Decimus Livianus

  • Seiana starrte auf die Tür und konnte nicht anders als an das letzte Mal zu denken, als sie hier gewesen war. Sie hatte sich mit Faustus gestritten, schon wieder. Und sie hatte versprochen, ihren Verlobten vorzustellen. Sie schloss die Augen und drängte die Bitterkeit zurück, verbarg sie unter dem Eis, das sie dieser Tage umgab wie einen Kokon. Entschlossen öffnete sie die Augen wieder und klopfte an, und als Livianus sie herein gebeten hatte, betrat sie zögernd sein Officium. „Salve, Onkel. Ich würde gerne etwas mit dir besprechen. Sofern du einen Augenblick Zeit für mich hast.“

  • Als Livianus seine Nichte sah, lächelte er erfreut und legte seine Arbeit beiseite. Er vermutete das sie gekommen war, um ihn den Termin für das geplante Kennenlernen mit ihren Verlobten mitzuteilen.


    "Natürlich Seiana. Bitte nimm Platz."


    Er deutete einladend auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.

  • Seiana verzog ihre Lippen kurz zu einem Lächeln, und ihre Gesichtszüge nahmen die vertraute Form auch an, spiegelten aber nichts wider, was es ehrlich hätte wirken lassen können. Sie war müde, sowohl körperlich als auch geistig, und sie… fühlte sich kalt. Innerlich kalt. Sie schaffte es einfach nicht, das Lächeln überzeugend wirken zu lassen, und obwohl sie es dennoch versuchte, obwohl sie es wollte – innerhalb der engsten Familie konnte sie es wenigstens akzeptieren und zulassen, wenn es ihr nicht gelang. Livianus kannte sie, seit sie klein war, er hatte ihre Mutter und deren Kinder immer unterstützt, seit ihr Vater gestorben war. Selbst wenn sie in den letzten Jahren wenig Kontakt gehabt hatten – wen außer Faustus und vielleicht noch Lucilla hatte sie denn noch, der sie so gut kannte, dem sie sich anvertrauen könnte?


    Und dennoch: als sie nun eintrat und sich setzte, wusste sie nicht, wie sie anfangen sollte. Es war nicht wirklich ihre Schuld, aber trotzdem fühlte es sich an wie ihr persönliches Versagen. Dazu kam, dass sie Caius so verteidigt hatte, vor Faustus vor allem, aber auch in jenem Gespräch vor Livianus. Und jetzt musste sie eingestehen, dass Faustus Recht gehabt hatte. Wie sonst sollte sie denn erklären, dass Caius die Verlobung gelöst hatte? „Wir… haben uns doch neulich unterhalten. Über meine Verlobung, meine ich.“ Seiana atmete leise, aber dennoch tief ein. „Das ist nun hinfällig. Sie wurde gelöst.“

  • Das Lächeln verschwand im selben Augeblick aus dem Gesicht des Senators, in dem seine Nichte die letzten Worte ausgesprochen hatte. Verwirrt sah er sie an und schüttelte den Kopf.


    "Was meinst du mit gelöst? Was ist passiert?"

  • „Gelöst“, wiederholte Seiana. „Die Verlobung ist gelöst. Die Hochzeit findet nicht statt.“ Sie wusste, dass es nicht nötig war, das zu sagen. Dass Livianus nicht das gemeint hatte mit seiner Frage. Aber sie hatte das Gefühl, es sagen zu müssen. Es verlieh dem Ganzen mehr… Realität. Sie presste die Lippen aufeinander und sah auf den Boden, bevor sie ihren Blick wieder hob und dem ihres Onkels begegnete. „Ich… er… wird wohl eine andere heiraten“, brachte sie dann hervor.

  • Livianus seufzte, hielt sich jedoch mit weiteren Fragen zurück. Die Situation von ihrem Verlobten zurückgewiesen und nun auch noch vor ihren Onkel treten und diesen darüber in Kenntnis setzen zu müssen war für die junge Frau vermutlich schlimm genug, auch ohne das der Onkel dann auch noch viele Fragen stellte. Es würde der Zeitpunkt kommen, wie sie von alleine bereit genug war sich Livianus zu öffnen.


