Gespräch mit den zwei Zeugen

  • Nachdem Macer schon während seiner Rundreise gemäß den Pflichten seines Amtes zahlreiche Stunden mit der Klärung juristischer Streitfälle verbracht hatte, ging er das Treffen etwas routinierter an, als es vor der Reise der Fall gewesen wäre. Er bot den Zeugen einen Sitzplatz an, wiess den Schreiber an, das Protokoll zu führen und nahm selber Platz.


    "Nun, dann möchte ich euch bitten, zu sprechen. Zuerst einmal bräuchte ich eure Namen und eure Herkunft."

  • Gern hätte ich mir ein Wiedersehen mit dem Legaten Purgitius Macer unter andren Umständen gewünscht. Obwohl wir uns kannten, stellte ich mich für das Protokoll mit vollem Namen vor.


    „Salve! Mein Name ist Tiberius Corvius Cadior. Ich bin römischer Bürger und habe seit Mitte Mai die Stadtverwaltung von Mantua geleitet.“


    Besorgt schaute ich zu Lydia. Hoffentlich besaß sie gute Nerven und war hilfreich. Emotionale Ausbrüche würden uns nichts nützen, eher schaden.

  • Dankend setzte ich mich hin, ich hatte mich wieder gefangen und fühlte mich erstaunlich ruhig.


    Ich heiße Lydia Lisander und bin eine Schneiderin aus Rom. Ich hatte hier eigentlich ein Treffen mit meinem Wollieferanten gehabt, als der "Zwischenfall" geschah.

  • Macer fixierte den Mann kurz mit seinem Blick. "Stadtverwaltung Mantua? Ja, richtig, Corvius Cadior, wir kennen uns ja noch von dort.


    Da hätte unser Wiedersehen ja unter einem wahrlich besseren Zeichen stehen können.


    Nun, um was für einen Zwischenfall, dessen Zeugen ihr wurdet, handelt es sich?"

  • Ich nickte zustimmend, genau das waren meine Gedanken.
    Bemüht, so konkret wie möglich auf die Frage des Legaten zu antworten, sparte ich mir die Bemerkung, dass Lydias Bezeichnung „Zwischenfall“ die Angelegenheit verharmlost darstellte.


    „Wir sind Zeugen einer Schutzgelderpressung geworden.“


    Bereit jederzeit ausführlicher zu werden, wartete ich auf Detailfragen.

  • "Schutzgelderpressung? Verzeih, aber das hört sich jetzt nicht unbedingt danach an, als wenn man dafür von der Colonia Claudia Ara Agrippinensium nach Mogontiacum reisen müsste, um bei mir persönlich vorzusprechen. Die örtlichen Zuständigen wollten den Fall nicht bearbeiten?


    Worum geht es genau?"

  • Wieder nickte ich zustimmend. Der Einwurf des Legatus' war berechtigt.


    „Wie ich bereits deinem Schreiber erklärt habe, waren wir auch folgerichtig zunächst zum Praefectus Portuensis, in dessen Hafen sich der Vorfall ereignet hat, gegangen. Vermutlich wäre das Gespräch mit ihm zufrieden stellend verlaufen, wenn wir nicht von dem Regionarius Gaius Indignius Dragonius just in jenem Moment, als uns der Praefectus Einlass gewähren wollte, abgefangen worden wären. Der Regionarius Dragonius gab seinem Untergebenen zu verstehen, dass er die Sache regeln wolle.


    Diese Tatsache zusammen mit der unfreundlichen Begrüßung, die da lautete: "Was wird denn das hier?" und die fadenscheinige Erklärung, die uns der Regionarius bezüglich der Handlungsweise des mir bekannten Täters weismachen wollte, ließ mich zu dem Schluss kommen, dass er in diese Erpressung verwickelt sein muss. Du bist sein nächster Vorgesetzter. Mir blieb keine andere Wahl, als mich an dich zu wenden.“


    Ich legte eine kurze Sprechpause ein, um mich an den Vorfall zurückerinnern zu können. Die Bilder liefen vor meinem geistigen Auge ab und die Worte kamen mir wieder in den Sinn.

  • Ein genaues Bild von dem, was vorgefgallen war hatte Macer zwar noch nicht, aber die Sache schien sich immerhin spannend zu entwickeln.


    "Gut, dann fangen wir am besten Mal ganz von vorne an. Was genau habt ihr wo beobachtet?"

  • Ich versuchte, die Schilderung so sachlich wie möglich zu halten und unterließ jede eigene Interpretation. Auch konnte ich natürlich nur über meine Beobachtungen sprechen, Lydia musste sich selbst dazu äußern.


