Die Legende von Sünde und Strafe

  • Die Vitis seines Herrn in der Hand betrat Sica die Unterkünfte der Sklaven. Diese Rute war ein bemerkenswertes Exemplar ihrer Art. Sie lag gut in der Hand und war in der Lage, mit gezielten Schlägen schmerzhafte Wunden zuzufügen. Dazu war sie stabil und gleichzeitig von der notwendigen Biegsamkeit. Sica selbst hatte sie schon hinreichend zu spüren bekommen. Verächtlich sah er sich dort um und musterte die Bedingungen, unter denen gewöhnliche Sklaven hier zu hausen hatten. Er war froh über sein eigenes Zimmer. Einen kleinen Sklavenjungen entdeckte er in einer Ecke. Er schien sich gerade eine kleine Pause zu erlauben und zu schlafen. Sica ging auf ihn zu und stieß ihn mit der Vitis an.


    He! Du! Aufstehen! Sofort! Hol mir die Sklaven Slyria und Sciurus herbei.


    Mit schreckensgeweiteten Augen sah der kleine Junge zu Sica auf. Blitzschnell war er auf den Beinen und flitzte aus der Unterkunft heraus, um den Befehl auszuführen.

  • Das verängstigte Bündel brauchte nicht lange, um Sciurus zu finden. Der Herr war in einer Aufgabe des Cultus Deorum unterwegs und Sciurus nutzte die Zeit, Ordnung in sein Zimmer zu bringen. Obwohl Gracchus Unordnung hasste, schaffte er es regelmäßig diese überall dorthin zu bringen, wo er sich aufhielt. Zu Sciurus Aufgaben zählte es, diese Unordnung so zu beseitigen, als wäre sie nie entstanden und seinen Herrn davon nichts merken zu lassen.


    "Sica verlangt dich, in den Sklavenunterkünften! Und Slyria soll auch kommen." Damit hatte der Junge seine Aufgabe erledigt und war schneller wieder weg, als Sciurus ihn hätte packen können.
    Erst vermutete Sciurus schon, dass es um Geschäfte ging, doch für so naiv hielt er Sica nicht. Dass das dumme Ding ihn begleiten sollte, ließ außerdem schnell keinen Zweifel mehr daran, dass es um interne Angelegenheiten ging. Da Sica ihm jedoch in keiner Weise weisungsbefugt war, eilte sich Sciurus nicht mit der Beendigung seiner Arbeit.


    Schließlich räumte er einige Schriftrollen vom Tisch zurück in das Regal, verließ Gracchus Raum und trat in die Sklavenunterkunft ein. Der Gedanke daran, in diesem Raum leben zu müssen rief Ekel in ihm hervor. Er war froh darüber, dass er beim Herrn schlafen konnte, selbst wenn dies allabendliche Arbeit bedeutete.
    "Was willst du?" wandte er sich an Sica. "Slyria ist nicht mehr in dieser Villa. Sie war eine schlechte Sklavin und wurde verkauft."

  • Du bist spät.


    Verächtlich sah Sica den anderen Sklaven an. Die Vitis seines Herrn in der Hand stand er ruhig in der Mitte des kleinen Raums. Es störte ihn, dass er Sciurus keine schweren Verletzungen zufügen durfte. Die Bestrafung würde sich dadurch ungleich aufwendiger gestalten. Das Fehlen der weiblichen Sklavin kam ihm so gesehen vermutlich sogar gelegen.


    Senator Secundus Flavius Felix, der Herr dieses Hauses und mein Besitzer, hat mir die Aufgaben seines Vilicus übertragen. Wenn du von nun an mit mir sprichst, dann sprichst du mit ihm. Ich werde für den reibungslosen Ablauf des Haushaltes und die Sicherheit in dieser Villa sorgen. Wage es nicht, eines davon in Gefahr zu bringen. So lange du und dein Besitzer in diesem Haus leben, wirst du dich an meine Weisungen halten. Ich bin mir sicher, dass wir uns gut arrangieren werden.


    Ein dünnes und humorloses Lächeln erschien auf Sicas Lippen und verschwand sofort wieder. Er drehte die Vitis beiläufig in seiner Hand, hielt kurz inne und musterte Sciurus abschätzend.


    Weiters wurde mir die Aufgabe übertragen, dich zu bestrafen. Was ist dein Vergehen?

  • "Ich halte mich an die Weisungen meines Herrn. Erst danach gelten für mich andere Regeln." gab Sciurus unbeeindruckt zurück. Sein Herr stand nicht unter Patria Potestas des Herrn Felix und somit war auch er nicht Eigentum dessen, sondern seines eigenen Herrn. Würde Sica ihm unberechtigterweise Schwierigkeiten bereiten, so würde er es seinen Herrn wissen lassen.


    Als das Gespräch auf die Strafe kam, verlor Sciurus einen Augenblick die Kontrolle über seine Regungen und Scham zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, denn sein Versagen war demütigend. Dennoch war seine Stimme fest, als er antwortete.
    "Ein verwandter Flavier aus Hispania hatte dem Herrn Felix seine Sklavin überlassen. Cloelia, ein blondes, dummes Ding, welches sich nicht an die Regeln hielt. Sie war eine schlechte Sklavin und wurde bestraft. Doch sie war nicht gut genug, eine Strafe zu erdulden. Sie brach, wurde wirr und war letztendlich nur noch für den Circus zu gebrauchen. Ich führte ihre Bestrafung durch."
    Als er an das dumme Ding dachte, stieg Ärger in Sciurus auf. Sie war nicht einmal den Sand wert gewesen, auf welchem sie von den Löwen zerfetzt worden war. Im Nachhinein konnte man vermuten, dass der hispanische Flavier dem Herrn Felix schon damals vor den Kopf stoßen wollte und ihm daher das nutzlose Ding da ließ. Sciurus biss seine Kiefer aufeinander. Immerhin wurden schlechte Sklaven in diesem Haushalt rasch aussortiert.