    "Ich verstehe." sagte er daher nur kurz angebunden und überlegte krampfhaft, welche Worte nun passend waren. Wichtig war allem voran, dass es Seiana gut ging – dem Umständen entsprechend gut zumindest. Doch die Angelegenheit regte ihn dann doch ziemlich auf und er tat sich schwer, dass nicht zu zeigen.


    "Ich versichere dir, dass ich diese Angelegenheit selbstverständlich auch mit meinem Patron Aelius Quarto besprechen werde. Es ist eine Unverschämtheit dich so zu behandeln und dich zurück zu weisen. Das kann und werde ich nicht akzeptieren."

  • Livianus wirkte… nicht sonderlich erfreut. Natürlich nicht, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. Wie sollte er auch erfreut sein, wenn seine Nichte ihm gerade mitgeteilt hatte, dass sie doch nicht heiraten würde? Seine Nichte, die keine Eltern hatte, die sui iuris war, die in einem Alter war in dem andere Frauen schon längst verheiratet waren und ihrem Mann bereits Kinder geboren hatten… Und sprach ihr Onkel weiter, und Seiana begriff, dass er aus ganz anderen Gründen so knapp gewesen war. Oder zumindest seinen Worten nach zu schließen. Allerdings… war sie sich nicht so ganz sicher ob ihr gefiel, was er sagte. Sie wusste es nicht. Ein Teil von ihr wünschte sich, dass er mit Quarto sprach, dass er etwas tat, was Caius zeigte, dass er so nicht mit ihr umspringen konnte. Der weitaus größere Teil jedoch wusste nicht so recht, ob die Idee gut war. Sie hatte ja eingewilligt. Und es hatte keinen Sinn. Und es war die Sache nicht wert. Und sie wollte nicht, dass jemand wusste, wie sehr sie das getroffen hatte. Oder warum.


    Seiana wich seinem Blick erneut kurz aus und presste die Zähne aufeinander, bevor sie wieder aufsah. „Das ist… freundlich von dir, wirklich. Aber ich weiß nicht…“ Sie seufzte leise und rieb sich über die Stirn. „Der Punkt ist: er hat mich gefragt. Ich denke, er hätte mich geheiratet, wenn ich darauf bestanden hätte, aber… ich…“ Seiana schluckte. „Was für einen Sinn hätte es gemacht, auf einer Heirat zu bestehen, wenn er eine andere vorzieht? Das ist… das wollte ich nicht. Ich habe meinen Stolz.“ Jetzt klang ihre Stimme verschlossen, als das Eis in ihr wieder zu knistern begann. „Das solltest du wissen, bevor du dich entscheidest, mit deinem Patron zu sprechen über diese Sache.“

  • Livianus machte sich genau die Gedanken, von denen Seiana ausging. Seine Nichte, die keine Eltern hatte, die sui iuris war, die in einem Alter war in dem andere Frauen schon längst verheiratet waren und die aus gutem Hause stammte und nun auch noch eine gelöste Verlobung hinter sich hatte, was sich bestimmt bald herumsprechen würde. Er konnte ihre Entscheidung jedoch gut verstehen und nachvollziehen, hatte er sich doch selbst immer einer politischen Heirat verwehrt und auch seine Aemilia damals einzig und allein der Liebe wegen geheiratet.


    "Also gut. Dann lassen wir es vorerst auf sich beruhen. Du hast richtig gehandelt und die Familie steht geschlossen hinter dir. Also mach dir keine Sorgen, auch wenn damit zu rechnen ist, dass darüber gesprochen wird. Doch auf das Geschwätz der Leute habe ich noch nie viel gehalten."

