• Die Aufgabe für kluge und loyale Sklaven, die Silas da erhalten hatte, nahm er ernst. Er hatte sich aber noch nicht getraut, Grian über die alltäglichen Wortwechsel im Sklaventrakt hinaus mal auf den Zahn zu fühlen. Was konnte er Dominus Serapio bisher berichten? Dass sie voll Ruß aus den Hypokausten gekommen war? Dass Philodemos behauptete, er habe sie nackt gesehen und (O-Ton) ihre Titten seien echt der Wahnsinn? Dass sie sich gern ausruhte? Dass sie sich gefreut hatte, als Amanirenas sie fürs Theater herausgeputzt hatte?
    Silas glaubte nicht, dass es diese Art von Information war, auf die Dominus Serapio aus war. Erschwerend kam hinzu, dass die schöne Gallierin in Silas, kaum dass sie in der Nähe war, eine heftige pubertäre Verlegenheit auslöste. So beschränkte er sich aufs Augen- und Ohren-Offenhalten und hoffte, dass sich einfach mal eine günstige Gelegenheit ergab.

  • Philodemos! Dieser blöde Depp! Ich war richtig sauer, als ich gehört hatte, dass der Blödmann jetzt jedem erzählte, er hätte mich nackt gesehen und ich hätte solche Titten! Ja,ja, er hatte mich ja auch nackt gesehen. Das war ja seine Belohnung gewesen, weil er für mich die Latrine geputzt hatte. Nur angucken - nicht anfassen, hatte ich ihm gesagt. Ich hätte ihm auch sagen sollen, dass er die Klappe halten sollte!
    Mich hatte eben doch tatsachlich Nicon, der Dreikäsehoch gefragt, ob er für mich auch mal die Latrine saubermachen dürfte! Dem Kurzen hatte ich erst mal eine gescheuert, dann suchte ich nach Philodemos, um ihn zur Rede zu stellen. Schließlich hatte ich ihm vor dem Servitriciuum aufgelauert. Er hatte mir nur ins Gesicht schauen müssen, um zu wissen, was los war. Daher machte er sich gleich in die Hose war kurz vorm flennen und wäre am liebsten vor mir weggelaufen. Aber ich heftete mich an seine Fersen. „Du dämlicher Blödmann, warum schreibst du´s nicht gleich an die Hauswand der Domus ‚Grians Titten sind der Wahnsinn‘. Dann kriegt es auch wirklich jeder mit!“ Er blieb kurz stehen und schauerte mich ganz belämmert an. „Ich hab´s ja nur ein paar Leuten erzählt. Und jetzt lass mich in Ruhe!“ Dann lief er weiter. „Nur ein paar Leuten? Das ich nicht lache! Diese kleine Rotznase Nicon hat mich schon angesprochen und der Typ an der Porta guckt mich auch die ganze Zeit so an, als wolle er mir die Tunika vom Leib reißen. Mal ganz zu schweigen von den Libertini von Dominus Serapio!“ Inzwischen hatten wir beide das Servitriciuum erreicht. Die Sklaven, die sich gerade dort aufhielten, schauten uns alle verdutzt an. Philodemus, der Schwachkopf meinte dann nur: „Deine Titten sind ja auch der Wahnsinn!“, weil er wohl dachte, dass er mich damit wieder besänftigen könnte. Aber das krasse Gegenteil hatte er damit erreicht. „Halt die Fresse, du Arsch!“, schrie ich. Ich war wirklich bedient! Jetzt hatte es so ziemlich jeder in der Sklavenschaft mitbekommen, inclusive dem jungen Bengel, dem ich heute schon ein paar Mal über den Weg gelaufen war. „Na, hat dieser Idiot dir auch erzählt, was für tollen Titten ich habe?“ Ich wartete nicht seine Antwort ab, sondern suchte das Weite.

  • Glühend rot bis zu den Ohren wurde Silas, die Augen waren ganz groß und erschrocken auf die tobende Grian gerichtet, er duckte sich ein bisschen und schüttelte hastig den Kopf.
    Es war also wahr! Wie hatte Philodemos das nur hingekriegt?
    Manche Sklaven lachten, Vincentius am lautesten, er pfiff auch, andere machten pikierte Gesichter, und die alte Pontia empörte sich:
    "Kinder benehmt euch, was sind denn das für Ausdrücke. Dies ist ein anständiges Haus."
    Silas' große Schwester Olivia aber rief laut durch den Raum:
    "Boah, Philodemos, du bist so EKLIG!"
    Der verschwand rasch Richtung Küche.
    Nachdem die beiden Hauptpersonen abgetreten waren, wurde noch ein bisschen über den Vorfall getratscht, dann ging das übliche Sklavenleben in der Casa wieder seinen Gang.


