frage war für mich, wie sinnig das für meine ID wäre, an so etwas teilzunehmen. Da ich aber ab dem ersten Oktober für zwei Wochen im Urlaub bin und nicht genau weiß, wie sehr ich in der Zeit zum Schreiben komme, falle ich denke leider eh raus.

    Mit großem Interesse folgte Scapua den Ausführungen seines Verwandten. Solche Einsichten waren genau das, was dem Decimer fehlte. Er hatte viel Theorie gelernt und immer wieder versucht, das Geschehen in der urbs aeterna halbwegs aktuell zu verfolgen. Manchmal war das schwieriger, aus… verschiedenen Gründen. Aber von einem ehemaligen Gardepräfekten konnte man natürlich Informationen von anderer Qualität erhalten. In einem anderen Rahmen sollte das Gesprächsthema vielleicht noch einmal vertieft werden.
    "Ich hatte ja auch genug Zeit zum Nachdenken. Reisen kann sehr eintönig sein, aber das muss ich dir wohl nicht erzählen". Nicht nur, dass er selbst die Reise nach Alexandria angetreten hatte, Serapio war sicherlich noch an ganz anderen Orten gewesen. Und die Legio bietet natürlich auch nicht unbedingt dieselben Möglichkeiten der Zerstreuung wie sie Scapula genießen konnte. Naja… Flavius Gracchus also, Freund von Serapio, und Lehrer von Casca. Da scheinen ebenso schon tiefe Verbindung zu bestehen, wie auch bei Menecrates. Das machte die Entscheidung leider nicht einfacher. "Ich danke dir jedenfalls schon einmal für diesen kurzen Einblick. Wahrscheinlich werde ich dich öfter noch um den ein oder anderen Informationshappen bemühen. Aber genug von dem Thema für heute!" Zum einen musste er die vielen Eindrücke erst einmal sortieren, zum anderen sollte es bei dieser kleinen Familienzusammenkunft nicht nur um solch trockene Themen wie den Senat gehen. "Stattdessen sollten wir mehr trinken!" Den frisch gefüllten Becher erhoben prostete Scapula seinem Vetter und dem stummen (oder eher zurückhaltenden?) Icarion zu.


    Es sollte die letzte Pastete sein, die Titus' Aufmerksamkeit in den Bann zog und dafür sorgte, dass er nicht wirklich bemerkte wie Faustus das Hochzeitsthema einfach überging. Er war ausgelassen und erschöpft und nicht unbedingt im Modus, solche Feinheiten im Gespräch mitzubekommen. "Das ist leider wahr…", stimmte er zu, Roma war auch in dieser Hinsicht unbarmherzig. "... hat aber auch etwas beruhigend... abschließendes." Die Garde hatte ihn wohl noch immer fest im Griff, Achaia würde wohl noch einige Jahre warten müssen. "Als Tribun? Zieht es dich eher wieder in Getümmel?" Scapula war sich um die genauen Abgrenzungen der Tätigkeiten zwischen Präfekt und Tribun bei der Prätorianern nicht sicher. Er wusste zumindest, dass man die Struktur der Legion nicht ohne weiteres analog mit jener der Garde vergleichen konnte, vor allem in den oberen Rängen. Er ging davon aus, dass dem Tribun ein wenig mehr Tätigkeit abseits vom Schreibtisch möglich war und so schätze er auch Serapio ein.


    Zusammen mit einem frischen Thema wurden auch frische Speises serviert – und was nicht alles kredenzt wurde: Wildschwein in einer Honig-Kräuterkruste! Wildschwein wäre zwar nicht unbedingt die erste Wahl des Decimers gewesen, aber gut gemacht konnte das trotzdem überzeugen. Außerdem hatte er Hunger! Vom Chaos in der Küche und dem Rest der casa bekam er nichts mit. Eine seiner ausgezeichneten Qualitäten (nicht nur seiner, das war natürlich eine weit verbreitete Angewohnheit der oberen Schicht) war es, die Arbeit der Dienerschaft um ihn herum gut ausblenden zu können.
    Bigafahren… das fand Scapula spannend! "Du bist beim Equus October mitgefahren? Wie aufregend! Nein, leider nicht. Ich bin mal mit einer Quadriga mitgefahren. Ich fürchte, ich würde mich nicht besonders geschickt anstellen!", sagte er lachend. Reizen würde ihn das schon. Er war ein großer Anhänger der Wagenrennen und konnte es kaum erwarten, solche wieder im Circus Maximus zu sehen! "Sollte ich das vielleicht einmal versuchen?" Serapio schien großen Gefallen daran zu finden. "Bist du denn öfter bei Wagenrennen anzutreffen? Zumindest als Zuschauer? Ich nehme an, dass die Factio Aurata noch immer gefühlt zur Hälfte aus Decimern besteht!"

