• Der Opferplatz der Regia ist festlich geschmückt, rund um den Opferaltar brennen schon seit den frühen Morgenstunden die Kohlen in den Räucherbecken, zwei ministri sind eigens abgestellt, dafür zu sorgen, dass unablässig Kassia und Lorbeer darauf verbrennen. Über dem ganzen Platz liegt eine sakrale Atmosphäre, verstärkt durch die leisen Klänge der Musik der tibicines und fidicines. Wie betäubt vom Weihrauch steht der schwarze gefärbte Widder vor dem Opferaltar und blinzelt nur ab und zu träge, die Seile, die ihn auf der Stelle halten, sind völlig unnötig. In seinen vergoldeten Hörner spiegelt sich die Sonne und verstärkt den Kontrast zum schwarzen Fell.


    Als der Rex Sacrorum mit verhülltem Kopf den Platz betritt, kehrt Stille ein. Ein Priester geht mit einer Schale voll Wasser umher, bespritzt die Anwesenden und vollzieht damit die rituelle Reinigung. Der Rex Sacrorum reinigt seine Hände in einer bereitgestellten Schüssel und trocknet sie mit dem malluium latum. Dann greift er nach der Weinkanne und lässt langsam die tiefrote Flüssigkeit über den Kopf des Widders rinnen um ihn dem Veiovis zu weihen. Es folgt etwas mola salsa, doch auch dies interessiert den Widder kaum, was ein gutes Zeichen ist.


    Die Musik beginnt wieder leise zu spielen, als der Opferkönig das culter mit der breiten Klinge zieht. Er streicht dem Widder vom Kopf aus über den Rücken bis zum Schwanz, während ein Sacerdos das Opfergebet verliest. Am Kopf des Widders zurückgekehrt greift der Rex Sacrorum mit der Linken eines der Hörner und verharrt wartend, bis die Worte verklingen. Dann, mit einer raschen Bewegung, und für einige der ministri aufgrund der Spannung doch plötzlich unerwartet, zieht der Opferkönig das Messer über die Halsschlagader des Tieres. Augenblicklich schießt rotes Blut aus der Wunde, der Widder blickt noch einmal träge, und vielleicht ein bisschen empört, umher und sinkt dann langsam in sich zusammen.


    Nachdem das Tier ausgeblutet ist, tritt ein Popa heran, öffnet den Bauchraum und entnimmt die Eingeweide, welche dem Rex Sacrorum in kleinen Opferschalen vorgelegt werden. Dieser analysiert jedes Stück mit großer Sorgfalt. Die ministri werden bereits etwas nervös, da die Eingeweideschau so lange dauert, doch schließlich wendet sich der Opferkönig um und verkündet mit ruhiger Stimme: "Litatio!"


    Der unterirdische Veiovis ist wieder einmal für ein Jahr besänftigt. Die ministri eilen heran, um das Fleisch des Widders in Empfang zu nehmen. Nur die vitalia würden an diesem Tag gekocht und anschließend dem Veiovis dargebracht werden, die übrigen Fleischteile werden an das Volk verkauft.

  • Zum ersten Mal erlebte Flaccus eine Opferung des hohen Priesters, des Rex Sacrorum. In aller Stille und Ruhe wartet er die Zeremonie ab und beobachtet den routinierten Umgang des Priesters. Er schaut sich die Abläufe und Gänge der Ministri und Popae genauestens an und verfolgt die Eingeweideschau gespannt.
    Als der Rex Sacrorum das gute Vorzeichen der Opferung verkündete, wusste Flaccus, dass der Gott der Unterwelt milde gestimmt war. Er atmete durch, die Götter schienen in diesen Zeiten immer noch Rom beizustehen.

