• "Pompieus Imperiosus….. hmm"


    Livianus dachte kurz nach ob ihm dieser Name geläufig war, schüttelte dann aber verneinend mit dem Kopf.


    "Nein, kenne ich nicht...... Aber es würde mich freuen wenn du mich in absehbarer Zeit noch einmal mit einem Besuch beehrst. Und bei dieser Gelegenheit kannst du ihn gerne mitbringen und mir vorstellen, wenn das dein Wunsch ist."

  • Axilla lächelte leicht und nickte. “Naja, ich hab es ihm versprochen. Und sein Wort muss man ja halten als... ähm, also immer.“ Beinahe hätte sie gesagt 'als Mann von Ehre', weil das ihr Vater immer so gesagt hatte. Aber sie war ja kein Mann, auch keiner von Ehre, daher erschien ihr das doch etwas unpassend. “Da wird er sich sicher freuen.“
    Es dauerte aber einen Augenblick, bis Axilla verstanden hatte, dass sie auch zu diesem Besuch dann eingeladen war, oder besser gesagt, dass das schon fast die Voraussetzung dazu war. Sie verbarg ihre Gedanken dazu hinter einem weiteren Schluck Saft. Wirklich begeistert war sie von der Aussicht nicht. Irgendwie erschien ihr dieses Gespräch schon ein wenig zäh, was sollte sie dann bei einem zweiten noch sagen? Noch dazu, wo die Männer wahrscheinlich lieber unter sich reden wollen würden. Über Politik oder irgendwas, wovon Axilla vermutlich keine Ahnung hatte. Sie langweilte sich bereits bei dem Gedanken daran. Aber naja, versprochen war versprochen, und das wird nicht gebrochen.


    Irgendwie hatte Axilla das Gefühl, dass sich die Stille zwischen ihnen ausbreitete. Sie wusste aber auch wirklich nicht, was sie noch sagen sollte. Heimlich schaute sie einmal zu der Tür, durch die Seiana entschwunden war.
    Wie spät es wohl war? Axilla wiegte den Becher noch in der Hand, ehe sie sich zu einem etwas kindischen Plan entschloss. Beinahe schon theatralisch gähnte sie und hielt sich dabei eine Hand vor den Mund. “Oh, verzeih, Senator. Der Tag heute war wohl etwas lang. Aber deiner sicher auch, wenn du eben erst heimgekommen bist. Ich möchte dich auch nicht länger von deiner abendlichen Entspannung abhalten. Mit deiner Erlaubnis würde ich mich dann verabschieden, ehe mein Sklave mich noch schlafend nach Hause tragen muss.“

  • Livianus durchschaute Axillas Vorwand nicht sondern erhob sich sofort und lächelte sie zuvorkommend an. Sie war ein bezauberndes junges Fräulein und der Senator merkte, dass sie durchaus einen gewissen Reiz auf ihn ausübte. Nur leider war sie etwas zu jung, was sich auch im eher kurz angebundenen Gespräch widerspiegelte. Doch irgendwie erinnerte sie ihn mit ihrer frischen und aufgeweckten Art an Aemilia. Er musterte sie noch einmal wehmütig, ehe er sich von ihr verabschiedete.


    "Du musst dich nicht entschuldigen junge Iunia. Das ist doch selbstverständlich. Ich danke dir für deinen Besuch und hoffe, dass wir uns bald wieder sehen. Meine Sklaven werden dich nach draußen begleiten."


    Er winkte einen Sklaven herbei, der Axilla mit einer einladenden Geste den Weg wies und wartete, dass sie sich ebenfalls von Livianus verabschiedete.