    Silas brauchte eine Weile um sich von diesem Schreck zu erholen. Dann nahm er seinen Mut zusammen und beschloss, mal gaaanz vorsichtig nachzusehen, ob Grian jetzt nach dem Streit vielleicht irgendwo in einer Ecke saß und weinte und aufgemuntert werden wollte. Es könnte die Gelegenheit sein, um sie auszuhorchen.... Außerdem tat sie ihm gerade auch ein bisschen leid, so neu und bloßgestellt. Es hieß, sie sei vom Sklavenmarkt. Dort verkauft zu werden, wie eine Amphore Wein, das musste ja der blanke Horror sein! Silas hoffte nur, dass er sowas nie würde erleben müssen.

  • Ich hatte ja so den Kanal voll! Warum musste immer nur mir so was passieren!? ja sicher, ich hatte Philodemos´ Blödheit ausgenutzt. Aber musste er jetzt tratschen wie ein Waschweib?


    Ich rannte hinaus, rempelte dabei einige Sklaven an, die mir entgegen kamen und sich dann lautstark über mich beschwerten. Aber die konnten mich alle mal! Ich wollte niemand mehr sehen. Schon gar keinen, der sich mit Philodemos über meine Oberweite ausgetauscht hatte.


    Zuflucht fand ich schließlich draußen im Hof unter einer Treppe. Dorthin verkroch ich mich und ergab mich meinen jämmerlichen Tränen. In solchen Momenten wurde einem wieder deutlich, wie verloren und allein man doch war. Es gab niemanden, dem man sich anvertrauen konnte, da ich im Prinzip die gesamte Sklavenschaft gegen mich hatte. Zumindest glaubte ich das. Und Dominus Casca oder gar Dominus Serapio damit zu behelligen stand außer Frage.

  • Auf der Suche nach Grian stromerte Silas durch Haus und Hof. Er sah in all die entlegenen Ecken und Winkel der Casa, in denen sie früher als Kinder Verstecken gespielt hatten, bis hin zum Speicher oder dem Rübenkeller.
    Als er im Stall nachsah, hatte Damon natürlich gleich wieder eine Aufgabe für ihn parat – Damon unter die Augen zu kommen war immer gefährlich – und trug ihm auf, die Molosser auszuführen. Na toll, als ob er nichts besseres zu tun gehabt hätte! Mit dem Stallmeister wollte Silas es sich aber nicht verderben. Als er lustlos über den Hof schlurfte, um die Hundestricke zu holen, kam er an dem Schlupfwinkel unter der Treppe zum Sonnendach vorbei. Die Quälgeister Susaria und Iphigenie nannten diese Nische ihre Wolfshöhle und spielten da manchmal, sie seien Romulus und Remus und würden sich gegenseitig erschlagen...
    Im Vorbeigehen warf Silas gebückt einen Blick dahinein, schon gar nicht mehr damit rechnend, Grian noch zu finden, aber da war tatsächlich eine Frauengestalt im Schatten und ein gedämpftes Schluchzen drang an sein Ohr. Oh! Silas fuhr zurück, machte noch einen weiteren Schritt rückwärts. Verlegen scharrte er mit dem Fuß auf der Erde und hustete.
    "Ähem... äh... Grian....? Bist du... da drin? Kannst du vielleicht.... mir mit den Hunden helfen.... ? Das wär... echt nett, weil, ich soll sie ausführen, aber... bei drei auf einmal verwickeln sich immer heillos die Stricke...."

  • Hier im Halbdunkel war ich geschützt. Garantiert würde mich hier keiner finden. Ich konnte hier bleiben, solange ich wollte. Bis ich alt, grau und verschrumpelt war. Dann erst wollte ich vielleicht wieder raus kommen. Sollten sie doch alle nach mir suchen und nach mir rufen, bis ihre Stimme weg war. Nie wieder wollte ich nochmal einem von denen begegnen!