  • Dein Herr ist aber nicht zugegen.


    Sica musterte den anderen Sklaven mit abfälliger Miene. Er schien sich nicht so leicht fügen zu wollen, wie die übrigen. Sciurus war im Begriff, einige unangenehme Erfahrungen mit dem neuen Vilicius des Senators zu machen. Zufrieden bemerkte Sica jedoch, dass der Sklave ein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein zu haben schien. Darauf ließ sich aufbauen. Er nickte, nachdem ihm von dem Vergehen berichtet worden war. Vermutlich konnte er froh sein, dass Sciurus eine so nutzlose Sklavin aus dem Weg geräumt hatte. Sie hätte die Arbeit des Haushaltes nur behindert.


    Obwohl ich dir keine äußeren Schäden zufügen darf, werde ich für eine angemessene Bestrafung Sorge tragen.


    Für einen kurzen Moment erscheint ein diabolisches, unheilverkündendes Lächeln auf Sicas Lippen. Es verschwindet jedoch so schnell wie es gekommen ist und er nickt mit dem Kopf in Richtung eines Eimers in der Ecke des Raumes. Es handelt sich um genau jenen Eimer, welcher von sämtlichen Sklaven des Haushalts als Spucknapf und Behältnis für die nächtliche Notdurft verwendet wird. Er ist randvoll.


    Trink das leer.

  • Sciurus folgte dem Blick des anderen Sklaven und biss die Zähne aufeinander. Er wusste ebenso gut wie Sica, dass einerseits sein Herr keine Anzeichen einer Strafe dulden würde, andererseits die Strafe jedoch notwendig war. Doch Bestrafung, welche keine äußeren Schäden verursachte, war in der Regel weitaus schlimmer, als diejenige, welche sichtbare Spuren hinterließ. Sciurus schluckte beim Anblick des Eimers, nickte dann jedoch. Er war ein Sklave. Er war ein guter Sklave. Tagein, tagaus diente er seinem Herrn. Die Dinge, welche er für ihn tat, waren in gewisser Hinsicht nicht weniger demütigend. Er trat an den Eimer heran und ging in die Knie.


    Ekel stieg in Sciurus auf und er atmete tief durch, um den Würgereiz in seiner Kehle zu unterdrücken. Er starrte auf die Brühe und maß den Inhalt ab. An einem Tag trank er nicht soviel Wasser, wie dort an Flüssigem und weniger Flüssigem enthalten war. Langsam griff er zu dem Eimer und hob ihn an. Sein Mund und seine Kehle wurden zu denen eines anderen.


    Und er trank. O, Tierchen, das mit Munterkeit Und er schluckte. Vor meines Mädchens Fenster springet Und er trank. Und dem sie selbst voll Sorgsamkeit Und er schluckte. Im weißen Händchen Futter bringet, Und er trank. Das Sprünge macht wie Pantalon Und er schluckte. Durch seine Späße sie vergnüget Und er trank. Und seiner Drolligkeit zum Lohn Und er schluckte. Von ihr geliebt im Schoße lieget, Und er trank. Das an ihr hängt, dem Busen nah, Und er schluckte. Und ihre Rosenwangen lecket Und er trank. Und das oft viele Reize sah, Und er schluckte. Die meinem Späherblick verstecket. Und er trank. Sonst bin ich wohl vom Neide frei, Und er schluckte. Doch hier da muß ich dich beneiden, Und er trank. Sie koset dich und liebt dich treu, Und er schluckte. Bei mir verhöhnt sie meine Leiden. Und er trank. O lächelte mir doch das Glück, Und er schluckte. Ließ einen Tag mich in dich fahren, Und er trank. Denn mich begnügte nicht ein Blick, Und er schluckte. Sie würde Ledas Los erfahren.


    Sciurus setzte den Eimer ab, wischte sich mit der Hand über den Mund und hielt einen Moment inne. Zu rasche Bewegungen würden dafür sorgen, dass ihm alles noch einmal durch den Kopf gehen würde. Er stand langsam auf und drehte sich zu Sica um. Keine Empfindung war auf seinem Gesicht, denn Sciurus dachte daran, wie es einst gewesen und dass das Leben in dieser Villa vorzüglich war. Eines Tages würden sich ihre Rollen tauschen und genauso wenig, wie Sciurus dann Triumph empfinden würde, empfand er nun Schmach.

  • Sica nickte zufrieden. Es beeindruckte ihn durchaus, wie gehorsam Sciurus die Strafe auf sich nahm und durchstand. Natürlich ließ er sich das nicht anmerken.


    Deine Schuld ist beglichen. Jetzt geh und wasch dich gründlich, damit dein Herr nichts von all dem mitbekommt.


    Er warf Sciurus noch einen kurzen Blick zu und verließ die Unterkunft der Sklaven dann wieder. Sica würde die Vitis an einem der anderen Sklaven noch ausprobieren.

  • Sciurus wartete gerade so lange, bis die Tür wieder in den Rahmen fiel. Dann beugte er sich über den Eimer und erbrach sich. Er würgte, bis er das Gefühl hatte, sein Innerstes würde sich nach Außen kehren, bis er glaubte, sein Körper würde mehr nicht aushalten. Als er geendet hatte wischte er sich den Mund mit dem Ärmel seiner Tunika sauber, stand auf und nahm den Eimer. Er verließ die Unterkunft um den Eimer zu leeren, sich eine neue Tunika anzuziehen, zu waschen und den Mund mit Essigwasser auszuspülen.

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