ZitatOriginal von Iduna
Wäre es nicht die junge Germanin gewesen, die ihm all diese Fragen stellte, er hätte es für reine Neugier gehalten. Iduna aber war zu höflich, um neugierig zu sein. Er konnte vielleicht nicht viel, aber Menschen einschätzen, das konnte er. Bei ihr war es wirkliches Interesse. Entsprechend bedauerlich war es, dass er sie mit seinen Erklärungen sein Dienstverhältnis betreffend wohl eher verwirrt als aufgeklärt hatte.
Ihre Vermutung, sein Patron sei sicher ein einflussreicher Mann, brachte ihn zum Glucksen.
"Ein einflussreicher Mann? Das ist er nun wirklich nicht." kicherte er. "Aber er ist Römer und hat das Recht auf seiner Seite."
Mezena fragte sich, ob das als Erklärung genügen würde. Vermutlich nicht. Iduna war schließlich keine Hellseherin.
"Unser Verhältnis unterscheidet sich ein wenig von dem, was zwischen Patron und Klienten üblich ist. Es ist kompliziert." Darauf war sie sicher selbst schon gekommen, sonst hätte sie nicht mehrmals nachgehakt. Entweder er erzählte ihr jetzt, warum es kompliziert war oder er beendete das Thema, und das erschien ihm unhöflich zu sein. Also versuchte er es.
"In Misenum gab es gewisse Vorkommnisse." Vorkommnisse. Das war Unsinn. Der Diebstahl einer Gans war ein Vorkommnis. "Ein Fehlverhalten meinerseits." Das war die Beschönigung einer Verharmlosung. Wenn er es nur darauf anlegte, bei der Geschichte möglichst gut dazustehen, konnte er es auch gleich sein lassen.
"Nun ja." druckste er kleinlaut herum, "Also gut. Ich habe ziemlichen Mist gebaut. Verschiedentlich. Auf seine Kosten und die seiner Gens." Auch das war noch untertrieben, kam der Wahrheit aber immerhin auf halbem Weg entgegen.
"Er hätte mich dafür festsetzen und als Sklaven verkaufen können oder Schlimmeres. Hat er nicht gemacht, könnte er aber immer noch. Nur wird er es nicht tun. Ich kenne ihn. Allerdings will er mich in seiner Nähe haben. Vermutlich, um sicher zu gehen, dass ich nicht wieder Blödsinn mache. Also begleite ich ihn. Nicht in Ketten sondern als freier Mann. Trotzdem bestimmt er, was ich zu tun habe. Ich stehe eben nicht nur bei ihm im Wort, sondern auch in seiner Schuld. Wenn du mich nun fragst, ob ich mich glücklich schätze, ihn begleiten zu dürfen ... naja ... meine Begeisterung hält sich in Grenzen." Die seines Patrons allerdings auch, aber das tat hier nichts zur Sache.
Mezena war froh darüber, dass sie noch einmal auf erhabenere Dinge zurückkam. Träume, Wünsche, Freiheit. Sie wollte ihrer Tochter die Freiheit ermöglichen. Das verstand er gut. Verdammt gut. Ähnliches hatte er selbst im Sinn gehabt. Jemandem die Freiheit ermöglichen. Allein deswegen hatte er getan, was er getan hatte. Erfolglos.
"Dann musst du versuchen, sie zur Freiheit zu erziehen." sagte er verständnisvoll. "Die Freiheit kann gnadenlos sein, wenn man es nicht gewohnt ist, seine Entscheidungen selbst zu treffen. Aber immerhin hast du ein Ziel, und das ist mehr als viele andere haben."
Aus einem fast unbewussten Impuls heraus wollte er nach ihrer Hand greifen, nur um verblüfft festzustellen, dass er sie bereits hielt. Oder hielt Iduna die seine? Egal.
"Vielleicht sollte ich dir etwas von meiner Freiheit abgeben. Ich hab’ bislang nicht viel Gescheites damit angefangen." sagte er nachdenklich und erwiderte den Druck ihrer Hand.