  • Ihre Gedanken mochten doch in die gleiche Richtung gehen – spätestens was den Part der politischen Heirat betraf, trennten sich die Wege endgültig. Seiana hatte es versucht. Sie hatte es versucht, mit Caius, eine Bindung einzugehen, eine Ehe anzustreben, die nicht rein politisch motiviert war. Er war ihr von Anfang an sympathisch gewesen, und er stammte aus einer guten Familie. Und je näher sie ihn kennen gelernt hatte, desto mehr hatte sie angefangen ihn wirklich zu mögen. Was hätte besser sein können als das? Eine Bindung, in der beide Partner sich gegenseitig respektierten, sich aufrichtig mochten und gut verstanden – und darüber hinaus beide aus Familien stammten, die für den jeweils anderen angemessen waren? Von so einer Bindung profitierten doch alle. So eine Bindung war doch… das Beste, was passieren konnte. Hatte sie geglaubt.


    Jetzt dachte sie anders darüber. Sie hatte es versucht. Und es hatte nicht funktioniert. Vielleicht ging es bei anderen, aber bei ihr hatte es nicht funktioniert. Sie mochte vielleicht naiv gewesen zu glauben, dass es etwas hätte werden können, dass es eine solche Ehe hätte geben können für sie – aber sie war niemand, der einen Fehler zweimal beging. Auf Gefühle war kein Verlass. Sie hatte auf Sympathie gebaut, die stetig tiefer geworden war. Und Caius? Caius hatte ihr weit mehr als nur einmal gesagt, dass er sie liebte. In Anbetracht der Tatsache, wo sie nun standen, war das doch ein mehr als deutlicher Beweis dafür, dass auf Gefühle kein Verlass war. Sicherlich mochte es die geben, bei denen sie Bestand hatten, aber das war ein Geschenk der Götter. Und sie, Seiana, war keine Frau, die eine derartige Gunst der Götter erwarten durfte. Dafür gab es zu viel in ihrem Leben, zu viel an ihr und in ihr, was anders sein sollte. Das war doch die einzige Erklärung… Und Gefühle allein waren zu flatterhaft, um sich darauf zu verlassen, sofern sie nicht von Familienbanden gestützt waren.


    „Ich danke dir“, antwortete Seiana dann leise, als ihr Onkel ihr seine Unterstützung und die der Familie zusicherte. „Ich wünschte, ich könnte das Gerede irgendwie eindämmen. Ich möchte nicht, dass ein negatives Licht auf die Familie fällt. Was ich dazu beitragen kann, werde ich tun, aber ich fürchte es wird nicht viel geben, außer es zu ignorieren.“

  • "Wie gesagt. Mach dir keine Sorgen. Ich schätze demnächst werde ich ohnehin das ganze Gerede über unsere Familie auf mich ziehen. Ich bin bisher noch nicht dazu gekommen es in der Familie bekannt zu geben, aber ich habe vor bei den kommenden Wahlen für das Consulat zu kandidieren. Spätestens nach bekanntwerden meiner Absichten werden die Leute hier in Rom genug über mich zu reden haben. Das wird sie von allem anderen Ablenken. Vertraue mir.“


    Livianus lächelte seine Nichte aufmunternd zu und ließ seinen Blick dann kurz über seinen Schreibtisch gleiten. Dabei viel sein Blick auf die Einladung von Sedulus und Iunia Serrana. Vielleicht eine gute Gelegenheit Seiana auf andere Gedanken zu bringen. Er nahm das Schreiben zur Hand und sah wieder auf.


    "Ach Seiana. Hättest du vielleicht Lust mich auf die Hochzeitsfeier von Germanicus Sedulus und Iunia Serrana zu begleiten? Ich habe diese Einladung erhalten und wie du weißt fehlt mir eine Begleitung. Es wäre nicht Standesgemäß dort alleine zu erscheinen."


    Er reichte seiner Nichte das Schreiben.



    Ad
    Marcus Decimus Livianus
    et
    familia
    Casa Decima Mercator
    Roma


    [Blockierte Grafik: http://i687.photobucket.com/albums/vv232/Aine_photos/einladung.jpg]


    vale bene,


    Iunia Serrana


    "Die anderen beiden kenne ich leider nicht, aber dafür unterhalten wir enge Beziehungen zu den Iuniern in den Germanicern wie du weißt. Es wäre daher sehr wichtig das wir uns dort sehen lassen."

