(Fortsetzung)
Einige Pferde standen gemächlich kauend in ihren Boxen und hoben nun, da wir hier waren, interessiert ihre Köpfe. Es waren edle Rösser. Zum Teil gehörten sie Serapio, der mit ihnen wilde Rennen in seinen Zweispännern fuhr, für die er sich sehr begeisterte. Das konnte ich im Großen und Ganzen nachvollziehen. Wenn es Tiere gab die ich mochte, dann waren das Pferde, auch wenn eines von ihnen mir recht unrühmlich mein Schicksal als langzeitig Versehrter bereitet hatte.
Ich watete mit meinem nassen Schuhwerk über das Pflaster des Stallbodens, um jemanden zu finden, der sich vorübergehend der Verantwortung für das Ziegentier annehmen konnte. Dann hörte ich auch schon etwas! Eine zarte, jugendliche Stimme, die eine friedliche Melodie vor sich hin sang und das beständige Schaben eines Besens. Ich umrundete einen großen Haufen Stroh und einiges aufgeschichtetes Heu, hinter denen ich den Auslöser der Geräusche vermutete und sollte recht behalten. Es war Sklavenjunge Paulinus, der Sohn der Columbana, die manchmal so liebenswert meiner Nelia zur Hand ging und immer einen beeindruckenden Sanftmut ausstrahlte, der seinesgleichen suchte. Ich hielt einen Moment inne, denn das fremdartige, leise Liedchen klang wirklich reizend, auch wenn es irgendwie so tönte, als würde der Junge den Text nur schwer in Erinnerung bringen. Aber dennoch! Mir war ja gar nicht bewusst, dass Paulinus eine so entzückende Singstimme hatte. Er schien auch recht versunken zu sein.
“Auf rechter Straß' geführet, ist … Finsternis nicht da… … Mein Alles meine Weide, ...mich fürchten brauch' ich nie… In Not bei allem Leide… sein Stecken und sein Stab...“
“MOAAAHHHH!“
Muckels wütender Ruf hallte durch den Stall, sodass sowohl ich als auch Paulinius zusammen zuckten. Hinzu kam ein lautes Scheppern, als eine Reihe Eimer auseinander stoben und schließlich über den Boden rollten. Die Ziege aus Muckels Armen war verschwunden, also blieb zu vermuten, dass sie der Auslöser war. Paulinius fuhr herum und schaute mich erschrocken an, während mein Sklave der Ziege nachsetzte. Ich seufzte tief und gedehnt, wischte mir über die noch immer feuchte Wange und beschloss gaaaaanz ruhig zu bleiben. Allen Unannehmlichkeiten, Aufgebrachtheiten und Widrigkeiten zum Trotz.
“Das war ein schönes Lied!“, sagte ich dann betont freundlich zu dem jungen Sklaven, um der Ruhe einen Anfang zu geben, während man Muckel noch im Stall herum rumoren hörte.
“Ich… habe es neu gelernt,“, erwiderte Paulinus sehr scheu, als würde er sich bei etwas mehr als nur ertappt fühlen.
