Sica hatte sich im Haushalt der Villa Flavia endlich so weit wieder eingearbeitet, dass er sich des Nachts ein paar Stunden außerhalb der flavischen Villa erlauben konnte. Er setzte einen vertrauenswürdigen Sklaven als Aufsicht ein und begab sich in seine Kammer. Dort suchte er sich einen unauffälligen Umhang heraus, legte ihn sich um die Schultern und machte sich still und leise auf den Weg. Stets achtete er dabei trotz der schützenden Dunkelheit darauf, dass ihm niemand folgte. Der nächste und sicherste Zugang zum verzweigten System der unterirdischen Gänge, Kanäle, Verliese, Behausungen und Katakomben unter großen Teilen Roms befand sich in einem Haus am Westrand der Subura.
Es gab dort eine kleine Gerberei. Der Gerber, der sie betrieb und mit seiner Familie im oberen Stockwerk wohnte, arbeitete für sie. Aus einer verborgenen Tasche holte Sica einen Schlüssel hervor, sperrte auf, trat ein und verschwand lautlos im Inneren des Hauses. Hinter sich zog er die Tür wieder zu und verriegelte sie. An vereinbarter Stelle fand er eine Fackel, entzündete sie und ging los. Es war ein mit Bohlen ausgelegter Gang, von dem rechts und links je eine Tür abging. Die dritte Tür, am Ende des Gangs führte auf den Innenhof. Dieser folgte er und blieb schließlich vor einer weiteren Tür stehen, die er ebenfalls aufschloss, durchging und sie hinter sich wieder zusperrte.
Ausgetretene, glitschige Stufen führten zu einer weiteren Tür hinab und hinter dieser lag nun eine der unterirdischen 'Hauptstraßen', die von den großen Nebensträngen der Cloaca Maxima ausgingen. Im Fackelschein sah Sica die träge Brühe, auf deren Anblick er gern verzichtet hätte, wenn er sie nur nicht hätte riechen müssen. Zwei erhöhte, dammartige Wege säumten diesen wenig appetitlichen Teil der Unterwelt und auf eben diesen ging Sica zielstrebig weiter. Der Weg war glatt und besudelt. Manchmal huschten ihm kleine Tiere um die Füße. Er kam an einigen größeren Plätzen und Abzweigungen vorbei, überquerte dann eine Brücke, die aus einigen schmalen Brettern bestand und sich beim Betreten beunruhigend zum widerlichen Rinnsal hinabbogen. Nun hatte er einen engen Durchgang erreicht und ging hindurch.
Der Platz dahinter war eine Art Grotte oder Halle, von drei Feuern und etlichen Fackeln erhellt. Die Decke schien nach oben zurückzuweichen und eine Kuppel zu bilden. Den Durchmesser dieser Halle betrug mindestens hundert Schritte. An den Feuern und zwischen den Fackeln saßen verschiedenste Gestalten. Sica begab sich zur nächstsitzenden Gruppe, wechselte ein paar Worte mit jemandem, bekam eine Antwort und setzte seinen Weg sogleich an einen entlegenen Ort des Rundes fort.
Auf einem einst prunkvollen Stuhl saß dort ein Mann mit purpurgestreifter Toga. Er trug eine Vogelmaske und blickte erst auf, als Sica bei ihm angekommen war und ihn ansprach.
Salve. Ich bin zurück.
Der Mann mit der Maske nickte und winkte einem jungen Burschen in seiner Nähe. Dieser rannte sofort los, um einen weiteren Stuhl herbei zu holen. Währenddessen musterte die Vogelmaske den wartenden Sica eingehend, sprach jedoch kein Wort. Der Junge kehrte zurück, brachte Sica einen Stuhl und verschwand so unauffällig wie er gekommen war. Sica setzte sich und erst jetzt hob der Mann mit der Maske mit zugleich dumpfer wie schriller Stimme zu sprechen an. Kurze Zeit später waren sie in ein ausführliches Gespräch vertieft.