  • Seiana bemühte sich um ein Lächeln, als Livianus ihr erneut sagte, sie solle sich keine Sorgen machen – und dann wurde ihre Miene überrascht, als sie seine Ankündigung hörte. „Du kandidierst als Consul? Ich wünsche dir viel Erfolg. Falls du Unterstützung brauchen solltest im Vorfeld, dann gib Bescheid.“ Es war selbstverständlich, innerhalb der Familie zusammenzuhalten, aber davon ganz abgesehen sah Seiana in der Tat das gleiche wie ihr Onkel: es würde ablenken. Ob er nun gewann oder verlor – wobei Seiana natürlich auf ersteres hoffte –, es würde ablenken, sowohl in der Kandidatur als auch im Anschluss daran. Was war denn schon eine gelöste Verlobung gegen die Kandidatur eines Kriegshelden? Seiana machte sich in dieser Hinsicht keinerlei Illusionen darüber, wie unwichtig sie letztlich war – oder auch Caius, der herzlich wenig Ehrgeiz an den Tag gelegt hatte. Und genau das war letztlich ihr Vorteil. Wie Livianus gesagt hatte, würde der Tratsch schnell aufhören, sobald es etwas gab.


    Was dann kam, traf Seiana eher unvorbereitet. Von der Hochzeitsfeier hatte sie bereits gehört, dass Livianus sie allerdings mitnehmen wollte, löste zwiespältige Gefühle in ihr aus. Sie freute sich darüber, dass er sie als Begleiterin ausgesucht hatte. Andererseits drehte es sich um eine Iunia, und auch wenn sie wusste, dass die decimischen Beziehungen zu dieser Gens eigentlich gute waren – so weit sie wusste, war ein Iunier sogar Klient von Livianus –, änderte das doch nichts an der Tatsache, dass sie auf ein ganz spezielles Mitglied gar nicht gut zu sprechen war. Aber auch diese Feier bedeutete Ablenkung. Und sie konnte dort andere kennen lernen. Gesellschaftliche Bindungen knüpfen, Kontakte herstellen. Sie hatte nicht unbedingt wenig vorzuweisen in diesem Bereich, aber eben auch nicht viel. Und falls… falls sie da waren, er und sie… könnte sie auch zeigen, wie sehr sie darüber stand. Wie lächerlich das Ganze für sie gewesen war. Ihre Augen bekamen kurz einen merkwürdigen Glanz, und Eisfäden durchzogen ihr Inneres, während sie die Einladung überflog, die Livianus ihr inzwischen gereicht hatte. Eine Doppelhochzeit, las sie mit einem flüchtigen Stirnrunzeln. Untraditionell, das war es eindeutig, und vor allem was die Germanica betraf, fragte Seiana sich, wie die Riten wohl aussehen würden. Aber das würde sie ja erleben, denn ihre Entscheidung hatte sie getroffen – auf Livianus’ Anfrage hin hätte sie ohnehin kaum nein sagen können, aber nach dieser kurzen Phase des Überlegens war sie zu dem Schluss gekommen, dass sie dorthin wollte. Und sie hoffte beinahe, Caius und Axilla würden ebenfalls da sein. Mit einem Lächeln, das nur durch das kühle Glitzern in ihren Augenwinkeln als entlarvt werden mochte als nicht ganz so ehrlich, wie es schien, sah sie wieder auf. „Ich begleite dich gerne auf diese Feierlichkeiten.“

  • Als seine Nichte Livianus viel Erfolg wünschte nickte er ihr dankend zu. Auch er selbst wünschte sich diesen Erfolg, doch war aufgrund der Umstände uns seinen Kandidaturvorbereitungen wohl kaum damit zu rechnen. Dennoch ließ er sich nicht unterkriegen und wollte einen Vorstoß in die angedachte Richtung starten.


    Dann kam sie wieder auf die Feierlichkeiten zu sprechen und nahm seine Einladung an. Der Senator lächelte.


    "Sehr gut. Das freut mich Seiana. Es wird dir bestimmt gut tun unter Leute zu kommen."

