Beiträge von Marcus Valerius Nasica

    Das Libysche Meer (Mare Libycum) war der große südliche Teil des Mittelmeers und reichte von Ost nach West von der Kleinen Syrte bis nach Alexandria und von Nord nach Süd von Kreta und der Südostspitze Siziliens bis zu den Küsten Afrikas. Auf ihrem Nordkurs in die Ägäis war die Astarte jetzt dabei dieses Meer zur Gänze zu durchqueren, nachdem es schon dessen ganzen südwestlichen Rand befahren hatte bei der Reise entlang der libyschen Küste. Doch damit war es jetzt vorbei. Vor ihnen lagen zwei Tage, wo sie nichts als den offenen Ozean auf viele hundert Meilen rund um sich haben würden. Davon hatte schon Mago während des Verbandswechsels unablässig geschwärmt an dem Abend des Tages, an dem sie den Hafen von Chersonesus Magna verlassen hatten und jetzt unentwegt von der Küste weggesteuert waren. Mago wurde nicht müde zu behaupten, dass eine Seefahrt erst dann wirklich begann, wenn kein Stückchen Land mehr am Horizont zu sehen wäre, sondern nur noch Yams* nasses Reich. Immer wieder ein erhebender Anblick, doch leider nichts für Nasica, wo der ja noch liegen bleiben musste.


    Der erste Sonnenaufgang auf offener See glich einem kleinen Volksfest auf der Astarte. Überall strahlende Gesichter und die Matrosen sangen während der Arbeit phönizische und sogar griechische Seemanslieder. Selbst Methusastartos, Mister Griesgram persönlich, konnte sich ein Dauergrinsen nicht verkneifen und jedermann an Bord war guter Dinge.. jedermann bis auf zwei. Im Kielraum bediente ein trauriger kleiner Junge die Entwässerungspumpe, während unter Deck in einem hölzernen Verschlag ein frustrierter Passagier zum x-ten Mal die Maserungen von seiner Decke zählte. Was würde er nicht darum geben jetzt oben bei den anderen sein zu können und sich den Wind um die Ohren wehen zu lassen. Währenddessen hörte er die Mannschaft voller Begeisterung ein neues Lied anstimmen. Genervt verdrehte Nasica die Augen. "Euer Ernst?" murmelte er in den leeren Raum.
    "Tut mir leid, ich kann auch gern wieder gehen."
    Erschrocken fuhr Nasica in die Höhe und zuckte gleichzeitig zusammen vor Schmerzen. Mittlerweile konnte er sich zwar schon wieder halbwegs aufsetzen und den Kopf bewegen, doch das war ein wenig zu viel des Guten gewesen. "Abdemon! Was machst du denn hier?" Er sah, dass der Riese etwas unterm Arm geklemmt hatte. Er holte das Etwas hervor und hielt es in die Höhe, damit es Nasica näher in Augenschein nehmen konnte. Es war ein Senet-Spielbrett. "Ich dachte vielleicht freust du dich über ein wenig Abwechslung, ich wär gerade frei." Ein dankbares Lächeln stahl sich auf Nasicas Antlitz. "Abdemon, dich schicken die Götter! Ja! Gerne, ich freue mich über eine Partie Senet!" Abdemon hockte sich nieder und begann das Spiel aufzubauen. "Ah, die klassische Variante." bemerkte Nasica, als er sah, dass jeder von ihnen sieben Spielsteine bekam anstatt fünf, so wie das seit dem ägyptischen Neuen Reich modern geworden war. "Natürlich, was denkst du denn? Wenn schon, dann ordentlich!" Senet war ein beliebtes Spiel aus Ägypten. Es gab sieben bzw. fünf spulenförmige und sieben bzw. fünf kegelförmige Spielfiguren. Jeder Spieler bewegte sie auf einem rechteckigen Feld von drei Zehnerreihen s-förmig vom Start bis zum Ziel. Letzteres war es alle seine Steine vom Spielfeld zu nehmen indem man sie einmal durch das ganze Spielfeld brachte, unterwegs warteten jedoch auch Spezialfelder. Gewürfelt wurde mittels vier in die Luft geworfene plättchenförmige Stäbchen mit einer markierten und einer unmarkierten Seite. Gezählt wurden alle offen darliegenden unmarkierte Seiten. Die beiden begannen ihr Spiel und Abdemon machte den ersten Wurf. Eine Drei. Danach war Nasica an der Reihe und schaffte gleich am Anfang einen Wurf, bei dem alle vier Stäbchen die unmarkierte Seite oben hatten. Abdemon schnaubte amüsiert. "Was für ein Glückskind! Sowohl im Spiel, wie auch im Leben."
    Jetzt war es an Nasica zu schnauben, wenn auch eher auf eine sarkastische Weise. "Glück würde ich das nicht nennen, so wie es mir gerade geht."
    Abdemon würfelte und bewegte seine Figur weiter vorwärts. "Du kommst aus einer wohlhabenden Familie, hast eine glänzende Zukunft vor dir und nicht zu vergessen hast du erst kürzlich ganz alleine drei Banditen das Handwerk gelegt, wie würdest du das sonst nennen, hm?" "Ach das.." Lächelnd bewegte Nasica seine Figur nach vorne und tauschte sie mit einer von Abdemons aus. "He! Das war aber nicht nett. Aber ja du siehst ich habe Recht. Wie sieht es mit den Mädchen aus? Hast du eines zuhause?" Nasica lächelte breiter beim Gedanken an seine Penelope und Wärme umfing sein Herz. "Ja, das habe ich."
    Abdemon kam mit einer Figur auf das 15. Feld, das mit einem Ankh und zwei Lotusblüten markiert war, dem Haus der Wiedergeburt. "Ha! Das heißt dann noch ein Wurf für mich." Alle Stäbchen zeigten die markierte Seite. "Oh, schade. Naja kann man nichts machen. Dein Mädchen, ist sie hübsch?" Nasica warf für seinen Zug und erhielt eine Zwei. "Ja, sie ist die schönste Frau von ganz Alexandria und wenn ich erst ein erfolgreicher Mann bin nehme ich sie zur Frau!" Er und Penelope würden eine Familie sein, am besten mit vier Kindern, das war sein Traum. Die Tage im Museion und in der Großen Bibliothek zubringen und abends dann den kleinen Marcus Minor in die Arme schließen, das wärs. "Was ist mit dir? Hast du Familie?" Der Matrose schüttelte den Kopf. "Das Seemannsleben eignet sich nicht dafür. Jeden Tag wo anders und jederzeit könnte der Kahn absaufen auf dem man gerade Dienst tut. Das will man keiner liebenden Gemahlin antun." Ein kaum merkbarer Schatten in Abdemons Gesicht verriet, dass es wohl Zeiten gab, wo er es bedauerte niemanden zu haben und niemals von einem strahlenden kleinen Geschöpf "Vater" genannt zu werden. Der Phönizier war wieder am Zug. "Da war einmal ein Mädchen das ich geliebt habe. In Syrakus war das. Verdammmich ich hätte das Seemannsleben wirklich fast für sie an den Nagel gehängt." Es war deutlich zu spüren, dass Abdemon diese Geschichte gerne erzählen wollte. Nasica warf eine Eins und fragte: "Wie kam das?"
    Abdemon zog seinen Spielstein bis zu Feld 26, dem "Schönen Haus" vor. "Na also, schon mal den ersten da durch! Hoffentlich jetzt nicht auf das Wasserfeld. Also, die Astarte war kurze Zeit zuvor in einen schweren Sturm geraten und an der sizilianischen Küste gestrandet. Noch nie sowas erlebt vorher, kannst du dir nicht ausmalen. Das Schiff war mehr oder weniger Schrott, genauso wie die Hälfte von der Mannschaft. Hätte mich auch fast erwischt, konnte aber irgendwie davonkommen. Trotzdem lag ich hinterher halbtot am Strand. Ein Hirte fand uns und das Wrack und holte Hilfe aus Syrakus. Ich kam bei einem reichen Händler unter. Seine Tochter, Phaisyle, pflegte mich gesund. So eine Frau wie sie haste noch nicht gesehen das kann ich dir sagen." Das war vermutlich das gleiche was auch Nasica über Penelope sagen würde, hätte Abdemon ihn gefragt, doch das behielt er lieber für sich. Besser er warf seine Stäbchen und versuchte den Vorsprung des Phöniziers aufzuholen.
    Abdemon schien in Gedanken zu sein. "Eine Anmut wie Aschera und ein Lächeln bei dem man nicht Nein sagen konnte, das war meine Phaisyle. Gibt wohl niemanden mit dem ich mich je so gut unterhalten konnte wie mit ihr. Auch wenn sie Griechin war, sie verstand mich."
    "Ja, Griechinnen verstehen sich darauf in die Herzen der Männer zu blicken." Abdemon grunzte. "Ich sehe du hast auch so eine. Ja Griechinnen können schon was. Als unser Schiff wiederhergestellt und wir wieder auf dem Damm waren, wollte ich am letzten Abend vor unserer Abfahrt zu Phaisyle und sie um ihre Hand bitten, kennst du sicher. Aber ich war noch gar nicht ganz bei ihrem Haus, da hörte ich sie mit ihrem Vater reden draußen im Hof..." Der traurige Gesichtsaudruck sagte Nasica schon was wohl geschehen sein mochte. "Sie hatte schon jemand anderes, oder?" Abdemon nickte und warf eine Vier.
    "Ja, sie war ganz aus dem Häuschen, denn irgend so ein reiches Muttersöhnchen hatte ihr am gleichen Tag den Hof gemacht und ihr Vater hatte zugesagt." Abdemon seufzte, als er Nasica bei seinem Zug zusah. "Tja so ist das mit der Liebe, mal gewinnt man, mal verliert man. Ich denke, dass ich an jenem Tag mein Herz auf Sizilien zurückgelassen habe, als wir in See stachen. So eine wie sie findest du nicht nochmal, meine Hand drauf."
    Abdemon war wieder am Zug, während Nasica an Penelope dachte. Was sie wohl mit ihren Tagen ohne ihn anfing? Seine Sehnsucht fühlte sich in jenem Moment unendlich groß an. Penelope oh Penelope, wann kann ich dich wiedersehen? Denkst du an mich?


    Sim-Off:

    * = Yam ist eine phönizische Meeresgottheit


    Das nächste Ziel auf ihrer Handelsfahrt war das einen halben Tag von Petras Mikros entfernte Chersonesus Magna, direkt an der Grenze von der Marmarica zur Kyrenaika. Als am frühen Morgen Mago der Navigator wieder einmal Nasicas Verbände wechselte, hatte er gemeint die Wunde heile gut und schon bald könnten sie es ganz bleiben lassen mit dem verbinden. Auch, dass sich die Wunde bislang noch nicht entzunden hatte erstaunte ihn über die Maße. Zur Sicherheit (und zu Nasicas großem Leid) verdoppelte er aber trotzdem die täglichen Knoblauch- und Zwiebelrationen für seinen Patienten. Das Zeug war roh kaum hinunter zu bekommen, aber anscheinend half es wirklich bei der Schmerzlinderung und der Entzündungshemmung. Um sich auf andere Gedanken zu bringen fragte Nasica, ob sie auch nach Kyrene, dem großen Zentrum der Pentapolis in der Kyrenaika, segeln würden, was dem alten Phönizier ein Lachen entlockte. "Erstens verlassen wir nach Chersonesus Magna die libysche Küste und setzen Kurs auf Kreta und zweitens kannst du nicht einfach nach Kyrene segeln, Jungchen, Kyrene liegt nämlich gute 11 Meilen* im Landesinneren auf einer Hochebene. Höchstens zu ihrem Hafenort Apollonia. Also selbst wenn wir nach Apollonia fahren würden, Kyrene selbst würdest du nie zu Gesicht bekommen." Eine niederschmetternde Antwort für den Valerier. Eigentlich hatte er schon fest damit gerechnet, dass Kapitän Methusastartos auch diesen wichtigen Hafen ansteuern würde, wo er ja immer wieder betonte wie wichtig ihm sein unterwegs gemachter Profit wäre, doch er hatte scheinbar andere Pläne. Oder hatte Nasica selbst sein Urteil darüber aufgrund einer falschen Annahme gefällt? Wirklich schade, da blieb es ihm schon versagt die Küstenorte der Marmarica zu sehen und jetzt würde er auch noch die Kyrenaika verpassen, wo er schon mal in der Gegend war. Als Alexandriner hatte er natürlich schon viel von den fünf großen griechischen Poleis Libyens, Kyrene, Ptolemais, Taucheira, Euhesperides und Barka, gehört und wäre deshalb umso mehr an ihnen interessiert gewesen. Doch sei's drum, wenigstens könnte er später dann Griechenland ein wenig besser kennenlernen, denn laut Mago sollte er sich dann wieder -unter Schonung- problemlos bewegen können. In gut einer Woche wären sie schon in Athen und Nasica wollte zusehen, dass er sich bis dahin nicht wieder verletzte, denn diese Stadt wollte er unbedingt sehen!


