Zmertorix war niemand, der sich aufdrängte, wenngleich er viel zu erzählen hatte. Böse Zungen behaupteten, er ließe sich gern betteln. Er selbst fand, dass er seine Ansichten nicht an desinteressierte Gesprächspartner zu vergeuden brauchte. Er brachte seine Worte daher nur an das Ohr, was auch bereit war, zu hören - und dies auch ausgiebig bekundet hatte.
"Die herrschende Kaste von Cappadocia war und ist die Priesteraristokratie", sprach er nun, da Interesse bekundet worden war und sich alle Augen gespannt auf ihn richteten. "Das wird besonders deutlich, wenn man weiß, dass der Oberste Priester der zweite Mann neben dem König war und dem gleichen Geschlecht wie er entstammte. Dass Rom den unglückseligen letzten König Archelaos vor etwa 110 Jahren unter fadenscheinigen Gründen entfernte und das Amt des Königs gleich dazu, hat nichts an der Macht der Priesterfürsten geändert. Denn diese beließ man als lokale Elite in ihren Ämtern.
Dass über ihnen seither ein Kaiser anstatt eines Königs steht, kümmert sie wenig. Warum sollte es, wenn Rom ihnen doch alle Freiheiten lässt, die sie vorher ebenso hatten und ihnen obendrein noch Straßen baut und Kundschaft für die Märkte ins Land bringt? Sie wären Narren, Rom zu bekämpfen, wie die einfältigen Germanen und Nordlandkelten es tun."
Diese Unterscheidung der Kelten war ihm wichtig, da auch er selbst einem in Asia sesshaften keltischen Stamm entspross, den er freilich höher wertete als die Primitivlinge des Nordens. Mit diesen wollte er nicht in einen Topf geworfen werden.
"Ihre mangelnde Einsicht lässt diese Stämme in finsteren Wäldern hausen und Jahr um Jahr einen aussichtslosen Krieg führen. Alles, was sie haben, fließt in den Krieg: ihre Erzeugnisse, ihre Kunstfertigkeit, ihre Söhne. Ein trauriges und hoffnungsloses Dasein, das jedwedes Wachstum ausschließt. Den Priesterfürsten von Cappadocia aber geht es hervorragend unter Rom, ihre Heiligtümer gedeihen wie eh und je. Und siehe: Auch heute noch sind sie die eigentlichen Machthaber der Provinz."
Zmertorix lächelte.
"Die Priesterfürsten sind keineswegs weltfremde Fanatiker, sondern tun alles, was erforderlich ist, um ihre Macht zu erhalten - und vielleicht nebenbei noch dem Rivalen von nebenan eins reinzuwürgen. Es sind nicht nur religiöse Würdenträger, sondern berechnende Staatsmänner und mit allen Wassern gewaschen. Wenn man Cappadocia regieren will, muss man diese Dinge wissen und ein Gespür für das sensible innenpolitische Geflecht entwickeln. Und ich fürchte, genau an diesem Verständnis scheitert unser momentaner Legatus Augusti pro praetore. Die wahre Gefahr sind nicht die parthischen Nachbarn - sie sitzt in einigen der Tempel.
Ich könnte noch ewig erzählen ... aber ich fürchte, dann zerstöre ich den entspannten Geist dieser Runde."