Beiträge von Tarkyaris

    Tigranes trat in die Kajüte, um Tarkyaris über die Ankunft der Zwillinge zu informieren, die draußen herumplärrten. So schickte er Tigranes wieder nach draußen und ließ sich von seinem Sklaven einkleiden und vorzeigbar zurechtmachen, ehe er sich aufs Deck begab, eingehüllt in einen knielangen gesteppten Mantel und mit einer Pelzmütze auf dem Kopf. Ihn empfing eine eiskalte Nacht. Dass es in Italia dermaßen kalt wurde, hatte er auch noch nicht erlebt. Es war stockfinster und das Forum Boarium voller Leben, weil sich hier mehrere Hauptstraßen kreuzten, auf denen jede Nacht zahllose Handelskarren mit klappernden Hufen und brüllenden Fahrern entlang donnerten. Zwischendurch muhten die Ochsen und kreischten die Maultiere.


    "Castor und Pollux. Wie schön, euch beide zu sehen." Tarkyaris log sogar bei der Begrüßung. Als er lächelte, vertieften sich seine Augenringe. "Was habt ihr da für mich?" Interessiert betrachtete er die Gestalt auf Castors Schultern, die noch zu leben schien, dem Sack über ihrem Kopf nach zu urteilen. Gepflegt, von ansehnlicher Statur ... auf den ersten Blick wirkte der Bursche vielversprechend genug, um ihn einer näheren Betrachtung zu unterziehen. "Bringt ihn an Bord in meine Kajüte, setzt ihn dort auf den Boden. Beeilt euch und hört auf, Lärm zu machen, ich kann hier keine Vigiles gebrauchen. Tigranes, du kommst auch mit."

    Tarkyaris schloss die Augen und wartete auf sein Ende.


    Plötzlich umfing ihn Stille. Der Unhold war fort. Tarkyaris war schlecht vor Angst. Er überlegte sogar, ob er zurück in die Villa gehen und so tun sollte, als ob er nie etwas anderes vorgehabt hatte. Wie sollte er heil sein Schiff erreichen? Er hätte Tigranes mitnehmen sollen! Wäre er nur nicht so geizig gewesen, ihm auch nur einen Handgriff zu viel abzurechnen, er könnte sich selbst ohrfeigen. Er beschloss, zur Taberna zum Lallenden Löwen zurückzukehren und dort zu übernachten. Vielleicht konnte er von dort am nächsten Morgen Geleitschutz mieten, waren die beiden Inhaber nicht Urbaner? Andererseits ... sie zu seinem Schiff zu führen ... bei dem Gedanken wurde ihm wieder schlecht. Er musste gründlich über alles nachdenken.


    Tarkyaris blickte sich ein letztes Mal um und verschwand im Laufschritt in der Nacht.

    Er hatte kaum die Porta durchschlichen, da fuhr ihm der Wutschrei von Castor durch Mark und Bein. Das blonde Biest hatte spitzgekriegt, dass Tarkyaris dabei war, sich zu verdrücken. So huschte er hinter der Porta um die Ecke und presste sich mit dem Rücken fest an die Wand und hörte auf zu atmen, in der Hoffnung, der Zwilling würde an ihm vorbeilaufen.

    Tarkyaris blickte noch einmal zurück. Verstohlen sah er sich anschließend in alle Richtungen um. Niemand war zu sehen.


    "Zuerst muss ich einen dieser faulen Sklaven finden. Ich bin gleich wieder da."


    Mit diesen Worten verschwand Tarkyaris aus der Villa Aemilia und sah zu, dass er so schnell wie möglich zurück zu seinem Schiff kam. Er hoffte, dass niemand die Eskapade, ach was, die Katastrophe im Zimmer des Nero je mit seinem Namen in Verbindung bringen würde.

    Tarkyaris konnte Castor nicht lange auf die Weise halten, doch scheinbar hatte der Griff genügt - der Wüterich hatte sich beruhigt. Ächzend ließ er ihn fallen und stapfte nach draußen, um sich nach einem Sklaven umzusehen. Er teilte die Ansicht von Apollinaris - wie Castor und Pollux sich benahmen, war nicht tragbar. Er bedauerte, dass Castor darin recht hatte, dass er sie brauchte. Sie waren seine Verbindung zur Unterwelt von Rom, seine Augen und Ohren, seine Hände und Dolche der Finsternis. Er hatte schon mit vielen Kanalratten zusammengearbeitet, doch diese beiden waren die zuverlässigsten und besten.


    "Castor, Pollux? Hundert Sesterze für euch, wenn ihr jetzt verschwindet!"

    Der blonde Trottel erwürgte einen seiner besten Kunden! Tarkyaris fackelte nicht lange. Er packte Castor mit beiden Händen am Nackenfleisch wie an einem Henkel und hob ihn ein Stück an.


    "Loslassen", keuchte er, während er wünschte, irgendeiner dieser scheinbar tatsächlich unnützen Sklaven hätte den Verstand, das Erbrochene von Pollux wegzuräumen, zusammen mit den Amphorenscherben im Garten.

    Der Blick, den Tarkyaris Castor zuwarf, war vollkommen humorlos. Er setzte sich auf eine Weise hin, die signalisieren sollte, dass ihn mit diesen beiden nichts als geschäftliche Belange verband.


