Beiträge von Claudia Sabina

    Für Sabina war es ganz klar, wer wen führte, nämlich Sisenna sie, und sie biss sich auf die Unterlippe, während sie neben der kleinen Claudia herging:

    "Euer Hortus ist schön; man denkt gar nicht, dass man noch in Rom ist." Sie dämpfte unwillkürlich die Stimme, als könne gleich irgendwo der Wolf, Ulf hieß er also, hervorbrechen. Vögel gab es wirklich viele; und einige hatten sich schon zu Pärchen gefunden. Ob es der unbekannte Onkel war, der die Vögel zu den wichtigsten Bewohnern des Gartens erklärt hatte? Sabinas Mutter hatte einen Pfau gehalten, aber nicht weil sie Tiere sonderlich gerne hatte, sondern weil sie alles besitzen wollte, was erlesen und teuer war. Ach ja.

    "Er jagt ? Äh, in Ordnung: Nicht weglaufen. Wenn Ulf kommt, bleiben wir stehen.", sprach Sabina und schüttelte ein wenig Sisennas Hand. Die nächste Frage von Sisenna verblüffte sie wieder; das Mädchen war entschieden geistig weiter als ihre sechs oder sieben Jahre:

    "Tugend ist nicht gut übersetzt, glaube ich. Das klingt eher nach Sittsamkeit und dass man brav ist. Musonius schreibt auf Griechisch, und er schreibt arete. Das heißt Vortrefflichkeit und Tüchtigkeit. Jeder hat seinen Platz in der Welt, aber auch Mädchen können vortrefflich und tüchtig sein...", sie unterbrach sich und lauschte. Sie hatte sagen wollen, ...und Heldenhaftigkeit und Mut beweisen, doch mit der Aussicht, gleich einem jagdbereiten Wolf namens Ulf gegenüberzustehen, fühlte sie weder das eine noch das andere.

    „Ich werde nachher meinen Agamedes rufen und ihn bitten, uns genaue Auskunft zu geben.“, erwiderte Claudia Sabina. Obgleich der Lehrer ihr Sklave war, sagte sie bitten und nicht befehlen:


    „Rufus Musonius ist zur Zeit mein Lieblingsphilosoph, weißt du. Er ist kein bisschen abgehoben. Und das Beste ist, dass er meint, dass Mädchen genauso zu einem tugendhaften Leben und zur Erkenntnis fähig sind wie Jungen. Das meinen Philosophen nämlich nicht immer.“, sie zuckte die Schultern. Dann schaute sie sich Sisennas Haare an:


    „Du hast so schöne Löckchen wie Königin Berenike. Ich wette, deine sind natürlich und nicht mit den Calamistra gedreht.“ Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die lebhafte Sisenna so lange still sitzen würde, bis eine Ornatrix mit ihrer mühsamen Arbeit – die Metallstäbe wurden in einem Tongefäß im Herd erhitzt und die Haare auf die noch heißen Stäbe aufgewickelt – fertig wäre. Aber für diese Prozedur hatte sie noch ein paar Jahre Zeit.


    Nun stand Sabina auf. Den ominösen Wolf wollte sie nämlich unter allen Umständen sehen, und sehr geduldig war sie auch nicht: „Oh, du möchtest die Schuld auf dich nehmen und mir den Hintern retten? Das ist sehr mutig von dir, einer echten Claudia würdig, aber das kann ich nicht annehmen. Besser beeilen wir uns beide, damit wir wieder brav im Zimmer sitzen, wenn der Onkel nach uns sucht.“
    Sie fasste unwillkürlich nach Claudia Sisennas kleiner Hand. Mit der anderen winkte sie ihren Dienerinnen zu: „Bis gleich!“

    „Hierzubleiben ist der Plan, ja.“, erwiderte Claudia Sabina etwas ausweichend, denn ihre Anreise war nicht ihre Willensentscheidung gewesen, aber sie lächelte auch, um anzuzeigen, dass sie freundlicher Stimmung war.

