• Frauen! Versteh mal einer die Frauen! Rutger seufzte und sah Gytha sehnsüchtig hinterher, eine Hand auf die Wange gelegt, wo sie ihn soeben berührte hatte. Nun ja, sie war eben eine sehr begehrte Frau, und nicht so leicht zu haben. Er würde sie schon noch überzeugen. Der Kuss schien ihr ja gefallen zu haben, und das Schultertuch hatte sie ihm auch überlassen, wohl als Zeichen ihrer Gunst.
    Rutger hob das Tuch auf und lies es durch die Finger gleiten, nahm dann wieder das Methorn zur Hand und trank es mit einem tiefen Zug leer.


    In der Dämmerung schien das Wasser ganz schwarz. Kurz entschlossen streifte Rutger seine Kleider ab und stieg barfuß einen schräg gewachsenen Erlenstamm hinauf. Gelenkig kletterte er noch höher hinauf und balancierte auf einem dicken Ast entlang, der über das Wasser ragte. Einen Moment lang stand er hochaufgerichtet nackt dort oben, spürte die moosige Rinde unter seinen Füßen und zog tief den satten Geruch von Erde und Holz ein. Der Wind strich leicht über ihn hinweg, und der Ast schwankte auf und ab.


    Dann stieß er sich ab, und sprang kopfüber ins Wasser. Angenehm kühl umfloß es ihn. Er tauchte durch das dunkle Nass, fühlte kurz die modrigen Blätter auf dem Grund, und kam in der Mitte des Weihers wieder hoch.
    Dort drehte er sich auf den Rücken, liess sich treiben und betrachtete lange und gedankenverloren die Sterne, die nach und nach am Himmelsgewölbe erschienen. Erst spät kehrte er ins Lager zurück.

  • Die Tage strichen ins Land, die Sommerhitze lag schwer auf dem Lager der Chatten. Auch Marcus litt unter jener Hitze. Sie durchdrang ihn und ließ ihn viele Tage fiebern. Es stand schlecht um ihn, die Pfeilwunde eiterte sogar. Die Fieberträume warfen Marcus hin und her. Immer wieder murmelte er unverständliche Worte, wobei der Name seiner Mutter oft fiel. Gytha kümmerte sich all die Tage fast ständig um den Patrizier.


    -4 Tage später-


    Es war spät am Abend. Die Nacht zeigte sich mit vielen funkelnden Sternen, dem abnehmenden Mond und einer leicht schwülen Luft. Es hatte sich kaum vom Tag abgekühlt. Gytha war wieder mal im Zelt. Ihre Haare hingen ihr nass und schwer über der Schulter. Leise summend trat sie an die Feuerschale und wrang ihre Strähnen über dem Feuer aus. Das Wasser tropfte in die Flammen und zischte leise als sie verdampften. Gythas Summen wurde zu einem leisen Singen.


    Marcus war immer noch in der tiefen Dunkelheit seines Fiebers gefangen. Ab und an schwebten Visionen und Traumfetzen vor seinen Augen vorbei. Und dann erschien wieder die Sirene, die er schon vor einiger Zeit gehört hatte. Der Gesang, der ihn aus den Abgründen hervorgeholt hatte und ihn daran hinderte, die Flüsse der Unterwelt zu überschreiten. Und auch jetzt stieg er wieder nach oben. Morpheus Klauen versuchten ihn noch zu halten, doch dann schwebt er empor. Langsam erschien Licht vor seinen Augen, blinzelnd sah er in das kleine Feuer in der Mitte des Zeltes.


    Seine Augen wanderten hoch und zu der Germanin, die mit ihren Fingern ihre Haare kämmte. Verblüfft musterte er die Frau. Kannte er sie?


    "Wer bist Du?"


