Beiträge von Varsken Zik

    Der schelmische Blick von Osroes brachte Varsken zum Schmunzeln. Die Grübchen in seinen Augenwinkeln verrieten das beginnende Alter des Dieners, selbst wenn er ansonsten mit seiner schlanken Statur und dem gefärbten Haar aus der Ferne wie in seinen Zwanzigern wirkte. War man ihm nahe, sah man, dass dieser Eindruck täuschte und er im gleiche Alter war wie sein Schahanschah.


    "Schlaf jetzt, Osroes. Dein Leibdiener verordnet dir Nachtruhe. Sonst plaudern wir die ganze Nacht durch und Vologases hat leichtes Spiel, weil wir ihm übermüdet gegenübertreten. Er soll das Schwert deiner Zunge zu spüren bekommen, wenn wir ihn schon lebend lassen müssen. Eingemauert würde er mir gut gefallen."


    Mit zwei Fingern strich er Osroes sanft von der Stirn hinab und über die Nasenwurzel, langsam und gleichmäßig, immer wieder, wie man das bei Kindern tat, die ihre Augen nicht schließen wollten. Es wurden Muskeln massiert, die den Menschen schläfrig machten.

    So zog Varsken die weichen Schuhe aus, die er im Palast zu tragen pflegte, und legte sich neben Osroes. Er wendete ihm das Antlitz zu, den Kopf durch Kissen und Arm erhöht, damit sie bequemer sprechen konnten. Obgleich er seinem Herrn so nah war, wie kein anderer Mensch, klopfte ihm nun das Herz derart stark, dass er den Puls in den Halsschlagadern spürte.


    "Momentan drückt nur Vologases auf mein Herz. Unsere Dienerschaft habe ich gut instruiert. Es sind zuverlässige Menschen, die ihre Aufgaben auch im neuen Umfeld ohne Schwierigkeiten erfüllen. Die Verantwortungsbereiche sind so verteilt, dass sie einige Stunden auskommen, ohne dass wir uns um sie kümmern müssen. Sie sprechen sich untereinander ab und wissen, an wen sie sich bei welchem Problem wenden müssen, ohne uns zu behelligen. Deine Nachtruhe ist unantastbar.


    Ein Gesprächthema hätte ich, ein Gedankenspiel. Was würdest du tun, wenn es dir gelänge, Vologases in deine Gewalt zu bringen?"

    Varsken drückte die Schulter von Osroes freundschaftlich mit den Fingern, nicht zu sanft, denn Osroes war nicht aus Watte und Varsken keineswegs immer so zurückhaltend und sanftmütig, wie er sich gegenüber seinem Freund gab. Im Gegenteil konnte er ein rechter Schakal sein, wenn es darauf ankam. Niemand benötigte einen schüchternen Leibdiener. Bei Hofe zitterte man, wenn Varsken mit ungnädigem Blick nahte, um den Willen seines Herrn mit aller Entschiedenheit durchzusetzen, vor blutigen Konsequenzen nicht zögernd, wenn sie denn nötig waren. Varsken war gespannt auf den Leibdiener des Vologases, der dem falschen Schahanschah in Widerwärtigkeit sicher nicht nachstand.


    Varsken kleidete Osroes sorgsam an, geleitete ihn aber noch nicht zu Bett, denn er sollte erst schlafen, wenn Varsken zurück sei. Anschließend begab Varsken sich ins Bad, wo er Körper und Geist ausgiebig pflegte. Natürlich blieb Osroes nicht unbewacht in jener Zeit, doch Varsken hatte ein stetiges Grundmisstrauen um die Sicherheit seines Freundes und Herrn. De facto traute er niemandem, auch nicht jenen, die in Osroes´ Gunst standen. Je näher sie seinem König waren, umso durchdringender waren die Blicke von Varsken und umso tiefer sein Misstrauen.


    Sauber, duftend und in frischer Dienstkleidung kehrte Varsken zurück. Osroes würde schlafen, er würde wachen. Er schlug die Bettdecke auf, kontrollierte ein weiteres Mal Decken, Kissen, Matratze und Fußboden auf giftige Tiere und machte eine einladende Handbewegung.


    "Gemütlich scheint es zu sein. Soll ich dir zum Einschlafen etwas vorlesen, singen, musizieren? Oder wünschst du eine Massage?"