  • Axilla stand auch mit gespielter Müdigkeit und nochmaligem, leichten Gähnen auf und lächelte den Senator möglichst bezaubernd an. Sein Blick an ihr herunter entging ihr dabei nicht, aber was sollte sie schon dagegen sagen? Guck weg? Sie wusste, dass sie nicht hässlich war, da schauten schon ab und an mal Männer. Und solange sie unverheiratet war und keinen männlichen Verwandten dabei hatte, musste sie das wohl einfach ignorieren.
    “Ich danke dir, Senator. Mein Sklave Leander müsste ncoh in der Küche sein, wenn sie ihn auch gleich herausschicken könnten?“


    Natürlich taten die Sklaven das, es war mehr eine rhetorische Floskel. Axilla lächelte also dem Senator noch einmal zu, und wie es üblich war unter guten Freunden – und als Patron ihres Vetters war er sicher so zu behandeln – stellte sie sich zum Abschied einmal kurz auf die Zehen, um ihm den flüchtigen Hauch eines Kusses, ohne ihn aber wirklich zu berühren, auf die Wange zu geben.
    Bevor sie noch feststellen konnte, ob das vielleicht doch unangebracht war, und damit der Senator es zur Not jugendlichem Überschwang zuschreiben konnte, lächelte sie ihm mit einem kleinen Winken einfach nochmal zu und verabschiedete sich so schnell.
    Draußen wartete auch schon Leander auf seine Herrin, bei dem sich die Iunia flink einhakte. Es tat ihr ein wneig Leid, sich nicht mehr von Seiana verabschiedet zu haben, aber die würde Axilla in ein paar Tagen beim Essen bei Pompeius Imperiosus ja wiedersehen, da war das sicher nicht so schlimm.

  • Sie waren relativ schnell an der Casa angekommen. Caius hatte immer noch keine Ahnung, was er sagen sollte. Aber wenigstens hörte hier niemand zu und sie waren allein, und Seiana war geistesgegenwärtig genug gewesen, einen Sklaven ihres Vertrauens anzuweisen, dass das tablinum erstmal tabu für jeden anderen war. Dann war die Tür zu, und Seiana hatte keine Möglichkeit mehr, wegzulaufen. Caius war mulmig zumute.


    »Bist du immer noch sauer?« versuchte er erstmal die Lage zu sondieren.
    »Ich meine: Hast du dich etwas beruhigt?« berichtigte er sich dann, weil sauer war Seiana ganz sicher noch. Er lehnte von innen an der Tür, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und betrachtete Seianas Miene. Irgendwie war er ganz schön fertig, gedanklich. Seine Tunika zierten halb getrocknete Breispritzer. Caius merkte das aber gar nicht.

  • Beruhigt? Ob sie sich beruhigt hatte? Das war ganz eindeutig die falsche Frage, die er ihr stellte. Sie hatte sich nicht beruhigt, sie war immer noch taub, gefroren. Das einzige, was im Augenblick eine Rolle spielte war, dass niemand etwas mitbekam. Es war ohnehin schon öffentlich genug geworden, sie wollte nicht, dass auch noch ihre Familie hier mit hineingezogen wurde. Also hatte sie einen Sklaven angewiesen, dass hier niemand hereinkommen sollte, einen von denen, von denen sie wusste, dass sie ihm vertrauen würde. Davon abgesehen hatte keiner gesehen, wie sie hier hereingegangen waren. Wenn sie es jetzt nur schaffte, leise zu bleiben… Ihre Gedanken rotierten und rotierten, und den einzigen Ankerpunkt, den Seiana finden konnte, war dies: dass keiner etwas mitbekam. Keiner. Sie musste das verschließen, musste es für sich behalten. Was passiert war, auf der Hochzeit, auf der Straße, war passiert, daran würde sie nichts mehr ändern können, aber sie konnte verhindern, dass es noch schlimmer wurde. Und so ignorierte sie Caius zunächst, der sich an die Tür lehnte, durchquerte nur den Raum, um den größtmöglichen Abstand zwischen sich und ihn zu bringen, und stellte sich an das Fenster an der gegenüberliegenden Wand, mit Blick zum Garten, so dass Caius ihr Gesicht nur im Profil sehen konnte. „Seh ich unruhig aus?“ fragte sie, immer noch so kühl wie zuvor. „Also? Worüber willst du reden?“

  • »Nein, siehst du nicht«, stellte Caius nüchtern fest, als Seiana da so vor dem Fenster stand und raus sah. Gerade sah sie eher verkniffen aus und mühsam beherrscht. Aber das sagte er besser auch nicht. Caius überlegte, ob er sich mit der Schulter von der Tür abstoßen und zu ihr hingehen sollte, aber der dezente Hinweis von vorhin klingelte noch in seinen Ohren (fass mich nicht an). Also blieb er, wo er war.