    Seine Stimme klang leise, fast wie ein Krächzen. Gytha wandte sich zu ihm um und musterte Marcus. Ohne ihn weiter zu beachten, ging sie zu einer kleinen Holzkiste und öffnete diese. Aus dem Inneren holte sie einen kleinen Hornkamm hervor und fing in aller Seelenruhe an ihre Haare zu kämmen. Stumm betrachtete Marcus sie. Leicht ächzend versucht er sich aus den Fellen, die ihn umgaben zu befreien. Doch der Schmerz zuckte durch seinen Körper und damit kamen heiß und brennend die Erinnerungen des Kampfes wieder.


    "Wo bin ich?"


    Ob es vielleicht doch eine Sirene war? Wenn, dann war es aber eine ausgesprochen hübsche Sirene. Oder eine Nymphe, die ihn vor dem Germanen gerettet hatte? Kühlen Blickes sah Gytha zu Marcus.


    „Du bist unser Gefangener, Römer!“


    Marcus Seifenblase zerplatzte und er musterte sie etwas ernüchterter. Sie sah aber kaum wie eine Germanin aus. Ja, sie war ziemlich groß und hellhaarig, aber nicht so grobknochig und kantig, wie er das bei manchen der Germaninnen gesehen hatte. Geschmeidig stand Gytha auf und griff nach einem ledernen Schlauch. Damit trat sie an das Lager und kniete sich neben Marcus nieder.


    „Trink, Römer!“


    Sie hielt den Schlauch an seine trockenen Lippen. Durstig trank Marcus. Dabei hob er seine Hand und berührte sanft Gythas Hand. Die zog erschrocken ihre Hand und auch den Schlauch zurück.


    „Lass das!“


    Sie fauchte wie eine Wildkatze. Wütend stand sie auf und ging aus dem Zelt. Leicht lächelnd und dann vor Schmerz stöhnend, sank Marcus zurück und schloß erschöpft die Augen. Es dauert nicht lange und er schlief ein.


    -14 Tage später-


    Inzwischen ging es Marcus sehr viel besser. Das Fieber war verschwunden und langsam kehrte die Kraft wieder zu ihm zurück. Inzwischen hatte Marcus herausgefunden, daß er in einem Lager der Germanen, die sich Chatten nannte, gefangen war. Einige der Männer hatten zwischendrin mal versucht, ihn zu befragen. Doch war das schon wieder einige Tage her. Und Marcus ging es schon so weit besser, daß er mit Gytha flirtete, wenn diese das eher kalt aufnahm. Auch plante er schon seine Flucht. Ob sie in der Legion besorgt waren? Ob sie überhaupt seine Abwesenheit bemerkt hatten?


    Marcus überlegte schon, wie er sich an der Wache rausschleichen konnte, die seit einiger Zeit vor dem Zelt stand. Immerhin hatte er schon einen Dolch erbeuten können, den er unter den Fellen versteckt hielt. In dem Moment kam wieder Gytha hinein. Sie trug ein kleines Bündel unter dem Arm und sah Marcus kurz stumm an. Dann trat sie neben die Kiste und legte das Bündel dorthinein.


    „Die schöne Gytha! Bekommt der römische Gefangene wieder ihre wundervolle Gesellschaft!“


    Marcus schmunzelte und richtete sich etwas auf. Gytha wandte den Kopf und seufzte leise.


    “Lass das, Römer! Du bist unser Gefangener und ich kann Römer nicht ausstehen.“


    Mit einem verächtlichen Schnauben nahm Gytha einen Topf und stellte ihn auf die Feuerstelle. Marcus sah sie unverwandt dabei an, während sie anfing Wasser hinein zu füllen und einige Körner hinein zu streuen. Nachdem sie fertig mit dem Kochen war, füllte sie etwas von dem Gerstenbrei in eine Schüssel und reichte sie Marcus.