    Varsken beherrschte jede dieser Künste auf einem hohen Niveau und noch manche andere. Selbst die Grundlagen der Heilkunst lagen im Bereich seiner Fähigkeiten.

    Varsken, wenngleich kein Sklave, sondern Mann aus bestem Hause, schlug die Augen nieder, als der König ihm die Hand auf die Schulter legte, ein dankbares Lächeln um die Lippen. Kein Wort hätte mehr des Lobes beinhalten können als diese Geste, die Vertrauen verhieß. Als Osroes seine Hand wieder fortnahm, schlang Varsken das kleinere der angewärmten Tücher um dessen nasses Haar, das größere um den Leib, der in seinen Augen das ideal eines parthischen Mannes widerspiegelte. Ihn pflegen zu dürfen, war wie die Arbeit an einem kostbaren Kunstwerk.


    "Natürlich werde ich über deinen Schlaf wachen. Wenn du gestattest, werde ich vorher noch meine Reisekleider ablegen und mich frisch machen, damit du nicht von einem Pferdestall träumst. Vor der Audienz muss ich mich gründlich waschen und rasieren, ehe du an der Reihe bist. Welche Farben wünschst du morgen zu tragen? Ich möchte die Sachen schon heraushängen und werde meine Kleider ebenfalls darauf abstimmen."


    Vor dem Amtsantritt des Osroes waren er und Varsken bereits Freunde gewesen. Sie kannten sich, seit sie als Kinder ihre Holzrömer mit winzigen Kataphrakten niedergetrampelt hatten wie einst der Feldherr Surenas, dem seine Leistung von Orodes II. mit einer Hinrichtung vergolten worden war. Unter dem Gewand des Amtes hatte ihre Freundschaft gut behütet überdauert, um in geeigneten Momenten gepflegt zu werden, meist zu Feierabend, wenn Osroes zum Du überging und somit das Signal zur privaten Zeit gab.


    Ohne zu rubbeln massierte Varsken das eingewickelte Haar von Osroes, bis es nicht mehr tropfte und er das Tuch beiseitelegen konnte. Da es Abend war und Osroes sich entspannen sollte, trocknete er den Körper mit langsamen, tupfenden Bewegungen ab, ließ jedoch einen dünnen Feuchtigkeitsfilm auf der Haut, da das Öl sich so besser verteilen würde. Er legte das Tuch zu dem anderen, anschließend band er Osroes´ Haar hoch und goss ihm angewärmtes Öl über die Schultern und den Nacken. Das Öl wurde einmassiert, beim Gesicht, Bart und Haar begonnen, und von oben nach unten umsichtig auf dem ganzen Körper verteilt, wobei Varsken zeitgleich Osroes´ Körper nach Krankheitsanzeichen oder Auffälligkeiten untersuchte. Es war ein sehr gutes Öl, das keinen schmierigen Fettfilm hinterließ, sondern die Haut seidig schimmern ließ und in nasenschmeichelnden Duft hüllte.


    "Das Haar kämme ich dir morgen vor der Audienz, wenn es trocken ist, damit ich dir deine schönen Locken nicht auskämme", schloss Varsken und holte die weiche Kleidung, die er zum Schlafen herausgesucht hatte. Sie war für den König dazu geeignet, sich damit zeigen zu können, wie er es gewünscht hatte, jedoch bequem genug, auch im Bett getragen werden zu können.

    "Das Zimmer wurde gründlich untersucht", versicherte Varsken. "Ich werde es dennoch ein weiteres Mal eigenhändig überprüfen, bevor du es betrittst, um ganz sicher zu gehen. Und natürlich werde ich über dich wachen."


    Tatsächlich schmeichelte ihm dieser Wunsch. Selbst mit glühenden Eisen gefoltert hätte Varsken Zik ihm die Treue gehalten. Er gönnte seinem Herrn noch ein wenig Entspannung und massierte ihm Kopf und Halsansatz. Als er den Eindruck hatte, dass Osroes schläfrig wurde, ließ er diesen kurz allein, um das Schlafzimmer zu überprüfen und einige Kleider nach dem Wunsch seines Herrn für die Nacht bereitzulegen, ebenso zwei große, an einem Ofen angewärmte Tücher.