    Dazu trug bei, dass Aglaia nun ihr Werk beendet und Sabinas Haar hinten im Nacken kunstvoll locker zusammengebunden hatte. Entgegen der Mode trug die Claudia niemals Hochsteckfrisuren, weil sie wusste, dass sie dadurch noch größer wirkte als sie es schon war:


    „Das heißt, du wickelst den Onkel um den Finger, indem du vorgibst zu sein, was du nicht mehr bist? Das ist ziemlich schlau. Aber gleichzeitig verbirgst du damit deine wahre Natur und entwickelst sie nicht weiter. Ich muss noch einmal nachlesen, was Musonius Rufus darüber schreibt.“, sagte Sabina nachdenklich und sprach jetzt eher wie zu einer Gleichaltrigen als zu einem Kind. Eine sofortige Antwort erwartete sie nicht – auch Sisenna hatte an den Käseküchlein zu kauen:
    „Ich spiele auch nicht mehr mit Puppen. Aber ich habe sie mitgebracht, damit die Hateriusse – das sind meine jüngeren Halbbrüder – sie nicht in die Finger kriegen. Sie haben immer nur eine Menge albernes Zeug mit ihnen angestellt, ihnen die Haare abrasiert oder ihnen Schnurrbärte gemalt. Tiere mag ich auch. Meine Mutter hat eine Katze, die Eiras heißt. - Ihr habt….einen was?“


    Claudia Sabina dachte an den wolfsgestaltigen Gott Ophois, der bei des großen Serapis Einzug in Alexandria voraus ging und natürlich an die heilige Wölfin des Mars, die Romulus und Remus aufgezogen hatte.


    „Kannst du ihn mir einmal zeigen den Wolf, Sisi?“, fragte sie leise, obwohl Anaxarete und Aglaia sie nicht verstanden.

    Weder zweifelte Sabina an Sisennas Worten noch lachte sie sie aus: Du meinst doch gewiss nur einen großen struppigen Hund?: Im Gegenteil, sie wurde ganz andächtig:
    „Oder ist es auch eine Regel, von denen es so viele gibt, wie du sagst, dass du nicht zu dem Wolf hin darfst, weil er gefährlich ist? Dann geht es natürlich nicht. Ich will in meinem neuen Zuhause keinesfalls gleich eine Regel brechen.“

    „Ja, ich bin eine Claudia. Und ja, ich bin gekommen, um deinen Onkel Menecrates zu besuchen und um hier zu bleiben.“, erwiderte Claudia Sabina und sah die Kleine mit gewissem Respekt an. Sie war ein gescheites Köpfchen, fand sie, ihr entging nichts.
    Das sagte sie aber nicht laut. Kinder sollte man nicht zu oft loben, damit sie nicht eingebildet wurden.
    Dann dachte Claudia Sabina an den Brief ihrer Mutter, den sie Claudius Menecrates übergeben sollte, und das bereitete ihr Bauchgrimmen. Schnell verdrängte sie den Gedanken:
    „Wie ist der Onkel denn so?“, fragte sie beiläufig und machte etwas Platz auf der Kline:
    „Setz dich doch zu mir und greife zu. Eure Küchensklaven haben es gut mit mir gemeint, und soviel aufgefahren, als hätten sie eine Legion zu verköstigen. Wir sind alle schon satt. Probiere mal die Käseküchlein, die sind gut.“, sie verschwieg, dass sie alleine vier davon verdrückt hatte:
    „Oh, danke für das Kompliment über meine Ohrringe. Ich habe sie zum letzten Geburtstag bekommen. Ich werde ja gerade angekleidet, um Onkel Menecrates gegenüber zu treten, wenn er kommt. ....Aua...“, sie zuckte zusammen, weil ihre Ornatrix mit dem Kamm einen Knoten in einer Strähne gelöst und es dabei geziept hatte:
    „Aglaia, nicht so arg."

    "Dann bleib still sitzen, Herrin", erwiderte die Sklavin auf Griechisch.

    "Wie eine Puppe", sagte Claudia Sabina zu Claudia Sisenna, und ihr kam ein neuer Gedanke:

    „Magst du Puppen leiden, Sisi?– ich darf dich Sisi nennen?“

    Claudia Sabina fuhr hoch, da sie ihren unbekannten Onkel erwartet hatte.