    »Ich will auch eine Antwort auf meine Frage haben. Warum willst du unbedingt bis zur Hochzeit warten? Ich meine ich bin ja nun wirklich nicht jemand, der fröhlich durch die Bordelle hüpft oder so. Du hast gesagt, du willst warten. Das hab ich akzeptiert, ohne nachtzfragen warum. Aber jetzt will ich es wissen. Hast du Angst? Wovor?« Caius sah Seiana nach wie vor an. Naja, zumindest ihr Profil. Sie hätten da definitiv mal eher drüber reden sollen, so lange wie sie sich jetzt schon kannten. Und so lange wie sie verlobt waren.

  • Sie blieb, wo sie war, und sah weiterhin hinaus. Erst als Caius das Wort ergriff und länger sprach, drehte sie sich irgendwann zu ihm um. Ob sie Angst hatte? Ob sie Angst hatte? Natürlich hatte sie das, irgendwie, aber das spielte überhaupt keine Rolle, weil es sich einfach gehörte, dass eine Römerin nicht vor der Ehe herumhurte! Jetzt loderte die Wut doch wieder in ihr hoch, aber sie beherrschte sich. „Weil es sich so gehört“, zischte sie. „Weil eine Römerin jungfräulich in ihre erste Ehe gehen sollte. Weil es die Ehre verlangt!“ Nein, es spielte keine Rolle, dass sie Angst davor hatte, sich derart zu öffnen. Diese Form von Nähe zuzulassen, zulassen zu müssen. Dass sie froh war um den Aufschub bis zur Hochzeit, den sie hatte. „Jetzt erzähl mir nicht, dass du das nicht gewusst hast, ich hab das mehr als einmal gesagt! Und komm mir bitte nicht damit, dass das Schwachsinn wäre. Die Ehre der eigenen Familie ist kein Schwachsinn! Und außerdem hat es auch ganz praktische Gründe – was wäre denn, wenn dir irgendetwas passiert? Glaubst du denn irgendjemand würde mich noch wollen, wenn er weiß, dass er zwar mein erster Ehemann wird, aber nicht der erste in meinem Bett? Oder wenn ich schwanger geworden wäre? Noch dazu in Ägypten? Hier in Rom lässt sich eine Hochzeit vielleicht beschleunigen, aber nicht in Alexandria, nicht wenn unser beider Familien hier sind und wir hier mit ihnen feiern wollen!“ Sie starrte ihn an und glaubte nicht so recht, dass sie ihm das tatsächlich erklären musste. „Nachdem ich jetzt deine Frage hoffentlich zu deiner Zufriedenheit beantwortet habe“, schloss sie zynisch, „hättest du wohl die Freundlichkeit, nun endlich die meine zu beantworten?“

  • Die Ehre war also schuld. Caius versuchte das zu verstehen, aber so richtig gelingen wollte ihm das nicht. Axilla hatte auch eine Ehre, aber hatten se die verletzt? Niemand würde doch erfahren, was vor der Ehe so alles passierte, wenn man aufpasste und nicht unbedingt mitten auf dem Trajansmarkt die Beine breit machte.


    »Du tust gerade so, als wär ich damit zur Acta gegangen. Wär hätte das denn mitbekommen? In Alexandrien war niemand da außer uns. Und hier gibt es so viele Möglichkeiten. Ich versteh dich einfach nicht. Wir sind jetzt so lange verlobt, Seiana, und wir kennen uns noch viel länger, aber in der Hinsicht vertraust du mir einfach nicht. Das ist einfach nur...frustrierend.« Caius zuckte mit den Schultern und sah sie dabei ernst an. Er war wirklich keiner, der alle Nase lang in ein lupanar ging und nicht lebensfähig war, wenn er keinen Schuss setzen konnte, aber Seianas Gehabe konnte er wirklich nicht nachvollziehen.
    »Selbst in Ravenna wolltest du nicht.« Er konnte den leisen Vorwurf in seiner Stimme einfach nicht vermeiden. Dafür sprach er aber leise und ohne Wut.


