Caius hatte ja versucht sich darauf vorzubereiten. Er hatte viele Berichte gelesen, die Beschreibungen von Publius Vennonius Caldus in sich aufgesogen und so manchen Reisenden auf dem Weg nach seinen Eindrücken befragt. Aber nichts von alledem konnte Caius Duccius Callistus (,der sich geschworen hatte seinen germanischen Namen in Rom aus politischen Gründen vorerst beiseite zu lassen) auf den Moment vorbereiten, in dem er die letzte Hügelkuppe vor seinem Ziel überschritt und seiner Destination angesichtig wurde.
Dort lag es vor ihm. Rom, Mittelpunkt der Welt, Urbs Aeterna, gewaltigste aller Städte. Viele priesen diesen Ort, mehr noch verfluchten ihn, jeder liebte ihn. Rom, das war für Caius seit er sich erinnern konnte der größte Wunsch (Freilich hatte es auch andere Wünsche gegeben, aber die waren in diesem Augenblick gänzlich vergessen). Ein Jugendtraum ging in dem Moment in Erfüllung, als er das Meer aus Ziegeldächern erblickte, aus dem zahllose Tempelkuppel und Markthallen emporragten. Und dann noch das Colloseum, das unübersehbar inmitten dieser steinernen Prachtbauten hockte wie ein Fels im schäumenden Flusslauf.
Sofort drängte es den Duccius sein Pferd anzutreiben und sich in die Menschenmassen zu werfen, um die Eindrücke dieser Metropole in sich aufzunehmen. Aber sein Überschwang erfuhr jäh einen herben Dämpfer, denn alsbald kam er am Ende einer langen Warteschlange zum Stehen, die seine Geduld in Sekundenschnelle überstrapazierte.
Aufgeregt ließ er seine Ungeduld am Vennonius aus: "Was soll das? Warum müssen wir warten? Wo kommen die ganzen Leute her?"
http://www.kulueke.net/pics/ir/nscdb/e-roemer-maenner/37.jpgPublius Vennonius Caldus verzog seine Lippen zu einem schmalen Lächeln, zog amüsiert die Augenbrauen hoch und machte es sich in seinem Reisewagen noch etwas bequemer, bevor er sich zu einer Antwort herabließ: "Ach, mein junger Freund. Dies ist Rom. Jeder Mann und jede Frau dieses Reiches begehrt Einlass in diese prächtigste aller Städte. Schau, sie harren aus um sich hineinzustürzen in dies Labyrinth aus Straßen und Gassen, um ihrem Tagwerk nachzugehen oder Freunden und Verwandten einen Besuch abzustatten. Und dafür heißt es Zeit Opfern und sich in Geduld üben. Denn der Notwendigkeit einer Kontrolle durch die tapferen Milites der Cohortes Urbanae an der Pforte entrinnt letztlich niemand."
Er machte eine unbestimmte Bewegung mit der Hand, bei der seine Finger sich in routinierter Eleganz die Luft durschnitten und der vennonische Siegelring in der spärlichen frühwinterlichen Sonne glänzte. "So steht zu befürchten, werden auch wir warten müssen."
Caius schnaubte verärgert. So hatte er sich seine Ankunft in Rom nicht vorgestellt. "Na großartig", maulte er und warf einen weiteren verärgerten Blick auf den Stau, der sich vor ihnen aufgetan hatte.
"Gräme dich nicht, Duccius", setzte nun der Vennonier erneut an und schlug dabei einen versöhnlichen Ton an. "Wir werden ohnehin vor Betreten der Urbs noch einmal in einem Gasthaus einkehren. Denn mit diesem Wagen dürfen wir ohnehin nicht die Straßen Roms queren. Und unsere bewaffneten Gesellen hier werden ebenso keine Erlaubnis zum Betreten der Stadt erhalten, das weißt du ja. Deshalb werden wir uns gezwungen sehen, bis zum Anbruch des kommenden Tages uns noch in Geduld zu üben, so leid es mir denn tut. Schließlich müssen wir den Reisewagen noch gegen eine Sänfte eintauschen, zu deren Erhalt Mercurius sei dank dort vorn zahlreiche Leihgeschäfte existieren."
Caius schnaubte erneut. Das wurde ja immer besser. Radbod dagegen zuckte unbeeindruckt mit den Schultern und warf beiläufig dazwischen: "Tja, das ruft nach einer Zwischenmahlzeit." Daraufhin begann er in einer Satteltasche zu kramen und zückte eine geräucherte Wurst. Vennonius brachte das zum schmunzeln, Caius dagegen lachte laut.
"Ach Radbod, du denkst von uns allen hier doch noch am praktischsten! Etwas zu beißen ist jetzt tatsächlich das richtige!"
Und so verbrachte die Gesellschaft zunächst eine Nacht im Gasthaus, bevor sie am nächsten Morgen sich erneut einreihte in die Schlange der Wartenden, um Schritt für Schritt über die Via Flaminia her sich dem Kontrollpunkt der Cohortes Urbanae anzunähern. Die bewaffneten Leibwächter und die Kutsche hatten sie nun hinter sich gelassen. Statt dessen bewegte Publius Vennonius Caldus sich in einer Sänfte fort - sein Gepäck hatte er bereits in der Nacht auf einem Wagen in die Stadt schaffen lassen -, während Caius und Radbod auf ihren Pferden sowie mit zwei Packpferden im Schlepptau dieser Sänfte folgten.
Bald befanden sich zwischen ihnen und den Urbanern nur noch eine Familie mit zwei Kindern und eine Gruppe dreier Pilger, die noch abzufertigen waren. Caius bekam plötzlich schweißfeuchte Finger, die er sich an seiner Tunika - die germanische Reithose hatte er schon an der Grenze zu Italia abgelegt - abzuwischen versuchte. Er tauschte einen nervösen Blick mit Radbod. Diese Milites sahen beeindruckend aus, das gestand Caius sich ein. Er bereitete sich darauf vor, dass sie ebenso ruppig und unhöflich waren, wie er es von den Soldaten der Legionen und Straßenposten gewöhnt war.