    Eine gedankliche Notiz später – er würde mal mit der Vilica sprechen und den Kontakt zu Ihrem Vater aufnehmen – fing Scapula an, mit einem der Olivenspieße nach dem nächsten zu stochern. Er stellte sich dabei weniger geschickt an, als er dachte. Mit einem unmerklichen Seufzen griff er dann zu und zog mit den Lippen die erste der drei Oliven ab. Serapios Ausführungen über Alexandria passten so gar nicht zu den Erfahrungen, die der junge Scapula gemacht hatte – aber er wusste um das 'verbrecherisches' Potential der Stadt. Das war keine Besonderheit Alexandrias, aber wie sein Vetter schon anmerkte, vielleicht besaß diese Metropole eine gewisse Qualität in ihrer brodelnden Gewaltbereitschaft. "Das sind ja wahre Schauergeschichten! Ich bin froh, nie in einer solchen Situation gelandet zu sein. Obwohl… gewissen Ressentiments war ich je nach Gesellschaft auch ausgesetzt." Er erinnerte sich ein paar Vorfälle, die in Handgreiflichkeiten gemündet sind. Nichts ernstes, aber vergessen hatte er es auch nicht, vielleicht hatte er auch zumindest Mitschuld, wer konnte das jetzt noch sagen? Olive zwei und drei folgten der ersten. Den vorzüglichen Geschmack unterstütze er mit einem Schluck des Caecubers. Fast beiläufig hielt er Silas' dann den Becher zum Auffüllen hin.


    "Nein, habe ich noch nicht.", antwortete der Decimer auf die Frage nach einem Lehrmeister. Das Thema war ein kritisches. Eine falsche Wahl konnte möglicherweise langfristige Folgen haben und nichts wäre ärgerlicher, als durch einen trägen Senator in seinem Potential gebremst zu werden. Scapula sah das Tiriconium nicht so sehr als Lehrstätte politischer Arbeit denn als Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen. "Wirklich schade, dass ich vorerst nicht auf die direkte Unterstützung deines Vaters bauen kann. Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit ja noch. Meine Überlegungen zum Thema Lehrmeister sind strategisch: Ich erhoffe mir, dass der Name Decima bei vielen plebejischen Senatoren automatisch eine positive Assoziation hervorruft, meine Kontaktarbeit will ich auf patrizische Senatoren konzentrieren. Mein Lehrer sollte am besten Consular sein und nicht nur seinen Arsch in der Curia absitzen." Er schnappte sich eines der gekochten Eier und biss beherzt ein großes Stück ab. Es freute ihn, ein wenig etwas von seinen Plänen offenbaren zu können. Auf seiner Reise hatte er nicht wirklich die Gelegenheit mit… Gleichgesinnten solche Themen so frei besprechen zu können. In der Familie war das anders, hier konnte man sich – meistens – ein wenig fallen lassen. "Und so wie ich die Sache bisher – wie gesagt, ohne große Einblicke – sehe, gibt es da nur diesen Flavier und Claudius Menecrates." Wie hätte Titus von dem komplexen Verhältnis seines Vetters zu eben 'diesem Flavier' ahnen können? Fraglich ist, ob es für ihn aber einen Unterschied gemacht hätte, wenn er es gewusst hätte.