    Der Vormittag hielt aber auch noch anderes für Nasica bereit, denn der Kapitän höchstselbst gab sich die Ehre eines Besuchs an seinem Krankenlager. "Wie geht es dir, Marcus Valerius Nasica?" wollte er zunächst wissen. "Soweit so gut. Gibt es denn einen Grund für deinen Besuch?" Er konnte es sich zwar schon denken, aber besser, wenn der Phönizier es aussprach.
    "Es ist wegen Hanno, ich möchte nicht, dass er weiter hier zu dir herunter kommt und unnötige Sachen lernt."
    "Was heißt hier unnötig? Lesen und Schreiben sind essentielle Fertigkeiten für einen jeden Menschen!"
    "Aber nicht für einen Schiffsjungen meiner Mannschaft!"
    "Er ist aber genauso ein Mensch und hat ein Recht darauf!"
    "Ich sagte Nein! Er soll das Deck schrubben und das Wasser aus dem Kielraum pumpen und nicht seinen Kopf in den Wolken haben! Das führt doch zu nichts!"
    "Er tut ja niemanden was, wenn er sich weiterbildet!"
    "Doch, Marcus Valerius Nasica, sich selbst! Er ist Schiffsjunge! Er wird es nie zu etwas anderem bringen als Matrose, also setze ihm keine Träume vor, die am Ende sowieso nur zerbrechen werden!"
    "Das mache ich doch gar nicht! Ich bringe ihm lediglich..."
    "NEIN!! Nein, nein und nochmals nein! Bleibe Hanno fern, denn sollte ich ihn wieder hier bei dir erwischen fliegst du von Bord! Egal in welchem Hafen wir dann sind und wie du weiterkommst! Mit der Leserei ist Schluss!"
    Mit hochrotem Kopf beendete Methusastartos ihr kleines Schreiduell und zog sich zurück, während Nasica jedes laut geäußerte Wort wegen seiner Schmerzen auch schon wieder bereute. Wieso musste der Kieferknochen auch nur so eng mit den Ohren verbunden sein.
    Der Kapitän machte ihn allmählich wirklich wütend. Was war so schlimm daran, dass Hanno Lesen und Schreiben lernte? Hatte er Angst, dass er dann seine Anstellung quittieren und die Astarte verlassen würde? Methusastartos würde doch bestimmt schnell einen anderen armen Schlucker finden, der für ihn den Kielraum wasserfrei hielt! Es war zum Haare ausreißen mit dem Kerl. Der Phönizier hatte es wirklich geschafft Nasica so sehr zu missfallen wie schon lange nicht mehr jemand anderes, die drei Ganoven aus Paraetonium jetzt einmal ausgenommen. Methusastartos konnte froh sein, dass er, Nasica, immer noch mehr oder weniger außer Gefecht war, sonst hätte er ihm ordentlich die Meinung gegeigt! Den Rest des Tages verbrachte Nasica mit dunklen Gewitterwolken über dem Kopf. Vom Landgang in Chersonesus Magna am frühen Nachmittag bekam er wie schon zuletzt in Petras Mikros nichts mit, wo er ja nicht einmal an Deck konnte, was seine schlechte Laune noch umso mehr anheizte. So hatte er sich eine Reise nach Rom nicht vorgestellt, so viel war sicher! Die Astarte blieb fünf Stunden im Hafen, ehe sie wieder Segel setzte und Kurs auf Kreta nahm. Vale, Libya.


    Kurz nach Sonnenuntergang schreckte Nasica aufgrund eines Geräuschs aus dem Schlaf. Es war dunkel in seinem Verschlag, jedoch konnte er die Umrisse Hannos neben seinem Lager erkennen. "Hanno, was machst du hier?" "Ich habe gewartet bis der Kapitän in seine Kajüte gegangen ist. Ich sollte dir ja von meinen Landgängen berichten?" Diese Worte ließen ihn dann doch ein wenig mehr Zuneigung für den Schiffsjungen verspüren.
    "Das ist sehr nett von dir, aber ich denke es ist besser, wenn du für eine Weile von mir weg bleibst, denn..."
    "Ich habe den Kapitän heute gehört."
    "Was?"
    "Ich habe gehört was er gesagt hat. Wir alle haben das, ihr ward ja nicht gerade leise."
    Er wusste nicht warum, aber das ließ ein leichtes Gefühl der Resignation in Nasica aufkommen.
    "Tut mir leid, Hanno. Ich wollte wirklich nur..."
    "Schon in Ordnung Marcus, danke jedenfalls. Wir können ja nachts üben, wenn die anderen schlafen und was meine Erlebnisse in Chersonesus Magna angeht..."
    "Heute nicht mehr, Hanno. Besser du gehst jetzt. Wenn der Kapitän, oder jemand anders dich hier vorfindet wird das nur Ärger geben, also geh bitte, ja?"
    Den empörten Blick darüber konnte Nasica selbst im dunkeln gut erkennen.
    "Aber Marcus! Ich möchte Lesen lernen und ich verspreche ich werde leise sein und wenn wir..."
    "Besser nicht, zumindest nicht die erste Zeit. Geh jetzt bitte, ich will dir keinen Ärger bereiten."
    Hanno warf noch einen letzten enttäuschten Blick auf Nasica, dann stampfte er auf und lief davon.


    Sim-Off:

    * = 17km

    Den ganzen nächsten Tag über kreuzten die Phönizier mitsamt ihres römischen Gastes ohne besondere Zwischenfälle weiter entlang der marmaricanischen Küste. Das höchste der Gefühle war vielleicht gewesen, als Nasica durch ein ohrenbetäubendes Gebrüll an Deck direkt über ihm aus seinem kleinen Vormittagsschläfchen hochgeschreckt worden war. Später am Abend erfuhr er dann aus Hannos Bericht, dass sich wohl eine tollkühne Möwe Abdemons Kopf als Latrine ausgesucht gehabt hatte, Nasica lachte herzhaft darüber. Die dabei gleich wieder auftretenden Schmerzen an seiner linken Schläfe nahm er dafür in Kauf. Das Gesicht des Schiffsjungen war es dann gewesen, das ihn wieder zum Verstummen brachte. Hanno schien etwas auf dem Herzen zu liegen. "Was ist denn?" fragte Nasica.
    Hanno ließ noch einige Momente verstreichen. "Kapitän Methusastartos wünscht nicht, dass ich so oft bei dir bin, Marcus", erzählte er dann seinen Füßen.
    "Wieso das denn?"
    "Er meint ich wäre zum arbeiten und nicht zum faulenzen an Bord, außerdem würdest du Ruhe brauchen. Angeblich würde ich meine Pflichten vernachlässigen, doch das stimmt ja gar nicht!" Vermutlich hatte Methusastartos Angst, dass Nasica ihm irgendwelche Flausen in den Kopf setzte, denn es stimmte, dass Hanno bislang immer nur abends zu ihm gekommen war, oder früh am Morgen. Sein einziger Besuch untertags war bislang der kurz vor ihrer Ankunft in Petras Megas gestern gewesen. "Weißt du was? Wenn es mir wieder möglich ist, werde ich ein Wörtchen mit dem Kapitän sprechen, dann werden wir ja sehen wieso er Probleme damit hat." Hannos Gesichtsausdruck zeigte Freude, doch auch eine Spur von Unglauben darüber, dass Nasica den Phönizier wirklich umstimmen könnte. "Nun gut, am besten du gehst jetzt dann wieder, wir sind für heute sowieso fertig. Morgen musst du wieder fit sein, vergiss nicht, ich freue mich dann schon wieder auf deinen Bericht." Der Schiffsjunge lächelte, verabschiedete sich und ging dann. Die darauf folgende Nacht verbrachte Nasica größtenteils wach. Die Schmerzen waren wieder schrecklich nervtötend gewesen und ließen ihn kein Auge zu machen.


    Im Laufe des nächsten Vormittags kam Mago der Navigator wieder zu Nasica für den regelmäßigen Verbandswechsel. Mago war so etwas wie seine persönliche Krankenschwester geworden und er schien auch sonst der Medicus an Bord zu sein, wenn sich jemand aus der Mannschaft etwas getan hatte. Am meisten geschah das seinen Worten nach einem Matrosen namens Gisco, einem wahren Tollpatsch. Der hatte es während eines seiner Unfälle auch schon einmal geschafft gehabt bei einem Sturz vom Mast das Hauptsegel der Astarte von oben nach unten der Länge nach aufzuschlitzen und das ganze mit nichts weiter als einem gebrochenen Arm zu überleben. Es war wirklich ein Wunder, dass der Kerl bei all seinen Stolpertritten noch lebte. Unter den Matrosen gab es den geflügelten Satz, dass die Astarte erst an jenem Tag sinken würde, wenn Gisco entweder durch einen Unfall endlich starb, oder sonstwie aus der Schiffsbesatzung austrat. Doch solange er überlebte konnte ihnen nichts geschehen, er war ihr Glücksbringer und Götterliebling. "Normalerweise wäre mit Gisco schon längst wieder irgendeine komische Geschichte passiert, ein Wunder dass es immer noch ruhig um ihn ist, obwohl wir schon seit fast sechs Tagen auf See sind. Vermutlich haben die Götter ihn für dieses Mal verschont, weil du dafür einen Unfall erlitten hast." meinte Mago mehr zu sich selbst als zu Nasica, nachdem er sein Meisterwerk wieder einmal vollbracht gehabt hatte und ein frischer sauberer Verband auf dem valerischen Haupte ruhte. Nur mit Mühe brachte es Nasica fertig keine spöttische Bemerkung von sich zu geben. Unfall, dass er nicht lachte! Einen absichtlichen Angriff auf seine Hörgeräte konnte man schwer als Unfall bezeichnen. Die nächsten Stunden dann war Nasica wieder mit unseligem Nichtstun gepeinigt. Ihm blieb nichts anderes übrig, als seinen Gedanken nachzuhängen. Wie es wohl Penelope zuhause in Alexandria ging? Jetzt war es ja bald schon eine Woche her, dass sie sich das letzte Mal gesehen hatten, ob sie ihn schon sehr vermisste? Für Nasica selbst konnte diese Reise auf jeden Fall nicht schnell genug vorbei gehen, um sie wieder in seine Arme schließen zu können. Jede zurückgelegte Seemeile brachte ihn näher an Rom und damit auch schneller wieder zu seiner geliebten Penelope. Bei seiner Rückreise musste er unbedingt Wert darauf legen eine Passage auf dem schnellstmöglichen Schiff mit direktem Kurs von Ostia nach Alexandria zu buchen, damit er nicht wieder einen ganzen Monat auf dem Meer herumschippern müsste. Zehn bis zwanzig Tage maximal und die eingesparten zehn Tage würde er dann im Bett mit seinem Mädchen verbringen, das war der Plan.


    Vom kurzen Zwischenaufenthalt in Petras Mikros bekam Nasica gar nichts mit, da er um die Mittagszeit herum schlief. Als er gegen Abend erwachte, befand sich die Astarte schon auf dem Weg nach Chersonesus Magna, ihrer letzten Etappe in afrikanischen Gewässern.
    Hanno kam nach dem abendlichen Verbandswechsel ebenfalls vorbei und erzählte Nasica von all den Beobachtungen, die er im letzten Hafen gemacht hatte. Dieses Mal war es weniger spannend gewesen und Karawanen waren auch nicht vorgekommen.

    Kurz nach Paraetonium hatte die Astarte das Gebiet von Zyges verlassen und segelte entlang der Küsten der Landschaft der Marmarica, oder auch Marmarike, wie dieser Küstenabschnitt auf Griechisch hieß. Die Marmarica umfasste alles Land zwischen Ägypten und der Kyrenaika und gehörte vom politischen Standpunkt aus schon zur römischen Provinz Creta et Cyrene. Das Land war größenteils Sandwüste, enthielt aber auch einige niedrige Gebirge. Nach Süden hin wurde es von der Oase Ammonion und den Baskikischen Bergen (Bascici Montes) begrenzt, einer westlichen Fortsetzung des Asyphus-Gebirgszugs. An ihren Küsten siedelten neben Römern, Ägyptern und Griechen die einheimischen Volksstämme der sesshaften Adyrmachidae und westlich von ihnen die nomadisch lebenden Giligammae, während tiefer im Landesinneren unter anderem die Nasamones, die Augilae, die Psylli und die Bassachitae zwischen den Dünen der Libyschen Wüste umherzogen. Die Nasamonen hatten früher einst im Südwesten der Kyrenaika, bis hinein in das Gebiet der Großen Syrte gelebt, bis sie von den Römern in ihr heutiges östliches Territorium vertrieben worden waren. Von den Augiliern hieß es, dass sie mit ihren Tieren jedes Jahr während der Erntezeit zur Oase Augila (an der Grenze zur Kyrenaika) zogen, um Datteln zu pflücken. Die Bassachitae lebten im Süden der Marmarica bei den Baskikischen Bergen, während von den Psylliern nur bekannt war, dass sie Schlangenbisse durch Aussaugen des Gifts mit dem Mund heilten.