“Nein, nein, nur nicht so bescheiden! Du hast eine schöne Stimme. Stecken und Stab!“, brachte ich lobend hervor und nickte dazu. “Ein Hirtenlied?“
“So etwas in der Art...“
Irgendwie erinnerte mich das an Mercurius, vor dessen Tempel ich mich ja in zwei Tagen mit Flavius Gracchus treffen würde. Mit Pontifex Flavius! Allein beim Gedanken daran, griff mir die Aufregung wieder in den Magen. “Erinnert mich an Mercurius,“ gab ich bekannt. “Ich bin mir sicher, dass es ihm sehr gefallen wird.“ Immerhin war er ja der bekannteste Stabträger. “Nur er ist nicht unbedingt ein Gott der Herden und Weiden. Oder vielleicht Asklepios? Ja, der hatte auch einen Stab, nur war er eben auch kein Hirte…,“ überlegte ich ungeachtet der Zerknirschung des jungen Sklaven weiter. “Ist es überhaupt an einen Gott gerichtet?“
Paulinus biss sich auf die Unterlippe und senkte den Blick. Schlussendlich zuckte er mit den Schultern. “Ich...weiß es nicht… ich… ich dachte ich wäre allein und da habe ich es mir ausgedacht.“
“Ich könnte die Familie davon überzeugen, dass du es uns einmal vorsingst? Vielleicht steckt in dir ja auch ein kleiner Ovid!?“, sagte ich und ignorierte dabei den furchtsamen Ausdruck im Gesicht des Jungen. Für neue Talente im Haus sollte man schließlich immer offen sein. Besonders für Ovid, für den ich mich ja so begeistern konnte. Da fiel mir auch gleich etwas ein! “Sieh mal, als Mercurius vom Göttervater Iuppiter nieder geschickt wurde, um den Argus einzuschläfern heißt es: 'Und legt nieder Hut und behält den Stab nur. Damit treibt er als Hirt quer durch die Gefilde der Ziegen, die er ihm Gehn mitbgebracht', und bläst auf gefügeten Halmen….“, erklärte ich sinnierend und zuckte dann aus meinem eigenen abschweifenden Gedankengut auf. “Ah...die Ziege!“, fiel es mir wieder ein. Schließlich hatte ich ja auch eine mitgebracht. Ich drehte mich herum und musste feststellen, dass Muckel es gelungen war sie wieder am Strick zu ergreifen. “Schau mal! Um diese Ziege wirst du dich kümmern. Sie ein wenig pflegen und füttern, damit wir sie morgen schön schmücken können.“ Vielleicht heiterte das Paulinus ein wenig auf. Immerhin hatte ich wohl sehr verstört und er einen Draht zu allerlei Getier und steckte voller Liebe zu ihnen. “Vielleicht bekommen wir sogar diesen silbrigen Glanz im Fell hin. Was meinst du?“
“Du willst sie opfern?“ Entsetzen machte sich auf den jungen Gesichtszügen breit.
“Aber ja!“
Paulinus blickte bekümmert drein, suchte mit den Blicken traurig nach dem Zicklein und nagte weiter an seiner Unterlippe herum. Einen aufgemunterten Eindruck machte er also nicht, was bestimmt daran lag, dass ich auf seinem Liedchen so herumgeritten bin und ich beschloss noch eins drauf zu setzten. “Paulinus! Schau mal! Wenn es irgendetwas gibt, das mit Tieren zu tun hat, würde ich mich immer nur an dich wenden. Vielleicht weißt du es nicht, aber dein magisches Geschick mit ihnen ist in diesem Haus fast legendär und wenn mir dieses Opfer morgen gelingt, dann werde ich dafür sorgen, dass du… dass ja… also ich würde dich lobend erwähnen und dir einen Wunsch erfüllen. Weißt du was, das machen wir auch so! Du kümmerst dich um die Ziege, beruhigst sie ein wenig, damit sie still hält und in Frieden und Anmut in die Welt der Götter gelangen kann.“ Und natürlich, damit ich in Frieden und Anmut die Gunst der Fortuna erlangen konnte!
“Also tauschen wir sie nicht um?“, fragte mich Muckel.
“Ach so, ja.“ Ich dachte einen Moment nach und schüttelte dann den Kopf. Paulinus Geschick war wirklich beachtlich und er konnte aus einer wilden Bestie etwas ganz und gar Liebes machen! Das konnte man an unseren Molossern immer wieder sehen. Vielleicht sollte ich ihn sogar zum Opfer mitnehmen! “Nein, ich vertraue nun voll und ganz auf unseren Paulinus! Und wenn es gelingt, mein Junge, dann kannst du auf dich sehr stolz sein!“ Diesem setzte ich väterlich die Hand auf die Schulter. Immerhin wollte ich ihm auch den Eindruck vermitteln hier dringend gebraucht zu werden.
“Möge dein Wort von den Göttern gehört werden,“ seufzte Muckel und übergab den Strick und somit die Ziege an den Jungen.
Das hoffte ich auch. Natürlich hoffte ich das. Aber nun musste ich mich vorbereiten. Noch einmal schenkte ich Paulinus einen aufmunternden Blick und verließ mit Muckel den Stall.