    Bei all meinen Vorsätzen hatte ich einige wichtige Dinge außer Acht gelassen:
    1. Der Hunger und Durst würde mich spätestens in einigen Stunden hinaustreiben. Das bedeutete, ich musste zurück in die Küche, um an etwas Essbares zu kommen.
    2. Irgendwann würden Casca und Co. nach mir rufen lassen. Sicher war es keine gute Idee, sie warten zu lassen oder gar ihre Befehle zu missachten. Ich wusste ja, was mir dann blühte. Auch wenn die anderen Sklaven alle blöd waren, wollte ich nicht wieder zurück zum Sklavenmarkt.
    3. Ich hatte nicht mit der Hartnäckigkeit eines Sklavenjungen namens Silas gerechnet, der nach einer Weil plötzlich vor meinem Versteck aufgetauchte und mich anscheinend auch gleich entdeckt hatte. So ein Mist!


    Er war gar nicht überrascht, mich hier zu finden. Klar, der Kurze war hier im Haus aufgewachsen und kannte wahrscheinlich jeden Winkel.
    „Verzieh dich!“, rief ich automatisch, als ich seine Stimme hörte, ohne abzuwarten, was er noch alles sagte. Als ich dann endlich realisiert hatte, was Silas noch so alles gesagt hatte, wurde ich doch neugierig. „Dir mit den Hunden helfen?“ Hatte ich richtig gehört? Vorsichtig kam ich aus meinem Versteck herausgekrabbelt. Wischte mir die Tränen mit dem Handrücken aus dem Gesicht und zog die Nase hoch.
    „Was hast du gesagt? Ich soll dir helfen, die Hunde auszuführen?“ Das war doch gar keine so schlechte Idee! Dann kam ich mal für eine Weile hier raus und bekam wieder die Birne frei. Außerdem war ich tierlieb und mochte die sabbernden Viecher. „Ja, würde ich gerne!“, antwortete ich und lächelte sogar wieder ein bisschen dabei.

  • Taktvoll wandte Silas die Augen von Grians verheultem Gesicht ab. So mit Schniefnase wirkte sie nicht mehr so einschüchternd wie sonst immer. Da war es also auch bei dieser wunderschönen Frau nicht viel anders als bei seinen Schwestern – wenn die sich aufregten und Gift und Galle spuckten, dann kam auch meistens kurz danach das große Geheule.
    "Mhm. Ja genau." Er nickte und wippte verlegen auf den Fußballen. Zum Glück stimmte Grian gleich zu, ganz hilfsbereit.
    "Das ist voll nett von dir. Komm, wir holen die Hundestricke."
    Gesagt, getan, ein paar Leckerbissen zur Bestechung dazu, und respektvoll näherte sich Silas dann den bulligen Hunden. Sie lagen an der Kette im Hof, die faltigen Gesichter auf den Pfoten, was ihnen einen griesgrämigen Gesichtsausdruck verlieh. Es waren scharfe Wachhunde, die jeden Fremden eifrig und dröhnend verbellten. Paulinus kam bestens mit ihnen aus, aber einige der Haussklaven fürchteten sich von ihnen. Silas war als Kind mal von einem gebissen worden. Mehr oberflächlich, der Hund hatte eher geschnappt als richtig zuzubeißen, aber es hatte ihm damals einen Riesenschrecken eingejagt und flößte ihm noch immer eine gesunde Vorsicht im Umgang mit den Viechern ein.
    Dieser Hund, der damals geschnappt hatte, der lebte allerdings nicht mehr. Die Wachhunde von damals waren alle bei der Plünderung des Hauses im Bürgerkrieg von den Soldaten totgeschlagen worden. Danach waren neue Welpen gekommen, die nun schon lange selbst zu grimmigen Wächtern herangewachsen waren. Vorsichtig leinte Silas sie an.
    "Das ist Einohr." Was man auch sah. Er war außerdem der kooperativste von der Bande. "Magst du den nehmen?" schlug Silas darum ritterlich vor.
    "Das ist Stumpfnase und das Reißzahn. Den darfst du nicht am Kopf kraulen, das mag er nicht."
    Und los ging's.

  • Ich folgte dem Kurzen einfach und fühlte mich auch schon ein bisschen besser. Die Molosser konnten einem schon ganz schön das Fürchten lehren. Besonders wenn sie bellten, sobald man sich ihnen näherte. Ich aber fürchtete mich kein bisschen. Jedoch hatte ich Respekt vor ihnen. Aber wenn man im Umgang mit Hunden einiges beachtete, konnte normalerweise nicht viel schief gehen.