    Sie wollte nicht am helllichten Tag auf der Kline liegend angetroffen werden, aber es war so angenehm. Aglaia hatte gerade damit begonnen, ihr die Füße zu massieren. Mit einem weiteren Blick erkannte Sabina jedoch, dass es ein kleines Mädchen war, welches im Türrahmen stand.

    Die Kleine freute sich offenbar, dass sie sie hatte überraschen können.


    Claudia Sabina schüttelte Aglaias Hände ab, und setzte sich aufrecht hin: „Mich gestellt? Und dazu noch beim Faulenzen ertappt. Ich wäre vor Schreck beinahe von der Kline gefallen“, gab sie lachend zu:

    „Ich heiße Claudia Sabina, und bin gerade erst angekommen. Und mit wem habe ich denn die Ehre?“

    Porta >>>


    Claudia Sabina lag einige Zeit später frisch gebadet und epiliert auf ihrem Bett und hielt die Augen geschlossen, weil sie eine Maske aus Gerste, Linsen und zermahlenen Getreidespelzen mit Honig angerührt auf dem Gesicht trug. Aglaia kniete hinter ihr und trocknete ihr mit einem Seidentuch das Haar, in dem sie jede Strähne immer wieder durchknetete.
    Anaxarete packte die Kleidertruhe aus, und murmelte nur ab und zu etwas Zustimmendes, während Claudia Sabina mit ihren Sklavinnen redete, denn das konnte sie, ohne dass die Maske abbröselte:


    „Ist das grüne Kleid annehmbar? Dazu Smaragde, was meinst du? Oder besser schlichtes Weiß und Ohrringe aus Bergkristall? Meinst du, mein Onkel ist streng? Nehmt euch von den Speisen, es ist genug da. Wo steckt Agamedes? Sobald ich hier fertig bin, esse ich auch etwas. Obwohl es mir durchaus gut tut, nicht so viel zu essen, denn Essen soll nur dazu da sein, den Leib zu erhalten, nicht jedoch um darin zu schwelgen, meint ja Musonius Rufus.“


    Gaius Musonius Rufus war Claudia Sabinas bevorzugter Philosoph, und sie folgte mit Eifer seinen Lehren, sofern ihr nichts dazwischen kam:


    „Despoina, bitte einen Moment nicht reden“, sagte Aglaia und begann mit einem Schwamm, den sie mit Rosenwasser beträufelt hatte, die Maske abzuwaschen. Kaum war es so weit, griff Claudia Sabina nach ihrem Handspiegel und schaute sich zufrieden an. Ihre Haut war hell und glatt und ihre Wangen etwas gerötet, als hätte sie Schminke aufgetragen, aber das hatte sie nicht. Sie setzte sich auf, und Aglaia machte ihr eine leichte Hochsteckfrisur, nichts Extravagantes.


    „Schlicht und Bergkristalle sind die bessere Wahl. Du bist ein junges Mädchen im Haus und keine verheiratete Dame, die auf ein Fest geht, Herrin“, sagte auch Anaxarete. Claudia Sabina unterwarf sich sofort ihrem Urteil, und so saß sie später angezogen und frisiert in einem Korbsessel, aß etwas und schaute nach draußen durch das Fenster in den Garten:


    „Wie schön dieses Cubiculum ist!“, sagte sie erfreut: „Und welch hübsche Aussicht! Das dunkle Rosa der Ausstattung reflektiert das Sonnenlicht ganz allerliebst, findet ihr nicht?"

    „Gut, Marco“, nickte Claudia Sabina: „Du bist also ein Leibwächter. Stammst du aus Italia?“, noch bevor er antworten konnte, tauchte der Maiordomus auf. Avgoustínos war sein Name, und er gab sofort Anweisungen, ohne sich zu verheddern oder aus der Ruhe bringen zu lassen, was bei einem so großen Anwesen wie dem claudischen aber vorauszusetzen war: Da musste der Hausvorstand äußerst tüchtig und effizient sein.