    “Komm, Gytha, leiste mir etwas Gesellschaft.“


    Hin- und hergerissen blieb Gytha stehen. Nach einigen Sekunden nickte sie langsam und setzte sich. Während Marcus einige Bissen aß, musterte sie den Patrizier. Dieser wandte auch seine Augen nicht von ihr ab. Zwischen zwei Bissen, ließ er den Löffel sinken. Seine Augen wanderten an ihrem schönen Gesicht entlang und an ihrem schlanken Hals. Dabei fiel ihm was auf. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.


    “Gytha, Du erstaunst mich...“


    Marcus lachte leise, wobei er über Gythas erstaunten Gesichtsausdruck sich noch mehr amüsierte. Langsam beugte er sich vor und schob den Gerstenbrei zur Seite. Er hob seine Hand und zog an einer Kordel, die um Gythas Hals hing.


    “Eine Bulla! Du bist doch selber eine Römerin!“


    Wie erstarrt sah Gytha Marcus an. Sie öffnete ihre Lippen und sah Marcus groß an. Langsam schüttelte sie den Kopf als ob sie sich seiner Behauptung erwehren wollte. Marcus beugte sich langsam nach vorne.


    „Und was für eine Römerin...!“


    Seine Stimme klang leiser und er legte ihr eine Hand auf den Nacken. Seine Lippen näherten sich ihren und dann küßte er sie, wobei seine Hand die Bulla umschloßen hielt.

  • Zwei Wochen waren seit der Gefangennahme des Römers verstrichen. Es war kühler geworden in den letzten Tagen. Der Bote, der ausgeschickt worden war, um die Forderungen der Chatten nach einem Gefangenenaustausch zu überbringen, war am Mittag zurückgekehrt. Er brachte schlechte Kunde: Einar, der hoch geschätzte Skalde der Sippe, und seine Waffengefährten waren von den Römern bereits hingerichtet worden.
    Seit dem Mittag wurde nun schon erbittert über das Schicksal des Römers diskutiert, und es mehrten sich die Stimmen, die verlangten, ihn dem Goden zu überlassen.
    Gegen Abend zog ein leichter Nebel auf. Feine Schleier hingen zwischen den Birkenstämmen, geisterhaft angestrahlt von der hellen Sichel des Mondes.


    Heimlich stahl Rutger sich aus der Ratsversammlung davon. Er trat in die Hütte, die seine Familie hier im Kriegslager bewohnte, und nahm verstohlen einen Lederbeutel von seiner Lagerstatt zur Hand.
    Seine Schwester saß auf einem Schemel neben dem Herdfeuer, und webte eine schöne blau-und-beige gemusterte Borte. Ihr lichtblondes Haar fiel ihr offen weit über den Rücken.
    "Gibt es schon eine Entscheidung?" fragte sie.
    "Noch nicht." antwortete er. "Für dein Brautgewand?"
    "Ja."
    "Du wirst sehr schön aussehen. Erengist wird überwältigt sein, und dich in hohen Ehren halten. Und die Verbindung zwischen Hallvardungen und Sivichungen wird beiden nützen."
    Jorun winkte ab. "Ich weiß, ich weiß." Sie ließ die Webbrettchen sinken, und sah Rutger nachdenklich an. "Aber sag mal, findest du nicht auch... also dieser Römer, er erinnert mich irgendwie an Mucius..."
    Rutger runzelte unwillig die Stirn.
    "Jetzt fang doch nicht damit an! Mucius, pah!" Er spuckte ins Feuer.
    "Weder du noch ich waren für ihn jemals mehr als Zeitvertreib!"
    Er nahm eine gebieterische Haltung ein, sah mit ungeheurer Herablassung auf Jorun hinunter und sprach, mit pompösen Gesten untermalt, in einem rauhen aber flüssigen Latein.
    "Auf, auf, warum ist mein Pferd noch nicht gesattelt?! Oh, weh, meine Toga hat einen Fleck! Und mein Essen ist kalt! Ihr Barbaren, keinen Funken Kultur habt ihr!"
    Er zog eine Grimasse und rückte sich eine imaginäre Toga zurecht.
    Jorun lachte. "Rutger, so ist er nicht!"
    "Doch, genau so. Ich wünsche ihm die Pest an den Hals. Und stünde ich ihm mit der Waffe in der Hand gegenüber, würde ich nicht zögern."
    Jorun lächelte milde. "Das glaube ich nicht." Sie nahm die Webfäden wieder auf und entwirrte sie mit den Finger. Den Kopf schräg gelegt musterte sie ihren Bruder, der schon wieder auf dem Weg zur Tür war.
    "Was hast du da eigentlich?"
    "Ach, nichts, nur..." Er lächelte ertappt. "Also gut, ich bin mit Gytha verabredet, weißt du. Am Teich. Ich wollte ihr das da schenken." Er kippte den Lederbeutel und lies eine Fibel auf seine Handfläche gleiten. Sie war aus Bronze, stellte einen Schwan dar und war kunstfertig verziert.
    "Schön. Beute?"
    Rutger nickte.
    "Ich finde Gytha ja etwas merkwürdig..." setzte Jorun an.
    "Ich muß los." Rutger war schon halb über der Schwelle. "Bis später."
    "Ja." murmelte Jorun, und strich mit den Fingern durch ihre Webfäden. Das Feuer flackerte hoch auf als ein Luftzug durch die geöffnete Tür kam, und leuchtete sie hell an. Einen Moment lang erschien es, als ob da die Norne Werdani am Feuer säße und die Schicksalsfäden verknüpfe.
    Dann schloss Rutger die Türe von außen, und die Flammen verbreiteten wiederum einen ruhigen Schein um Jorun und ihre Webarbeit.

