Ein Dorf der Mattiacen. Etwas außerhalb des Gebiets in dem sich eine römische Kolonne noch komfortabel fühlen würde.
Sie trafen sich am vierten Tage des neuen Mondes, wie sie es vor ein paar Monaten verabredet hatten. Auf den alten Arwid war immer Verlass. Dessen Haus stand in dem unscheinbaren Haufendorf gerade so weit abseits, dass es dem geübten Beobachter auffallen musste. die Einrichtung war selbst für germanische Verhältnisse karg. Kein Schmuck zierte dieses Heim, schon gar kein römischer, die Möbel aus grobem Holz. Kein Vieh in dem kleinen Stall. Das hatte jedoch einen einfachen Grund. Der Hausherr war ohnehin die meiste Zeit des Jahres nicht zuhause.
Arwid war der weitgereisteste Mann, den Dativius kannte. Eine Reise an die Küste Bataviens käme ihm vor, wie ein kleiner Ausflug, hatte der Alte mal behauptet. Selbst jetzt, in den beginnenden Vierzigern zog es den ergrauenden Mann in Gebiete weit jenseits derjenigen Halbinsel, die Germanien nach Norden hin abschloss und von wo er auch das Sucinum bekam, das ihm schon nicht unerheblichen Reichtum beschert hatte. "Kanns aber nicht genießen Junge. Ist einfach so. Die Füße wollen einfach nicht still halten."
Ein Kenner des Fernhandels hätte sich gewundert was einer, der mit sucinum handelte, abseits de Bernsteinstraße trieb. Der Grund war einfach. Bernstein war nicht das einzige, was der Alte verkaufte. Wer Freunde vom Rhein bis in den Osten des Baltikums hatte bekam so manche Ware delikaterer Natur als Bernstein mit auf den Weg.
Und für diese hatte sich Dativius heute mit Arwid getroffen. Vor dem Geschäft gab es jedoch einen ordentlichen Herbsteintopf und gutes Bier. Arwid würde niemals ein Geschäft hungig beschließen, das hatte Dativius gelernt. "Geduld und Umsicht halten den Händler am Leben, Junge." Und in der Tat waren Geschäft mit vollem Magen viel angenehmer zu machen, als kalt und hungrig.
Schließlich ging es jedoch zum geschäftlichen Teil über.
"Hast du das von dem du beim letzten Mal erzählt hast?" fragte der Alte. "Oh ja" antwortete Dativius und sammelte einen kleinen Haufen Edelsteine aus seinem Gürtel. sie waren eher klein, noch in ihrem natürlichen Zustand.
"Die sehen gut aus, mein Junge", meinte Arwid und hielt sich einen nah vor die Augen. "Mhm ja, sehr schöne Qualität, schade, dass sie nicht größer sind. Und du hast sie aus..."
"Einem Ort westlich von Mogon. Ziemliches Stück westlich sogar. Wald und Berge soweit du kucken kannst. Soweit ich weiß haben sich die Römer dort nicht besonders oft hin verirrt. Und wenn welche jemals dort waren, haben die Treverer, die es dort gibt, nicht viele Worte von den Steinen gemacht, die dort im Boden liegen. Dem Griechen, bei dem ich die Dinger hab schätzen lassen, hab ich weiß gemacht, die Dinger kämen aus den Alpen. Naja. Ach ja, apropos Grieche."
Dativius langte mit der Hand in die Tasche und holte einen weiteren Edelstein heraus. er war pechschwarz und hatte eine beachtliche Größe. "Der Grieche nannte dieses Kerlchen hier Pyroxenos. Jaja. Heißt "Fremdes Feuer" oder so. Kalt ist er trotzdem. Du weißt ja, wie die sind."
Dativius gab dem Alten den Stein. Arwid schien zufrieden. "Mhm, ich glaube wir werden uns einig, Junge."
Er stand auf, verschwand einen Moment im hinteren Teil seines Hauses und kam mit einem Beutel zurück.
"Hier sind die Dinger, auf die deine Römer so wild sind."
In dem Beutel war eine Sammlung von Bernsteinen von einer Qualität wie Dativius sie noch nie gesehen hatte. Einige hatten den charakteristischen warmen Farbton, waren aber rein, klar und durchsichtig. Fast zu schade um sie zu Schmuck zu verarbeiten. Die anderen Bernsteine der Sammlung jedoch waren weiß. Oh ja, die würden einen schönen Preis bringen. Das beste Stück der Sammlung war eine poliertes Stück, das die klassische Farbe hatte. Eingeschlossen in den flachen Bernstein war jedoch ein Insekt.
"Was ist das denn?" fragte Dativius mit abwesender Stimme. "Eine Libelle du Hohlkopf." antwortete Arwid. "Fliegen und Ameisen und sowas findet man ja öfter. Aber Libellen sind schon was besonderes. War gar nicht mal so teuer da oben. Aber die Römers werden dir sicher einen schönen Preis machen. Eigentlich müsstest du mir dafür noch was drauf legen."
Dativius betrachtete den Bernstein noch einen Moment. "Haste Recht. Was willste denn?"
Arwid rieb sich die Hände.
"Im Frühjahr will ich wieder nach Osten. Wahrscheinlich aber nur bis zur Oder. Mal sehen. Und dann dachte ich, ich nehm mir ein bisschen römische Keramik mit. Die geht hier immer gut, aber im Osten bezahlen die Preise, das glaubst du gar nicht. Wenn du mir also ein für ein paar Stücke einen schönen Preis machst, wenns soweit ist..."
Dativius nickte. "Das sollte kein Problem sein. Sag mir Bescheid, wann du wie viel von was willst"
"Also gut." Der Alte stand auf und holte mehr Bier. Das zeichen das der zweite Teil des Geschäftes dran war. Dativius nahm einen kräftigen Schluck. "Und was hörst du sonst so? Sind die Chatten noch zufrieden mit ihrem Handel mit den Römern?"
"Durchaus. Und das werden sie auch bleiben, solang die Alten am Ruder bleiben. Aber ich sag dir was. Ich glaube, die ruhigen Zeiten für die Römer könnten sich dem Ende zunähern."
"So?"
"Klar. Ich kann dir auch genau sagen warum..."