    Dann stellte Seiana wieder ihre Frage, nun zum dritten Mal. Caius kam nicht darum herum, es ihr zu sagen. Er wollte sie nicht belügen. Nur wie sollte er es anfangen? Er runzelte angestrengt die Stirn und stieß sich dann doch von der Tür ab, um zu Seiana zu gehen. Einen halben Schritt vor ihr blieb er stehen und sah sie an.
    »Ja«, sagte er.
    »Ich habe mit ihr geschlafen.«

  • Es konnte immer etwas herauskommen, lag ihr auf der Zunge. Sie hätte schwanger werden können, zum Beispiel. Jemandem hätte etwas auffallen können. Aber viel wichtiger war: sie hätte es gewusst. Für sie war die Ehre ihrer Familie mehr als nur ein Wort, mehr als nur etwas, das nach außen hin gewahrt werden musste. Sie musste nicht mit allem einverstanden sein, was Tradition und Ehre verlangten, um danach zu leben. Es war für sie mehr als einfach nur das Ansehen, dass die Familie in der Öffentlichkeit hatte, so dass man diese Tugenden einfach links liegen lassen konnte, wenn einem danach war, solange es nur nicht bekannt wurde. Mitglied einer Gens wie der Decima zu sein, brachte Verantwortung mit sich, brachte Pflichten mit sich, das hatte ihre Mutter ihr eingebläut, und Verantwortung und Pflichten waren selten leicht. Der Familie und den Göttern gerecht zu werden, war selten leicht. Wenn es leicht war, zählte es nicht. „Es macht keinen Unterschied, wo, Caius. Ich würde mich, meine Familie und meine Ahnen betrügen. Und auch wenn keiner sonst das mitbekommt, ich würde es wissen, würde es immer wissen, dass ich das getan habe.“


    Und dann kam Caius doch noch zu ihr. Seiana musste an sich halten, um sich nicht zu bewegen, um nicht wieder wenigstens etwas Abstand zwischen ihn und sich zu bringen. Aber sie blieb, wo sie war, rührte sich nicht. Und dann antwortete er. Sprach die Worte aus, die sie befürchtet hatte. Und die Eisschicht war wieder da. Genauso wie der Kloß in ihrem Hals. Sie wandte den Kopf etwas, so dass sie erneut in den Garten sah. „Und es hätte keine Lupa sein können? Oder eine Sklavin?“ fragte sie bitter. Seiana wusste, wie es aussah. Sie wusste, dass für Männer andere Regeln galten als für Frauen. Sie wusste, dass Männer sich vergnügen konnten, und dass das nicht notwendigerweise einen Ehrbruch bedeutete. Und sie war auch bereit, das zu akzeptieren. Aber da ging es um Lupae, um Sklavinnen, höchstens noch um Konkubinen. Nicht um eine andere Römerin, aus einer guten Familie, die für Caius eindeutig mehr war als eine bloße Bettgeschichte, rein zu seinem Vergnügen. Es ging Seiana nicht darum, dass er mit ihr geschlafen hatte. Es ging ihr darum, dass sie nicht früher davon erfahren hatte, es ging ihr darum, dass er mit Axilla darüber hinaus mehr zu tun hatte, mit ihr offensichtlich befreundet war, und es ging ihr darum, was das in letzter Konsequenz bedeutete. Sie sah ihn immer noch nicht an. „Wie oft? Und wie lange geht das schon so?“

  • So ein Blödsinn. Caius glaubte, dass es den Ahnen herzlich egal war, ob Seiana vor oder nach der Hochzeit mit ihrem Ehemann Sex hatte oder nicht. Aber er konnte nicht gegen ihre Überzeugung argumentieren, also sah er nur frustriert drein und sagte nichts mehr dazu. Die Sache hatte sich ja eh erledigt.


    Caius fiel auf, das Seiana eigentlich weg wollte. Er hob die Hände, um sie an den handgelenken zu fassen, überlegte es sich dann aber anders und ließ sie wieder sinken. Er wollte nicht schon wieder eine Ohrfeige kassieren oder angemault werden deswegen. Das was jetzt kam, war schon genug. Caius fühlte sich schlecht, und Seianas Worte machten es noch schlimmer. Eigentlich war ja nichts dabei, zumindest nicht für einen Römer, aber ihr gegenüber hatte er schon irgendwie sowas wie eine Verpflichtung. Immerhin war sie seine Verlobte. Seiana wandte sich ab, und Caius sagte erstmal nichts zu ihrer Frage, sondern sah sie nur an.