    „Salve Maiordomus Avgoustinos, das ist mir alles sehr recht. Anaxarete ...", Claudia Sabina deutete auf ihre Amme: „ ...wird bei mir schlafen, weil ich bisher noch keinen einzigen Tag ohne sie geschlafen habe, und Aglaia ….“, sie deutete auf die junge Ornatrix: „...ganz in meiner Nähe am besten, weil ich sie morgens immer gleich zur Hand haben muss“; sie deutete auf Agamedes: „...und Agamedes soll auch nachts in meiner Rufweite bleiben, falls mir plötzlich etwas einfällt, was ich ihn fragen will.“
    Claudia Sabina war daran gewöhnt, dass ihren Wünschen zeitnahe nachgekommen wurde.


    Über Marcos Bemerkung, dass Avgoustinos es liebte, wichtig genommen zu werden, lachte sie jedoch hell auf:
    „Und ich liebe es, wenn alles wie am Schnürchen klappt“, flüsterte sie zurück.


    >>> Cubiculum Claudia Sabina

    "Vale bene, Cornicularius Octavius", sprach Claudia Sabina mit leisem Bedauern. Sie hob ein wenig die Hand zum Gruße.

    Ihre Finger waren etwas staubig, und sie wischte sie schnell an ihrem Reiseumhang ab.

    Dann wandte sie sich dem Mann zu, der sie begrüßt und eingelassen hatte.


    "Salve, ich bin Claudia Sabina", stellte sie sich vor:

    "Danke für dein Willkommen, Ianitor. Wie wirst du genannt?", sie merkte sich die Namen von Sklaven für gewöhnlich, wenn sie nicht ganz und gar exotisch waren. In diesem Fall verpasste sie ihnen einen anderen:

    "Nun ...", sie schaute an sich herunter: "Ein Bad wäre für den Beginn angemessen. Meine Dienerinnen kommen mit mir. Und wenn sich mein Lehrer auch irgendwo waschen könnte, wäre das hervorragend. Und danach würden wir alle gerne eine Kleinigkeit essen: Brot und Käse und Obst. Und könnte meine Ornatrix meine Truhen in Ruhe in einem Cubiculum auspacken, um meine Kleider zu glätten? Ich möchte mich noch umziehen."

    Sie lächelte Marco an:

    "Es ist ganz gut, dass der Hausherr erst später kommt, auf diese Weise reicht die Zeit, mich wieder menschlich herzurichten, nicht wahr?"

    Re: Claudia Sabinas Ankunft



    Agamedes machte sich schon bereit, anzuklopfen, aber da der römische Dominus sagte, er würde sie anmelden, trat er einen Schritt zurück und behielt vorsichtshalber die Truhen im Auge.


    Claudia Sabina war nun neben Octavius Frugi getreten. Einen Moment lang war es ihr peinlich, wie hochgewachsen sie war. Deshalb hatte sie auch nach der Größe der Germanen gefragt. Sie war schon immer viel größer als die durchschnittliche Römerin gewesen. Im direkten Vergleich würde der so liebenswürdige Offizier das bemerken. Sie wusste, dass Männer sich durch ihre schiere Körperlänge irritiert fühlen konnten, und sie hoffte sehr, dass Cornicularius Octavius davon nicht irritiert sein würde:

    "Ich danke dir für alles.", sagte sie:

    "Und ich möchte gern hören, wie es in Germania war und was ein Cornicularius noch alles zu tun hat. Ich hoffe wirklich, dass sich eine Gelegenheit ergibt."

    Es würde allerdings nicht an ihr liegen, was sich da ergab. Sondern im Ermessen ihres Tutors. Der Umgang mit Männern war für eine Jungfrau von gutem Ruf doch sehr eingeschränkt, wenn es nicht gerade um Verwandte oder potentielle Gatten handelte.

    Sie wartete, dass Cornicularius Octavius Frugi ihre Ankunft anmeldete.

    Auf dem Weg zur Villa Claudia>>>


    Claudia Sabinas Ankunft


    Das Anwesen war sehr ausgedehnt für römische Verhältnisse, und Claudia Sabina sah bewundernd auf die hohen Mauern und goutierte die Ruhe, die die Villa Claudia auszuströmen schien. Sie hatte in den letzten Wochen Trubel um sich gehabt und kaum mal einen Moment der Stille, doch hier am Nordwesthang des Mons Esqulinus zwitscherten sogar Vögel.