    All das hatte Nasica bei den großen Autoren schon über dieses interessante Land gelesen und es wurmte ihn über die Maßen, dass ihm wegen dieser blöden Verletzung jetzt die Chance versagt blieb wenigstens die angefahrenen Küstenorte erkunden zu können. Mochten andere bloß einen uninteressanten Haufen Sand in dieser Gegend erblicken, so hätte Nasica bei seinen Landgängen gerne die Zusammensetzung der Bevölkerung näher studiert, inwieweit sich z.B. das einheimische Element gegenüber der griechisch-römischen Zuwanderer behaupten konnte und wie stark der ägyptische Einfluss noch bemerkbar war so weit westlich von Alexandria. Doch alles was er jetzt von der Marmarica zu Gesicht bekommen würde, wäre die Decke seines Verschlags an Bord der Astarte, kein erfreulicher Gedanke für eine Forscherseele wie er es nun einmal war.
    Im Moment saß Hanno als willkommene Ablenkung bei ihm für seine erste Leselektion. Jetzt ärgerte sich Nasica schon ein wenig, dass er sein Schreibzeug und leere Papyrusrollen zuhause gelassen hatte, den an Bord gab es sonst keine Schreibmöglichkeiten außer die Vorräte von Kapitän Methusastartos und der gab diese nie und nimmer dafür her, dass ein einfacher Schiffsjunge "Schreiben" lernte, anstatt an Bord mit zu arbeiten. So mussten sie sich deshalb für den Anfang mit der Genesis des Tanachs zufrieden geben. Das war ein einfacher Text und leicht zu verstehen für einen Anfänger. "Vergiss auf jeden Fall nicht leere Schriftrollen, Schreibzeug und vielleicht auch Wachstafeln zu kaufen, wenn wir in Petras Megas sind. Das Geld hierfür gebe ich dir mit." Hanno nickte.
    Gerade hatte er sich durch die ersten paar Absätze ihres Lesestoffs gequält. Dabei hatte er sich jedoch eher das Aussehen der einzelnen Wörter gemerkt, als wirklich die Bedeutung der einzelnen Buchstaben zu begreifen. Das käme später dann, wenn sie etwas zum Schreiben hier hätten. Eigentlich wäre es klüger gewesen, wenn Nasica Hanno die lateinische Schrift beigebracht hätte, wo ja Rom fast die ganze bekannte Welt beherrschte, doch der Junge verstand kein Latein und sprach nur Griechisch und Phönizisch, eben die beiden wichtigsten Handelssprachen im östlichen Mittelmeer. Außerdem hatte Nasica gar keine lateinische Texte bei der Hand, da seine Bücher von Ezra ben Abraham beide auf Griechisch verfasst waren. Beim Gedanken an Petras Megas ergriff wieder etwas Schwermut Nasicas Gemüt. "Wann sagte der Kapitän, dass wir ankommen werden?"
    "Bald schon, aber wir werden nur wenige Stunden bleiben und dann gleich weiterfahren, sobald alles erledigt ist."
    Wieder musste sich Nasica zusammenreißen, um nicht als Zeichen des Verstehens zu nicken. Es war nicht leicht derartige Automatismen des Körpers zu unterdrücken, wenn man seinen Kopf ja möglichst ruhig halten sollte. "Verstehe. Gut Hanno, du weißt ja um was ich dich gebeten habe, bitte vergiss es nicht. Außerdem wäre da noch etwas."
    "Was denn, Marcus?"
    "Ich kann leider selbst nicht hoch an Deck, um den Hafen zu sehen, die Schmerzen wären zu schlimm, deshalb musst du für die nächste Zeit meine Augen und Ohren sein. Ich bitte dich, schau dir genau die Leute und die Häuser an und beschreib sie mir, wenn du wieder da bist. Beobachte die Leute dabei was sie machen, ich wäre dir wirklich dankbar, wenn du das für mich tun könntest."
    Hanno blickte ihn kurze Zeit an.
    "Gerne Marcus. Allzu lange wird das nicht möglich sein bei meiner Mitarbeit wegen der Ladung, aber ich sehe zu was sich machen lässt."
    "Danke, mein Freund."


    Eine Weile blieb Hanno noch bei Nasica, dann jedoch musste er nach oben, um mitzuhelfen, als die Astarte in Petras Megas gelandet war, um neue Waren und Vorräte aufzunehmen und einen anderen Teil abzustoßen. Nasica blickte wieder zu der ihm inzwischen gut bekannten Decke und langweilte sich zu Tode. Man mochte kaum glauben welche Schikanen einen so eine Ohrverletzung antun konnte. Arme und Beine unverletzt und trotzdem musste man die meiste Zeit wie ein Gelähmter still liegen, da jede Bewegung die immer noch frische Wunde höllisch aufschmerzen ließ. Mago hatte gemeint das würde noch etwas länger so andauern (neben seiner üblichen düsteren Prophezeiungen einer üblen Entzündung), doch in ein paar Tagen hätte sich sein Ohr schon wieder so weit erholt, dass er zumindest aufstehen und herumlaufen konnte.
    Nach vier Stunden im Hafen setzte die Astarte wieder Segel und fuhr weiter. Hanno kam gegen Abend zu Nasica und brachte ihm das gewünschte Schreibmaterial. Er erzählte ihm seine Eindrücke von Petras Megas und auch eine sehr interessante kleine Geschichte um eine Karawane, die er dort auf der Suche nach Papyrus angetroffen hatte.

    Von Paraetonium aus befuhr die Astarte wieder ihren Kurs weiter nach Westen. Ihr nächstes Ziel war der zwei Tagesreisen entfernte Hafen Petras Megas.
    Nasica lag noch genauso auf seinem Lager dar, wie gestern. Heute Morgen hatte ihm Mago seinen Kopfverband gewechselt und ausgekocht. Außerdem hatte er gemeint, dass das jetzt 3x täglich zu geschehen hatte, bis sich Nasicas Wunde soweit erholt hätte, dass sie an der Luft trocknen konnte. Das sei angeblich das beste. "Wäre irgend etwas heilförderndes nicht noch besser, als bloß Luft und Verbandszeug? Eine ordentliche Heilpaste vielleicht?" Doch Mago hatte nur gelacht und den Kopf geschüttelt. Salben und dergleichen waren für geschlossene Wunden vorgesehen. Doch was genau "geschlossene Wunden" sein sollten blieb er ihm als Antwort schuldig. Auf jeden Fall schmerzte sein Ohr noch immer wie der Tartaros, besser gesagt der Rest, der noch davon übrig war. Da er den ganzen Tag über nichts anderes zu tun hatte, als an die hölzerne Decke seines Quartiers zu starren, hatte Nasica genug Zeit dafür, um ausgiebig über diesen Verlust nachzudenken. Das schlimmste war ja, dass er nicht einmal lesen konnte. Seine Schriftrollen lagen auf der Höhe seiner Füße, ausgeschlossen da ran zu kommen ohne allzu sehr den Kopf zu bewegen. Je ruhiger er lag, desto erträglicher waren die Schmerzen. Nicht, dass die in seinem Ohr nicht schon gereicht hätten, Mago zwang ihn auch so viel Knoblauch und Zwiebeln zu essen wie nur möglich. "Das hilft gegen die Schmerzen und beugt hoffentlich einer Entzündung vor. Denn du darfst eine fürchterlich schlimme Leidenszeit erwarten, sollte sich das Ohr wirklich entzünden und das ist wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit." pflegte der Navigator für gewöhnlich zu sagen, wenn sich Nasica wegen dieser Pflegemaßnahme wieder einmal beschwerte. Einmal dachte er er hörte wohl nicht recht, als Mago tatsächlich die Frechheit besessen und zusätzlich zum üblichen Sermon erwähnt hatte, dass Zwiebeln gut gegen Ohrenschmerzen seien. Ha ha...vielleicht bei gewöhnlichen Schmerzen, aber nicht, wenn die halbe Ohrmuschel fehlte! Wirklich sehr komisch..


    Gegen Abend des zweiten Tages kam Hanno der Schiffsjunge an Nasicas Lager. Eine Weile lang stand er nur bei seinen Füßen, ehe der Valerier ihn ansprach: "Na, hast du denn sonst keine Arbeit?" Einen Moment betrachtete Hanno ihn noch, dann fragte er: "Die Männer sagen dein Pferd hätte dir ins Ohr gebissen, stimmt das?" Nasica musste lächeln wegen des kleinen Lügenmärchens, das die anderen Matrosen im aufgetischt hatten. "Nein nicht ganz, ein Mann war das." Hannos Augen wurden groß. "Was, echt? War es ein böser Mann?" Um mehr zu erfahren setzte sich der Schiffsjunge jetzt auf den Boden neben seinem Lager. "Hm, ja kann man so sagen. Es war ein Betrüger, der es auf mein Gold abgesehen hatte.", "Wo ist das denn passiert?" Nach zwei Tagen der Ruhe und der Erholung konnte Nasica wieder einigermaßen sprechen, ohne bei jeder Kieferbewegung schmerzhaft zusammenzuzucken wegen seines Ohrs. "Der Scharlatan hatte mich in der Stadt angesprochen und mich weit nach draußen in die Ruine eines Königspalastes geführt. Dort warteten schon seine beiden Komplizen auf mich, die mich ausrauben wollten."
    "Bei Azizos! Drei Männer wollten dich ermorden, wie hast du das nur überlebt?"
    Nasica verzog das Gesicht. "Ich weiß es nicht, Hanno, ehrlich. Ich habe einfach reagiert und gemacht, was mir im Moment am besten erschien, anscheinend hatte ich mit manchem gar nicht so falsch gelegen" scherzte er lahm. "Wie kam es, dass du dein Ohr verloren hast?"
    "Das hat der eine aus der Stadt gemacht. Wir beide lagen am Boden und kämpften um einen Speer, den er kurze Zeit zuvor noch nach mir geschleudert hatte. Ich brach ihm die Nase und dafür biss er mir ins Ohr." Nasica hatte das Gefühl, dass die Geschichte so erzählt irgendwie zu phantastisch klang, als dass sie wirklich wahr wäre. Doch der Umstand, dass er hier ans Krankenlager gefesselt war und nur noch eineinhalb Ohren besaß, sollte eventuelle Zweifler doch überzeugen können.
    "Und dann bist du irgendwie entkommen und auf einem ihrer Pferde geflohen?"
    "Genauso war es, ja."
    "Du bist wirklich ein Held, Marcus!"
    Nasica musste darüber lächeln. "Unsinn, bin ich nicht. Ich bin nur in eine dumme Lage geraten und habe zugesehen, da wieder rauszukommen, das hätte vermutlich jeder so gemacht."
    Hannos Gesichtsausdruck sprach dafür, dass er wohl nicht so dachte. "Wurdest du von ihnen nicht verfolgt? Oder hattest du das schnellste Pferd?"
    Das war jetzt die Stelle, die ihm selbst immer noch sehr unangenehm war. "Ich hatte mit dem Speer die beiden anderen Pferde verletzt, damit sie mir nicht auf ihnen folgen könnten, wenn ich auf dem dritten flüchten würde, aber ich glaube das wäre gar nicht nötig gewesen, schade um die schönen Tiere."
    Hanno schien das gar nicht so sehr etwas auszumachen, viel mehr interessierte ihn etwas anderes. "Wieso war es nicht mehr nötig?"
    "Nun, der aus der Stadt lag noch besiegt am Boden nach der Sache mit dem Speer, einen hat das Pferd erwischt und den anderen... ich glaube den anderen habe ich getötet." Die letzten Worte hatte Nasica nur noch geflüstert. Zu schrecklich war der Gedanke, dass er ein Menschenleben genommen hatte. Auch wenn es während eines Kampfes geschehen war und er nur sein eigenes Leben verteidigt hatte, so blieb es doch die Tatsache, dass wegen ihm seit zwei Tagen schon die Welt um einen Menschen ärmer war. Dies versuchte Nasica so gut es ging zu verdrängen, denn er hatte Angst, dass er daran irgendwann zerbrechen könnte. Überdies hatte er jetzt genug von all diesen Räubergeschichten. "Hanno, ich würde gern ein wenig im Gilgamesch-Epos weiterlesen. Ich kann aber nichts sehen bei diesem Licht, wenn ich die Schriftrolle über meinen Kopf halte, außerdem ist das eine sehr unbequeme Pose. Kannst du mir bitte ein wenig daraus vorlesen? Die Schriftrollen sind in diesem kleinen Holzkasten neben dir."
    Hanno machte plötzlich eine betretene Miene, sah einmal kurz zum Schriftrollenbehälter und anschließend auf seine Füße. Nasica merkte, das irgend etwas nicht stimmte. "Hanno was ist denn?"
    Der Schiffsjunge murmelte irgendwas, doch Nasica verstand ihn nicht. Er bat ihn um eine Wiederholung, doch auch die war zu leiste. Beim dritten Versuch dann blickte Hanno endlich von seinen Zehen auf und sagte: "Ich kann nicht lesen. Tut mir leid."
    "Du kannst nicht lesen. So ist das also." wiederholte der Valerier.
    "Der Kapitän sagt ich brauch es nicht zu lernen, weil Schiffsjungen später mal Matrosen werden und die müssen Kisten schleppen und Segel setzen können, aber keine Lieferverträge lesen." Na das war ja ein schönes Stück!
    "Jeder hat das Recht darauf Lesen und Schreiben zu lernen, auch du, Hanno! Die schönsten Geschichten sind auf Papyri festgehalten, so wie ich sie auf meiner Reise mitgenommen habe, sie sind die geistige Nahrung die wir genauso wie die feste brauchen, sonst verkümmern wir, auch wenn wir jeden Tag tonnenweise Essen in uns reinschaufeln mögen!"
    "Ja schon, aber wie soll das gehen?"
    "Weißt du was? Ich werde es dir beibringen!"
    "Was?!" Hanno schien mehr als überrascht, dass ihr Passagier wirklich dazu bereit sein mochte.
    "Aber.. aber haben wir dafür nicht viel zu wenig Zeit? Du verlässt uns ja bald wieder! Wie soll das gehen?"
    "Ach, mach dir darüber keinen Kopf. Immerhin verbringen wir ja noch einen ganzen Monat miteinander, mehr als genug Zeit also, um es dich zu lehren. Du wirst sehen, wenn ich in dreißig Tagen von Bord gehe, beherrscht du die Grundlagen so weit, dass du später auch alleine weitermachen kannst, versprochen! Wir fangen gleich morgen an!"
    Hanno strahlte über diese Neuigkeit.