    »Ich hab das nicht geplant«, bemerkte er dann nach einer Weile, als das Schweigen zu dröhnend wurde. Und als wär das nicht genug, fragte sie dann noch was. Caius wollte lieber nicht darüber reden.
    »Ist das nicht egal? Ob einmal oder mehrmals, das würde eh nichts ändern, oder doch?« stellte er die Gegenfrage und zuckte mit den Schultern. Das Schlimmste war, dass er sich fühlte wie in Watte gepackt. Wie in einem Traum, so als wär das gar nicht er, der vor Seiana stand, sondern als würde er nur zugucken.

  • Nicht geplant. Er hatte es also nicht geplant. Seiana verzog kurz das Gesicht, in einer halb spöttischen, halb bitteren Mimik. Sollte ihr das helfen? Seltsamerweise meinte sie, es könnte leichter zu ertragen sein, wenn er es geplant hätte. Vorausgesetzt, die Iunia bedeutete ihm nichts, vorausgesetzt, er hatte sie als Mittel zum Zweck benutzt. Aber nicht geplant, und es war dennoch passiert… das hieß, dass er sie, Seiana, dabei vergessen hatte. Oder dass sie nicht wichtig genug gewesen war für ihn, nicht in diesem Moment jedenfalls.


    Sie starrte immer noch aus dem Fenster. Und Caius wich schon wieder aus, beantwortete schon wieder eine ihrer Fragen nicht. Aber wie hatte sie vorhin gesagt? Keine Antwort war auch eine Antwort. Oder gehörte diese Frage nicht in diese Kategorie? Seiana wusste es nicht, aber sie ließ sich die Frage durch den Kopf gehen, die er gerade ausgesprochen hatte: war es egal? Spielte es eine Rolle? Ja, antwortete sie sich lautlos. Es spielte eine Rolle. Wäre es bei einem Mal geblieben, hieß das, dass ihn tatsächlich nur irgendetwas übermannt hatte. Leidenschaft, Lust, was auch immer. Obwohl die Iunia eine Iunia war, obwohl sie keine Sklavin, keine Lupa, keine Peregrina war, wäre sie in dem Fall dennoch nichts Besonderes für ihn. Aber sie war etwas Besonderes für ihn. Das hatte Seiana nur zu deutlich gemerkt, nicht nur heute, sondern die ganzen letzten Wochen. War er mehrmals mit ihr im Bett gewesen, hatte er die Finger nicht von ihr lassen können, unterstrich das diese Tatsache nur. Es ging hier um Treue. Nicht die körperliche Treue, das nicht. Vielleicht war Treue auch das falsche Wort. Es ging um Loyalität. Wenn er sich gelegentlich eine Sklavin in sein Bett holte, weil ihm seine Frau nicht reichte – oder seine Verlobte, die ihn gar nicht ran ließ –, dann war das eine Sache. Wenn seine Frau respektive seine Verlobte ihm aber auch dann nicht reichte, was andere Dinge betraf – Gesellschaft, Unterstützung, all das… Wenn er sich für eine andere dermaßen lächerlich machte in der Öffentlichkeit… Wenn er solche Dinge sagte, über eine andere, nicht über seine Verlobte… dann war es doch eindeutig, dass er nicht loyal war. Nicht ihr gegenüber jedenfalls. „Du weißt, dass es eine Rolle spielt“, flüsterte sie. „Sie bedeutet dir mehr. Mehr als eine Lupa. Mehr als eine Sklavin.“ Es war keine Frage, es war eine Feststellung.

  • Spielte es eine Rolle? Wenn man mehrmals bei jemandem lag? Für eine Frau vermutlich schon, für einen Mann eher weniger. Und für Caius war das eigentlich auch so. Aber Axilla war eine Ausnahme. Seiana würde das bestimmt nicht verstehen. Caius seufzte. Und Seiana sagte, dass es eine Rolle spielte. Flüsterte es. Und Caius kam sich vor, als sei er der Böse.