  • Seiana lächelte schwach, während sie sich zugleich schon wieder fragte, ob das tatsächlich richtig war, ausgerechnet auf eine Hochzeit bei den Iunien zu gehen. Aber sie hatte bereits zugestimmt, und schaden konnte es ganz sicher nicht, sah man einmal von ihrem Gefühlsleben ab. „Ich freue mich schon darauf.“ Ihr Lächeln verstärkte sich für einen Augenblick etwas und überdeckte jegliche Zweifel, die sie haben mochte. „Nun… wen du sonst nichts mehr zu besprechen hast, würde ich mich zurückziehen. Ich möchte dich nicht länger stören als nötig.“

  • Das Officium des Senator stand lange Zeit unbenützt und leer. Es hatte die Sklaven einiges an Arbeit gekostet, es so kurzfristig wieder wohnlich und komfortabel Einzurichten, so dass er auch Gäste hier in einem angenehmen und repräsentativen Ambiente empfangen konnte. Platz genug bot der Raum dafür. Neben dem massigen Eichenschreibtisch samt hohem Regal dahinter auf der einen Seite, wurde auf der anderen Seite des Raumes eine Gruppe Klinen platziert, damit auch im kleineren Rahmen ein angenehmes und bequemes Gespräch möglich war. Abgerundet wurde das Ganze mit Feuerschalen und einigen dekorativen Gegenständen. Es sah trotz allem Komfort immer noch alles sehr praktisch und schlicht aus, aber Livianus war noch nie ein Mann, der auf besonderen Luxus und Prunk Wert legte.


    Er selbst saß gerade hinter seinem Schreibtisch und grübelte über einigen Schriftrollen, als der Sklave das Zimmer betrat und die Gäste ankündigte, welche er im Schlepptau hatte. Livianus nickte, erhob sich von seinem Stuhl um trat in die Mitte des Raumes. Gekleidet war er in einer schlichten Tunika aus gutem Stoff, die mit einigen Mustern gesäumt war. Auf die eher formelle Toga hatte er verzichtet, schließlich war man unter Freunden.


    Als der Sklave zur Seite trat und die beiden Germanicer schließlich den Raum betraten, kam ihnen Livianus mit einem freundlichen Lächeln entgegen.


    "Avarus! Sedulus! Es ist so viel Zeit vergangen. Es tut gut euch wohlauf zu sehen. Ich hoffe euren Familien geht es ebenfalls gut und sie haben vor allem die letzten Monate alle unbeschadet überstanden."


    Natürlich sprach er dabei zuerst den Älteren der beiden Männer an, schließlich war er auch ein angeheirateter Verwandter, und streckte ihnen nacheinander in einer freundschaftlichen Geste seine rechte Hand entgegen, während die Linke schon bereit war, sich zusätzlich auf die sich schüttelnden Hände zu legen oder den Arm seines Gegenübers zu ergreifen, um noch mehr Verbundenheit auszudrücken. Man merkte ihm an, dass er sich ehrlich über dieses Wiedersehen und die Tatsache, dass es beiden Senatoren gut zu gehen schien freute und es sich nicht nur um eine gespielte Floskel handelte.

  • Er war lang nicht mehr in diesem Haus gewesen. Dennoch es roch nach Altbewehrten und so konnte man sich gleich heimig fühlen ohne die Ohnmacht neuer Bilder aufsaugen zu müssen.


    "Salve Senator, danke es geht mir gut soweit und selbst?"


    Floskeln, dennoch eine übliche Fragerunde, wenn man nicht zu detailiert auch eigene Gebrechen eingehen wollte. Immerhin war auch Avarus mittlerweile über dem Verfallsdatum.


    "Wir leben und haben unseren Besitz behalten. Ich denke das ist Lohn genug. Zudem sind unsere Kinder wohl auf. Ein paar Verwandte stecken noch im Strudel der Veränderung fest, aber das geht den Decimern ja genauso."


    Er dachte da an die Schleimer in der Kanzlei. Jene überschenglichen Beamten, deren übertriebenen Eifer er noch während seiner aktiven Zeit auf dem Palatin argwöhnisch beäugte.

  • Sedulus betrat nach seinem Onkel das Officium des Livianus.
    Er reichte ihm zur Begrüßung die Hand und schließlich den Unterarm des Senators.