    Ein verschwommener Blick auf die hölzerne Decke seines Verschlags an Bord der Astarte war das erste was er sah, als Nasica seine Augen aufschlug. Sein Kopf dröhnte und Schmerzen in seinem linken Ohr ließen ihn zischend die Luft durch die Zähne einziehen. "Ruhig, Jungchen, beweg dich nicht zu viel und egal was du tust, fass dir bloß nicht an dein Ohr." Nasica blinzelte mehrmals, damit sich sein Blick wieder klärte. Er befand sich eindeutig an Bord der Astarte. Sein Kopf fühlte sich schwerer an als sonst, vermutlich von dem Verband den er trug. Im Schein mehrerer Öllampen konnte er jetzt auch Mago den Navigator ausmachen, der mit besorgter Miene neben ihm hockte. Die direkt auf seiner Brust reibende Decke verriet Nasica auch, dass seine Tunika aufgeschlitzt worden waren, vermutlich, um unter all der blutigen Kleidung nach eventuellen Wunden zu suchen, die diese riesigen roten Flecken verursacht haben könnten. Ächzend versuchte er sich aufzusetzen, doch Mago drückte ihn sanft zurück auf sein Lager. Vermutlich besser so, denn die Bewegung hatte neuerliche Schmerzen an seinem Kopf verursacht. "Was.. ist passiert?" fragte Nasica noch mit brüchiger Stimme.
    "Du kamst wie vom Drachen Tannin gejagt auf einem Pferd angerast und bist neben dem Schiff zu Boden gefallen. Alles voller Blut, ich dachte schon es wäre aus mit dir, du hast uns auf jeden Fall einen gehörigen Schrecken eingejagt."
    "Wie schlimm ist es?" Was war eigentlich passiert? Im Moment konnte er das gar nicht so wirklich sagen, zu träge war noch sein Denken.
    Magon zuckte mit den Achseln. "Eigentlich kaum der Rede wert, gemessen an deinem fulminanten Auftritt. Nur einige Schrammen und blaue Flecken, doch was das Ohr angeht..."
    "Was ist damit?"
    "Hm, naja keine Ahnung was du angestellt hast, aber irgendjemand, oder irgendwas hat dir einen guten Teil vom oberen Ohr abgebissen. Die Hälfte ist bestimmt weg. Du hast fürchterlich viel Blut verloren, aber sonst konnte ich keine Verletzungen an dir finden."
    "Mein Ohr?!" erschrocken wollte Nasica an die verletzte Stelle greifen, doch Mago hielt ihn zurück, außerdem hatte die Bewegung sowieso wieder Schmerzen in ihm ausgelöst. "Nicht hingreifen hab ich gesagt, am besten du bewegst dich überhaupt nicht. Aber jetzt sag einmal, was ist denn eigentlich passiert? In einem Moment spazierst du gemütlich vom Schiff und im nächsten kommst du wieder in einem Zustand, als wärst du Mot persönlich und das noch auf einem Pferd, keine Ahnung woher du das hast."
    Langsam aber sicher begann sein Verstand wieder zu arbeiten. "Pferd? Hm..." Nasica ächzte, "Pferd, ja genau. Das war eines von den Banditen." Magos Augen wurden groß. "Banditen? Hier in Paraetonium?" Nasica wollte nicken, eine erneut aufwallende Schmerzwelle ließ ihn das aber bleiben und stattdessen sprach er: "Ja, Banditen. Einer von ihnen sprach mich in der Stadt an und.." kurz schloss er die Augen, um einen weiteren Schmerz auszustehen, ehe er weitersprach: "..und bot mir an mich zu einem Palast Königin Kleopatras zu führen."
    Mago schüttelte den Kopf. "Und du bist natürlich vollkommen blauäugig mitgegangen. Aber sag, wie bist du da dann wieder rausgekommen?"
    "Pferd" sagte Nasica nur. Momentan war es angenehmer nur still darzuliegen und die Augen geschlossen zu halten. Am besten vllt. noch etwas Schlaf, wenn das möglich war. Auch Mago kam für sich zum gleichen Ergebnis, weshalb er aufstand. "Ich werde dich jetzt in Ruhe lassen, schlaf gut, Jungchen." Doch Nasica hörte ihn schon nicht mehr.
    Mago stieg kopfschüttelnd und mit einem milden Lächeln wieder an Deck. Hatte er ihrem Fahrgast heute morgen noch erklärt, dass er keine großen Abenteuer auf dieser Fahrt zu erwarten brauchte, da hatte ihn der Jungspund abends schon eines besseren belehrt.


    Der Großteil der Mannschaft der Astarte hatte nach getaner Arbeit den Abend in den gemütlichen Hafentavernen ausklingen lassen, bei Wein, Weib und einer Runde Glücksspiel, weshalb sie erst bei ihrer Rückkehr zum Schiff von den aufsehendserregenden Ereignissen erfuhren, die ihr Passagier heute erlebt hatte. Das gab ein großes Hallo, doch Mago konnte sie von Nasicas' Verschlag fernhalten, damit er seine Ruhe haben konnte. So verging diese Nacht und am frühen Morgen des nächsten Tages setzte die Astarte ihre Segel und verließ Paraetonium, zurück auf ihrem Kurs nach Rom.

    In der Gewissheit, dass ihnen ihre Beute nicht entkommen konnte schlichen die beiden Banditen mit erhobenen Waffen auf Nasica zu, während dieser einen Schritt nach dem anderen zurückwich und dabei versuchte möglichst keinen der beiden außer Acht ließ. Die Atmung des Valeriers ging schnell, während sämtliches Denken ausgesetzt und der Instinkt die Kontrolle übernommen hatte. Jetzt war nicht die Zeit, um schöne Weisen zu rezitieren, jetzt hieß es überleben!



    Schurke


    "Was schaust du so böse? Gib uns alles was du hast und wir sind ganz lieb, versprochen!" säuselte da der eine Spitzbube wieder und brüllte vor Lachen. Das hielt Nasica dann für den Moment an dem es sich umdrehen und rennen hieß! "He! Der türmt ja! Ihm nach!" hörte er nur hinter seinem Rücken, doch Nasica war das egal. Im Zickzack lief er zwischen den Ruinen herum, dabei jede Mauer und jede Säule als Deckung nutzend in der Hoffnung damit irgendwie die Räuber abzuschütteln. Zum Glück war es ein Palast von mittlerer Größe, sodass er zumindest für eine Weile ein wenig Katz-und-Maus mit den Banditen spielen konnte.. oder besser Verstecken. Den Rufen seiner Verfolger nach schienen sie auch nicht allzu helle zu sein, denn ihr Stimmen kamen aus der gleichen Richtung, was hieß, dass sie sich noch nicht aufgeteilt hatten, um ihm beispielsweise den Weg abzuschneiden. Das konnte vielleicht ein entscheidender Faktor für seine Flucht werden. Doch wie sollte es danach weitergehen? Sie befanden sich mehrere Meilen im Niemandsland ohne jede Menschenseele. Laufend würde er nie und nimmer nach Paraetonium durchhalten und weit und breit gab es auch keine Deckung bei all dem Sand, außer die Mauern des Palastes.
    Nasica schlitterte um eine Ecke und fand sich plötzlich Phaeton gegenüber. Wieder hatte er sein unausstehliches Grinsen aufgesetzt und hielt einen wurfbereiten Speer in der Hand.



    Phaeton


    "Einen schönen Gruß an Hades!" Dann schleuderte er ihn.
    Ehe Nasica darüber nachdenken konnte, hatte er sich schon zu Boden geworfen, was ihm vermutlich das Leben rettete. Der Speer fuhr direkt hinter ihm zwischen seine Beine in den Sand. Nasica rappelte sich auf alle Viere hoch und wollte sich den Speer schnappen, da war Phaeton schon über ihm, um seinerseits den Speer wieder in seine Gewalt zu bringen. "HIERHER! ER IST HIER! KOMMT ZU MIR!" rief er den beiden Ganoven zu, die anderswo im Areal nach Nasica suchten. "Hierher! Kommt..." WUMM!
    Nasica hatte in einem rechten Moment seinen Schädel gegen Phaetons Nase geschlagen. Knackend brach sie und eine blutige Fontäne ergoss sich über ihrer beider Kleidung, wie sie im Dreck immer noch um den Speer kämpften. Phaeton heulte auf vor Schmerz und rächte sich, indem er seine Zähne in Nasicas linkem Ohr vergrub. Es war das erste, was er von ihm erwischt hatte. Nasica brüllte auf vor Schmerz, ließ aber trotzdem nicht locker bei seinen Bemühungen um die Waffe. Zusätzlich zu den Schmerzen in seinem Ohr machte sich Panik in Nasica breit, es war nur eine Frage von Augenblicken, bis die beiden Rülpel bei ihnen auftauchen würden. Ihre Schreie waren auf jeden fall schon nahe, viel zu nahe!
    Ein Loch in Phaetons Deckung brachte dann den erhofften Befreiungsschlag. Nasica trat mit einem Fuß aus und genau in Phaetons Kronjuwelen. Wieder wollte er vor Schmerz aufschreien, jedoch durch das aus der Nase schießende Blut blieb es bei einem halb erstickten Gegurgel. Trotzdem war das der entscheidende Moment gewesen mit dem sich Nasica vollends den Speer erobern hatte können. Er schnappte ihn sich und sprang auf, während sein Widersacher blutend und zusammengerollt am Boden blieb, unablässig wimmernd. Gerade in diesem Augenblick bogen die beiden anderen Schurken ums Eck.
    "Da ist er!" Phaeton ignorierend hechteten sie Nasica wieder hinterher. Dieser rannte mit dem Speer in der Hand um sein Leben, einmal nach links eine Hieroglyphenmauer entlang, dann nach rechts um eine Säule herum und übersprang die äußere Grundmauer. Er hatte das Gebiet des Palastes verlassen und befand sich jetzt im nordöstlichen Areal rund um ihm. Vor ihm grasten bei einer Feuerstelle drei Pferde auf einem struppigem Stück Steppengras, das hier am Palasthügel an der Küste irgendwie überleben konnte. Nasica wagte keinen Blick zurück, aus Angst damit das entscheidende Quäntchen Geschwindigkeit zu verlieren, dass ihn noch vor seinen Verfolgern hielt, aber beim Anblick der Pferde war ihm eine Idee gekommen. Eine wahnsinnige Idee, zugegeben, jedoch die Alternative war sein eigener Tod. Er stürzte auf das erste Pferd zu und rammte ihm im vorbeilaufen die Speerspitze in das Hinterbein. Das getroffene Tier wieherte auf. Dann, ohne zu stoppen gleich weiter zum zweiten Gaul und wieder eine Wunde zugefügt. "Tut mir leid!" rief Nasica ihnen zu und hechtete auf das dritte Pferd zu. Im Fluge seiner Geschwindigkeit sprang er auf das Tier auf, um damit die Flucht zu ergreifen, als er da eine Hand an seinem Bein spürte. Das verletzen der beiden Pferde hatte ihn zu langsam gemacht und die Schurken hatten ihn eingeholt.


    "Runter da, Bursche!" schnarrte der eine der beiden, der die ganze Zeit schon gesprochen hatte. Nasica stieß im Affekt mit seinem Speer zu und spürte, wie sich der Griff an seinen Knöcheln lockerte. Im selben Moment stieß das Pferd in seiner eigenen Panik mit den Hinterhufen aus und traf den zweiten Banditen, der keuchend zu Boden ging. Nasica fiel nach vorne auf den Hals des Tieres und krallte sich mit beiden Händen in dessen Mähne fest, sonst wäre er zweifelsohne abgeworfen und unter den Hufen des Tieres begraben worden. Der Speer fiel klappernd zu Boden, aber er selbst konnte sich halten, während das Pferd jetzt davonraste, weg von den Ruinen auf die Küste zu. Nasica brauchte einen Moment, ehe er es unter Kontrolle bekam und zurück nach Nordwesten lenken konnte, die Küste entlang und vorbei an Kleopatras Palast in Richtung Paraetonium. Das Adrenalin pumpte immer noch durch seine Adern. Schön langsam begann es auch dunkel zu werden und die Schatten der Felsen rund um ihm waren schon sehr viel länger geworden. Nasica hatte noch einmal Glück gehabt lebend aus dieser Sache herauszukommen. Nicht allzu lange und er hatte Paraetonium erreicht. Nach Überwindung der Schrecken spürte Nasica, wie eine Ohnmacht immer stärker nach ihm griff. Nicht jetzt, flehte er die Götter an, nicht bevor er das Schiff erreicht hatte!
    Erst jetzt spürte er die enormen Schmerzen an seinem linken Ohr, das Blutströme über seine ganze linke Seite schickte. Auch der Rest seiner Tunika glänzte noch vom Blute Phaetons purpurfarben. Nasica keuchte, schwarze Flecken schoben sich immer wieder in sein Sichtfeld und es fiel ihm immer schwerer sich auf dem Gaul zu halten. Die Leute denen er auf seinem Weg zum Hafen begenete kreischten vor Entsetzen, doch endlich kam vor ihm die Astarte in Sicht.
    Er galoppierte auf den Ufersteg neben das Schiff und stoppte seinen tierischen Retter, dann wurde es vollends schwarz um ihn und Nasica fiel bewusstlos vom Pferd.

    Weitere 10 Sesterze wechselten den Besitzer und ein zufrieden grinsender Phaeton zog Valerius Nasica am Ärmel.