    "Keine Schlangen, kein rosa Bettzeug. Vologases scheint seine Unhöflichkeiten auf das Badezimmer beschränkt zu haben. Ich hoffe, morgen wird er sich auf die Sache konzentrieren und seine kleinlichen Sticheleien unterlassen."


    Lächelnd bot er seinem Herrn den Arm und ging etwas in die Knie, damit dieser sich aus der Wanne hochziehen konnte.

    Varsken hielt seinen Herrn fest, während dieser in die Wanne stieg, damit er einen eventuellen Sturz auffangen konnte. Das war noch nie geschehen, der König strauchelte nicht, doch es konnte nicht schaden, im Notfall eine stützende Hand zu haben. Natürlich hatte Osroes vollkommen recht in seiner Einschätzung zu Vologases. Als der König im heißen Wasser saß, wusch Varsken ihn langsam und sanft, damit der edle Leib nicht nur gereinigt wurde, sondern sich auch zu entspannen vermochte. Das Haupthaar pflegte Varsken mit einer zeitintensiven Massage der Kopfhaut.


    "Bist du zufrieden? Wünschst du noch etwas? Andernfalls schlage ich vor, dich nach dem Ankleiden direkt ins Bett zu legen, damit du morgen ausgeruht bist und sich die Klarheit deines Geistes zur Gänze entfalten kann im Angesicht von Vologases."


    Mit vorsichtigem Kreisen der Fingerkuppen arbeitete er sich durch den dunklen Lockenschopf. Dass der König mit so kräftigem und üppigem Haupthaar aufwarten konnte, schrieb Varsken seiner Haarpflege zu. Vologases, so sagte man, trug unter der Perücke eine Glatze, was Varsken ein hämisches Grinsen entlockte. Vielleicht sollte der falsche König die Wahl seines Leibdieners noch mal überdenken.

    Seine Majestät weigerte sich hartnäckig, ins Wasser zu steigen, auch nachdem Varsken schon zum zweiten Mal versucht hatte, ihn hineinzulocken.


    "Diese sogenannten Duftöle stinken griechisch", bestätigte er die Empfindung seines Herrn. "Natürlich habe ich eine Auswahl deiner Lieblingsduftöle, Bäder und weiterer Hygieneartikel einpacken lassen, damit du dich auch in diesen fremden Hallen wie zu Hause fühlen kannst."


    Angewidert räumte er die Süßdüfte fort, die Vologases seinem Herrn hatte andrehen wollen, sogar Milch war darunter, und verließ damit das Badezimmer. Wenig später kehrte er mit einem Tablett voller Fläschlein zurück, die Osroes alle vertraut waren. Er stellte es auf eine steinerne Ablage, auf der zuvor die Frauendüfte gestanden hatten, und griff nach dem Bad, das er heute für seinen Herrn ausgesucht hatte.


    "Ein warmer Kiefernduft in der Basis gewürzt mit einem ledernen Akkord, die kostbaren Noten von Amber im Herzen, signalisiert dieses Ölbad berechtigtes Selbstbewusstsein. Getragen von einer feinsalzigen Kopfnote riecht dieses Bad wie die parthische Sonne auf der salzgeküssten Haut eines Mannes, der diese Bezeichnung auch verdient!"


    Er hielt die geöffnete Flasche bereit, damit Osroes bei Bedarf noch einmal schnuppern konnte.

    Nachdem Varsken seinen Herrn mit umsichtigen, langsamen Bewegungen entkleidet hatte, geleitete er ihn in das vollständig rosa ausgestaltete Badezimmer. Sehr warme Luft empfing sie, die nach einem lieblichen - wohl bewusst weiblich wirkenden - Duftöl roch, das an Süßkirsche erinnerte. Der Boden war mit rosa Marmor gekachelt und jeder Stein fügte sich nahtlos in den nächsten. An der Wand zog sich ein breites Zierband aus Stuckdekor entlang, das eine rosa Blütenranke darstellte. Durch das Fenster, das mit einem Gitter von Quadraten aus rosa schimmerndem Streckglas gestaltet war, fiel das Licht der fahlen Wintersonne in trügerisch warmem Ton. Aufgrund des Glasfensters war das Badezimmer auch bei geschlossenem Fenster tagsüber hell und rußende Öllampen erübrigten sich. Die Luft war dadurch sauber und erfrischend.


    "Vielleicht nahm unser Gastgeber an, du würdest mit deinem Harem in diese Gemächer einziehen und wollte es den Damen angenehm machen."