    Salve Senator Decimus Livianus. Ich kann mich meinem Onkel da eigentlich nur anschließen und habe dem nicht großartig etwas hinzuzufügen.


    Lächelte Sedulus freundlich.

  • "Es freut mich, dass es euren Familien gut geht. Nach solchen Ereignissen ist das immer das wichtigste."


    Nachdem die Begrüßung abgehackt war, deutete Livianus auf die vorbereiteten Klinen.


    "Bitte. Lasst uns doch Platz nehmen."


    Er wartete ab bis sich seine Gäste eine Liege gewählt und in eine bequeme Position gebracht hatten, dann ließ er sich selbst auf der frei gebliebenen nieder. Zwei Sklaven traten ein, reichten den Senatoren mit ägyptischen Hieroglyphen und Ornamenten verzierte Becher und boten Honigwein sowie verdünnten Falerner-Wein an. Auf kleinen Tischchen, die zwischen den Klinen standen, waren Teller mit Obst, Nüsse und süßen mundgerechten Backwaren bereitgestellt.


    "Ich bin erst seit wenigen Tagen zurück in Rom und hatte bisher kaum Gelegenheit Informationen einzuholen wie die allgemeine Stimmung in den Straßen und im Senat ist. Wie du eben richtig sagtest Avarus, gibt es auch bei uns genug familiäre Angelegenheiten die meiner Aufmerksamkeit bedurften.


    Als ich erfahren hatte, dass Rom unter Palmas Kontrolle war, bin ich sofort aus Hispania aufgebrochen. Wie ist eure Einschätzung? Haben wir wirklich alle Nachwehen des Bürgerkriegs überstanden? Palma wurde vom Senat als Imperator eingesetzt. Ich habe gehört es ist ein weiteres Testament aufgetaucht. Ich hoffe diesmal ein echtes. Und diese Vorwürfe, die in der Acta zu lesen waren, von wegen der Verschwörung gegen Kaiser Valerianus und die Beteiligung Palmas am Mord des Kaisers. Hat der Senat Palma dazu befragt? Und was ist mit den Anhängern Salinators? Er hatte ja auch einige Senatoren auf seiner Seite. Sind sie geflohen? Wurden sie gefasst? Wird es Prozesse geben? Habt ihr etwas von unsere verbannten Kollegen erfahren? Vielleicht von meinem Patron Aelius Quarto? Ich habe einen Sklaven zum Palast geschickt, doch soweit ich gehört habe ist er dort auf keine Aelier getroffen."


    Erst jetzt bemerkte Livianus, wie unfreundlich es wirken musste, seine beiden Gäste so mit Fragen zu bombardieren. Doch es gab so viele offene Fragen, so vieles das ihn interessierte und auf das die beiden Senatoren vermutlich Antworten wussten. Entschuldigend und etwas verlegen lächelte er ertappt.


    "Verzeiht mir meine Unhöflichkeit. Es gibt so viele Fragen die mich derzeit beschäftigen. Ich hatte gehofft, dass wir uns bei diesem Treffen ein wenig über die aktuelle Lage austauschen könnten."


    Erwartungsvoll sah er die beiden Männer an und beschloss abzuwarten, was sie von sich aus erzählten, als sie mit seinen Fragen zu überfallen.

  • Den Weg von der Casa Germanica hierher per Pedes zu gehen, war schon eine Anstrengung gewesen, aber den Ärzten gemäß auch nötig, um die alten Gebeine lebendig zu halten. Daher war der ältere der beiden Gastsenatoren dankbar sich setzen zu können. Er ließ dabei das übliche Gestöhne alter Männer weg, denn Avarus mochte derartiges Theater nicht und so schlimm war es denn auch noch nicht. Die Erben hatten also noch guten Grund es sich mit dem alten Herren nicht zu verscherzen. Viele Fragen wurden auch sogleich in den Raum geworfen. Germanicus Avarus versuchte sich alle zu merken. Falls er etwas vergaß zu beantworten, konnte ja entweder Sedulus ihm aushelfen oder der Decimus erneut nachfragen...