    Phaeton


    "Komm, junger Herr! Folge mir! Wir werden ein Stück gehen müssen, aber es ist nicht allzu weit, vertraue deinem neuen Freund Phaeton!" Na ob er das mit dem "Freund" so stehen lassen wollte wusste Nasica noch nicht so richtig, aber mal abwarten was da kommen mochte. Nicht, dass es wieder so ein Schwindel wäre wie bei dieser Hexe. Vom südlichen Stadtrand führte ihn der Kenner aller Wunder Paraetoniums durch den Ortskern und schlug dann eine nordwestliche Richtung ein. Das Rauschen des Ozeans war wieder deutlicher zu vernehmen, wenn der Hafen auch schon weiter hinter ihnen lag. Vollends am Strand wieder angekommen blickte Nasica hinaus auf das Meer, bzw. hätte er das vorgehabt. Denn in einer Entfernung von ungefähr 3000 Fuß* konnte er eine schmale Landzunge ausmachen. Offenbar blickte Nasica hier auf das Wasser einer Art Lagune, oder einer Bucht. Wie als könnte Phaeton seine Gedanken lesen (heute schon der Zweite?) plauderte er drauf los: "Paraetonions Hafen ist die einzige Stelle in der näheren Umgebung der Stadt mit einem direkten Zugang zum Meer. Westlich und östlich vom Hafen befinden sich nämlich riesige Buchten, die von vorgelagerten Landzungen vom Rest des Ozeans abgetrennt sind. Der von uns gesuchte Palast liegt auf der westlichen dieser ins Meer vorspringenden Landzungen." Interessiert lauschte Nasica seinem neuen Fremdenführer. Mit seinem Argument um die Ruinen eines echten Herrscherpalastes (und dazu noch von so einer prominenten Königin) hatte es Phaeton doch geschafft Nasicas schlechte Laune durch Neugier zu ersetzen und die Episode mit der Wahrsagerin vorerst zu vergessen. "Für seine abgelegene Stelle scheint dieser kleine Hafen ja schon so einige bedeutende Personen gesehen zu haben, was du vorhin gesagt hast. Pharao Ramses II, Alexander der Große und jetzt auch noch Königin Kleopatra, nicht gerade unbekannte Namen." Man konnte sagen was man wollte, aber dass hatte Nasica von seinem ersten Zwischenaufenthalt auf der Reise nach Rom wirklich nicht erwartet, dass so ein einfacher Umschlagplatz gleich einen ganzen eigenen (vergessenen) Palast aufzuweisen hatte. Die beiden verließen das Siedlungsgebiet Paraetoniums und begannen über nackten Sand und Fels die Küste entlang der westlichen Bucht zu wandern. Unterwegs erzählte ihm Phaeton einige interessante Annektoten aus der Vergangenheit der Stadt, welche alleine schon Nasica die 10 Sesterze wert gewesen waren. Ob sie alle auch wahr waren, war eine andere Frage, z.B. wie Phaetons Erzählung einer blinden Frau, die Ramses II. bei einem Besuch in der Stadt geraten haben sollte jene Grenzfestungen an der libyschen Grenze zu erbauen und auf jedem Grundstein eine Falkenfeder zu platzieren, wenn er keine bösen Geister aus dem Westen in seinem Reich haben wollte. Auch über den gleich zu besichtigenden Palast hatte er eine auf Lager. "Es heißt der Palast sei in der Nähe jenes Strandes gebaut worden, in dem Kleopatra zusammen mit Marcus Antonius im Meer gebadet haben soll. Höchst zweideutig, findest du nicht?" ***


    Sie mussten wohl gut drei römische Meilen** dabei zurückgelegt haben bei ihrer Umrundung der Bucht, als Nasica auf einem noch etwas weiter entfernten Hügel auf der Landzunge bereits etwas zu erkennen glaubte. "Das da vorne ist es, oder?" Phaeton ließ wieder sein Wieselgrinsen sehen und nickte. Gemeinsam näherten sie sich den Überresten dieses alten Bauwerks . Als sie näher waren, ließen sich auch endlich erste Details auslesen. Abgesehen von den Grundmauern standen noch da und dort einige höhere Mauerreste und auch ein paar Säulenbasen waren zu sehen. Die zugehörigen abgebrochenen Säulen lagen halb vergraben im Sand. Ob ein Erdbeben für die Zerstörung des Palastes verantwortlich gewesen war? Oder war das Menschenwerk? Ganz so wie man das von ägyptischen Palästen her kannte, waren auch ein paar Reliefs mit Hieroglyphen und Darstellungen der Königin und der ägyptischen Götter zu sehen, die auf ewig in Stein geschlagen vom Ruhm Kleopatras künden sollten. "Auch wenn nicht mehr viel steht, so finde ich die Synthese aus altägyptischen und ptolemäisch-hellenischen Baustilen interessant", meinte Nasica, als sie den Palast jetzt beinahe erreicht hatten. Phaeton pfiff durch die Zähne. "Sieh an, ein Kenner."
    Nasica lächelte geschmeichelt und schritt weiter auf die Ruine zu, während er, diese unverwandt mit den Augen studierend, erzählte: "Ja, Architektur war schon immer eines meiner Lieblingsteilgebiete von den gehobenen Künsten. Architektur sorgt ja nicht nur für solide Häuser in Verbindung mit der Statik, sondern die von den einzelnen Völkern angewandte Ästhetik ist auch ein ganz wichtiger Teil von ihr. Über die Architektur lässt sich so viel über ein Volk lernen, weißt du? Z.B. wie es zum Tod eingestellt ist, wenn man die überdimensionierten Pyramiden mit ihren Ka-Schächten bedenkt, oder die Bauweise der griechischen Tempeln mit ihrem Gespür für Ordnung und Durchdachtheit. Auch die Holzhütten der Barbaren gewähren faszinierende Einblicke in ihre... Phaeton?" Suchend blickte sich Nasica um. Unverwandt redend war Nasica zwischen die Mauern des zerstörten Palastes getreten und hatte erst nach einigen Augenblicken bemerkt, dass von seinem Fremdenführer plötzlich jede Spur fehlte. Wo war er nur? Doch Nasica kam gar nicht allzu viel zum nachdenken darüber, denn plötzlich traten hinter zwei soeben von ihm passierten Säulenstümpfen zwei grimmig aussehende Männer mit Schwertern hervor. Beide grinsten dreckig. "Wer seid ihr?" rief er, doch er konnte sich schon denken welches Spiel hier die ganze Zeit gespielt worden war. Einer kam jetzt zwei Schritte auf ihn zu und sagte:



    Schurke


    "Wir sind die Gehilfen des Phaeton. Wenn du jetzt so höflich wärst und uns alle deine Wertsachen übergibst? Sonst müssen wir dir nämlich einen neuen Scheitel ziehen." Er lachte und hielt sein Schwert hoch. Phaeton hatte ihn nur hierher in diese verlassene Gegend geführt, damit seine beiden Komplizen ihn ausrauben konnten.
    Nasica saß in der Falle.


    Sim-Off:

    * = ca. 800 Meter
    ** = ca. 5 Kilometer
    *** = Es gibt heute noch an besagter Stelle einen Strandabschnitt, der Cleopatra's Bath heißt.


    Immer noch etwas ärgerlich über die Vorhersage von Shukura, der Hexe von Paraetonium, marschierte Nasica weiter durch die Straßen der Stadt. Wer maßte sie sich an zu sein, dass sie ihm ins Gesicht sagte, dass er seine Lieben zuhause im Stich lassen und seine geliebte Penelope ihn vergessen würde? Unerhört! Und erst dieses Gefasel von irgendwelchen Feinden, pah! Nasica war bislang immer gut mit allen ausgekommen, sein größter Feind mochte höchstens der Holzwurm sein, der sich durch Bücherregale und Papyri fraß und ihm so die Möglichkeit nahm die beschädigten Schriftrollen zu lesen. Das wars aber auch schon. Er und seine Mutter hatten bislang immer ein einfaches Leben geführt nach Vaters Tod. Keine politischen Ambitionen, kein Kontakt mit Legionären, oder (als anderem Extrem) Banditen und auch sonst nichts, was größeres Aufsehen auf einen zog. Alles wofür er je gearbeitet hatte war eines Tages ein Leben als Philosoph am Museion führen zu können, eine wirklich gewöhnliche Laufbahn. Wieso sollte er sich hier Feinde machen? Das passt einfach nicht! Doch Nasica redete sich selbst ruhig zu. Besser er vergaß diesen Blödsinn, das Geld war ja so oder so jetzt weg.


    Nasica schlenderte weiter über eine Art Marktplatz und kam nach einer Weile zum Ortsrand von Paraetonium. Vor ihm so weit das Auge reichte nichts als Sand. Nicht gerade ein berauschender (geschweige dem abwechslungsreicher) Anblick und so drehte er wieder um zurück in den Ortskern. Was er jedoch nicht merkte war, dass er verfolgt wurde. Eine dubiose Gestalt von einem Mann blieb seit geraumer Zeit unablässig an seine Fersen geheftet, bis sie ihre Schritte beschleunigte, zu ihm aufschloss und auf seine Schulter tippte.



    Phaeton


    "Chaire, Fremder! Ich bin Phaeton, Kenner aller Wunder Paraetonions! Hast du Interesse an einer kleinen Führung?" Nasica seufzte und verdrehte die Augen. Noch so ein komischer Kautz, wo kamen die alle heute nur her?? "Danke, kein Interesse", brummte er und ging weiter in Richtung Hafen. Doch so leicht ließ sich Phaeton nicht abschütteln und lief kurzerhand neben dem Valerier her. "Moment! Du weißt ja noch gar nicht was dich alles erwartet! Ich weiß z.B. wo die Herberge stand in der Alexander der Große hier übernachtet hat, bevor er nach Ammonion aufbrach, oder wo Pharao Ramses seine Spuren hinterlassen hat und nicht zu vergessen der Palast Kleopatras!" Nasica blieb stehen und blickte ihn an. "Sprichst du etwa von DER Kleopatra?"
    Phaeton nickte mit dem Grinsen eines Wiesels im Gesicht. "Kleopatra VII. Philopator, sowahr ich hier stehe." Das war wirklich jene berühmte Kleopatra, die einst die beiden größten Männer Roms, Gaius Iulius Caesar und Marcus Antonius um den Finger gewickelt hatte. "Und du sagst Kleopatra hatte hier einen Palast?" Der Kenner aller Wunder Paraetoniums nickte wieder heftig. "10 Sesterze und ich führe dich zu seinen Ruinen. Glaube mir, es lohnt sich! Wann hast du denn sonst die Möglichkeit einen echten Herrscherpalast von innen zu sehen?" Ein gutes Argument wie Nasica zugab, ob er sich diese Sache näher ansehen sollte? Er hatte viel über Königin Kleopatra gelesen und sie war zweifelsohne eine sehr interessante Frau gewesen. Es konnte eigentlich nicht weiter schaden und er hatte ja noch ein wenig Zeit, ehe es Abend werden würde, also warum nicht? "Gut, ich will diesen Palast sehen. Führe mich zu ihm!"

    Die Hände in den Falten seiner Tunika vergraben wanderte Nasica weiter durch die Gassen Paraetoniums. Zur Sicherheit hatte er seine Toga auf dem Schiff gelassen, da er nicht wusste wie so die einfachen Leute entlang der Küste von Römern dachten, besonders an Orten wie diesen, wo es fast keine gab und die einheimische Bevölkerung mehr oder weniger unter sich war. Er wollte nicht unbedingt eine Zielscheibe sein für eventuelle Straßendiebe.
    Ein klein wenig war Nasica von Paraetonium enttäuscht, das musste er doch zugeben. Viele ähnlich gebaute Lehmhütten, einige Geschäfte, aber nichts weiter sehenswertes. Da war sogar das Delta-Stadtviertel in Alexandria abwechslungsreicher als der Ort hier.
    Nach einer Weile schaffte es ein Gebäude aber doch dann seine Aufmerksamkeit zu erregen. Der Eingang war von einem violett-goldenem Tuch verhangen und über den Fenstern hingen Schrumpfköpfe auf Schnüren aufgefädelt an der Mauer herunter. Neben dem Eingang saß eine schwarzhaarige Frau von der man ihr Alter nicht mit Bestimmtheit sagen hätte können, da ihre Gesichtszüge sowohl etwas junges, als auch schon etwas altes in sich trugen. Mit stechendem Blick verfolgte sie Nasica von der anderen Straßenseite aus. Als sie bemerkt hatte, dass er stehengeblieben war und zu ihr hinübersah, winkte sie ihn mit einer einmaligen Bewegung näher.