    Die Wahrheit hinter der Geste kannten sie beide. Da seine Majestät zum Du gewechselt war und somit das heutige Ende der Formalitäten signalisierte, wechselte auch dessen Diener zum vertraulicheren Ton, wie Osroes ihn zu Feierabend vorzog. Auch wenn der König hart durchgreifen konnte und seine Zunge scharf wie eine Klinge war, so blieb er im Inneren doch ein warmherziger Mensch. Wie irgendjemand den Römerfreund Vologases einem anständigen Mann wie Osroes vorziehen konnte, war Varsken ein Rätsel.


    Varsken schloss die Tür, damit die Wärme im Bad blieb und prüfte mit der Hand das Wasser, auf dem Kirschblüten trieben. Warm und weich umspülten die Fluten seine Finger. Verschiedene Badezusätze standen griffbereit, von Ölen und Kräutersuden bis hin zu Salz und Eselsmilch. Er verschloss den Bediensteteneingang, damit der König ungestört sein Bad genießen konnte und bot ihm mit freundlichem Blick die Hand, um ihm ins Wasser zu helfen.

    Varsken, korrekt gekleidet und von tadellosem Benehmen, hielt sich im Hintergrund. Jedoch würde man ihm nicht gerecht werden, wenn man ihn als Schatten seines Königs bezeichnete. Dies war er nur vorübergehend. Varsken schwieg und wartete, wenn es angemessen war, doch sobald sein Herr seine Aufmerksamkeit verlangte, spross der vermeintliche Schatten Blüten und Varsken entfaltete das beträchtliche Repertoire seiner weitreichenden Fähigkeiten. Wer meinte, die Diener der parthischen Könige wären demütig kriechende Kreaturen, könnte falscher nicht liegen. Als Leibdiener war Varsken keineswegs ein Sklave - ein großer Unterschied zum römischen Hof - sondern entstammte einem der sieben Häuser des parthischen Hochadels. Er war nicht nur ein freier Mann, sondern verwandt mit diversen Köngshäusern und über einige Umwege sogar mit seinem Herrn. Entsprechend selbstbewusst war sein Auftreten, freilich mit dem gebotenen Respekt gegenüber dem Schahanschah, doch klaffte zwischen ihnen keine so unüberwindbare Kluft wie zwischen dem römischen Kaiser und jenen Menschen, die für dessen körperliches Wohlergehen sorgten und doch rechtlich nur als Gegenstände zählten. Das parthische Hofleben spiegelte ein gegenläufiges Konzept - eines, das Varsken durch den hochmütigen Vologases gefährdet sah, der sich Rom allzu sehr anbiederte und somit auch die elitäre Stellung des parthischen Adels gefährdete.


    "Das Badezimmer ist bereits vorgeheizt", informierte Varsken, nachdem der schmierige Darigbed gegangen war. "Ich habe das Einlassen des Wassers bereits in Auftrag gegeben." Es war vorhersehbar gewesen, dass Osroes nach dem langen Ritt ein Bad willkommen heißen würde. Die Befüllung der Wanne erfolgte durch einen anderen Eingang, sodass der König in seinem Gemach Ruhe hatte. Zuständig waren nur die mitgebrachten eigenen Diener und Sklaven, die es durchaus gab, die aber keine gehobenen Stellungen genossen. "Wusstet Ihr, dass man munkelt, der Leibdiener von Vologases sei ein Sklave? Der Leibdiener! Sehr moderne Sitten, wenn Ihr mich fragt."


    Er führte seinen Herrn zur Kleiderkammer, in der ein anderer Diener gerade die zahlreichen mitgebrachten Gewänder und Accessoires verstaute. Varsken begann seinen Herrn mit langsamen und umsichtigen Bewegungen zu entkleiden und die benutzten Sachen in einen Korb für die Reinigung zu legen. Er achtete darauf, dass Osroes täglich mindestens zwei Mal komplett frisch eingekleidet wurde - früh in das königliche Ornat und abends legte er ihm die Ruhekleidung an. Manchmal kleidete er ihn zum Schlafen noch einmal gesondert um, je nachdem, wie Osroes es gerade mochte.


    "Wünscht Ihr nach dem Bad Ruhekleidung anzulegen oder darf es etwas anderes sein?"