    "So schnell geht das nicht. Roms Mauern wurden einige Tage belagert. Die Stadt ist ausgebrannt, ihre Bevölkerung verunsichert. Krieg auf heimischen Boden. Bis völlige Normalität eingekehrt ist wird es bestimmt noch ein Jahr oder auch länger dauern."


    Ohja schreckliche Monate waren vergangen. Doch die Germanicus Familie konnte da noch ganz zufrieden sein fast ohne Schrammen aus den Wirren des Bürgerkriegs gekommen zu sein.


    "Willst Du eine ehrliche Meinung zu den ganzen Testamenten hören oder die Pragmatischste. Ich glaube kaum das das neue Testament aus der Feder des Valerianus stammt, aber keiner wird das wagen anzufechten. Du nicht, ich nicht Sedulus nicht und der restliche Senat auch nicht. Man kann die Curie als gelähmt beschreiben. Immerhin wurde noch kein Exempel statuiert. Die Senatoren des Salinator versuchen nun natürlich ihre Köpfe und Habseeligkeiten aus der Schlinge zu ziehen. Bisweil scheint ihnen das auch zu gelingen. Der Senat tut zur Stunde nichts, er wartet ab. Und die Befragung des Senators Palma wegen dessen möglichen Beihilfen oder Komplotten... wer soll die durchführen? Du denkst doch nicht, das irgendwer im Senat das riskiert dieses Thema nocheinmal anzusprechen. Er wurde durch die Curie als Kaiser legitimiert. Damit ist die Sache vom Tisch. Das wird alles schön Salinator angelastet. Egal wer letztendlich der Giftmischer war."


    Auch Avarus wollte von der "Rente" noch was haben und sah keinen Weg zur Wahrheit führen. Wahrscheinlich würde einfach irgendwann Gras über die ganze Geschichte wachsen wie schon so oft in der römischen Geschichte. Was das Volk wollte war klar. Frieden und Wohlstand. Was die Eques und Senatoren sich wünschten, war nicht so weit weg vom Wunsch des Volkes. Am Ende gab es vielleicht noch ein Dutzend Römer die sich für die ganze Wahrheit intressierten. Aber sie taten gut daran Nutzen und Schaden fü sich selbst und Rom abzuwägen.


    "Aelius Quarto ist wohl auf. Er wohnt mit seinem Sohn vorübergehend in unserem Haus."


    Und hatte das gute Recht dort noch einige Zeit zu bleiben. Genau für solche Unterstützungen waren Freunde nun einmal da.


    "Die verbannten Senatoren sind wohl informiert worden und haben sich auf den Weg zurück nach Rom gemacht. Ich gehe davon aus, das sie bald wieder im Senat sitzen und rehabilitiert werden. Keine Ahnung ob sich Palma zudem großzügig zeigt, weil sie unfreiwillig ein paar Monate im Exil hausen mussten."


    Germanicus Avarus nahm sich vom Obst. Was saftiges aus der Schaale. Die vielen gesprochenen Worte hatten den Rachen angeraut und ausgetrocknet.

  • Avarus brachte die Situation ohne große Umschweife auf den Punkt. Das war es auch, was Livianus über alles an ihm schätzte und daher war er sehr froh, dass dieser seiner Einladung gefolgt war. Manchmal sah man sich natürlich auch mit Aussagen konfrontiert, die man selbst nicht so gerne hören wollte, doch man konnte sich immer darauf verlassen, dass man von Avarus seine kompromisslose Meine zu hören bekam. Natürlich bekam Livianus nur das bestätigt, was er sich schon selbst zusammengereimt hatte, doch es war gut zu erfahren, dass auch andere so wie er dachten, was den neuen Kaiser betraf. Ihm war auch nicht entgangen, dass Avarus Palma so wie auch er selbst bisher kein einziges Mal als Kaiser tituliert hatte.


