Zurück nach langer Abwesenheit

  • Eine lange Reise und eine noch längere Trennung lagen hinter Antoninus. Heute wollte er zu seiner Familie zurückkehren. Den Kopf voller Gedanken über Dinge, die er einfach nicht verstand. Bereits auf seinen ersten Schritten durch Rom hatte er feststellen müssen, nichts war wie früher und auf jeden Fall war es nicht besser.


    Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend stand er vor der Tür. Er zögerte zunächst, dann jedoch klopfte er entschlossen.

  • Auf das Klopfen hin ging ich zur Tür und öffnete sie.


    "Salve, wen darf ich melden?" Interessiert musterte Samira den Besucher. Er erinnerte sie an jemanden.

  • "Marcus Aurelius Antoninus, kaum zu glauben aber wahr. Du brauchst mich nicht anmelden."


    Antoninus trat ein. Die Villa kannte er noch und er hoffte, jemand war da. Er hatte viel zu erzählen und noch mehr Fragen.

  • Ich starrte meine Sklavin ungläubig an, als sie mir den Namen des Besuchers nannte. Besucher? Nein, das war er nicht. Du meine Güte, er war…


    Immer abwechselnd mal ein paar Schritte laufend, dann wieder vor Aufregung stehen bleibend, kam ich schließlich in der Eingangshalle an. Ich musste schlucken. Ja, das war er. Mit großen Augen sah ich ihn an, kaum eines Wortes fähig.


    „Salve!“ So förmlich, völlig unpassend, aber ich war durcheinander.

  • Antoninus drehte sich den näher kommenden Schritten entgegen. Dann sah er sie. Erwachsen war sie geworden und wunderschön.


    "Deandra, Tochter.“ Bewegt breitete er seine Arme aus. Ein Kloß saß in seinem Hals und fast wollten sich Tränen der Rührung in die Augen schleichen.

  • Da stand ich nun und wusste nicht, was ich sagen sollte. Erst vor wenigen Monaten war ein Mann in die Familie heimgekehrt, der behauptet hatte, er sei mein Vater. Viel zu lange war die Trennung gewesen und ich damals zu kein, um ihn heute anhand seines Aussehens wieder zu erkennen. Aber eines – das wurde mir schlagartig klar – hätte ich bei Batiatus merken müssen: Nie hieß mein Vater Batiatus, nie! Ich wollte wohl damals glauben, dass er mein Vater war, weil ich ihn so sehr vermisst habe.


    Heute würde mir so ein Irrtum nicht mehr passieren. Ich hatte gerade die letzten Wochen fast ausschließlich in den Archiven gesucht und Ahnenforschung betrieben. Mein Vater hieß auch nicht Naso, wie es dieser Commodus in den Stammbaum geschrieben hatte. Er selbst war ja nur ein spät Angenommener. Woher sollte der schon was über die Familie wissen?


    Ich selbst bin auf die Adoptionsurkunde gestoßen und dort stand der richtige Name meines Adoptivvaters drauf: Marcus Aurelius Antoninus, Cousin des Gensbegründers Crassus. Jedes einzelne Dokument hatte ich gut verwahrt und gehütet wie einen Schatz. Heute wusste ich warum.


    "Vater!“ Ich rannte die letzten Schritte und flog ihm um den Hals.
    "Endlich, Vater!"

  • "Deandra, meine Kleine. Ach, was sage ich? Groß bist du geworden. Lass dich ansehen!“


    Antoninus schüttelte mit dem Kopf. Er musste damals eine mehr als glückliche Hand gehabt haben, als er das verstoßene Patrizierkind in seine Obhut nahm. Wer konnte ahnen, dass sich solche Schönheit daraus entwickeln würde? Sie wurde zwar zunächst von ihrem Pater rechtmäßig anerkannt, dann jedoch von ihm ausgesetzt. Fragen diesbezüglich musste er niemandem beantworten. So war das eben und Antoninus störte nicht, dass das Kind ein Mädchen war. Im Gegenteil, er hatte sonst ja nur Söhne.


    "Lass uns gemütlich Platz nehmen und uns unterhalten. Ich habe zwar viel zu berichten, aber vielmehr verlangt mir derzeit selbst nach Antworten. Was ist eigentlich während meiner Abwesenheit vorgefallen?“

  • Ich seufzte vernehmlich.


