[Cubiculum] Rediviva Minervina

  • Schon bald erklang eine Stimme aus dem Inneren des Raumes und mit klopfendem Herzen betrat Helena den Raum. Noch immer war es ihr fremd, eine Mutter zu sein. Minervina kam ihr noch immer eher wie eine 'Bekannte' und nicht wie eine Tochter vor. Sie hatte sich nie besonders gut um die Erziehung ihres Kindes gesorgt, das hatten immer andere übernommen, meistens Sklaven wie Walburga. Mit einem leisen Geräusch schloss die Tür wieder hinter ihr und ein kurzer Moment des Schweigens trat ein, welchen Helena dazu nutzte, sich im Raum umzusehen.


    "So, nun ist es bald also so weit." meinte sie mit leiser und mit Trauer behafteter Stimme. Hier würde sie nun also auch ihr Kind verlieren. Ihr Kind, dass ihr nie besonders nahe gestanden hatte. Daran war gewiss auch Maximus nicht unschuldig, auch wenn er niemals mit Absicht entfremdet hätte. Sie dachte an die vielen Gespräche zurück, in denen sie mit ihm über Minervinas Zukunft diskutiert hatte. "Bist du schon aufgeregt? Immerhin beginnt nun bald ein neuer Lebensabschnitt." fragte Helena mit leisem Lächeln, um ein Gespräch heraufzubeschwören.

  • Ihr Verdacht hatte sich bestätigt und sie sah ihre Mutter eintreten. Ihre Mutter, die zwar immer eine Mutter gewesen war, jedoch eine denkbar schlechte. Minervina konnte sich kaum vorstellen, was sie nun hier wollte. Sie konnte nur mit Mühe die Kühle aus ihrem Gesicht zurückhalten und setzte stattdessen ein freundliches Lächeln auf. Doch war es keine vertraute, sondern distanzierte Freundlichkeit, die in ihren Augen lag und auch der Mund ließ keine überschwengliche Freude erkennen. Als sie Helena nach dem Eintreten sprechen hörte, keimten allerdings mitleidige Gefühle auf, denn ihre Mutter schien traurig zu sein. Warum? Weil jemand fortging, den sie kaum kannte? Oder weil sie spürte, dass sie nicht überaus willkommen war?


    "Ja, bald wird ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Aber ich bin nicht aufgeregt. Ich gehe ja nicht in eine völlige Fremde. Ich kenne Rom und ich kenne meine Verwandtschaft dort annähernd genauso gut wie jene hier. Ich denke dort komme ich von allem los." sie schien den Vorwurf in ihrer Stimme nicht im Geringsten verbergen zu wollen. Und ebenso wenig verheimlichte ihr Blick, dass sie ihre Worte so meinte, wie sie diese sprach. "Es wird sich nicht viel ändern." schloss sie ab und wandte ihren Blick von Helena ab, um ein wenig durch den Raum zu sehen.

  • Minervians Worte trafen Helena wie ein Schlag. Bisher hatte dieser Gedanke immer nur eine zweitrangige Rolle gespielt, denn was für eine schlechte Mutter sie gewesen war, hatte sie sich nie eingestehen wollen. Und nun wurde es ihr nicht gerade durch die Blume von der eigenen Tochter ins Gesicht geworfen. Aber was brachte der Wink mit dem Zaunpfahl jetzt noch? Minervina war eine erwachsene Frau, wenn auch noch sehr jungen Alters. Sie seufzte und wandte ebenfalls den Blick in Richtung Boden. "Minervina, es tut mir leid. Ich habe viele Fehler gemacht und ich weiß, diese sind nicht so leicht zu verzeihen. Aber es ist schwer, einen Menschen zu verändern und das gilt für jeden. Mehr als eine Entschuldigung, die wohl nichts ändern wird, kann ich nicht tätigen."


    Helena war ratlos und wusste kaum, was sie nun tun sollte. Aber das wusste Minervina vermutlich auch nicht, so ergriff sie wieder das Wort. "Wollen wir als Mutter und Tochter lebewohl sagen? Ich werde alles geben, mir bei deinem Bruder mehr Mühe zu geben, auch wenn es dir vermutlich nicht viel helfen wird." sagte sie leise, nicht ahnend, dass sie wieder genau den falschen Weg einschlug, indem sie unterwürfig war.