    Wesentlich wichtiger war jedoch, dass Quarto noch am Leben und wohl auf war. Es war eine Erleichterung zu hören, dass er sich in unmittelbarer Nähe befand und Gast der Germanicii war. Noch dazu nicht alleine. Als direkter Verwandter des ermordeten Kaiser war er und seine unmittelbare Familie der größten Gefahr von allen ausgesetzt gewesen und es war fraglich, ob diese schon vorbei war. Denn nach wie vor stellten die Aelier für jeden der das Reich regierte, ganz gleich wie er heißen mochte, eine Gefahr dar. Konnte auch Quarto als Bruder des ermordeten Kaisers ein Testament vorbringen indem seine Familie als Begünstigte der Thronfolge aufschienen, so wäre ein neuer Bürgerkrieg so gut wie sicher.


    "Ich sehe die Sachlage so wie du Avarus. Mir ist zudem aufgefallen, dass Palma ähnlich wie schon Salinator vor ihm alle wichtigen Schalthebel des Reiches mit seinen Protegés besetzt hat. Ganz gleich ob wichtige Statthalterschaften wie Aegyptus oder die Stadtpräfekten in Rom. Überall hört man Namen von Personen, die sich bisher kaum hervor getan haben."


    Der Decimer schüttelte verständnislos den Kopf.


    "Ich weiß nicht wohin das alles führen wird, aber ich denke ihr werdet mir Recht geben, wenn ich sage das unser vorrangigstes Ziel als Senatoren sein sollte, Rom und dem Reich wieder eine gewisse Stabilität zu geben. Dessen wird sich auch Palma bewusst sein. Und sobald im Senat wieder eine gewisse Routine eingekehrt ist, wird sich auch das Volk beruhigen und mit der Situation abfinden. Daher ist es gut zu hören, dass sich unsere verbannten Kollegen wieder auf den Weg zurück nach Rom befinden. Auch wenn der Senat nicht mehr die Machtfülle republikanischer Zeiten besitzt, so ist er für die Bevölkerung dennoch auch in stürmischen Zeiten immer eine gewisse beruhigende Konstante gewesen."


    Livianus nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Becher und man konnte merken, wie sich seine Stimmung schlagartig änderte. Bisher hatte er sehr freundlich und gut gelaunt gewirkt, doch nun wurde er sichtlich ernster und nachdenklicher.


    "Wie ihr sicher gehört habt, wurde mein Sohn seines Amtes als Praefectus Praetorio enthoben und gefangen genommen. Er wurde uns letzte Nacht in einem erbärmlichen Zustand zurückgebracht und befindet sich nun in seinem Zimmer um sich auszuschlafen und zu erholen. Ich denke es wird noch Wochen dauern, bis er wieder richtig auf die Beine kommt. Ich möchte ehrlich zu euch sein. Ich weiß noch nicht so Recht wie ich mit dieser Situation umgehen soll.


    Natürlich ist mir bewusst, dass er sich letztendlich auf der falschen Seite dieses Bürgerkriegs befunden hat und wie ihr der Acta entnehmen konntet, war er es, der die Wahrheit über die Ermordung Valerianus aufgedeckt hat. Im Grunde genommen muss ich also froh darüber sein, dass er überhaupt lebend das Gefängnis verlassen hat."


    Nun schlug die Stimmung des Decimers deutlich in Wut über und auch wenn er vor seinen Freunden besonnen wirken wollte, konnte er einen gewissen Zorn in seiner Stimme nicht unterdrücken.


    "Aber er war immerhin der Preafectus Praetorio verdammt nochmal! Der oberste Präfekt des Reiches! Ich muss euch nicht erzählen was meine Familie wie euch die eure für dieses Reich schon alles getan und auch geopfert hat. Der Dank dafür ist, dass man meinen Sohn wie ein Tier in ein finsteres Loch sperrt, wo ihm Nahrung verwehrt wurde und er in seinen eigenen Exkrementen hausen musste?! Man hätte ihn auch genauso gut unter Hausarrest stellen oder ihm zumindest eine der angenehmeren Zellen zuteilen können. Ich würde diesen Palma am liebsten…."


    Livianus verkniff es sich diesen Satz zu beenden. Er hatte sich schon genug in Rage geredet und hoffte innständig, dass ihm seine Freunde dies verzeihen und ihm einen Ratschlag geben konnten. Er konnte das Geschehene doch nicht einfach Ignorieren. Es ging immerhin um seinen Sohn.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!