    Claudia Sabina hatte ihre Truhen ausladen lassen, und nun stand sie mit ihrer Dienerschaft vor der prächtigen Porta. Sie war froh darüber, dass sie hier nicht alleine stand. Ihre Begleitung war Cornicularius Octavius Frugi, der sie vom Stadttor aus geleitet und gut unterhalten hatte.

    "Zweimal in Germania bist du gewesen? Ich würde mich freuen, wenn du mir irgendwann mehr über den Norden erzählen könntest. Stimmt es, dass die Menschen dort sehr hochgewachsen sind?", fragte Sabina.


    Ihre Amme Anaxarete richtete inzwischen Sabinas Palla und strich ihr eine Strähne hinter ihr rechtes Ohr, wobei sie sich auf die Zehenspitzen stellte, da ihre Herrin sie um zwei Köpfe überragte. Agamedes prüfte kurz die Intaktheit der Verschnürung der Reisetruhen. Sabinas Ornatrix Aglaia drückte sich an Anaxarete. Sie wirkte, seit sie in Italia waren, etwas eingeschüchtert.


    Blieb Sabinas Frage an den liebenswürdigen Urbaneroffizier:

    "Bringst du mich bitte noch in die Villa hinein, Cornicularius Octavius Frugi?"

    "Das ist bereits die Villa Claudia? Der Weg in deiner Begleitung war kurzweilig, Cornicularius Octavius", sagte Claudia Sabina. Jetzt hatte sie keine Zeit gehabt, den Urbaner über seinen Vorgesetzten auszufragen. Was für ein Mensch ihr Tutor Menecrates wohl war? Ob er aussah wie ihr eigener Vater, nur in "würdig"? (Tatsächlich konnte sie sich kaum mehr an ihren Vater erinnern):

    "Agamedes, lässt du bitte meine Reisetruhen ausladen."

    Sie wählte ihren Hauslehrer, weil er im Unterschied zu den Sklavinnen Latein sprach. Und sie sagte bitte, weil sie sich viel mehr als seine Schülerin als als seine Besitzerin fühlte.

    Agamedes kümmerte sich um das Gewünschte und nahm die Rechnung entgegen, die später hoffentlich der claudische Maiordomus begleichen würde.


    "Zweimal in Germania bist du gewesen? Ich würde mich freuen, wenn du mir irgendwann mehr über den Norden erzählen könntest. Stimmt es, dass die Menschen dort sehr hochgewachsen sind?", fragte Sabina:

    "Bringst du mich bitte noch in die Villa hinein, Cornicularius Octavius Frugi?"


    Anaxarete richtete Sabinas Palla und strich ihr eine Strähne hinter ihr rechtes Ohr, wobei sie sich auf die Zehenspitzen stellte, da ihre Herrin sie um zwei Köpfe überragte. Dabei schaute sie mittlerweile ähnlich drein wie Cerberus, der den Eingang zur Unterwelt bewachte, nur dass sie keine drei Köpfe hatte.