    Das Thema wechselte zu etwas leichterem, fern der großen und hin zur kleinen Politik: die Familie. Ein wenig besorgt lauschte Scapula der dürftigen Aufzählung Serapios. Casca, Serapio und er selbst. Mit Wehmut erinnerte er sich an die volle Casa von früher, da war immer etwas los… "Der kleine Bruder von Massa, ja. An ihn erinnere ich mich, glaube.", wobei offen blieb, ob er nun Massa oder Casca meinte. Faustus‘ Stocken entging ihm nicht, doch er bemaß ihm keine besondere Bedeutung zu. "Oh, eine anstehende Hochzeit. Da bin ich ja pünktlich zur nächsten Feierei eingetroffen. Wie passend!" Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Trotz der ernsten Zukunftspläne war Titus einem guten Fest nicht abgeneigt, im Gegenteil: Harte Arbeit erforderte einen angemessenen Ausgleich! "Gardepräfekt? Meinen Glückwunsch… dann sitze ich hier mit einer äußerst wichtigen und einflussreichen Persönlichkeit des Reiches! Wirst du diese Tätigkeit denn wieder nachgehen oder zieht es doch woanders hin? Nach Achaia vielleicht…?" Erneut konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er würde es sich wünschen, dass sein Vetter sein 'Traumziel' erreichen könnte, auch wenn es hier dann noch leerer werden würde.

    Interessiert lauschte Scapula Silas' Ausführungen. Der Junge verstand etwas von seiner Aufgabe als Mundschenk. Zwar war eine gute Ausbildung der Dienerschaft stets ein Anliegen in der Familie – man wollte seine Alltagsgeschäfte schließlich in guten Händen wissen (und vor Gästen auch nicht schlecht dastehen) – aber das Alter sollte hier nicht Vergessenheit geraten. So nickte der Decimer dem Mundschenk beeindruckt zu und blickte dann seinen Vetter mit anerkennender Überraschung an. Auf seiner Reise hatte Scapula oft genug schon Probleme gehabt, herauszufinden, wie stark der Wein eigentlich verdünnt war. Es gab genügend Gastgeber, die keinen Wert auf solche Details legten.


    “… bei Consentia…“, wiederholte Scapula nachdenklich. Wenn das Winzerhandwerk der Familie solch vorzügliche Produkte hervorbrachte, sollte er sich das vielleicht doch noch einmal anschauen. Was ihm schmeckte, würde sicher auch anderen schmecken und er hatte plötzlich Expertise in Reichweite derer er sich bedienen konnte. “Wer ist denn der Verwalter? Vielleicht statte ich ihm doch einmal einen Besuch ab.“, revidierte er seinen nicht laut ausgesprochenen Gedanken „Ein Weingut ist nur was für alte Leute“, dabei nachdenklich den Becher leicht schwenkend


    “Wer weiß, was die Götter noch mit dir vorhaben. Vielleicht führt dich dein Weg noch nach Achaia. Wenn du nur halb so alt wirst wie Tante Drusilla, hast du noch viele Jahre Zeit!“ Scapula hatte keine Ahnung, wie gebunden Serapio an Rom war oder was er generell gerade trieb. Das Thema würde er zu gegebener Zeit noch anstoßen. Als Soldat jedenfalls war es einem natürlich nicht so einfach vergönnt, umherzureisen wie es einem beliebte. Die meisten Orte die man kennenlernte waren entweder äußerst langweilig oder gefährlich, zumindest nach den Geschichten, die dem jungen Römer früher als Kind erzählt wurden. “Ah, dann hast du zumindest den Zauber Alexandrias erleben dürfen… ein wenig vielleicht… Ich meine, jede größere Stadt hat hin und wieder Probleme mit aufgebrachten… ‚Bewohnern‘. Und gerade auch solche Schmelztiegel der Kulturen sind ja das reinste Pulverfass. Warst du denn aber nicht in der I.?" An so viel erinnerte sich Titus: Viele der jungen Verwandten entscheiden sich für die Legio I und folgten damit den Fußstapfen der großen Decimer unserer Zeit wie es Meridius ist oder Lucidus war. Der Zurückgekehrte sollten den gleichen Personen folgen, doch einen anderen Pfad nehmen, Serapio stellte dahingehend schon die richtige Frage.


