nach dem Besuch der Rostra

  • Gemeinsam hatten wir die Rostra verlassen. Ich fasste meine Mutter bei der Hand. Ihre Aufregung war zu spüren. Diesmal übertrug sich ihre Anspannung nicht auf mich. ‚Komisch’, dachte ich. ‚Erscheinen alle äußerlich untätig, bin ich aktiviert. Kämpft jemand anderer, überwiegt bei mir die Sorge um denjenigen.’


    Dieses Mitempfinden und die Sorge um den anderen trafen nicht nur auf meine Mutter zu. Bei Sophus war es fast noch schlimmer. Ich dankte den Göttern, dass er sehr beschäftigt war und Prioritäten setzen musste. Es ist leicht, für sich selbst zu entscheiden, ob und wie viel man der Familie zuliebe wagt. Für die Angehörigen allerdings ist es schwierig, derlei Entschlüsse hinzunehmen.


    Ich sehnte die friedvollen Zeiten zurück. Ob sie je wiederkommen würden?


    „Was haltet ihr von einem gemeinsamen Bad. Schwimmen entspannt. Dazu lassen wir uns Musik spielen und uns kulinarisch verwöhnen.“

  • "Schwimmen wäre fabelhaft. Meine Sklavin beherrscht ein Instrument und kann uns etwas vorspielen."


    Willig ließ ich mich fortführen. Etwas zum Betäuben würde mir ebenfalls guttun. Wein hatte eine zu langsame Wirkung, aber etwas anderes stand nicht zur Verfügung.


    "Falerner, ohne Wasser."


    Die Sklaven spritzten davon.

  • Hörbar seufzte ich. Es gefiel mir nicht, wenn jemand seine Probleme mit Alkohol betäuben wollte, denn mehr als das war es nicht. Sie wurden dadurch nicht besser oder kleiner.


    Ich nahm Severina an der Hand, führte sie zu einer Liege im Schwimmbad, ließ mich nieder und zog sie neben mich.


    „Lass uns reden. Ich weiß ja, was dich zornig macht. Es ist zum Teil Commodus’ schäbige Lebensweise, die den Namen Aurelius beschmutzt. Zum anderen ist es aber auch die Tatsache, dass er von keiner Seite, nicht mal von öffentlichen, dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Hinzu kommt, dass die Gesetze des Imperiums nicht die aufrechten Bürger schützen. Sie bieten solchen, die skrupellos agieren, Rückhalt.
    Schlimmer noch, die unterbinden, dass ein derart Geschädigter sich dagegen wehren kann.


    Weißt du, wovor ich Angst habe? Wenn die Verbitterung über diese Zustände derart groß wird und irgendjemand zur Selbstjustiz greift.“


    Es war die Sorge um meine Familienmitglieder, die mein Gesicht bekümmert aussehen ließ. Ich selbst würde weit gehen, aber das war etwas ganz anderes.

  • Wir waren allein. Ich genehmigte mir zwei Weinbecher ohne Abzusetzen. Leider trat keine Wirkung ein.


    "So ist es. Die geltenden Gesetze stärken die Frevler und schwächen die ihres rechtmäßigen Anspruches Beraubten immer mehr."


    Ich ließ nachschenken und trank aus. Laut stellte ich den Becher ab.


    "Nicht einmal aus Germanien kommt die Kunde, dass eine Untersuchung begonnen hat. Ich habe Durst!"

  • „Bitte, hör auf zu trinken!“


    Mir traten Tränen in die Augen. Es war zum Auswachsen. Aufgeregt stand ich auf und lief durch den Raum. Dieser Commodus hatte mit seiner schädlichen Tat alles um mich herum zum Einsturz gebracht. Sophus war auffallend ernst geworden. Er lebte sehr zurückgezogen. Mutter wurde verbittert. Hoffentlich würde sie nicht mit dem Alkohol übertreiben. Niemand stoppte die Untaten dieses Verbrechers, weder in der Vergangenheit noch gegenwärtig. Selber helfen konnten wir uns nicht. Aus meiner Verachtung Commodus gegenüber wurde langsam Hass. Ein Gefühl, was aus der Hilflosigkeit entsprang, mit der ich all dem gegenüber stand.


    Aber ich hatte noch nie kleinbei gegeben, ich war doch eine Kämpfernatur. Etwas musste geschehen, wenngleich Hass sicher nicht der klügste Begleiter zukünftiger Aktivitäten war.


    Ich setzte mich wieder neben meine Mutter.


    „Lass uns überlegen, was können wir tun? Eine Akzeptanz dieses Schurken innerhalb der Familie kommt nicht in Frage. Was also dann?“

  • Endlich setzte die Wirkung ein. Der Raum schwankte bei jeder Kopfbewegung.


    "Ich bin es leid etwas zu tun. Wozu haben wir Männer?"