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    Shukura


    "Chaire, junger Fremder. Soll Shukura in deine Zukunft sehen?" Nasica blinzelte überrascht. "In meine.. Zukunft? Das kannst du?" Stumm nickte die Frau, dann ergriff sie sein Handgelenk, um ihn in Richtung ihres Hauses zu ziehen. "Komm mit mir, Fremder, und erfahre, welches Schicksal dir die Moiren gewoben haben." Wie ferngesteuert folgte der Valerier ihr. Diese Frau konnte ihm tatsächlich seine Zukunft vorraussagen? Im Inneren erwarteten Nasica dichte Weihrauchschwaden, nicht unbedingt besser als die verrauchte Kneipe von vorhin. Was Nasica auch zu denken gab war, dass sich Shukura in ihrer auf griechisch gehaltenen Rede auf die griechischen Götter bezogen hatte, obwohl sie selbst eindeutig Ägypterin war. Hatte sie das vielleicht bloß getan, weil sie Nasica für einen Griechen hielt von seinem Äußeren her? Dass er kein einheimischer Ägypter war konnte man ihm ja schon an der Nasenspitze ansehen und da er seine Toga nicht trug und der Frau auf Griechisch nach Art der Alexandriner geantwortet hatte, konnte wohl leicht dieser Eindruck entstehen. Bei einem sehr niedrigen dunkelbraunen Tisch angekommen ließ sich die Wahrsagerin dahinter im Schneidersitz nieder und wies auf den Platz vor ihr, damit sich auch ihr Gast auf den Boden setzen mochte. Nicht einmal ein Kissen gab es zur größeren Bequemlichkeit, dafür einen blutrot angemalten Totenschädel zwischen ihnen. Mit einem mulmigen Gefühl blickte Nasica auf diesen, als er wieder angesprochen wurde. "Wende ab deinen Blick von dem Schädel und hüte dich davor in seine Höhlen zu schauen." Wie elektrisiert richtete er sein Augenmerk sofort auf die Frau, irgendwie bekam Nasica mit jedem Moment ein komischeres Gefühl an diesem Ort. Wohin war er hier nur wieder geraten? Shukura streckte jetzt ihre offene Handfläche aus.
    "10 Sesterze." Im ersten Moment verstand er nicht was sie von ihm wollte, ehe Nasica begriff, dass er sie bezahlen sollte. Natürlich, wieso er nicht gleich darauf gekommen war.. So griff er also in seinen Lederbeutel und ließ die entsprechende Menge an Münzen in ihre Hand fallen. Mit einem Lächeln zog sie sie zurück. "Hab dank für deine milde Gabe. Nenne mir jetzt deinen Namen, auf das ich die Götter um die Kenntnis deines Schicksals anrufen kann!"
    "Mein Name ist Marcus Valerius Nasica aus Alexandria."
    Die Augenbrauen Shukuras schnellten in die Höhe. "Ein Rhomäer? Wie unerwartet." Nasica nickte nur. Täuschte er sich, oder benebelten ihn die Weihrauchdämpfe schön langsam? "Deine Hand bitte, Sohn von Rhome."
    Nasica streckte sie vor und Shukura ergriff sie, während sie darauf blickend mit ihrem linken Zeigefinger begann seine Handlinien nachzufahren und einen ägyptisch anmutenden Singsang anzustimmen. Dieses monotone Gesumme machte ihn mit der Zeit noch etwas schläfriger. "Was.. was machst du?" Einmal schüttelte er seinen Kopf, um nicht wirklich einzunicken.
    Ohne den Blick von seiner Handfläche zu lösen antwortete sie ihm: "Das Schicksal eines jeden Sterblichen haben ihm die Götter in seine Hand geschrieben..."
    "Was? Du kannst die Zukunft aus meiner Hand lesen?"
    Shukura hatte wieder die Augen geschlossen und zu singen angefangen, doch sie nickte dabei einmal kurz, um zu zeigen, dass sie ihn gehört hatte. Nach einer Weile öffnete sie sie wieder und begann auf verschiedene Punkte auf seiner Hand zu deuten. "Die Handform ist eine Feuerhand, das bedeutet die Liebe zur stetigen Veränderung und einem Hang nach Führung anderer. Hier, die Kopflinie und die Herzlinie stehen weit auseinander, das bedeutet, dass du dich auf eine weite Reise begeben wirst." Nasica schnaubte. "Natürlich befinde ich mich auf einer weiten Reise, immerhin bin ich auf dem Weg nach Rom. Das war jetzt wirklich nicht schwer zu erraten." Doch Shukura schüttelte den Kopf und blickte ihn ernst an. "Du hast Shukura falsch verstanden, junger Rhomäer. Shukura spricht von deiner Lebensreise." Das verwirrte Nasica dann doch wieder etwas mehr, als dass es ihm Klarheit brachte. "Meiner Lebensreise? Was meinst du?" Doch die Wahrsagerin schüttelte nur abermals den Kopf und studierte schon wieder die Hand ihres Kunden. "Die Lebenslinie ist unterbrochen von einer anderen in Richtung Handinneres, das heißt eine Hinwendung auf das Innenleben." Ob sie damit Nasicas Hang zum Intellekt meinte? Oder spürte sie bloß anhand seiner weichen Hände, dass diese keine schwere Arbeit gewohnt waren? "Der Marsberg ist groß auf deiner Hand, du scheinst kühn und tatkräftig zu sein, aber auch unreif und neigst zu übertriebenen Emotionen, interessant. Und der Mondberg verrät Shukura...", sie deutete auf den kleinen Handballen unterhalb des kleinen Fingers und direkt über dem Handgelenk, "dass auch Einsamkeit, Launenhaftigkeit und Melancholie deinen Weg begleiten werden, ich sehe es ganz klar." Noch eine Weile studierte sie die Linien, Hügel und sonstige kleine Einkerbungen auf seiner Hand, ehe Shukura endlich wieder den Blick zu ihm hob und mit Grabesstimme verkündete: "Dein Weg führt dich fort, junger Rhomäer, fort von allem was du kennst und das viele, viele Jahre lang. Du wirst viel Schmerz und viel Leid sehen, du musst lernen über die Summe deiner Teile hinauszuwachsen und ein größerer Mann als heute zu werden, oder deine Feinde werden dich verschlingen. Deine Mutter wird alt und faltig sein, solltest du das nächste Mal in deine Heimat kommen, wenn du überhaupt jemals wiederkehrst und deine große Liebe wird dich vergessen haben. So haben es die Götter beschlossen."
    Nasica starrte sie an wie vom Donner gerührt. "Was sagst du mir da?" hauchte er. Es war kaum zu fassen was er da eben mitanhören hatte müssen. "Ich mache doch nur eine kleine Fahrt nach Rom, um Verwandte zu besuchen, nichts weiter! Ich bin in wenigen Monaten schon wieder zurück und was war das mit irgendwelchen Feinden? Ich habe keine Feinde!" Groll regte sich in ihm, dass er 10 schöne Sesterzen für diesen Humbug hinausgeworfen hatte. Doch Shukura blickte ihm unbeirrt weiter mit ihrer mitleidigen Miene an. "Die Hände lügen nicht, Shukura hat nur gesagt, was Shukura gesehen hat und..."
    "Schweig, Weib! Kein weiteres Wort mehr!" Ungehalten sprang Nasica auf und verschwand aus dem Laden.

    Paraetonium war auf dem ersten Blick eine weit weniger imposante Stadt als Alexandria, oder eine der anderen ägyptischen Städte entlang des Nils, doch das konnte man von einem Ort in einer so kargen Gegend wie der von Zyges auch kaum erwarten, im Gegenteil. Dafür, dass es hier nichts anderes als bloß Sand und Salzwasser gab, hatte sich Paraetonium ordentlich entwickelt. In ptolemäischer Zeit war es einst sogar die Hauptstadt der Provinz Libya gewesen und das bestimmt aus guten Gründen. Bei genauerer Betrachtung der Häuser sah man ihnen das Alter teilweise an. Sicher, es waren in erster Linie einfache Lehmhütten, aber da und dort fand sich auch schon ein besser ausgebautes Gebäude, das bestimmt nicht jüngeren Datums war.
    Derart mit einem herumschweifenden Blick in seine Umgebung vertieft schlenderte Nasica die Uferkais entlang. Außer der Astarte lagen hier noch zwei weitere Schiffe vor Anker, von woher sie jedoch gekommen sein könnten, konnte er aus mangelnder Kenntnis der einzelnen lokalen Bauweisen entlang des Mittelmeers jedoch leider nicht sagen. Über das ganze Areal verstreut fanden sich lauter geschäftige Seemänner, die genauso wie Nasicas Phönizier Waren und Amphoren zwischen ihren Schiffen und den örtlichen Lagerhäusern hin und her schleppten, während die Kapitäne ihren Geschäften mit den Händlern nachgingen, oder sich bereits in einem Bordell, oder einer der Hafentavernen vergnügten.


    Apropo Hafentaverne... das Mittagsmahl heute an Bord war nicht allzu üppig ausgefallen (wie das auf Schiffen eben so üblich war), weshalb wohl nichts dagegen sprach, wenn er die heimische Küche ausprobierte. Außerdem schien er auch sonst nichts groß zu verpassen, was er bislang von Paraetonium gesehen hatte. Ob Mago doch Recht hatte und ein Küstenort wie der andere war? Naja, er würde das ja bald schon näher wissen. So bog er kurzerhand in die nächstgelegene Taverne zu seiner linken ab und öffnete die Tür. Ein Schwall Rauch stob ihm entgegen und Nasica musste husten. Das Innere war auch nicht besonders besser. Klein, verraucht und dunkel schien dieses Nest zu sein. An jedem der paar Tische hockten ein paar Gestalten über ihren Getränken und unterhielten sich murmelnd. In einer Ecke saß ein Jüngling und spielte auf einer Leier. Nasica setzte sich und der Wirt kam, um seine Bestellung aufzunehmen. Es war ein gedrungener Kerl mit schlecht rasiertem Bart und nur noch vereinzelten Haaren am Kopf. "Kamelkeule?" fragte er in griesgrämigem Ton. Nicht sicher wie er sich hier verhalten sollte nickte Nasica nur und der Wirt schlurfte wieder davon. Nach einer Weile pfefferte er ihm eine gebratene Kamelkeule und einen Krug unverdünnten Weines hin und ging wieder. Nasica machte sich über seine nachmittägliche Mahlzeit her. Der Geschmack war eher mau, da hatte er selbst auf der Astarte schon besser gegessen, doch immerhin war es Fleisch. Nach seinem Mahl bezahlte er wieder und verließ diese Spelunke, dabei nicht ganz sicher, ob es das Geld wirklich wert gewesen war.

    Gemächlich fuhr die Astarte von Ägypten aus kommend in den Hafen von Paraetonium ein, ihrem ersten Zwischenstopp auf der Fahrt nach Rom. "Macht das Schiff fest! Langsam in den Hafen!" rief Kapitän Methusastartos. Als unbeteiligter Zaungast verfolgte Marcus Valerius Nasica zum ersten Mal wie das genau vonstattenging, wenn man ein Schiff nach einer Fahrt über das Meer wieder festmachte, vom Reffen der Segel, bis hin zum sicheren Vertäuen am Landungssteg.
    Als die Astarte dann sicher festgemacht war, begann für die phönizischen Matrosen jedoch die eigentliche Arbeit erst. Methusastartos kam zu Nasica und sprach ihn an: "Wir werden für den Rest des Tages hier bleiben und erst morgen weiterfahren. Du kannst dich ruhig ein wenig hier umsehen, denn so interessant wird es auch nicht sein meinen Männern beim Löschen einer Teilladung und dem Aufnehmen von Neuer zuzusehen." Nasica nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte und der Kapitän entfernte sich wieder.


    Eine Weile blieb er aber trotzdem noch an Bord, um den Vorgang des Ent- und Beladens des Schiffs mitzuverfolgen, ehe er sich auf dem Weg ans Festland machte. Es war gut, dass sie so früh im Jahr losgefahren waren, denn dadurch herrschte noch eine angenehme Wärme an der ägyptischen Küste vor und noch keine Affenhitze wie später im Hochsommer und das war Nasica nur recht. Denn schon vom Schiff aus hatte er gesehen, dass Paraetonium keinerlei natürlichen Baumbewuchs aufzuweisen hatte. Alles war plattes Wüstenland, nur aufgelockert von nackten Felsformationen und Erhebungen. Für Nasica, der bislang nur das grüne Delta des Nils gekannt hatte war das ein erstaunlicher Anblick.
    Na dann mochten sie doch einmal sehen, was dieser Hafen so zu bieten hatte.