    „Lass uns einen beschaulichen Platz suchen und etwas Essen zu uns nehmen. Es wird ein sehr langes Gespräch sein, was wir nun führen werden, und in jedem Fall kein amüsantes.“


    Ich entschied mich für das kleine Triclinium und führte meinen Vater dorthin. Zwei Liegen standen bereit und ich setzte mich auf eine. Antoninus wie einem Gast einen Platz anzubieten, sparte ich mir. Er war hier zu Hause, es bedurfte keiner einladenden Geste.

  • Auf den Wink meiner Herrin brachte ich etwas Obst, kleine Fleischhappen und Brot ins Triclinium. Dazu stellte ich eine kleine Amphore mit Wein und eine mit Wasser. Anschließend zog ich mich zurück. Sollte sie mich brauchen, konnte sie jederzeit rufen.

  • Nach einen großen Schluck Wein, der hier völlig anders als in Syrien schmeckte, sah ich meine Tochter auffordernd an.


    "Ein langes Gespräch und kein amüsantes? Deandra, bei aller Liebe, die ich für dich empfinde… Was ist hier eigentlich vorgefallen? Mir kam bereits Schlimmes zu Ohren. Ich erwarte eine Erklärung.“

  • Ich zuckte innerlich zusammen. Warum müssen Männer nur immer so streng formulieren? Ich schluckte kurz. Diese Erkenntnis war ja nichts Neues für mich. Also sollte ich mich langsam mal daran gewöhnen.


    „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“
    Hilflos kramte ich in meinem Kopf nach wichtigen Ereignissen, die Antoninus nicht wissen konnte und die in chronologischer Reihenfolge betrachtet ein korrektes Bild von der Situation der Aurelia zeichnen würden.


    „Dein Cousin Crassus ist letzten Herbst völlig überraschend über den Styx gefahren. Ein unerkanntes Herzleiden war wohl die Ursache“, begann ich langsam meinen Bericht. Alles andere als leicht, wenn man sich an alles Traurige und teils auch Widerwärtige erneut erinnern muss.

  • "Crassus. Ich hatte gehofft, ihn hier in Rom zu treffen.“ Das war eine äußerst schlechte Nachricht. "Und weiter? Das allein kann nicht der Grund für die mir zu Ohren gekommenen Familienstreitigkeiten sein. Durch ganz Roms Gassen zieht dieses Gerücht. Ist dem so?“


    Antoninus warf einen Blick auf das Essen, nahm aber nichts. Zunächst wollte er alles wissen und vor allem verstehen. Vor allem das wollte er.

  • "Ja", hauchte ich. "Dem ist so." Ich hatte mir oft gewünscht, dass es wieder wie früher war. Aber diese Zeiten waren wohl endgültig vorbei.



    "Der Verlust hat die Familie schwer getroffen. Selbst Monate danach kommen immer wieder die Erinnerungen hoch und nicht nur bei mir. Sophus hat daran auch schwer zu tragen.
    Er hat im November letzten Jahres das Erbe seines Vaters angetreten und monatelang die Gens vorbildlich als Pater familias geführt. Bis… ja bis…“


    Tränen traten mir in die Augen und ich erhob mich. Aufgewühlt lief ich im Raum herum und wusste einfach nicht, wie ich das ganze Ausmaß der vorgefallenen Dinge in Worte fassen sollte. Dann kam mir schließlich der rettende Gedanke.


    "Ich habe die Geschehnisse in einer Familienchronik niedergeschrieben. Es erspart mir, alles noch einmal gedanklich zu durchleben, wenn du dir diese einfach durchliest.“


    Ohne eine Antwort abzuwarten, ging ich und holte die große versiegelte Wachstafel ins Triclinium. Wortlos reichte ich sie meinem Vater.

  • Antoninus las die Chronik einmal, zweimal, dreimal und konnte nicht glauben, was darin stand. Stumm saß er da, war jetzt selber wortlos oder besser sprachlos und versank in Gedanken.


    "Vielleicht bringt meine Rückkehr einen erneuten Wendepunkt in den Geschicken der Gens. Vertraue mir! Schlimmer kann es nun nicht mehr werden.“
    Wieder versank Antoninus in stilles Grübeln.