    "Cappadocia ist wahrlich ein schönes Land. Ich wohne dort."


    Mehr noch - er war eine Größe in dieser Provinz. Es mochte sein, dass dieser Tuccius den Namen des Tarkyaris tatsächlich noch nie gehört hatte, weil er offenbar hinter der letzten Sanddühne lebte - umgekehrt wusste Tarkyaris jedoch genau, wer die Tucci waren und welche Rolle sie in Cappadocia spielten.


    "Mein Vater." Tarkyaris lächelte und setzte ein sehr freundliches Gesicht auf. "Sagen wir es so: In Cappadocia werden viele Dinge dynastisch geklärt. Es stellte sich nie die Frage, welche Pläne mein Vater für mich hatte. Es waren die gleichen Pläne, wie mein Großvater für ihn hatte und mein Urgroßvater für diesen und so weiter."

    "Würdest du das bitte lassen, Pollux?"


    Tarkyaris blickte mit einem unguten Gefühl den fliegenden Amphoren hinterher. Es hatte seinen Grund, warum er die Zwillinge nicht hatte mitnehmen wollen. Dieser Nero musste ein Patrizier oder so was sein, obendrein war er in Geberlaune, sobald er einen Becher zu viel intus hatte. Und der andere war offenbar ein Eques. Beste Voraussetzungen! Die zwei lästigen Kerle aus der Gosse verdarben noch alles! Er musste zusehen, dass er die Zwillinge irgendwie loswurde, bevor der Hausherr begann, sich an der kleinen Feier zu stören.


    "Die zwei arbeiten nur manchmal für mich."

    Es war nicht ungewöhnlich, dass ein wohlhabender Römer seine "Freunde" mit nach Hause brachte. Tarkyaris hatte als Händler zahlreiche Kontakte und bei einigen lohnte es sich finanziell, diese in den privaten Rahmen auszudehnen. So war auch der Römer, der sich ihm nur als Nero vorgestellt hatte, trotz dessen einfacher Kleidung unverkennbar ein Mitglied der Oberschicht, wenn er sich dessen finanzielle Möglichkeiten so ansah.


    Als Tarkyaris in Rom ankam, hatte er Nero sofort kontaktiert, da dieser einige Bestellungen bei ihm aufgegeben hatte. Tarkyaris hatte einige interessante Dinge eigens für ihn organisiert, die man nur im Osten des Imperiums erhielt und dafür ein stattliches Sümmchen von dem jungen Römer eingestrichen. Für die Übergabe hatten die beiden sich in der Taberna zum Lallenden Löwen getroffen, etwas gegessen und sehr viel getrunken und nun half der windige Händler seinem Kunden eigenhändig, die Truhe zu dessen Anwesen zu tragen. Er staunte nicht schlecht darüber, dass dies eine patrizische Villa war!


    Auch der übrige Anhang staunte nicht schlecht, den Tarkyaris leider nicht losgeworden war ... und bestand darauf, die schwere Truhe noch eigenhändig hineinzuschleppen, bis in Neros Zimmer. Und dort blieben sie, tranken, aßen, lärmten und lachten.

    Das Schiff des Tarkyaris

    Am Ufer einer flachen Stelle des Tiber lag der Viehmarkt. Schlamm und zertrampelte Ausscheidungen bildeten zusammen einen braunen Untergrund, der den gesamten Markt bedeckte. Jetzt im Winter war der Gestank erträglich und es schwirrten keine Fliegen, doch leider reichte die Kälte nicht aus, den Boden gefrieren zu lassen. Tarkyaris vermied es, diesen widerlichen Untergrund zu betreten. Er hatte das Oberdeck seines Schiffs selbst zur Schaltzentrale seiner Verkäufe gemacht, während seine Handlanger auf dem Forum Boarium einige der berühmten kappadokischen Pferde verkauften. Von robusten Wildpferden bis hin zu hochgezüchteten Rennpferden hatte er alles dabei. Nicht die allerbesten Pferde und optisch selten paradetauglich, aber es waren doch brauchbare bis gute Tiere dabei, die einen durchschnittlichen Bürger vollauf zufriedenstellen konnten. Auch einige Esel fanden sich in seinem Repertoire, die sich vor allem aufgrund ihrer interessanten Färbung vom hiesigen Schlag unterschieden.


    Viel einträglicher für sein Geschäft waren jene Dinge, die er unter der Hand abwickelte und für die der Pferdeverkauf nur ein lukrativer Deckmantel war. Auf seinem Schiff traf er sich zu vermeintlichen Verkaufsgesprächen bezüglich der Pferde in Wahrheit oft zu ganz anderen Gesprächen, traf alte Kontakte oder verlud Hehlerware im vollgeramschten Unterdeck. Tarkyaris verhalf auch mal dem ein oder anderen Verbrecher aus Rom zur Flucht in die Ferne, wenn die Summe nur stimmte.


    Und so saß Tarkyaris auch heute an Bord seiner Corbita, bequem in der Kajüte, während er einigen Papierkram erledigte und sein Handlanger Tigranes entschied, wer zu ihm durfte und wer nicht.