    Der erste Reisetag verlief relativ ereignislos für Nasica. Da er sich mit dem nötigen Kleingeld als Passagier auf Methusastartos' Schiff eingemietet hatte, brauchte er auch nicht mitzuarbeiten und so hatte er ungewohnt viel Freizeit zur Verfügung. Von Mago, dem Navigator der Astarte, wusste er, dass sie in eineinhalb Tagen den Hafen von Paraetonion (bzw. von Paraetonium, wie es die Römer nannten) für einen kurzen Zwischenaufenthalt anlaufen würden. So nutzte Nasica also die Zeit bis dahin, um sich an das Reisen per Schiff zu gewöhnen und gleichzeitig die Leute an Bord näher kennenzulernen. Das erschien ihm als nützlich, wo er ja jetzt einen ganzen Monat mit ihnen verbringen würde. Da er aber auch nicht bei der Arbeit stören wollte, passte Nasica immer eine sich bietende Gelegenheit ab, um mit einem der Männer ins Gespräch zu kommen, ganz so, als ob es sich zufällig in jenem Moment ergeben hätte. Auf diese Art verging ein Großteil seines ersten Reisetages und gegen Abend kannte er schon einige Namen mehr. Da war zu einem natürlich einmal Methusastartos, der Besitzer und Kapitän der Astarte. Nasica erfuhr von einigen Matrosen, aber teils auch vom Kapitän selbst, dass Methusastartos in Sidon weitere Handelsschiffe besaß, die unter seinem Namen in alle Teile des östlichen Mittelmeeres fuhren. Die Astarte war das Flaggschiff seiner kleinen Handelsflotte und (im Unterschied zu seinen anderen Schiffen), rein nur mit Phöniziern bemannt. Ein weiteres wichtiges Mitglied der Mannschaft war Mago der Navigator. Er war ein 53-jähriger Mann mit grauem langen Bart und braungebrannter Haut. Mago stammte von einer uralten Seefahrerfamilie aus Byblos ab, wenn sich auch Nasica ziehmlich sicher war, dass das vermutlich jeder Phönizier mit einem Funken Vaterlandsstolz von sich behauptete. Aber dem Navigator der Astarte glaubte er es sofort. Gesteuert wurde das Schiff von Himilkon dem Haizahn. Diesen Beinamen sollte er sich (laut der Erzählung des Schiffsjungen Hanno) verdient haben, als einmal ein Hai aus dem Wasser gesprungen und versehentlich an Bord der Astarte gelandet war und das zum gewaltigen Schreck von Himilkon diesem direkt vor seine Füße. Im Rausch seines Adrenalins (und auch teils aus Ärger, dass er beim Steuern des Schiffs gestört worden war) soll Himilkon daraufhin fluchend auf die Schnauze des Fisches eingeschlagen haben, bis dieser einen Zahn verlor, den er seither an einer Lederschnur um den Hals trug.
    Beim Hören dieser Geschichte hatte Nasica doch kurz schlucken müssen. Merke: Niemals Himilkon erschrecken, oder ärgern, wenn man alle seine Zähne behalten wollte.
    Von den Matrosen war Nasica bislang am positivsten ein Mann namens Abdemon aufgefallen. Genauso wie Methusastartos kam er aus Sidon und war ein wahrer Berg von einem Mann. Einmal hatte Nasica wieder an der Reling gelehnt und aufs Meer gestarrt, als es plötzlich rund um ihm dunkel geworden war. Als er sich daraufhin umgedreht hatte, hatte er bemerkt, dass Abdemons Schatten diese Verfinsterung hervorrief, als der Matrose nachsehen hatte wollen, was ihr Passagier denn so konzentriert draußen auf den Wellen angeblickt hatte. Abdemon konnte brüllen wie ein römischer Centurio, aber Tieren fügte er kein Leid zu. Gegen Abend nämlich hatte eine Maus Nasica in seinem Verschlag besucht und als der Matrose auf die erschreckten Rufe des Valeriers hin herbeigeeilt kam, tötete er sie nicht (wie Nasica das eigentlich erwartet hatte), sondern packte sie mit seiner Faust und trottete von dannen. Später zeigte er ihm, dass er das Mäuschen in einen kleinen Holzkäfig gesperrt hatte. "Ich nenne sie Aschera, sie wird uns Glück bringen"
    Nach einem verwirrten Blick auf Hanno hatte der Schiffsjunge ihm mitgeteilt, dass Abdemon das immer mit der ersten von ihm an Bord gefangenen Maus einer neuen Fahrt zu tun pflegte. Seeleute und ihr Aberglauben...


    Am frühen Morgen des nächsten Tages erwachte Nasica ganz aufgeregt. Heute würden sie ihren ersten Zwischenstopp unternehmen! Doch bis es soweit war musste er sich noch eine ganze Weile gedulden, denn die Umrisse der Stadt tauchten erst am späten Nachmittag auf. Überhaupt nicht neugierig stand Nasica am vorderst möglichen Punkt des Schiffs, um ja auch als Erster möglichst viele erste Details der Stadt zu sehen, sofern das auf diese Entfernung hin denn möglich war. Mago trat an seine Seite mit einem belustigten Blick auf ihren Passagier. "Na Jungchen, schon wieder so große Sehnsucht nach Festland unter den Füßen?" Nasica schüttelte den Kopf, dabei unabllässig die Siedlung vor ihnen fixiert haltend. "Nein gar nicht, ich bin nur so aufgeregt auf neue Abenteuer an neuen Orten, fern der Heimat!" Belustigt blickte ihn Mago an. "Erwarte da nur nicht zu viel, Jungchen. Du wirst schon bald merken, dass das gar nicht einmal so sehr abenteuerlustig ist die meiste Zeit und im Grunde ein Hafen dem anderen gleicht. Überall die gleichen Gebäude und die selben Berufe anzutreffen."
    "Das mag sein, aber die Leute und die Geschichte der Stadt sind immer wieder anders! Sie formen den Charackter einer Stadt!"
    Mago zuckte mit den Achseln. "Na wenn du meinst..." Eigentlich wollte er sich umdrehen und wieder zu seinen Navigationsinstrumenten zurückkehren, jedoch hielt ihn Nasica noch mit einer Frage zurück. "Diese Stadt dort vorne zum Beispiel! Was weißt du über sie?" Mago stoppte und drehte sich nochmal zu ihm um. Nach einem kurzen Blick zur Küste antwortete er: "Das ist Paraetonion, Juwel der Libyschen Wüste und ein uralter wichtiger Warenumschlagplatz."
    "Wie alt?" Mago brummte. "Mein Vater erzählte mir, dass schon die alten Pharaonen vor eintausend Jahren diesen Ort als Zwischenstation genutzt hatten auf dem Weg vom Nildelta in die Ägäis, oder besser gesagt nach Kreta, das die alten Ägypter Kefitu nannten. Man erzählt sich auch, dass Alexander der Große von hier aus losgezogen sein soll, als er auf dem Weg zum Orakel des Ammon in der Oase Sekhetam gewesen war, die du vielleicht eher unter ihrem griechischen Namen Ammonion kennen wirst."
    "Wahnsinn! Woher weißt du das alles?" Magos Erzählungen machten die Stadt ja gleich nochmal um die Hälfte für ihn interessanter, als Paraetonium es sowieso schon gewesen war! Der alte Navigator lächelte. "Schon seit meiner Tage als junger Knabe befuhr ich die ägyptischen und libyschen Gewässer zusammen mit meinem Vater über die Kyrenaika hinaus bis nach Karthago. Da schnappt man schon einiges auf, wenn man oft genug die immergleichen Orte besucht."
    Nasicas Augen glänzten und er konnte es kaum erwarten vor Anker zu gehen.

    Am nächsten Morgen wachte Nasica sehr früh auf. Die leicht zerknitterte Schriftrolle unter ihm sagte aus, dass er gestern wohl während des Lesens eingeschlafen sein musste. Wie spät es wohl war? Er spitzte seine Ohren. Alles rund um ihm war still, abgesehen vom monotonen Rauschen des Meeres. Da er zum ersten Mal eine Reise per Schiff unternahm, konnte er die ungefähre Tageszeit auch nicht wirklich anhand des Lichts in seinem Verschlag abschätzen, besser, wenn er einmal aufs Deck hochstieg.
    Oben angekommen riss er vor Staunen seine Augen auf. Oh wie war das schön! Der ganze Himmel war wolkenlos und in ein blaßes blau-rosa getaucht, besonders im Osten. Es war bereits hell, aber die Sonne war noch nicht aufgegangen und rund um sie herum, so weit das Auge reichte, die spiegelglatte See (und natürlich die üblichen Schemen der afrikanischen Küste zu ihrer linken). Dieses sich ihm bietende Bild gefiel ihm direkt noch besser als das nächtliche von gestern. An Deck waren die Matrosen schon emsig bei der Arbeit, während sich Nasica im Heck der Astarte über die Reling beugte mit dem Blick nach Osten. Nicht mehr lange und die ersten Sonnenstrahlen würden über den Horizont steigen, bestimmt ein ganz magischer Moment, den er um keinen Preis verpassen wollte. Kapitän Methusastartos hatte sich wohl von seinem gestrigen Anfall wieder beruhigt, denn er trat jetzt seinerseits zu Nasica, um ihm Gesellschaft zu leisten. Sein wissendes Schmunzeln verriet schon, dass ihm der Grund bekannt war warum Nasica dort stand, wo er nun einmal stand. "Die ersten paar Sonnenaufgänge auf dem Meer wird man nie vergessen und du wirst auch nie wieder schönere erleben, glaub es mir." Nasica drehte sich zu ihm um.
    "Kannst du dich denn noch an deinen ersten erinnern?"
    "Dumme Frage, natürlich weiß ich das. Es war das erste Mal gewesen, dass mich mein Vater als kleiner Junge aufs offene Meer mitgenommen hatte während einer Handelsreise nach Zypern. Zuvor hatte ich ihn natürlich schon oft auf der Linie Sidon - Tyros begleitet, aber das war Nord-Süd-Küstenschiffahrt, also keine besonders schöne Stelle, um Melkarts Strahlen zu bewundern."
    "Von wem?"
    "Oh, verzeih mir, ich meine unseren Gott Melkart, der der Herr der Sonne ist und auch der Stadtgott von Tyros und Schutzherr der Schifffahrt und der Kolonisation."
    Ein typisch phönizischer Gott also, dachte sich Nasica im stillen.
    "Dann muss dieser Melkart ein sehr wichtiger Gott für dich sein, oder? Wo du als Händler ja ständig auf dem Meer unterwegs bist."
    Methusastartos stimmte nur zögerlich zu und begann dabei an seinem Anhänger herumzunesteln, den er um den Hals trug. "Wichtig ja, aber nicht am allerwichtigsten. Ich bin immerhin aus Sidon, unsere Stadtgottheit ist Eschmun." Zur Unterstreichung seiner Worte zeigte er ihm jetzt seinen Anhänger genauer. Es war eine durchstochene phönizische Silbermünze die das Abbild einer jugendlichen Figur mit einem, von einer Schlange umwundenen, Stab zeigte.
    Als Nasicas Blick darauf fiel, kam ihm die Darstellung merkwürdig vertraut vor. "Ist das nicht Asklepios, der griechische Gott der Heilkunst?"
    Der Phönizier schüttelte den Kopf. "Nein, das ist Eschmun, aber es stimmt, dass er einiges mit Asklepios gemeinsam hat. Auch er ist ein heilkundiger Gott, außerdem auch ein Fruchtbarkeitsgott, da er jedes Jahr von Neuem stirbt, um dann wiedergeboren zu werden."
    "Wie meinst du das? Das lässt mich wiederum an Persephone denken, die jedes Jahr für einige Monate zu ihrem Gatten in den Hades hinabsteigen muss. Während dieser Zeit ist alles kalt und tot auf der Erde, bis zum Frühling, wenn Demeters Tochter wieder aus der Unterwelt zurückkehrt."
    Methusastartos lachte. "Nein, das ist bei Eschmun ganz anders. Er war ein sterblicher Jüngling aus Be'erot gewesen, der die Liebe der Himmelskönigin Astarte auf sich gezogen hatte. Um ihren Werbungen endlich zu entgehen verstümmelte sich Eschmun und starb an seinen Wunden. Doch Astarte hauchte ihm neues Leben ein und nicht nur das. Eschmun kam zurück...und das als Gott."
    Nasica nickte als Antwort, sagte aber nichts. Er hatte das aufbrausende Temperament des Phöniziers gestern ja schon einmal kennenlernen dürfen, als er unabsichtlich seine Handelsroute beleidigt hatte, was würde da erst bei einer falschen oder unbedachten Bemerkung über seine Götter passieren? Einerseits fand er es sehr interessant näheres über die Götter der Phönizier zu erfahren, andererseits hörten die sich aber auch wie ein großer zusammengerührter Mix aus griechischen Gottheitten an. Fruchtbarkeitsgötter, die einen Zyklus durchliefen, Heilsgötter mit Schlangenstäben und wolllüstige Liebesgöttinnen...konnten zwei verschiedene Pantheons wirklich so ähnlich sein? Oder waren überhaupt die Mythologien des Mittelmeerraums enger miteinander verwoben, als er bislang gedacht hatte? Er erinnerte sich da nur allzu schnell an diese große Flut, von der er kürzlich sowohl bei Noah, als auch beim älteren Gilgamesch gelesen hatte. Jetzt wo er gedanklich schon beim Tanach war, fiel ihm auch auf, dass "Eschmun" lautlich gar nicht soo weit von dem von Ezra ben Abraham erwähnten "HaSchem" war, woran man wieder einmal erkannte, dass beide Götter aus derselben Ecke der Welt stammen, wo ja auch die Phönizier und die Hebräer verwandte Völker waren. Und Nasica war sich im klaren, dass er mit dem folgenden Gedanken einen nun wirklich SEHR weiten Bogen schlug...aber eine Göttin, die aus Liebe einen Toten zurückholte erinnerte ihn doch auch sehr an Isis und Osiris (wo er als Alexandriner natürlich weit besser mit der ägyptischen Götterwelt vertraut war, als mit der phönizischen). Ob es auch hierbei irgendeine Art von Zusammenhang gab? Ägypten war ja geographisch gesehen auch ziehmlich nahe an Judäa und Syrien.


    Methusastartos holte Nasica aus seinen Gedanken, als er nach oben deutete und rief: "Sieh nur, Azizos der Morgenstern lächelt zu uns herab." Nasica blickte hoch. Recht lange würde dieser Azizos wohl nicht mehr zu sehen sein, denn schon kündete grelles Licht aus dem Osten den endlich stattfindenden Aufgang der Sonne an und der erste Tag auf Nasicas Fahrt nach Rom begann.