  • Minervina ließ nur ein leises 'Hmpf' vernehmen, denn ihre Mutter hatte es auf den Kopf getroffen. Es würde nichts mehr für sie ändern, denn nun hatte sie sich für ein anderes Leben entschieden. Es gab sovieles, dass sie furchtbar an ihrer Mutter fand, aber all das würde sie nun nicht mehr aufzählen. Sie würde versuchen, all dies für sich zu behalten und im Stillen zu vergeben. Helena war nicht in der Lage, diese Dinge wieder gut zu machen, sie war eine schlechte Mutter, eine schlechte Ehefrau und ein naiver Mensch. Und vielleicht würde ja wenigstens Metellus ihr die Augen öffnen, so wiederwillig sie dieser Verbindung auch entgegen sah. "In der Tat." sagte sie also nur kurz angebunden und richtete den Blick wieder auf Helena.


    "Wir werden das alles sicher wieder biegen. Doch ich brauche Zeit und vielleicht wird mir diese ja in Rom gegeben. Doch deinem Wunsch entspreche ich gerne. Lass uns den letzten Tag friedlich verbringen, ehe ich am morgigen aufbreche." bestätigte sie ihrer Mutter worte und versuchte sich abermals in einem kleinen Lächeln.

  • Helena erwärmte sich ebenfalls zu einem sanften Lächeln und vollendete den letzten Schritt um ihre Tochter in die Arme schließen zu können. Mit der Zeit würden die Wunden heilen. Auch jene, die sie sich gegenseitig in die Seele gerissen hatten. "Das alles wird gewiss gut gehen." murmelte sie leise, aber wohl eher zu sich selbst als zu Minervina. Zaghaft strich sie besagter über den Rücken, ehe sie sich nach kurzer Zeit wieder löste und die Tochter betrachtete. "Habe ich dir eigentlich schon einmal gesagt, dass du sehr nach deinem Vater kommst?" lächelte sie sacht, hoffend, Minervina damit aufheitern zu können. Und doch war diese Ähnlichkeit beinahe erschreckend.


    "Du hast seine braunen Augen, dieses tiefe und warme wie dunkle Braun. Auch dein Haar kommt offensichtlich kein bisschen nach mir. Schweigen wir mal davon, wie du über Stände denkst. Ich schätze du bist in jeder Hinsicht nach ihm gekommen." sagte sie lächelnd und bedachte Minervina mit zärtlichem Blick, auch wenn ihr Anblick sie mit diesen Worten gemeinsam schmerzte.

  • Minervina umarmte ihre Mutter ebenfalls, wenn auch etwas zaghaft. Sie war keine Zärtlichkeiten gewohnt, weder von ihren Pädagogen, ihren Leibsklaven noch von ihrer Familie oder etwaigen Männern. Meistens wich sie diesen sogar aus. Doch immerhin ist das Lächeln auf ihren Lippen ehrlich geworden, nachdem Helena sie wieder losließ. Ihr Abschied schien doch bedeutend schöner, aber auch schwerer zu werden. Warum hatte Helena sie vorher nie mit solcher Zärtlichkeit umarmt und mit Liebe umgarnt? Warum hatte sie sich jegliches Gefühl woanders holen müssen?


    Als ihre Mutter begann, von Maximus zu erzählen, tauchte Minervina allerdings ausnahmsweise einmal nicht in Traurigkeit, sondern in Stolz. Es war nicht wichtig, wie sie aussah, aber zumindest in ihrem Wesen wollte sie nach ihrem Vater kommen. Und das tat sie offensichtlich. Mit einem frohen Lächeln hauchte sie ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und murmelte ein leises 'Danke'.

  • Schweigen trat ein, doch dieses Mal war es keineswegs unbehaglich. Die Spannung zwischen ihnen schien einigermaßen gelöst, wenn es auch irgendwie zu spät schien. Sie spürte, dass sie Minervina durch ihre Worte bezüglich der Ähnlichkeit zu ihrem Vater einen Gefallen getan hatte. Aber gewiss würde sie Metellus niemals akzeptieren. Aber hiermit wollte sie die Stimmung nicht verderben und ließ ihren Zukünftigen komplett aus dem Spiel.