    »Es spielt keine Rolle«, sagte er nachdrücklich und berührte ihren Arm. Es war deutlich, dass er ihr weh getan hatte. Caius hasste solche Situationen. Er war lieber unbeschwert. Seiana erstarrte, schlug ihn aber wenigstens nicht weg. Er legte ihr auch noch die andere Hand auf den anderen Arm.
    »Normalerweise«, erklärte er.
    »Sie ist anders. Ich kann dir das nicht erklären. Sie ist mehr.« Mehr was? Caius versuchte, nach einem Wort zu suchen. Er blinzelte und dachte echt angestrengt nach, fand aber kein Wort.
    »Sie ist eben anders. Anders als du.« Er sagte das ohne Vorwurf in der Stimme. Wie hätte er ihr auch einen machen können? Seiana war eben das Gegenteil von Axilla. Er mochte beide, aber auf unterschiedliche Arten.
    »Das vorhin tut mir leid. Wirklich. Ich hätte nachdenken sollen.« Oh ja, welche Erkenntnis, das hätte er wirklich.

  • Seiana erstarrte, versteifte sich, als er sie erneut berührte. Aber die Wut von zuvor war wieder unter der Eisschicht verschwunden, und so ließ sie es zu, wehrte sich nicht gegen die Berührung, auch nicht, als ihr auch noch die zweite Hand auf den anderen Arm legte. Sie sah ihn immer noch nicht an. Auch nicht, als er ihr widersprach und dann den Versuch einer Erklärung startete, einer Erklärung, die letztlich doch nur genau das ausdrückte, was sie gemeint hatte. Es spielte keine Rolle, dass es öfter geschehen war, es spielte eine Rolle, mit wem und warum es geschehen war. Dennoch, wäre es bei einem Mal geblieben, hätte sie glauben können, dass die Iunia ihm auch nichts bedeutete. Oder hätte wenigstens glauben können, dass er sich für sie entschieden hatte. Aber so… Axilla war also anders. Anders als sie. In Seianas Ohren klang das wie ein Vorwurf. Anders. Und vor allem mehr. Mehr als sie, so verstand Seiana es. Das hieß, dass sie nicht genug war. Für ihre Mutter war sie auch nie genug gewesen. Es war immer irgendwie gegangen, aber sie war nie… die perfekte Tochter für sie gewesen, dachte sie jedenfalls. Und gerade weil ihre Mutter ihr so viel bedeutete, schmerzte das. Jetzt dasselbe von Caius zu hören – auch wenn er das gar nicht gesagt hatte, sondern sie es nur zu hören meinte – schmerzte ebenfalls. „Sie ist siebzehn, Caius. Siebzehn.“ Seianas Blick flackerte jetzt doch zu ihm, und für einige Momente sah sie ihn an. Dann wandte sie ihre Augen wieder ab von ihm. Sie machte immer noch keine Anstalten, zurückzugehen, die physische Verbindung zu lösen, die er hergestellt hatte. Aber sie reagierte auch nicht darauf. „Du solltest jetzt besser gehen.“

  • Caius hätte mit einer weiteren Schimpftirade gerechnet, oder zumindest damit, dass Seiana ihn anschnauzte. Oder zu weinen anfing. Caius hatte Seiana noch nie weinen gesehen. Nicht dass er das wollte! Er wusste nicht, was sie dachte, sonst hätte er sicher irgendwas dazu gesagt. Er machte ihr ja keinen Vorwurf, dass sie so beherrscht und alles war.


    »Ich weiß«, sagte er dann zu ihr. Das war ihm egal. Seit wann kam es denn aufs Alter an? Sie schlug ihn nicht weg, immerhin. Caius lächelte schief, als sie sagte, dass er besser ging. Er strich ihr einmal über den Arm nach unten, während er seine Hände sinken ließ, dann ließ er sie los.


    »Wenn du möchtest«, sagte er nur. Im Grunde wäre er froh, der Situation entfliehen zu können. Auch wenn er keine Ahnung hatte, was nun Sache war. Was mit ihnen war. Und Axilla. Und Vala und allen anderen. Bona Dea, Caius hätte sich die Haare raufen können. So eine dämliche Sache hatte er noch nie angestellt. Er wartete noch darauf, dass Seiana etwas sagte, aber da kam nichts mehr. Also kratzte Caius sein letztes bisschen Feingefühl zusammen, hielt die Klappe, drehte sich herum und ging, wie Seiana das wollte.