    Genüsslich griff Scapula bei den Speisen zu, die gereicht wurden. Eine schöne Auswahl: Olivenspieße und… oh, Gänseleberpastete! Die Küche konnte nicht ahnen, wie sehr sie seinen Geschmack getroffen hatte. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass diese – nicht einmal besonders ausgefallenen – Gerichte einfach nach Zuhause schmeckten. Mit dem ersten Bissen konnte man die abfallende Anspannung der gesamten Reise förmlich sehen. Die Frage Serapios hing noch immer im Raum und sein Vetter räkelte sich fast schon gemütlich auf der Kline. Ein langer Augenblick des Schweigens legte sich über den Raum, vom leichten Schmatzen und den sanften Kitharaklängen untermalt. “Egal ob I. oder XXII.: Die Legio hat zumindest den Vorteil, dass man Freund und Feind klar unterscheiden kann.“. Scapulas Stimme wurde einen guten Schlag ernster. Er grübelte, was er sich als nächstes in den Mund schieben sollte. “Die nächste Zeit wird es erst einmal darum gehen, ein Gefühl für die wichtigen Akteure und das Geschehen zu bekommen, ein wenig Licht ins Dunkle zu bringen: Wer könnte ein Freund und wer ein Feind sein... Vielleicht wird das Tirocinium Fori doch nützlich sein und mir etwas Welpenschutz geben. Muss ja noch keiner wissen, dass die auch beißen können.“.

    Eine Überraschung, tatsächlich. Irgendwie war es sogar für Scapula überraschend, wieder hier zu sein. Natürlich hatte erst selbst den Entschluss gefasst, aber dieser kam plötzlich, ungeplant. Er hätte es grundsätzlich noch eine Weile in Alexandria aushalten können. Freudig erwiderte Scapula den Handschlag seines Vetters und musterte ihn dabei wie man eben einen Freund oder Verwandten mustert, wenn man ihn schon lange – ja, eine halbe Ewigkeit – nicht mehr gesehen hat. Es hatte nichts abschätzendes, es war aufrichtige Neugier. Wie war es Serapio (zumindest äußerlich) wohl ergangen? Er machte keinen schlechten Eindruck! Scapula konnte allerdings auch keinen guten Vergleich anstellen, zu lang und dämmrig ist die letzte Erinnerung an Serapio her. Es war sicherlich der letzte runde Geburtstag von Tante Drusilla. Diese Frau mochte ewig leben.


    „Oh, perfekt. Ich kann einen guten Happen vertragen!“ Erwartungsvoll ließ sich Titus auf eine der Klinen nieder und lockerte die Toga. Nicht wirklich geeignete Kleidung zum Speisen, aber er hoffte, dass Serapio es ihm nachsehen würde. Er ließ sich die Sandalen ausziehen und wusch dann seine Hände in einer kleinen Schale, die ihm ein anderer Sklave hinhielt. Währenddessen lauschte er der Vorstellung des Dritten im Bunde und musterte dann auch ihn, diesmal durchaus abschätzend. Decimianus Icarion… “Sehr erfreut! erwiderte Scapula die Begrüßung des Libertus höflich. Dieser hatte bei seinem Aussehen sicherlich keine Probleme damit, immer wieder eine neue Bettgefährtin zu finden.