    >>> Porta Villa Claudia

    „Ich bin mir sicher, dass dieser Nebenzweig der Octavier höchst ehrenwert ist, und dass deine Eltern sich deinen Ahnen beigesellt haben, um über dich zu wachen. Und dein Geburtsort ist bestimmt landschaftlich sehr hübsch, da er doch an der Küste liegt.“, antwortete Sabina freundlich. Sie hatte das Thema "weibliche Verwandte" als unverfänglich eingeschätzt, und sie wollte ihren Begleiter keinesfalls betrüben. Daher redete sie schnell weiter:
    „Nun, ich selbst bin in Alexandria aufgewachsen, weil sich meine Mutter nach meines Vaters Tod dorthin verheiratet hat. Sie lebt auch noch dort. Meine Reise war durchaus angenehm. Ich wurde wie ein Stück warmes Brot von Gastfamlie zu Gastfamilie gereicht.“
    Eine Dame von Stand übernachtete nur in Herbergen, wenn es sich nicht vermeiden ließ:
    „Den Seeweg habe ich auf einem Transporter der Cura Annonae zurücklegen dürfen. Das war vielleicht nicht so bequem, aber sehr sicher. Niemand würde ein solches Schiff angreifen.“
    Zwar war die Piratenplage seit langem eingedämmt, doch vereinzelte Überfälle kamen vor:
    „Und wir haben öfter Halt gemacht: Auf Zypern in einem Hafen, der Paphos heißt. Dort haben wir uns das Heiligtum der göttlichen Aphrodite mit den berühmten Plastiken der Iulia Augusta und des Augustus angesehen. “, Sabina nickte: „ Und in Tainaron in Griechenland haben wir dem göttlichen Neptun in dem großen Poseidontempel ein junges Kalb zum Dank und für eine glückliche Weiterfahrt geopfert. Und dann….“, sie machte eine Pause, und sie tätschelte Anaxaretes Hand, die auf sie sehr verstimmt wirkte:
    „Ach, es war so viel und noch mehr, Cornicularius Octavius. Aber sag: Was macht ein Corni - cularius bei den Urbanern eigentlich alles? Und arbeitest du schon lange für meinen Onkel?“, sie stolperte über das ungewohnte Wort.

    Am Stadttor >>>


    Während sich die Reisegesellschaft der Claudia langsam Richtung Mons Esquilinus bewegte, und die Sänfte dabei fast so schlimm schaukelte wie das Schiff auf der Strecke nach Kreta, plauderte Sabina mit dem zuvorkommenden Urbaner:
    „Und du stammst direkt aus Roma, Cornicularius Octavius? Hast du deine Familie auch hier? Vielleicht auch Schwestern?"

    Ihre Amme Anaxarete schaute verkniffen drein; ihrer Meinung nach waren alle römischen Soldaten Hallodris, und wenn sie schöne braune Augen hatten und gute Umgangsformen Herzensbrecher noch dazu, und ihre Aufgabe war es, ihre junge Herrin vor Ungemach zu bewahren. Außerdem sprach sie die Landessprache nicht.

    Claudia Sabina ignorierte die Missbilligung aber. Später würde sie ihre alte Sklavin umarmen und ihr zuflüstern, dass sie allein der beste und der wichtigste Mensch in ihrem Leben war und sie damit hoffentlich wieder versöhnen.


    Männer waren doch dazu da, einem alle Widrigkeiten vom Hals zu halten, und Cornicularius Octavius löste gerade die anstehenden Probleme. Sänften wurden organisiert, Träger wurden bestellt, und während sich Claudia Sabina in ihre Palla gewickelt, auf anmutige Weise in den Polstern niederlegte, achtete sie darauf, die Vorhänge zurückzuschlagen. So konnte sie sich nämlich weiter mit dem schneidigen Offizier unterhalten, da er zu Fuß die Sänfte begleiten würde:

    "Das ist überaus liebenswürdig, dass du für meine Sicherheit sorgst, Cornicularius Octavius.", sagte sie.


    >>> Auf dem Weg in die Villa Claudia

    Claudia Sabina bemerkte nun auch die zwei Hörner am Abzeichen, weshalb der richtige Rang Corni -cularius war:

    „Erfreut deine Bekanntschaft zu machen, Cornicularius Octavius Frugi. Dann kommen wir zu den Stichproben.“, sagte sie.


    Ihr Lehrer Agamedes, der perfekt Latein verstand, gab bereits den beiden Sklavinnen Anweisungen, die Truhen zu öffnen, und einen Moment lang hoffte Sabina, dass Cornicularius Octavius und seine Milites die Kiste mit den schönen Kleidern und nicht die mit den Puppen inspizieren würden. Denn in letzerem Fall würden sie sie für ein kleines Mädchen halten:
    „Du würdest mich zu den Claudiern begleiten? Das nenne ich eine glückliche Fügung, und ich danke dir sehr. Die Truhen sind allerdings schwer, und dafür brauchen wir entweder zwei Sänften oder drei kräftige Träger.“


    Hoffentlich würde dem Urbaner auch dazu etwas einfallen, auch wenn es bestimmt nicht seine Hauptaufgabe war, jungen Damen, selbst wenn sie Patrizierinnen und Mündel seines Vorgesetzten waren, auf Reisen behilflich zu sein. Doch er wirkte zuvorkommend und patent, und ein viriler Anblick in seiner Uniform war er auch.
    Aber schon tippte ihr Anaxarete rügend auf den Arm, und Sabina unterließ es, Cornicularius Octavius unentwegt anzulächeln.