    Die armen Viecher lagen gelangweilt und angekettet im Hof. Doch sobald wir beide auftauchten hoben sie ihre Köpfe. Natürlich hatten sie gleich Silas‘ Leckerlies gerochen. Außerdem hofften sie darauf, von uns nun ausgeführt zu werden. Die Hunde erhoben sich als Silas sie anleinte. Voller Vorfreude schwänzelten mit ihren Ruten und schüttelten die Köpfe sodass der Sabber, der ihnen links und rechts aus den herabhängenden Lefzen tropfte, durch die Gegend geschleudert wurde.
    "Danke!", sagte ich und nahm Einohrs Leine entgegen. Ich hörte mir Silas‘ Erklärungen an und nickte zustimmend. Zwischendurch streichelte ich Einohr vorsichtig. „Guter Junge!“, lobte ich ihn. Der Hund hechelte und legte die Ohren an. Ja, ich war gleich in meinem Element. Als Kind hatte ich schon Erfahrungen mit Hunden sammeln können. Mein Vater hatte zwei, die er immer zur Jagd mitgenommen hatte. Aber auch später lebte ich eine Zeit lang bei einem Dominus, der Hunde hatte.
    Silas nahm die beiden anderen Hunde. Nun konnte es endlich losgehen.

  • Der Wille ist der Schlüssel zur Tat – 1. Die Augen des Octopus



    Holz spalten, Scheite schleppen, die Hypokausten befeuern, Asche fegen... daraus bestand der Winter für Silas. Abends waren seine Arme schwer wie Blei, die Kehle kratzig vom Rauch, der Kopf stumpf, und Silas von oben bis unten so eingesaut, dass es sich – nach seiner Meinung – kaum mehr lohnte, sich mühsam zu waschen und zu schrubben... er wurde ja tags darauf wieder genauso dreckig...
    Silas hatte die Schnauze gestrichen voll und fand, dass er jetzt echt bestraft genug war für den dummen Fluchtversuch! Aber anscheinend hatten ihn die Herrschaften vergessen und er würde sein Lebtag ein trauriges Dasein als Handlanger des Grobknechtes führen...
    ...wenn er sein Schicksal nicht selbst in die Hand nahm!


    Der Wille ist der Schlüssel zur Tat, das hatte der weise alte Mann am Tiberufer verkündet, und diese großen Worte hallten in Silas nach. Die Sache war nur leider ziemlich verzwickt, denn Silas wusste gar nicht so recht was genau er wollte. Dass Schluß sein sollte mit der Schufterei, klar... dass die Herrschaften ihn bemerken und ihm bessere Aufgaben geben sollten, klar... allerdings wurde es da schon wieder kompliziert, denn allzusehr wollte Silas nun wiederum auch nicht bemerkt werden, von Dominus Serapio, und mit dessen Aufmerksamkeit bedacht. (Silas versuchte stets, nicht an den Strand von Ostia zu denken, aber wenn ihn doch etwas daran erinnerte, wurde ihm ganz eng im Hals.)

    Der Plan war also: die Aufmerksamkeit der Herrin auf sich zu ziehen.


    Schritt eins: die verdammte Octopus-Vase reparieren. Ein mega-anstrengendes Projekt, denn das blöde Ding war in unzählige Stücke zerbrochen. Zum Glück half Silas' treuer Freund Linus ihm oft dabei (Pau-linus nannte sich seit neuestem lässig nur noch Linus). Manchmal halfen auch Susaria und Iphigenie... Viele Abende lang puzzelten sie an den Scherben und klebten sie mit einem Kleister aus Mastixharz zusammen. Dann schwenkten sie das dickbauchige Gefäß mit flüssigem Bienenwachs aus. Einen Rest Wandfarben bekam Silas von seinem Vater, der gerade im Peristyl die Hauswände aufgefrischt hatte. Damit übermalte Silas so gut wie möglich das Zickzackgewirr der Sprünge.


    Eines Abends war es soweit. Fertig! Endlich! Silas ließ den Pinsel sinken und betrachtete skeptisch das Werk. Toll sah die Vase nicht gerade aus. Die Sprünge die, notdürftig kaschiert, das Gesicht des Octopus durchzogen, gaben dessen Glubschaugen einen besonders bösartigen Ausdruck. Aber Silas war so, als hätte das Ding auch vor dem Unglück nicht gerade einen Schönheitspreis gewonnen. Er stellte die Vase zum Trocknen auf die Kiste neben seiner Schlafstatt und ging in den Stall, um mit Linus abzuhängen...

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