    "Ich muss meine Zukunft planen.“
    Der Themenwechsel kam abrupt und doch hatte er etwas mit dem zuvor Gesagten zu tun.


    "Meine Zukunft wird auch die der Gens beeinflussen. So wie jeder die Chance hat, Einfluss zu nehmen. Eigentlich wollte ich ja wieder zum Militär. Inzwischen bin ich mir gar nicht mehr so sicher. Vielleicht gehe ich in die Politik. In jedem Fall werde ich diese Entscheidung nicht kurzfristig fällen.“


    Antoninus merkte gar nicht, wie er Wein trank und seit Ewigkeiten auf einem Fleischstück kaute.

  • "Ja, ich vertraue dir." Ein Lächeln umspielte meine Lippen.


    "Du warst sehr lange nicht in Italia", sagte ich nachdenklich. "Und du sagst, du willst dir Zeit lassen, bevor du festlegst, ob du eine politische oder militärische Laufbahn einschlägst. Möchtest du in diese Zeit der Überlegung eventuell dennoch tätig werden? Mir kommt da so ein Gedanke."


    Nun griff auch ich nach etwas Brot und Obst. Mein Vater und Sophus ... Stimmt! Es konnte nur noch besser werden.

  • "Wenn mich diese Tätigkeit nicht für allzu lange bindet, dann wäre ich vielleicht interessiert. Ich möchte in absehbarer Zeit meine aufgeschobene Entscheidung schließlich umsetzen können. Aber lass mal hören! Was für ein Gedanke ist das?“


    Gespannt wartete Antoninus auf die Antwort. Er fragte sich, was geht wohl in so einem hübschen Köpfchen vor.

  • "Wären zwei Monate zu lang? Mein Gedanke war, dass du dich in einer Curia einbringen könntest. Auf diese Art werden dir die Gepflogenheiten hier wieder vertraut.
    Geht deine Entscheidung schließlich in Richtung Politik, dann wäre ein Magistratusposten nicht das schlechteste Sprungbrett und auch bei einer Entscheidung für das Militär ist eine solche Tätigkeit sicher nicht von Nachteil."


    Ich lächelte Antoninus unumwunden an. Ich war eben kein Mensch, der sich hinsetzte und nichts tat. Selbst wenn ich ruhte, arbeiteten wenigstens meine Gedanken. Mir schien es, mein Vater war mir darin nicht unähnlich.


    Gerade kam mir die Erkenntnis, dass die Aurelia Sophus vor allem Menschen ausmachten, die strebsam und gebildet waren. Hatte mir doch Sophus erst vor kurzem erzählt, dass Commodus in einem Examen jämmerlich durchgefallen war :D, während er selbst mit Auszeichnung bestanden hatte. Ich musste lachen, bestimmt wusste mein Vater nicht warum, aber es war eine schöne Gewissheit und köstlich amüsant zudem.



    edit: Rechtschreibung

  • „Ja, sicher. Mantua wäre der absolut geeignete Ort, denn dort ist die Legion von Sophus stationiert und ich wohne auch die meiste Zeit des Jahres dort. Deine Kandidatur erklären kannst du aber nur noch bis morgen. Hier ist also schnelle Entschlusskraft gefragt.


    Hm, warum ich lache?“


    Ich suchte nach den passenden Worten, während ich mich wieder über die Gedanken von eben köstlich amüsierte.


    „Weißt du, Vater. Ich habe gelernt, dass man das Leben von zwei Seiten aus betrachten kann. Entweder man ärgert sich bis zum Umfallen über Unvermeidliches oder man pickt sich ein paar Brocken raus und wandelt das Ganze in Komik um. Ich habe soeben Letzteres gemacht.


    Uns unterscheidet viel von Commodus. Du musst dir bloß mal seine Briefe ansehen. Da kann ich als Frau besser schreiben als er. Und letztens gab es bei der Militärakademie eine Prüfung. Während Sophus seinem Stand und unserer Familie alle Ehre gemacht hat, ist Commodus sang- und klanglos untergegangen. Das hat mich eben so amüsiert.


    Auch darin unterscheidet sich eben ein echter Aurelier von einem Imitat.“

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