  • Seiana reagierte nicht. Weder auf sein Ich weiß, noch darauf, dass er sie nun losließ. Und auch nicht darauf, dass er sich noch einmal versicherte, ob sie tatsächlich wollte, dass er ging. Sie hatte es gesagt, einmal. Das sollte genügen. Reglos blieb sie stehen, als er sich von ihr entfernte, als er zur Tür ging und sie hinter sich schloss. Reglos blieb sie stehen, als er sie allein ließ. So reglos, dass sie auch eine Statue hätte sein können.


    Nein, Caius hatte sie niemals weinen sehen. Sie hatte sich viel zu gut unter Kontrolle, um solche Emotionen vor anderen ans Licht zu lassen. Selbst Elena oder Faustus bekamen selten mit, wenn sie weinte. Wut zeigte sie ebenfalls nicht gern, aber das war leichter, leichter als Schmerz und Trauer. Wut machte nicht verletzbar, so wie Schmerz und Trauer, sie machte nur angreifbar, das war etwas anderes. Es war nicht gut, angreifbar zu sein, schon gar nicht in einer Welt wie Rom, aber es war immer noch besser als zu zeigen, dass man verletzbar war. Sie konnte nicht sagen, wie viel Zeit verging, bis die erste Träne ihre Wange hinunter lief, während sie weiterhin einfach nur aus dem Fenster starrte. Der ersten folgte eine zweite, und dann noch eine dritte. Mehr nicht. Sie stand weiterhin da, wusste nicht wie lange, starrte einfach nur vor sich hin, ohne den Wechsel des Tageslichts zu bemerken oder das zu sehen, was im Garten vor sich gehen mochte. Sie stand da und versuchte zu begreifen, was passiert war. Das Problem war nur: es war nicht greifbar, und damit auch nur schwer begreifbar. Es war absurd. Abstrus. Und vor allem abstrakt. Obwohl sie es nun wusste, obwohl er es ihr gesagt hatte, obwohl sie seit Wochen innerlich gespürt hatte, dass etwas nicht in Ordnung war, war es jetzt, wo es heraus war, dennoch merkwürdig… irreal. Es konnte nicht geschehen sein. Das konnte nicht passiert sein. Nicht ihr. Sie hatte doch alles richtig gemacht. Sie war einem Mann begegnet, der ihr sympathisch gewesen war und der aus einer guten Familie kam, gut genug, dass die ihre nichts gegen eine Verbindung haben konnte, ganz im Gegenteil. Sie hatte gemerkt, dass es ihm genauso ging. Sie war ihm nachgereist, und sie hatte festgestellt, wie gut sie sich mit ihm verstand. War das falsch gewesen? Hätte sie ihm nicht nachreisen dürfen? Hatte sie sich damit zu sehr angeboten? Oder war ihre Auffassung doch falsch? Hätte sie sich ihm nicht verweigern dürfen? Spätestens dann nicht mehr, als klar war, dass sie heiraten würden? Seianas Gedanken rotierten. Sie hatte geglaubt, alles richtig gemacht zu haben. Warum war dann auf einmal trotzdem alles so falsch?


    Nur zwei Dinge


    Durch so viele Formen geschritten,
    durch Ich und Wir und Du,
    doch alles blieb erlitten
    durch die ewige Frage: wozu?


    Das ist eine Kinderfrage.
    Dir wurde erst spät bewußt,
    es gibt nur eines: ertrage
    - ob Sinn, ob Sucht, ob Sage -
    dein fernbestimmtes: Du mußt.


    Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
    was alles erblühte, verblich,
    es gibt nur zwei Dinge: die Leere
    und das gezeichnete Ich.


    Gottfried Benn

  • Caius war dem SKlaven gefolgt, obwohl er den Weg ja schon kannte. Beim letzten Mal hatten sie sich auch im tablinum gestritten. Scheinbar sollte diese Tradition nun fortgesetzt werden. Diesmal stellte sich Caius allerdings ans Fenster und ließ Seiana damit den Fluchtweg frei. Dann verschränkte er die Hände vor der Brust, sah raus und wartete.