    Claudia Sabina war froh, dass sie nicht allzu derangiert aussah; immerhin hatte sie noch in Forum Appii das letzte Mal gebadet und sich von Aglaia heute morgen zumindest das Haar hochstecken lassen, als der gut aussehende Offizier an ihre Carruca kam und sie ansprach:
    „Salve und danke für das Willkommen….“
    , sie wusste nicht genau, was sein Rangabzeichen bedeutete und beschloss, ihn lieber mit einem zu hohen als einem zu niedrigen Dienstrang anzusprechen: „ ...Centurio. Mein Name ist Claudia Sabina, und ich begebe mich zu meinem Verwandten, dem Praefectus Urbi Herius Claudius Menecrates, um unter seinem Dach zu leben.“
    Der Name Claudius hatte Sabina auf Reisen Türen geöffnet; sie ging davon aus, dass es hier an ihrem Ziel nicht anders sein würde:
    „Nein, ich führe keine Waffen mit...“, sie wagte ein kleines Lächeln: „...außer einigen äußerst spitzen Haarnadeln. Sollen meine Sklavinnen die Truhen öffnen?“, sie waren wie gesagt, wieder gut verschnürt worden, nachdem auch in Puteoli eine Kontrolle stattgefunden hatte.

    Und da der Urbaner in Reichweite war, fragte sie gleich weiter:

    "Und könntest du mir bitte die Auskunft erteilen, wie ich am besten zur Villa Claudia gelange?"

    Vielleicht hatte der Offizier eine Idee, wie sie um eine Mietsänfte herumkam.

    Von Puteoli>>>


    Vor Wochen war Claudia Sabina war mit drei Reisetruhen aus Alexandria ad Aegyptum aufgebrochen. Ihre drei Lieblingssklaven und persönlichen Besitz hatte sie bei sich: Anaxarete, Aglaia und Agamedes.

    Und außerdem steckte ein Brief von ihrer Mutter Cloelia Minor, den sie ihrem Tutor, dem Senator Claudius Menecrates in Roma überreichen sollte, in ihrem Beutel.

    Sabina hatte geschlafen, aber jetzt war sie hellwach, denn das Anhalten der Reisekutsche verriet ihr, dass sich etwas tat: Sie standen im Stau vor dem Stadttor.


    „Oh ja, Herrin, das vor uns ist gewiss Roma.“, erwiderte ihre Amme, und Agamedes nickte.
    Claudia Sabina schaute aus dem Fenster der Carruca und zog ihre Palla halb über den Kopf, um sich vor der Sonne zu schützen, auch wenn die schwächer zu brennen schien als in der alten Heimat.


    Gemeinsam mit den anderen Reisenden warteten sie auf die Abfertigung. Danach würde es, weil Wagen tagsüber nicht in die Stadt durften, mit einer Mietsänfte weitergehen, das wusste sie schon.


    Die junge Römerin reiste so früh im Jahr, weil sie sich von Alexandria aus zumindest bis Puteoli einer Gesellschaft hatte anschließen konnte, bei der zwei ehrwürdige Matronen dabei waren, die ihrer Mutter Cloelia Minor versprochen hatten, auf sie zu achten.
    Da zum Reisen immer noch die schlechte Jahreszeit war, führte die lange Route an den Küsten entlang, über Kleinasien und Kreta und Sizilien nach Puteoli und ab da mühesam auf dem Landweg.