    Von Alexandria aus fuhr die Astarte gemächlich in Richtung Westen. Der Nachthimmel war wolkenlos und gewährte deshalb einen ungetrübten Blick auf die funkelnden Sterne. Da der Mond jedoch bloß als Sichel am Firmament hing war es nicht allzu hell, besonders da Fackeln und Öllampen an Bord brannten und dadurch eine nächtliche Weitsicht schon einmal von Haus aus sehr stark eingeschränkt war. Hinter ihnen konnte man am Horizont auch immer noch den orangen Feuerschein des Pharos ausmachen. Eine leichte Ostbrise blähte die Segel des phönizischen Handelsschiffs und Nasica stand immer noch an Deck, um all diese Sinneseindrücke in sich aufzunehmen. Rund um ihn herum kehrte langsam Ruhe ein nach den hektischen Betrieblichkeiten des Aufbruchs. Die Segel waren gesetzt, die Ladung verstaut und die Dienst habenden Männer auf ihren Posten. Jetzt galt es nur noch den Kurs zu halten und dem Wind die restliche Arbeit zu überlassen. Die Männer die für den Rest der Nacht nicht mehr benötigt wurden gingen einer nach dem anderen unter Deck, wo sie ihre Würfelspiele auspackten, um um eine oder zwei Amphoren Wein zu spielen. Nasica war jetzt alleine vorne am Bug. Hier gab es keine Fackeln und so konnte er viel weiter in die Nacht hinaus sehen. Die dunklen Schemen der Küste links von ihnen mochte diesen Eindruck zwar ein wenig begrenzen, jedoch bekam Nasica erstmals ein Gefühl für die Größe der Welt. So weit das Auge reichte nichts als offener Raum, über ihm der Himmel und unter ihm das Meer. Nasica selbst kam sich winzig im Vergleich dazu vor, einem Floh gleich, der einen großen See überqueren wollte. Erst jetzt konnte er die Erzählungen der Seeleute aus dem Alexandriner Hafen besser nachvollziehen, wenn die von den Stürmen auf offener See erzählten, die sie mitgemacht hatten. Selbst jetzt bei ruhiger Fahrt glaubte Nasica die unglaubliche Macht des Ozeans zu spüren dem ein Wimpernschlag wohl mehr Mühe machte, als ihre unbedeutende Nussschale zu zerschmettern. Sie befanden sich ungeschützt im Herrschaftsbereich von Neptunus, jederzeit konnte sich der große Gott dazu entschließen sie mit einer gewaltigen Flutwelle auszulöschen. Zum Glück war Neptun nicht sein griechisches Pedant Poseidon, der ja berüchtigt für seine Zornesausbrüche war in Folge derer er Erdbeben verursachte und mit seinem Dreizack aufs Wasser schlug, um die See für Sterbliche gefährlich zu machen. Doch wer von beiden herrschte jetzt wirklich über das Meer? Neptun, oder Poseidon? Nasica hoffte ja doch, dass es der wesentlich besonnenere Neptun war, sonst könnten sie noch ein Problem bekommen, wenn sie etwas falsch machten, oder den Gott aus Versehen mit irgendwas beleidigten. Beim Gedanken an einen wütenden Meeresgott, der jederzeit ihr Schiff mit einer Sturmflut auf den Meeresgrund reissen konnte wurde Nasica plötzlich mulmig zumute und die nächtliche See wirkte überhaupt nicht mehr schön und faszinierend, sondern eher bedrohlich. Bildete er es sich ein, oder war der Wind stärker geworden? Besser wohl, wenn er schön langsam unter Deck ging.


    Kaum war seine Welt von allen Seiten durch Holz wieder begrenzt, fühlte er sich schon wieder wesentlich besser. Ganz in der Nähe hörte er das Lachen und Gröllen von einigen Männern, die zusammensaßen und gerade darum würfelten wer beim nächsten Landgang einen Lupanarbesuch von den anderen spendiert bekam. Nasica grinste, ging aber nicht zu ihnen. Solcherlei Art von Zeitvertreib (und Preis) waren nichts für ihn. Ob er noch ein wenig lesen sollte? Eine Öllampe hatte er ja, deshalb machte er es sich mit einer Decke in seinem kleinen Verschlag gemütlich und begann eine der Papyri zu sich herzuziehen. Wie es der Zufall so wollte war es eine aus dem Tanach und erzählte von einem Mann namens Noah. Beim Lesen dieses Namens klingelte etwas bei ihm. Moment! Hatte ihm Ezra ben Abraham nicht erzählt, dass das genau der Mann im Buch war, der ein großes Boot gebaut hatte, um ein Paar von allen Tieren vor einer großen Flut zu retten? Eine Bootsgeschichte, besser als das konnte ja nichts im Moment passen! So begann er gespannt zu lesen alles andere um sich herum vergessend.

    Von der Casa Valeria aus wanderte Nasica langsam die Via Aspendia entlang und sah sich dabei im letzten Licht des sterbenden Tages noch einmal besonders aufmerksam um, um sich seine letzten Eindrücke von seiner Heimat Alexandria besonders gut einprägen zu können. Er würde all dies hier für die nächsten Monate nicht sehen, doch was Nasica noch nicht wusste war, dass es sogar mehrere Jahrzehnte werden würden, ehe er wieder ägyptischen Boden unter den Füßen haben sollte.
    Doch unkenntlich vom Ratschluss der Parzen marschierte er unverzagt weiter und überquerte den Meson Pedion in Richtung Agora. Dann durch diese hindurch und zum Hafen hinunter, wo er schon das besagte Schiff (die Astarte) vorfand. Es gehörte einem phönizischen Händler aus Sidon namens Methusastartos.
    Mit trommelnden Fingern auf der Reling überwachte er das einladen der letzten Frachtgüter. "Sputet euch! Ich will heute noch ablegen ihr lausigen Landratten!"
    Als Nasica seine unwirsche Art hörte musste er ein wenig grinsen. Er lief die Planke empor und begrüßte den Kapitän. "Ahja, du musst der angekündigte Passagier sein, dessen Sachen schon unten in der Kabine sind. Willkommen an Bord der Astarte!"
    Nasica bedankte sich für die freundliche Begrüßung und ging dann gleich hinunter zu jenem kleinen Verschlag, der für die nächsten Tage sein Schlafgemach sein sollte. Die valerischen Sklaven hatten alles bereits ordnungsgemäß hier deponiert. Fast hätte er sich die nächstbeste Öllampe geschnappt, um weiter in seinen beiden neuen Büchern zu lesen, doch er war jetzt zu aufgeregt. Es zog ihn wieder an Deck, wo Nasica der Mannschaft dabei zusah, wie sie die letzten Vorbereitungen vor der Abreise traf. Hoch über ihnen glimmte das weithin sichtbare Feuer des Pharos in die jetzt schnell schwärzer werdende Nacht hinaus, auf dass alle Schiffe sicher ihren Weg in den Hafen Alexandrias finden mochten. Ganz gedankenverloren blickte Nasica hoch zum Leuchtturm. Von der nahen Agora war noch ein reges Stimmengewirr zu hören von Händlern und interessierten Käufern, alles bunt durcheinander auf Griechisch, doch teils auch Lateinisch und Ägyptisch. Zwei Ibise flogen über der Astarte hinweg. Wieder wurde ihm einmal bewusst wie sehr er diese Stadt liebte. In Alexandria würde für immer sein Herz bleiben und nicht nur weil Penelope hier lebte, soviel war für ihn sicher.


    Als alles bereit für die Abfahrt war, kam Methusastartos zu Nasica heran. "Na, bereit für deine erste große Reise?"
    Nasica nickte. "Wie wird jetzt unsere genaue Reiseroute aussehen?"
    Der Phönizier stützte sich neben ihm auf der Reling auf, während er sich die geplante Strecke der Astarte in Erinnerung rief. "Unser erster Anlaufpunkt wird Kydonia auf Kreta sein, dahin werden wir die afrikanische Küste entlang wohl in etwa acht Tage brauchen. Dort wird ein Teil der Ladung gelöscht und andere Güter aufgenommen, die wir dann nach Athen weiterschiffen."
    "Und wie lange wird das circa dauern?"
    "Mit vier Tagen wirst du schon rechnen müssen, Bursche. Die Fahrt von Athen nach Rom wird dann nochmal vierzehn Tage dauern mit einem Zwischenaufenthalt in Lilybaeum auf Sizilien."
    Sechsundzwanzig Tage also wäre Nasica mit dem Schiff nach Rom unterwegs, das war ein guter Monat. Nasica pfiff angesichts eines so langen Zeitraums. Die Ewige Stadt musste wirklich weit weg von Alexandria sein.
    "Normalerweise könnte man die Strecke Alexandria - Roma auch in zwanzig Tagen schaffen, aber der Umweg über Griechenland wird uns eine gute Woche kosten."
    "Was transportierst du denn nach Hellas, dass du diesen Umweg in Kauf nimmst?" wollte Nasica wissen.
    Methusastartos brauste sofort ein wenig auf. "Umweg? Wer spricht hier von einem Umweg?! Ich bin Händler mit dem Ziel meine Ladung in den Küstenstädten profitabel loszuwerden und nicht schnellstmöglich verwöhnte Römersöhnchen von A nach B zu bringen, merk dir das! Umweg...dass ich nicht lache!"
    Grummelnd ging der Kapitän davon. Nasica blickte ihm mit großen Augen nach. Na das mochte ja eine witzige Überfahrt werden...


    Langsam aber stetig pflügte die Astarte am Pharos vorbei aus dem Hafen von Alexandria hinaus und steuerte einen westlichen Kurs entlang der Küste an; Nasicas Reise nach Rom hatte begonnen.

    Mit dem ersten Buch des Gilgamesch-Epos und der Schriftrolle mit der Geschichte von David gegen Goliath in Händen kehrte Nasica aus dem Delta zurück, nach seinem Besuch von Ezra ben Abrahams Schrifthandel dort. Die elf anderen Schriftrollen des babylonischen Mythos und die vierundzwanzig Bücher des Tanach würde der Jude -laut seinen eigenen Worten- im Laufe des Nachmittags in die Casa Valeria liefern lassen, immerhin hätte Nasica unmöglich ganz alleine siebenundzwanzig Papyri auf einmal nachhause schleppen können!
    So also saß Nasica später noch eine ganze Weile zuhause und wartete auf seine Bestellung, bis sie endlich eintraf. Ganz aufgeregt war er, als er von einem Sklaven benachrichtigt wurde, dass die Bücherkisten sicher angekommen wäre. Gleich sofort sprang er auf und lief los, um die beiden Holzkisten in sein Cubiculum zu holen, wobei eine alle Bücher des Gilgamesch-Epos und die andere alle Bücher des Tanach auf Griechisch in sich bargen.


    Interessiert begann er ein wenig in einigen Schriftrollen querzulesen, einfach, um seine erste Neugier zu befriedigen und dabei machte er eine interessante Entdeckung. Er besaß die Geschichte von David gegen Goliath jetzt zwei Mal. Einmal in der einen Schriftrolle, die er von Ezra ben Abraham aus dem kleinen Regal neben der Tür erhalten hatte, die nur diese eine Geschichte alleine umfasste und ein zweites Mal im Buch Samuel (genauer im 1. Buch Samuel) als regulärer Teil der gekauften Tanach-Ausgabe. Offenbar war erstere nur als ein Ansichtsexemplar für einen interessierten Käufer gedacht gewesen, so wie es bei Nasica ja doch schlussendlich geklappt hatte. Ezra ben Abraham hatte dem Valerier die Vorführschriftrolle unter die Nase gehalten und er hatte als Reaktion darauf gleich den ganzen Tanach mit allen seinen vierundzwanzig Schriftrollen gekauft. So machte man platzsparend Verkäufe, wenn man die eigentliche Ware getrost im Lager lassen konnte mit Ansichtsexemplaren im Verkaufsraum. Doch Nasica war das egal, im Gegenteil, er freute sich sogar ein wenig deswegen. So konnte er diese eine spezielle Geschichte jetzt immer überall mithinnehmen, wenn er wollte, ohne gleich den ganzen Tanach mitschleppen zu müssen und die Geschichte war spannend, was er bei einem ersten kleinen reinlesen so mitbekommen hatte.


    So vertrieb sich Nasica die Zeit und der Abend rückte schneller heran, als ihm lieb war. Bald musste er aufbrechen, wenn er sein Schiff nach Rom erwischen wollte. Er ließ also ein paar Sklaven seine Truhe mit seinen Reisehabseligkeiten und die beiden neuen Bücherkisten hinunter zum Hafen tragen, während er noch einmal die Gegenwart seiner Mutter aufsuchte, um sich auch von ihr zu verabschieden. Auf dem Weg zu ihr spürte er, wie ein Kloß in seinem Hals immer größer wurde. Jetzt wo sein Aufbruch unmittelbar bevorstand wurde der Junge doch etwas aufgeregt. Nasica hatte noch nie Ägypten verlassen, geschweige denn war er weiter von Alexandria weg als Memphis gewesen, die Fahrt nach Rom wäre seine erste größere Reise alleine. Als er das Tablinum betrat und Pinnia Sabina seiner gewahr wurde, stand sie auf und schritt ihm entgegen. Auf ihrem Gesicht zeigte sich der Kummer einer Mutter, für die der Zeitpunkt gekommen war ihr geliebtes Kind hinaus in die Welt zu entlassen. Bei Nasica angekommen küsste sie seine Stirn und drückte ihn dann fest an sich.



    Pinnia Sabina, Witwe des Titus Valerius Alienus


    "Pass auf dich auf mein Sohn und vergiss nie, ich liebe dich."
    Nasica trieb dieser beherzte Abschied doch eine Träne in sein Auge, während er ihre Umarmung erwiderte und ihr antwortete: "Das werde ich, Mater, versprochen!"
    Auch Pinnia Sabina hatte Tränen in den Augen, als sie mit einem tapferen Lächeln ihrem Sohn ins Gesicht sah und über sein Haar streichelte.
    "Du bist so schnell groß geworden, möge Serapis dich auch in der Fremde beschützen."
    "Das wird er bestimmt. Ich bringe dir etwas schönes aus Rom mit, ja?"
    Das Lächeln seiner Mutter wurde noch breiter, während sie ihre Tränen mit dem Handrücken abwischte.
    "Mach das, mein Sohn, viel Glück. Vale."
    "Vale, Mater."


    Und mit einem letzten Blick zurück zu ihr verließ Nasica das Tablinum wieder und steuerte dann auf die Porta der Casa Valeria zu. Hinaus und dann direkt zum Hafen.