    Ehe der Gedanke weiterverfolgt werden konnte, reichte der junge Silas dem Decimer schon einen Becher Wein, der auch freudig entgegengenommen wurde. Endlich konnte er sich ein schönes Tröpfchen die Kehle hinuntergießen. Zuvor hob er den Becher jedoch an, um einige Aromen erahnen zu können, dann trank er einen guten Schluck. “Mhmm… ausgezeichnet! Von einem unserer Weinberge?“, fragte Titus interessiert. Er konnte sich noch an die zahlreichen Geschichten verschiedenster Verwandter erinnern, die sich am Winzerhandwerk versuchten. Wein konnte dabei jeder herstellen, guten Wein hingegen… Ab einer gewissen Uhrzeit waren auch diese Weine bei jedem Fest trinkbar. Ein Faszinierendes Gewerbe, aber ihm fehlte vermutlich die Geduld dazu. Vielleicht würde er sich an seinem Lebensabend damit beschäftigen, aber der sollte noch eine Weile auf sich warten lassen. Begierig trank er noch einen Schluck. “Wirklich gut!“ Ehe Scapula zu einer Antwort auf Serapios Frage ansetzte, wanderte sein Blick in Gedanken durch den Raum. Wie war die Reise? Von der seichten Musik der Kithara und dem guten Wein halb betört fiel es ihm schwer, eine greifbare Antwort zu formen. “Vor allem lang… Es war nicht geplant, so lange Rom fernzubleiben. Aber der Zauber dieser Fremde… Warst du schon in Achaia? Ägypten? Die großen Städte… wie Alexandria oder Korinth? Die Landschaften, die Aussichten, der Wein und auch die anderen… Vorzüge… Es war offensichtlich, dass der Schwerpunkt der Reise natürlich nicht immer auf der Bildung lag. Ganz außer Acht lassen konnte man sie aber nicht, das viele Geld musste auch Ergebnisse vorbringen und an die Nachkommen eines Senators stellte man immer hohe Erwartungen. “Ich sage dir, man hat nicht gelebt, wenn man nicht auf der Agora beim Sonnenaufgang mit einem halbleeren Kelch und einem guten Trinkkumpanen im Arm versucht, Ödipus zu rezitieren.“ Er lachte laut auf. “Besonders wenn man weiß, dass man gleich noch gegenüber ins Museion muss, wo der gute alte Nikiforos schon mit seinen Schriftrollen wartete…"

    Der Decimer hatte sich ein wenig Zeit gelassen und ließ den Trubel seiner geliebten Stadt auf sich einwirken, das Gefühl von Heimat in ihm aufkommen. Es hatte nur einen kurzen Moment gedauert, bis Rom ihn wieder vollends vereinnahmte. Die lange Zeit fern von der Heimat hatte die Erinnerung nicht verklärt, die Stadt war noch immer wunderschön und unbarmherzig. Bevor er durch die Stadttore schritt hatte er sich die Frage gestellt, ob sich die urbs aeterna wohl verändert hatte - nicht zuletzt durch den Bürgerkrieg. Aber schnell wurde Scapula klar, was für eine dumme Frage das war! Natürlich hatte sich Rom verändert, genauso wie es schon morgen eine andere Stadt sein würde als heute. Der Wandel war nicht immer positiv doch stetig und unaufhaltsam. Vielleicht verzogen sich deshalb so viele - häufig gerade die alten - aufs Land, wo alles noch so war wie früher und der Wandel seine Zeit brauchte. Der Decimer begrüßte die Veränderung jedoch, war er in den letzten Jahren doch sein stetiger Begleiter und er war neugierig, was die Götter in Zukunft für das Kaiserreiche, für Rom und speziell auch für ihn noch so an Wandel mitbrachten. So genoss er es, in der langsam untergehenden Abendsonne durch die Stadt zu schlendern und schließlich den caelius mons hinauf zur casa decima mercator. Scapula konnte nicht wissen, dass er trotz allem nur knapp hinter seinem Sklaven Nereos ankam. Er machte sich keine wirklichen Gedanken, ob der junge Diener der Aufgabe gewachsen war. Bisher war er sowohl zügig als auch zuverlässig gewesen und selbst wenn: Von besonderer Brisanz war seine Aufgabe nun nicht.


    Da war es dann endlich, das traute Heim. Lange war es her! Zu lange, wie einige von Scapulas Verwandten sicherlich dachten. Jedoch war ihm das gleich. Er hatte seine Gründe, so spät erst zurückzukehren. Ciprian, ein weiterer von Decimus Dienern, klopfte an die Tür und kurz darauf wurden sie eingelassen. Noch immer war Ephialtes ianitor des Hauses, eine beruhigende Konstante! Freundlich nickte er ihm zu und bemerkte dann den sichtlich erschöpften Nereos, der sich – noch immer? – im vestibulum aufhielt. Außer Atem und verschwitzt vermittelte Nereos den Eindruck, noch gar nicht so lange hier zu stehen, so er denn nicht schon aktiv in die anstrengenden Arbeiten des Haushalts eingebunden wurde. Unwahrscheinlich. Scapula ging davon aus, dass der vorausgeschickte Sklave nur kurz vorher angekommen war, hatte allerdings kein Interesse daran, eine Konsequenz daraus folgen zu lassen. Das leichte Grinsen konnte er sich aber nicht verkneifen, dann schritt er wortlos zur cenatiuncula, wo man ihn laut Ephialtes schon erwartete.