    „Es war gegen Abend des 19.12., als drei vermummte Personen den Hafen betraten. Einer von ihnen, sprach in Hörweite einen Händler an. Da er sich nicht um eine gesenkte Stimme bemühte, konnte ich die Worte gut verstehen, ich erkannte sogar den Mann.
    Er trat dicht an den Händler, den er mit Tiberius angesprochen hatte, heran. Seine beiden Begleiter stellten sich ebenfalls eng hinter den Händler und zwar so eng, dass dieser zu schwitzen und heftig zu atmen anfing.


    Dem folgenden Wortwechsel konnte ich entnehmen, dass jener Tiberius in der Vergangenheit nicht immer saubere Geschäfte gemacht hatte, nun aber - nach seiner Aussage - seit langem ein ehrenwerter Händler geworden war.
    Dieser Aussage schenkte jener Mann, den ich unter dem Namen Commodus kenne, Glauben. Wörtlich sagte er:
    "Nun, mein guter Tiberius, dass“, damit meinte er die Wandlung des Tiberius in einen ehrenwerten Händler, „will ich überhaupt nicht abstreiten. Aber bei deiner Akte... meinst du dir schenkt jemand Vertrauen, wenn er die gelesen hat? Wer einmal schmuggelt tut es immer wieder... Der Hafen ist sehr groß, und schnell kann mal etwas auf deinen Schiff geladen werden was der Zoll gar nicht aufgenommen hat... Stell dir mal vor sowas passiert und dann bekommt der Praefectus Portuensis auch noch einen heißen Tipp... Das wäre wohl dein Finanzielles Ende."


    Der ängstlichen Nachfrage des Tiberius, wie er dem entgehen könne, antwortete Commodus:"Oh, das ist ganz einfach. 800 Sesterzen bei jeden Besuch hier in CCAA kann dich vor solchen Unannehmlichkeiten schützen."


    Nachdem der Händler protestierte, erhöhte Commodus seine Forderung sogar auf 1.000 Sesterzen.


    Mit den Worten: „Aber ich hoffe meine Vergangenheit ist bei dir sicher“, übergab der Händler Tiberius das geforderte Geld.


    Commodus nahm es mit den Worten: "Solange mein Geld immer pünktlich da ist und du dein Maul halten kannst, sollte es keine Probleme geben.", an sich. Anschließend öffnete er den Beutel und übergab vor Ort seinen beiden vermummten Begleitern einen Teil. Sie verabschiedeten sich und verließen den Hafen.“


    Kurz überlegte ich, ob ich etwas ausgelassen hatte, aber dem war nicht so.


    „Das waren die Vorfälle im Hafen von Colonia Claudia Ara Agrippinensium.“

  • Als Cadior die schändliche Tat noch einmal in allen Einzelheiten wiederholte, überkam mich ein grässliches Schaudern, und die Erlebnisse wurden erneut zu realen Bildern in meinem Kopf. Ich schüttelte heftig meinen Kopf, als könne ich so die Erinnerungen tilgen.


    Nein, mein Begleiter hat es absolut wahr und präzise geschildert. Ebenso war es, auch ich kann es ebenso bezeugen. Die Angst, die ich durchlitten habe, die brauche ich wohl nicht zu schildern.

  • Macer hätte es zwar durchaus interessiert, wieso Zeugen einer Schutzgelderpressung besondere Ängste durchlebten, aber er verzichtete auf einen Nachfrage, weil das nicht viel zur Sache tat.


    "Ihr gingt nach dieser Beobachtung also zum Praefectus Portuensis und dann zum Regionarius. Was sagten euch diese Leute jeweils?"

  • „Nun, der Praefectus Portuensis kam wie gesagt gar nicht zu Wort. Der Regionarius unterband eine Unterredung mit ihm.


    Wir folgten daraufhin dem Regionarius in sein Officium. Als erstes wurde ich dort gefragt, ob ich mir sicher bin, dass ich einen Beamten der Regio Germania Inferior leichtfertig des Amtsmissbrauches beschuldigen will. Von Leichtfertigkeit kann keine Rede sein. Ich weiß, was ich gehört und gesehen habe.


    Anschließend wurde ich gefragt, ob ich mir die Mühe gemacht hätte, zuvor mit ihm zu reden. Daraufhin habe ich dem Regionarius erklärt, dass die Armhaltung der vermummten Männer – mal abgesehen von ihrem Äußeren – keinen Zweifel daran bestehen ließ, dass sie den Händler mit Waffen bedrohten. Nicht umsonst schwitzte der Mann und schnappte nach Luft. Ich habe ihm erklärt, dass unter diesen Umständen niemand ernsthaft erwarten kann, dass sich einfache Passanten mit neugierigen Fragen in einen erpresserischen Akt mischen.