    ......„Das grüne Kleid und die Smaragdohrringe, das rosa Kleid und die Karneolperlen“,

    Claudia Sabina trug eine schlichte, ärmellose Tunika, hatte das blonde Haar mit einem einfachen roten Band hochgebunden und diktierte, was ihre Amme Anaxarete und ihre Ornatrix Aglaia in der dritten Truhe verstauen sollten.

    Zwei Tuhen waren schon verpackt und verschnürt.

    Die beiden Hateriusse, wie Sabina sie nannte, Haterius Nummer Eins und Haterius Nummer Zwei; beide hatten sie die vorquellenden Augen und die dicke Oberlippe ihres Vaters, der Sabinas Stiefvater war, geerbt, saßen auf der zweiten Truhe und ließen die Beine baumeln.

    Haterius Nummer Eins war zehn Jahre alt und Haterius Nummer Zwei acht.

    Sabina liebte ihre Halbbrüder, wie man Brüder liebte, zu denen der Altersunterschied immens war – ein bisschen von oben herab.

    Haterius Eins fragte: „Und warum darfst du übers Meer nach Roma fahren und wir nicht? Du bist schließlich nur ein Mädchen.“ „Ja, ein Mädchen, das so groß ist, dass es dir auf den Kopf spucken kann.“, konterte Claudia Sabina.

    Groß war sie wirklich für eine Frau, wenn sie nicht gerade den Kopf einzog.


    Sabina würde nach Roma zu den Verwandten ihres Vaters reisen. Ihr Stiefvater, der Ritter Haterius Nepos, hatte das Mädchen zwar unter seinem Dach geduldet, als er ihre Mutter, Cloelia Minor, Witwe von Tiberius Claudius Severus, geheiratet hatte, aber er war weder ihr Vormund noch konnte er sie vorteilhaft verheiraten.


    „Wo ist der Panaetius?", fragte Sabina, bückte sich und schüttelte ihr Bettlaken, um das Gesuchte zu finden.

    Ihre Sklavinnen wussten schon, dass sie damit keinen Menschen, sondern das Buch eines Philosophen meinte.

    „Darum wollte sich Agamedes kümmern, Despoina“, antwortete Anaxarete.

    „Agamedes!“, rief Claudia Sabina nach ihrem Hauslehrer. Der hörte ihren Ruf und schaute durch die offen stehende Tür. Er war ein Mann fortgeschrittenen Alters, mit grauem, in die Stirn gekämmten Haar und einem Kinnbärtchen:

    „Deine Schriftrollen sind alle in der ersten Truhe, Herrin.“, sagte er, ohne dass Sabina zu ihrer Frage gekommen war. Und wie er „alle“ betonte, meinte er alle.


    „Man könnte meinen, du hättest die komplette Bibliothek aus dem Serapeum mitgehen lassen.“, murmelte Anaxarete: „ Meinst du, bei den Rhomäern gibt es nichts zu Lesen?“

    „Bestimmt gibt es mehr als genug“, meinte Claudia Sabina, und Haterius Nummer Zwei krähte: „Schmeiss' die Bücher raus und pack uns ein, dann können wir mitkommen“

    „Da sind nicht nur Bücher drin.", murmelte Sabina verlegen: „Sondern auch meine Puppen.“

    „PUPPEN!“, kreischten die Hateriusse einstimmig und verzogen ihre kleinen Gesichter voll Abscheu.

    „Na, ich muss sie mitnehmen. Wenn ich heirate, opfere ich sie der göttlichen Iuno, so will es der Brauch.“

    Und außerdem will ich sie nicht hier lassen, dachte Sabina, auch wenn ich schon achtzehn bin und schon lange nicht mehr mit Puppen spiele.

    Automatisch setzte sich auf die dritte Truhe, damit diese verschnürt werden konnte…….


    Claudia Sabina schreckte auf.
    Durch das eintönige Poltern der Wagenräder war sie fest eingeschlafen, denn ihre Wange ruhte auf Anaxaretes Schulter. Das urplötzliche Anhalten der Carruca riss sie jedoch aus dem Schlaf.
    „Sind wir schon da?“
    , fragte sie sofort. Sie hatte von zuhause geträumt. Von Alexandria.

    Aber nein, das war gar nicht mehr ihr Zuhause.


    >>> Stadttor