Probatio
Jeder junge Mann, der sich zum Dienst in der Armee meldete, musste sich einer Musterung (probatio) unterziehen. Wurde diese erfolgreich bestanden, wurde er als tiro vorläufig in die Armee aufgenommen.
Inhaltsverzeichnis
Ablauf der Musterung
Für die Aushebung (dilcetus) neuer Rekruten war in der Kaiserzeit in den Provinzen der jeweilige Statthalter und in Italia ein dilectator zuständig. Je nach Bedarf an Rekruten (s.u.) reichte es, nur die Freiwilligen zu mustern, oder es mussten junge Männer zwangsweise einberufen werden. Grundsätzlich konnte sich die Armee eine harte Auswahl leisten und nur die besten Kandidaten aufnehmen. Zeitweise war es notwendig, dass junge Männer ein Empfehlungsschreiben vorlegten, um besser Chancen auf eine Aufnahme zu haben. Umgekehrt sind auch Fälle bekannt, in denen sich Beamte bestechen ließen, um Kandidaten als untauglich auszumustern (Tacitus, Annales XIV, 18, 1).
Spätestens in der Kaiserzeit wurden durch die Musterung mindestens drei notwendige Voraussetzungen geprüft: Körperliche, intellektuelle und rechtliche Aspekte.
Körperliche Aspekte
Der Dienst in der Armee stand grundsätzlich nur Männern offen, die in einem guten körperlichen Allgemeinzustand waren. Es gab eine Mindestgröße von fünfeinhalb Fuß (~ 1,65m) (Vegetius I, 5), die allerdings unterschritten werden konnte, wenn es die Lage erforderte. Ferner wurde auf ein gutes Seh- und Hörvermögen geachtet. Auch ein Test auf Epilepsie war schon bekannt. Es ist allerdings nicht sicher, dass dieser immer durchgeführt wurde.
Ein Mindest- oder Höchstalter ist nicht bekannt. Die Auswertung von Angaben zu Alter und Dienstjahren auf Grabsteinen lässt aber Rückschlüsse darauf zu, dass die meisten Soldaten im Alter von 18 bis 21 Jahren gemustert und zur Armee eingezogen wurden. Gelegentlich lassen sich auch Soldaten finden, die bereits mit 16 ihren Dienst begannen, während Rekruten über 30 Jahren nicht vorkommen.
Intellektuelle Aspekte
Das genaue Ausmaß dieser Prüfung ist nicht bekannt, aber es kann als gesichert angenommen werden, dass auf ein Mindestmaß an Intelligenz wert gelegt wurde. Vegetius erwähnt einen "intelligenten" oder "aufgeweckten" Gesichtsausdruck als Maßstab, ohne dies näher auszuführen. Lesen und Schreiben war - insbesondere bei der Rekrutierung für die Hilfstruppen - offenbar keine zwingende Voraussetzung, denn es sind ausdrückliche gegenteilige Beispiel bekannt. Ebenso kann nicht vorausgesetzt werden, dass Kenntnisse des Lateinischen auch im griechisch geprägten Ostteil des Reiches immer notwendig waren.
Rechtliche Aspekte
Die rechtliche Prüfung war der komplizierteste Aspekt der Musterung. Unfreien war der Dienst in der Armee verboten, wobei in Notfällen auch kurzfristige Freilassungen möglich waren, um zusätzliche Rekruten zu gewinnen. Im Normalfall stand es jedoch unter Strafe, sich als Unfreier zum Dienst in der Armee zu melden (Plinius d. J., Epistulae X, 30). Voraussetzung für den Dienst in der Legion war wiederum das römische Bürgerrecht. Ferner schmälerte es die Chancen auf eine erfolgreiche Musterung erheblich, wenn der Rekrut oder sein Vater einem unehrbaren Beruf nachging und beispielsweise als Sklavenhändler oder Schauspieler arbeitete.
Bedarf an Rekruten
Bei einer Dienstzeit von 20 Jahren hatte eine Legion einen Bedarf von im Schnitt lediglich etwa 240 neuen Soldaten pro Jahr. Hilfstruppeneinheiten hatten aufgrund ihrer geringeren Größe einen noch viel niedrigeren Bedarf. Insgesamt kann für die gesamte römische Armee in Friedenszeiten ein Bedarf von weniger als 20.000 Mann pro Jahr angenommen werden. Auch ohne genauere Kenntnis über die Bevölkerungszahl ist damit klar, dass dieser Bedarf grundsätzlich sehr einfach zu decken war.
Sprunghafte Anstiege konnten während Kriegen und insbesondere während Bürgerkriegen auftreten. In letzterem Fall wurden häufig zusätzliche Truppen aufgestellt, für die dann gleich mehrere Tausend Mann benötigt wurden. Allerdings konnte dies auch dazu führen, dass nach dem Ende eines solchen Bürgerkrieges ein Übermaß an Truppen zur Verfügung stand und damit für eine gewisse Zeit lang überhaupt keine Rekrutierungen vorgenommen wurden, bis der Überhang abgebaut war (Tacitus, Historiae II, 69, 4).
Literatur:
Yann le Bohec, Die römische Armee, Stuttgart 1993