    Ich schloss die Augen. Dieser Zustand sollte anhalten. Ich hob den Becher.


    "Lernen wir am besten daraus. Schaffen wir Gewissen und Ehre ab. Dann lebt es sich ruhiger."

  • Fassungslos hörte ich Severinas Worte.


    „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“


    Bestürzt drückte ich die Hände gegen den Kopf. Als das Reiben der Finger über die schmerzende Stirn nichts brachte, blickte ich auf.
    Wieder erhob ich mich und legte im Eiltempo mehrere Durchquerungen des Raumes zurück. Ja, ich besaß gute Ratgeber - sogar einige außerhalb der Gens. Die einen rieten mir zu verdeckten Handlungen, andere bestärkten mich mit der Aussage, dass der Sturz dieses Individuums auch deren Fernziel war, wieder andere boten mir jegliche Unterstützung an, ich müsste sie nur einweisen.
    Ja, war ich denn ein Heerführer? Und selbst der besaß einen Stab. Ich brauchte wenigstens jemand zum Planen. Vor allem, wo ich doch in aller Regel impulsiv und nicht taktisch klug handelte.


    An diesem Punkt angelangt setzte ich mich erneut zu Severina.


    „Mutter, ich brauche dich! Du weißt wie ich, dass die Männer der Familie viel zu verlieren haben. Vor allem um Sophus habe ich Angst. Ich weiß aus seinem Mund, dass er seine Person hinter das Wohl der Familie stellt.“


    Flehentlich blickte ich Severina an. Sie war mir die zuverlässigste Mitstreiterin, die engste Verbündete, die liebste Vertraute in dieser schweren Zeit.

  • „Aber ich will von ihm ein solches Opfer nicht haben.“


    Ein Augenblick länger als sonst verstrich, in dem ich Mutter betrachtete, bevor ich leise weitersprach..


    „Ja, du hast Recht. Wir stellen alle die eigene Person hinter das Wohl der Familie.“


    Ich erinnerte mich daran zurück, wie ich sogar die Lösung meiner Adoption angeboten hatte, damit die Familie wieder zueinander fand. Jeder hätte so viel gegeben, jeder – nur dieser Commodus nicht. Wie auch? Er war im Herzen und in der Abstammung kein Aurelier.


    Minuten vergingen schweigend. Ich blickte dumpf auf den Boden, ohne das Mosaik wahrzunehmen. Schließlich kamen mir Severinas Worte wieder in den Sinn. Wie hatte sie das gemeint: ‚Tun wir das nicht alle?’. Diese Worte schlossen sie mit ein und sie hatte nicht in der Vergangenheit gesprochen. Ich versuchte, in ihren Augen zu lesen, was mir nicht gelang.


    „Heißt das, du stellst noch immer die Familie über dich selbst? Heißt das weiter, du wirst nicht aufgeben? Für mich in dieser Angelegenheit da sein? Mich unterstützen? Aktiv?“


    Noch nie hatte ich derart brennend auf eine Antwort gewartet.

  • Die Antwort klang positiv in meinen Ohren. Mein Lächeln wurde stärker. Flüchtig umarmte ich Mutter und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.


    „Trink meinetwegen, wenn es dir heute hilft. Ich hoffe trotzdem, du bist noch aufnahmefähig.“


    Wie also würde mein Plan aussehen? Ich könnte zunächst den engsten Verwandten des Commodus die Augen über ihren Pater öffnen. Sicher kannten sie seine Taten der Vergangenheit nicht. Er, der großmütig nach seinem Sturz als Pater der Tiberier in die Aurelia aufgenommen wurde, hatte Sophus die Gefolgschaft verweigert, als es um den Factiowechsel ging. Eine Handlungsweise, die mir nicht mal im Traum in den Sinn gekommen wäre.


    Sophus stand damals vor der Wahl, Commodus gegen seinen Willen in die Aurata zu zwingen oder den damaligen Gesetzen zu folgen und ihm großzügigerweise einen Teil seines Erbes anzuvertrauen. Soph entschied sich für letzteres, denn er vertraute dem Waffenbruder – ein fataler Fehler, wie sich herausstellte.


    „Ich möchte die andere Familie einladen und ihnen die Geschichte des Commodus erzählen. Was hältst du davon?“


    Ich fand die Idee gut. Es war nicht mein Problem, dass es wenig Gutes über Commodus zu berichten gab. Unternehmungslustig blitzten meine Augen, als ich den Kopf neigte und versuchte, einen seitlichen Blick meiner Mutter zu erhaschen.


    „Hm?“

  • Das Denken fiel merklich schwer, aber die Idee hatte etwas. Interessant wäre auch zu erfahren, wie Unbeteiligte die Angelegenheit sahen.


    "Versuch dein Glück." Die Zunge wurde langsam schwer.

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