  • Es dauerte nicht lang, bis Seiana erschien. Als der Junge ihr Bescheid gegeben hatte, dass Caius da war und sie sprechen wollte, hatte sie zuerst gezögert, aber sie hatte sich gezwungen, nicht nachzudenken. Einfach zu ihm zu gehen. Sich keine Gedanken zu machen. Natürlich überlegte sie doch, während sie zum Tablinum kam, immerhin waren sie das letzte Mal im Streit auseinander gegangen, und weder sie noch er hatten seitdem einen Versuch gestartet, miteinander zu reden.


    Sie betrat den Raum und sah Caius am Fenster stehen. Dort, wo sie beim letzten Mal gestanden hatte. Und sie fühlte sich hilflos. Sie wollte nicht schon wieder streiten, aber sie wusste auch nicht, was sie sagen sollte. Sie wusste immer noch nicht, was sie damit anfangen sollte, mit dieser ganzen Sache. Was er ihr erzählt hatte. Gebeichtet hatte. Axilla… Seianas Lippen pressten sich aufeinander, als vor ihrem inneren Auge zwei Körper erschienen, verschwitzt und eng miteinander umschlungen, Caius’ und Axillas. Nicht dass sie einen der beiden je nackt gesehen hätte, aber die Gesichter waren dort, in ihrer Phantasie. Und sie meinte wieder zu hören, was Caius ihr gesagt hatte. Sie ist anders. Sie ist mehr. Seiana räusperte sich und schloss dann die Tür, bevor sie ein paar Schritte in den Raum hineinging. „Caius?“ Die Situation war merkwürdig. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Was möchtest du?“

  • Caius zuckte ein wenig zusammen, als Seiana plötzlich den Raum betrat und ihn ansprach. Er hätte gedacht, dass sie noch ein Weilchen länger brauchen würde. Ihm war mulmig zumute. Er sah sich schon vor herumfliegenden Kerzenleuchtern ducken, geschleuderten Blickblitzen ausweichen und schnellstmöglich aus dem Haus fliehen. Wobei, wie er Seiana kannte, wäre sie wohl höflich und fast zuvorkommend, wenn sie ihn rauswarf.


    »Hallo Seiana, schön dass du Zeit hast«, begann Caius also selber höflich und wandte sich ihr zu. Er nahm sogar die Arme runter, rührte sich aber sonst nicht vom Fleck.
    »Ich hoffe, du bist nicht mehr ganz so...böse.«

  • „Selbstverständlich“, nickte sie. Natürlich hatte sie Zeit für ihn, was denn sonst. Bei den Göttern, sie fühlte sich immer merkwürdiger. Caius war merkwürdig. Die ganze Situation war merkwürdig. Hatten sie sich jemals so gestritten gehabt? Seiana konnte sich nicht erinnern. Andererseits konnte sie sich auch nicht daran erinnern, dass er je auf einer derartigen Feier so etwas abgezogen hätte. Oder dass er ihr je gestanden hätte, sie zu betrügen.


    Böse. Er hoffte, sie sei nicht mehr ganz so böse. War sie denn böse gewesen? Seiana wusste, wie er das Wort meinte, aber sie kam trotzdem nicht umhin, die eigentliche Wortbedeutung ebenso in Betracht zu ziehen. War sie denn böse gewesen? „Nein“, antwortete sie, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Stimme ein wenig zynisch klang. „Warum auch.“ Auf ihre Frage, fiel ihr auf, hatte er nicht geantwortet – wie so häufig in letzter Zeit. Es schien langsam zur schlechten Gewohnheit zu werden, dass Caius ihre Fragen nicht oder nur mit Gegenfragen beantwortete. Vielleicht sollte sie sich das auch mal angewöhnen, dann würde er mal sehen, wie das war… aber dann würde sie wohl nur wieder den Vorwurf bekommen, dass sie nicht antwortete.


    Seiana wusste, dass ihre Gedanken gerade auf merkwürdigen Pfaden trieben. Aber die ganze Situation war einfach… merkwürdig. Und in ihrer Magengrube war ein seltsames Gefühl. Fast, aber nur fast, könnte sie meinen, dass es so etwas wie Angst wäre.

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