    Schließlich wollte mir der Regionarius weismachen, dass die beobachtete Tat zu einem Programm der polizeilichen Behörden der Stadt gehört, die zum Ziel haben soll, das Verbrechen aus der Stadt zu jagen.“


    Innerlich schüttelte ich noch immer den Kopf über diese Erklärung. Die Verbrechen mit einem Verbrechen bekämpfen? Ohne Kontrolle des Schiffes Geld von jemandem verlangen, der irgendwann in der Vergangenheit mal krumme Dinger gemacht hatte? Jeder wusste zudem, dass ein unter Druck abgegebenes Geständnis keinen Wert besaß und der Händler hatte noch nicht einmal etwas zu gestehen, denn Commodus glaubte ihm ja sogar seine ehrenhafte Wandlung. Und anschließend das erpresste Geld noch vor Ort an die Helfer verteilen?


    “Tja, nach dieser Auskunft ließ ich mir den Namen des Mannes nennen, mit dem ich gerade gesprochen hatte, denn weder stellte er sich vor noch hielt er einen Gruß für nötig, und verließ das Officium mit dem Hinweis, dass es sicher zweckdienlich wäre, meine Anzeige zu notieren und nicht nur die, sondern alles hier Gesagte und vor allem den mir erteilten Hinweis auf das „Programm“ dieser Stadt.“

  • Macer kniff die Augen zusammen. Da taten sich Lücken in der Schilderung auf...


    "Bei dem Mann, den ihr bei der Erpressung beobachtet habt und den Du unter dem Namen Commodus kennst, handelt es sich also um einen Beamten der Regio?"

  • Ich nickte.


    „So ist es. Bei besagtem Mann, ich vermute du kennst ihn ebenfalls persönlich, handelt es sich um Lucius Aurelius Commodus. Meines Wissens ist er der amtierende Centurio Statorum der Regio Germania Inferior.“

  • Macer kratze sich am Kopf. Die Sache kam ihm komisch vor, in alle Richtungen. Weder sah das Ganze für ihn nach einer herkömmlichen Schutzgelderpressung aus noch nach einer behördlichen Maßnahme.


    "Das ist in der Tat kein üblicher Fall und sicher nicht das normale Vorgehen der Behörden. Man wird dem nachgehen müssen..."


    Er machte sich selber einige Notizen auf einer Wachstafel.


    "Gibt es noch etwas, was ich wissen sollte oder war die Schilderung der Vorfälle damit komplett?"

  • „Die Schilderung ist insofern komplett, als dass ich zunächst nur das zur Aussage gebracht habe, was ich tatsächlich gehört und gesehen habe. Letztlich möchte ich jedoch noch erwähnen, dass besagte Begleiter des Commodus, als sie nahe an den Mann mit Namen Tiberius herantraten, ihre Arme in jener Weise anwinkelten, die ein mit Schwert oder Dolch Ausgerüsteter einnimmt, wenn er die Klinge zieht und damit jemanden bedroht. Die Armhaltung währte über das Gespräch hinweg bis zur Geldübergabe unverändert an. Erst danach löste sich diese Haltung auf.“


    Kurz überlegte ich, ob ich noch irgendeinen Hinweis vergessen hatte, aber mir fiel nichts mehr ein.


    „Ich denke, das war es dann von meiner Seite.“

  • "Gut."


    Er wandte sich an den Schreiber, der das Gespräch protokolliert hatte. "Hast Du alles? Dann mach' davon zwei Kopien in sauberer Schrift."


    Er nahm einen Schluck aus seinem Becher und wendete sich wieder den Zeugen zu.


    "Dann danke ich euch zunächst für eure AUssage und werde nun die Ermittlungen einleiten. Wo seit ihr in nächster Zeit verfügbar, falls es noch Fragen gibt?"

  • Hm, das war schwierig zu beantworten.


    „Tja, es ist so. Ich hatte einen längerfristigen Urlaub in Germania geplant, die Rückreise nach Italia würde spontan entschieden werden. In Begleitung des Sklaven Assindius wollte ich fernab der Städte einer natürlichen Lebensweise frönen - jagen, am Lagerfeuer sitzen ... wenn du weißt, was ich meine. Unser nächstes Ziel was allerdings Assindia, die Geburtsstadt des Assindius. Sie liegt in unmittelbarer Nähe von Colonia Claudia Ara Agrippinensium. Er wollte seine germanische Familie besuchen. Am besten, die Nachricht würde dorthin gehen. Wir könnten sicher in Abständen vorbeischauen.“

  • Am Lagerfeuer sitzen - mitten im Winter? Macer begann sich Sorgen um den Zustand der Zeugen zu machen.


    "Das ist keine allzu verlässliche Adresse. Du wirst verstehen, dass ich gewisse Formalia in so einem Ermittlungsverfahren einzuhalten habe. Dazu gehört auch eine Verlässlichkeit der Zeugen - eine vage Adresse ist da weniger günstig."

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