Legio XXII Deiotariana
Die Geschichte der Legio XXII Deiotariana umfasst in etwa 180 Jahre und ist damit kürzer als die vieler anderer römischer Legionen. Sie ist nichtsdestotrotz recht ungewöhnlich, was bereits mit ihrer Aufstellung begann.
Der Beiname Deiotariana leitete sich von Deiotarus ab, dem König der Tolistoboger. Die Tolistoboger, oder auch Tolistobogii, gehörten wie die Trokmer und Tektosagen zu den keltischen Stämmen, die sich ab 279 v. Chr. in Kleinasien niederließen und als Galater bezeichnet wurden. Sie waren Nachfahren von Söldnern, welche König Nikomedes I. von Bithynien 278 v. Chr. im westlichen Europa angeheuert hatte.
Zweihundert Jahre später waren die Tolistoboger wichtige Verbündete Roms im Kampf gegen Mithridates VI., den König von Pontus. Diese Bündnistreue machte sich bezahlt, als Gnaeus Pompeius Magnus im Jahr 63 v. Chr. Deiotarus zum König der Galater, also aller kleinasiatischer Kelten, ernannte. Mit Unterstützung der Römer hob Deiotarus eine Armee aus und Marcus Tullius Cicero berichtet im Jahr 48 v. Chr., dass sie zu jenem Zeitpunkt ein Stärke von 14.000 Mann (12.000 Infanteristen und 2.000 Kavalleristen) erreicht habe und in dreißig Kohorten aufgeteilt wäre, was in etwa der Mannschaftsstärke von drei römischen Legionen entsprochen hätte.
An der Seite der Römer kämpfte diese Armee gegen Pharnakes II. von Pontos, den Nachfolger von Mithridates VI., und erlitt eine verheerende Niederlage, die sie auf 1/3 ihrer Ursprungsstärke schrumpfen ließ. Unter Gaius Iulius Caesar wurden die verbliebenen Männer in Legionsstärke neu formiert und nahmen an der siegreichen Schlacht von Zela teil. Nach dem Tod des letzten Galaterkönigs Amyntas im Jahr 25 v. Chr. gliederte man Galatien als Provinz in das Römische Imperium ein. Unter dem neuen römischen Statthalter Marcus Lollius wurden die bisherige galatische Hilfstruppe daraufhin in eine reguläre, römische Legion umgewandelt und als Legio XXII Deiotariana in das Exercitus Romanus eingegliedert. Es ist nicht bekannt, welches Legionszeichen die Deiotariana führte. Vielfach wird jedoch vermutet, dass es sich aus einem keltischen (galatischen) Symbol abgeleitet haben könnte.
Bald nach 25 v. Chr. ließ Kaiser Augustus die Legion nach Ägypten verlegen. Ihr neuer Garnisonsstandort war Alexandria, wo sie sich ein Doppellager mit der Legio III Cyrenaica teilte. Die Hauptaufgabe der dortigen Militärpräsenz war die allgemeine Sicherung der für Rom außerordentlich wichtigen Provinz – Ägypten war unter anderem eine der wichtigsten "Kornkammern" des Imperiums – und das Kleinhalten von immer wieder aufkeimenden, inneren Konflikten in der antiken Großstadt Alexandria, wo sich die verschiedensten Bevölkerungsgruppen des östlichen Mittelmeerraums niedergelassen hatten.
Aufgrund der in Ägypten vorhanden Ressourcen und der Abhängigkeit Roms von den regelmäßigen Getreidelieferungen vom Nilus (heute Nil), war es keinem Senator ohne ausdrückliche Erlaubnis des Kaisers erlaubt, diese Provinz auch nur zu besuchen. Deshalb wurden die dort stationierten Legionen auch nicht von einem senatorischen Legatus legionis befehligt, sondern von einem Praefectus legionis, der dem Ritterstand angehörte.
In den Jahren 26 und 25 v. Chr. unternahm der Statthalter Ägyptens, Gaius Aelius Gallus, einen Feldzug nach Arabia Felix, im heutigen Jemen. Obwohl der erste gesicherte Beleg für die Anwesenheit der Legio XXII am Nil erst aus dem Jahr 8 v. Chr. datiert, nimmt man an, dass zumindest Teilverbände bereits an dieser Unternehmung teilnahmen. Nicht zuletzt aufgrund der sehr langen Versorgungswege geriet der Vormarsch schon bald ins Stocken und musste 25 v. Chr. schließlich ganz aufgegeben werden, als in Oberägypten ein Aufstand der Nubier, angeführt von ihrem König Meroe, ausbrach. Unter dem Kommando von Caius Petronius marschierten die Römer 24 v. Chr. den Nil aufwärts bis zur nubischen Hauptstadt Napata und schlugen die Revolte nieder. Auch an dieser Strafexpedition dürften Teile der Legio XXII Deiotariana beteiligt gewesen sein.
In den darauf folgenden, eher ruhigen Jahrzehnten, wurde die Legion nicht nur zu Kampfeinsätzen herangezogen, sondern auch zu verschiedenen Bauprojekten, sowie zum Einsatz in den Granitbrüchen des Mons Claudius, wo ein grauer Granit gewonnen wurde. 63 n. Chr. nahmen Teile der Legio XXII an einem Feldzug gegen die Parther und Armenier teil, der von Gnaeus Domitius Corbulo angeführt wurde. Corbulo überschritt mit seiner Armee den Euphrat, doch wichen seine Gegner einer Schlacht aus und schließlich kam es zu einem Friedensschluss, ohne das es zu massiven Kampfhandlungen gekommen wäre.
Im ersten jüdischen Krieg, der 66 n. Chr. begann und endgültig erst im Jahr 73 n. Chr. mit dem Fall der Festung Masada endete (Jerusalem fiel bereits 70 n. Chr.), war die Legion ebenfalls beteiligt. Sie gehörte zu den drei Legionen, welche die späteren Kaiser Vespasian und (dessen Sohn) Titus gegen die Aufständischen einsetzten. Es verwundert deshalb nicht, dass die Deiotariana im Bürgerkrieg des Vierkaiserjahres 69 n. Chr. auf der Seite Vespasians stand.
Der letzte sichere Beleg über die Legio XXII Deiotariana stammt aus dem Jahr 119 n. Chr. (oder 123 n. Chr., hier besteht eine gewisse Unsicherheit über die genaue Datierung). In einer Auflistung aller römischen Legionen aus dem Jahr 145 n. Chr. wird sie dann schon nicht mehr aufgeführt. Allgemein wird vermutet, dass sie im jüdischen Bar-Kochba-Aufstand der Jahre 132 bis 135 n. Chr. vollständig aufgerieben, oder infolge hoher Verluste aufgelöst wurde.