  • Ein sanfter Windhauch wehte über den Platz vor der Regia, fuhr mit einem Rascheln durch die Blätter der wenigen Bäume rundherum, und brachte die Flammen in den großen Feuerschalen zum Erzittern. Das Agonium des Veiovis war Bestandteil jener Feste, welche sich über den gesamten Maius zogen und die Götter und Geister der Unterwelt besänftigen und zufrieden stellen sollten, denn der dem Iuppiter entgegen gesetzte Diovis galt als Gott der Sühne und auch der entlaufenden Verbrecher. Wie zu den Agonalia üblich schickte sich der Rex Sacrorum an, einen Widder als Gabe zu opfern. Jenes Tier, welches dem Veiovis dargebracht wurde, war nicht nur in natürlicher Weise schwarz, es war zudem mit Kohlenstaub eingefärbt, um den Ansprüchen des Unterirdischen zu genügen.
    Obgleich sich Gracchus eher dem Iuppiter zugehörig fühlte, so war Diovis doch nicht nur Gegenpart dessen, sondern gleichsam Teil des Ganzen, weshalb ihm die Teilnahme am Agonium Veiovis nicht nur Pflicht, sondern gleichsam Ehre war. Gemeinsam mit einigen weiteren Sacerdotes wartete er vor der Regia auf das Erscheinen des ehrwürdigen Rex Sacrorum und betrachtete ein wenig abwesend die jungen Ministri dabei, wie sie dafür Sorge trugen, dass beständig Weihrauchkörner über den glimmenden Kohlen lagen und der feine weiße Rauch in den Himmel zog. Er erinnerte sich, dass das Agonium Veiovis einst das erste öffentliche Ritual gewesen war, an welchem auch er als kleiner Junge als Minister hatte teilnehmen dürfen. Wer hätte damalig gedacht, dass er knapp zwei Jahrzehnte später erneut hier stehen würde, als Sacerdos publcius, der nicht mehr nur das Weihrauchkästchen durfte anreichen, sondern gar die rituellen Worte an den Unterirdischen richten? Er selbst damalig zumindest nicht.
    Das Einsetzen des Spiels der Tibicines kündete vom Eintreffen des Rex Sacrorum und eine kleine Welle der Bewegung zog sich durch die Wartenden, als sie alle sich gerade aufrichteten und ihre volle Aufmerksamkeit auf die Opferung legten. Ohne weitere Verzögerung trat der Priester zum Opferplatz hin und wartete nur kurz, dass die rituelle Reinigung vollzogen wurde, bevor er begann das Tier mit Wein und mola salsa dem Veiovis zu weihen, begleitet von seinem leisen Gemurmel, welches vom beständigen Spiel der Tibicines völlig übertönt wurde. Nachdem er sich die Hände gereinigt hatte, nickte der Opferkönig Gracchus zu, welcher daraufhin vor trat, die Rolle mit den traditionellen Worten öffnete und zu lesen begann. Obgleich es hier keinerlei Zuschauer gab, die es zu beeindrucken galt, hallte seine Stimme laut und volltönend.
    "Veiovis, Diovis, höchster und größter in Inversion!
    Dir weihen wir unsere heiligen Riten,
    Unsere Gebete und Entsühnungen, erhabener König,
    Für alle Dinge die Du uns erlassen hast.
    Ende und Anfang ist Dein, dessen Macht aus den Tiefen kommt,
    Dein Zorn halte im Reich Deines Schaffens,
    Mannigfaltiger, nimm Du unsere Gabe,
    Glückverheißender hör unser Gebet, gib uns schluldloses Heil,
    Mit Frieden, Göttlicher, und dem notwendigen Wohlstand."

    Nachdem Gracchus die zeremoniellen Worte beendet hatte, trat er zurück in den Kreis der Sacerdotes. Der Rex Sacrorum hatte längstens das Opfertier symbolisch entkleidet und den Schmuck von dessen Kopf genommen, stand nun starr wie eine Statue und erwartete die Frage nach dem unausweichlichen Opferbeginn.
    "Agone?", tönte diese vom Cultrarius, und mit einem Nicken begleitete der Opferkönig sein "Age!". Der Cultrarius stieß das Messer in die pulsierende Halsader des Widders, der noch in einem glucksenden Gurgeln versuchte zu protestieren, bevor er zusammenbrach und zu Boden fiel. In aller Ruhe wartete der Opferhelfer darauf, dass das Tier sein Blut über den Boden ausließ, erst dann kniete er sich hinab um mit einem geübten Schnitt den Bauch zu öffnen und die Eingeweide aus dem toten Körper hinaus zu nehmen. Der Rex Sacrorum ließ sich ausnehmend viel Zeit, um die vitalia zu begutachten und Gracchus fragte sich bereits, ob die Organe derart beschädigt waren, dass das Opfer nicht konnte als erfolgreich tituliert werden, doch schließlich nickte der Opferkönig und sprach ein leises "Litatio", drehte sich nochmals zu den Sacerdotes und wiederholte laut "Litatio!", worauf doch ein leises Aufatmen durch jene Reihen ging. Die Gaben für den Unterirdischen wurden dem Feuer übergeben, wie auch der Rest des Tieres nicht verteilt werden, sondern vergraben werden würde, galt ein dem Diovis gegebenes Tier doch als zu unrein, um es hernach noch zu verzehren. Mit knappen Worten schloss der Rex Sacrorum die Zeremonie, schlug die Falte seiner Toga vom Kopf und verließ den Ort, gesäumt von seinen Liktoren.

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    IUS LIBERORUM

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