    "Ich kann dir leider nichts besonderes mit nach Rom geben, nur die Gewissheit meiner Liebe." meinte Helena mit zärtlicher Stimme. "Melde dich wann immer du mich brauchst. Der Cursus Publicus ist schnell und ich werde alles geben um Versäumtes nachzuholen. Bei mir wirst du immer ein offenes Ohr haben. Ich werde dich schrecklich vermissen." Während des Redens war die Stimme zu einem Flüstern herabgesunken und nun strich Helena schweigend eine Strähne aus dem Gesicht ihrer Tochter. Sie hatte sich prächtig gemacht.

  • Es kribbelte, als Helena die Strähne fortstrich und dies verursachte ein leichtes Lächeln. Sie spürte förmlich, dass es Helena ehrlich leid tat. Doch ihr Vertrauen hatte sie längst der väterlichen Seite der Familie geschenkt, daran war nun nichts mehr zu rütteln. Sie würde die Versuche ihrer Mutter mit Wohlwollen entgegen nehmen, aber für große Liebe war es zu spät, wie ihre Gegenüber sicherlich auch schon richtig erkannt hatte. "Ich danke dir, Mutter. Ich werde mich melden, wenn ich deine Hilfe benötige." erklärte sie sachlich. Es kam ihr ein wenig taktlos vor, aber sie wusste nicht wie sie anders reagieren sollte.


    "Aber mach dir keine Sorgen. Die See ist zu dieser Jahreszeit zumeist sehr ruhig und in Rom werde ich vorzüglich behütet sein, du kennst doch Tante Claudia!" meinte Minervina mit einem Lächeln und stieß ein leichtes Seufzen aus. Claudia würde sie gewiss bemuttern wie ein eigenes Kind. Wenn Claudia nicht gar zu etwas wie einer Mutter werden würde.

  • "Ja, ich kenne sie in der Tat. Sogar äußerst gut." meinte Helena ebenfalls mit einem Lächeln. Metellus in Rom würde aber ja ebenfalls ein Auge auf ihre Tochter - bald gemeinsame Tochter - haben. Es war nicht so, dass sie Claudia misstraute, aber Metellus hatte sicherlich eine etwas objektivere Einschätzung über den Verlauf von Minervinas Entwicklung. Was er wohl tat? Es wurde langsam an der Zeit, einen Brief zu schreiben, vielleicht konnte Minervina diesen ja mitnehmen.


    "Aber ich lasse dich dann erst einmal in Ruhe. Morgen ist dein großer Tag. Ich verspreche dir, dass ich dich sobald es mir möglich ist, besuchen werde, in Ordnung?" bot Helena lächelnd an. Morgen würde der große Tag beginnen, ja. Der Tag an dem sie Tag für Tag um ihr eigen Fleisch und Blut bangen müsste. das erste Mal in ihrem Leben würde sie sehen, was mütterliche Sorge hieß.

  • Dankbar seufzte Minervina auf. Es war weniger, dass sie sich in Gegenwart Helenas unbehaglich fühlte, denn der Tatsache dass sie tatsächlich ein wenig Zeit für sich brauchte um klare Gedanken fassen zu können. Morgen früh würde sie aufbrechen und es würde in der Tat ein denkenswürdiger seiner selbst werden. "Danke Mutter. Für alles. Du hast mir Mut gemacht." versuchte Minervina der Mutter gut zuzureden und küsste diese sanft auf die Wange. "Ich werde diese Prüfung sicherlich bestehen und dich und Vater mit Stolz erfüllen!" sagte sie bestimmt. Mit mehr Bestimmung als sie eigentlich empfand.

  • Helena nickte nur. Dass sie noch immer so an ihrem Vater hing, hatte ihr einen kleinen Stich versetzt. Sie mochte Metellus gewiss nicht, aber eines Tages würde sie sich sicherlich an ihn gewöhnen. Helena wollte mit diesem Manne alt werden, egal, wie seine Zukunft aussah. Er hatte ihr neuen Lebensmut geschenkt, als sie am Boden war und ihr seine Hand gereicht. Mit diesen Gedanken und einem verwirrten Lächeln wandte Helena sich um und schritt wieder hinaus, um die Tür leise hinter sich zu schließen.

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