    Wunderhübschen Fresken und Wandgemälde wurden sträflichst von Titus ignoriert. Er kannte sie selbstverständlich noch von früher und war sowieso kein großer Liebhaber der schönen Künste. Vielmehr legte er den Fokus auf sich selbst: Wirkte er annehmbar? Die Reise hatte ihren Tribut gefordert, er war schon ein wenig erschöpft und sah sicherlich nicht mehr allzu frisch aus. Sorgsam zupfte er die Reisetoga zurecht und fuhr sich noch einmal bestimmt durch die Haare. Wer ihn wohl alles in Empfang nahm? Das der Weg zur Cenatiuncula und nicht ins Triclinium führte ließ schon vermuten, dass es nicht viele sein konnten.


    ~~~


    Es waren nur zwei... und einen davon kannte er nicht einmal. Wen er kannte - es dauerte einen Moment - war Serapio. Ein Vetter, der den traditionellen Weg der Decimer zum Militär folgte, aber natürlich immer wieder auf den großen Familienfesten zu sehen war. Die vielen Kriege der vergangenen Jahre hatten sicher auch ihn betroffen, oder? Scapula setzte ein herzliches Lächeln auf. Er freute sich ehrlich, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Mit großen Schritten näherte er sich seinem Verwandten, um ihn zu begrüßen. "Salve, Serapio! Ich freue mich, dich zu sehen! Wie lange ist es her?" Er wusste es selbst nicht, war sich aber sicher, dass es länger als seine Reise war.

    Der Bruder des verstorbenen Scipio? Angestrengt dachte Nereos nach. Verdammte scheiße! Das war so eine grundlegende Frage, auf die er sofort eine Antwort hätte wissen müssen. Seine Feuertaufe war eine Katastrophe. Er verstand gar nicht, wieso er so neben sich stand. War das nur Rom oder brachte ihn die Reise an sich aus dem Konzept? Sie war anstrengend, ohne Frage, aber das durfte keine Ausrede sein! Das schlimmste war: Er wusste die Antwort auf die Frage. Sie fiel ihm nur nicht ein. Dunkel erinnerte er sich eine Nachricht und ein darauffolgendes Gespräch, jemand nahes war gestorben und… ja, es war ein Bruder…. Aber der Name? Scipio…? Egal, der ianitor würde ihm hoffentlich schon keine Falle stellen und so nickte er zustimmend. “Ja, genau!"


    Hinter dem kräftigen Sklaven – Ephialtes - zeigte sich ein junges Gesicht, welches – zusammen mit dem Rest des Körpers – als Silas vorgestellt wurde. Gerne folgte er der Einladung ins Innere, nicht ohne selbst noch einmal die Straße hinunter zu schauen, als er Ephialtes prüfenden Blick bemerkte. “Danke! Ich bin Nereos.“, stellte er sich vor und nickte beiden decimischen Haussklaven leicht zu. “Ich bin das erste Mal in Rom und bin…, er suchte nach einem positiven Wort, “… überwältigt!“ Langsam bekam Nereos das Gefühl, zur Ruhe zu kommen. Den hingeschobenen Schemel verstand er als sehr freundliche Geste, allerdings empfand er es als unangemessen, das Angebot annzunehmen und blieb daher im Eingangsbereich der casa decima mercator stehen. Noch ehe er auf Silas‘ Frage antworten konnte, wurde dieser auch schon weggeschickt. Eine effiziente Haushaltsführung, die sich hier schon zeigte. Das wusste zu gefallen, was er mit einem anerkennenden Nicken quittierte. “Ich habe doch länger gebraucht, als ich dachte. Mein Herr wird sicher nicht weit hinter mir sein.", vertraute er sich dem Ianitor an, der gerade die Tür schloss. Nicht ahnend, dass Scapula tatsächlich im selben Moment um die Ecke bog…


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