  • Auf der ölig schwarzen Oberfläche des Waldweihers spiegelte sich klar der Mond. Als ein leichter Hauch das Wasser kräuselte, zerbrach die Sichel aus flüssigem Silber in viele Scherben, leuchtende Flecken wogten umher, und vereinten sich dann wieder zu einem leicht zitternden Bild.
    In seinen Mantel gehüllt, die Beine weit von sich gestreckt, saß Rutger auf einem Stein am Ufer. Müssig spielten seine Finger mit der Schwanenfibel. Ob Gytha überhaupt kommen würde? Immerzu war sie damit beschäftigt diesen Römer zu pflegen.


    Vom Lager her drangen die Geräusche der Pferde an sein Ohr - zufriedenes Schnauben, mal ein Aufstampfen, gemächliches Kauen. Und auch Stimmen. Wahrscheinlich wurde noch immer darüber gestritten, was mit dem Römer passieren sollte. Ob der Gode ihn bekommen würde?
    Ein Schauder überlief Rutger, als er an den heiligen Hain des Allvaters dachte, an die riesigen Eichen, graue Wächter, die die Menschen überdauerten. An das groteske Zucken der Erhängten, und an die Raben, die sich an ihrem Fleisch labten, bis von einstmals lebendigen, atmenden, kämpfenden Männern nur noch vergilbte Knochen blieben.
    Hatte da nicht eben ein Rabe gekrächzt? Er sah sich um, und blickte genau auf eine Birke, die im Mondlicht knochenweiß erschien. Ihre Äste waren wie mahnend gen Himmel gereckt. Kalt glitzerte der Tau auf den Blättern. Ein böses Omen! Rutgers Finger formten das Zeichen von Donnars Hammer.


    Die Zeit verrann. Wo Gytha nur blieb? Schließlich erhob er sich. Er würde mal nachsehen. Eilig kletterte er das steile Ufer hinauf, warf noch einen Blick voll abergläubischer Scheu auf die Birke, und kehrte mit raumgreifenden Schritten zum Lager zurück.

  • Aus dem Zelt des Gefangenen drang noch Licht. Rutger grüßte Domarr, der dort Wache stand, schob schwungvoll den ledernen Vorhang am Eingang zur Seite und trat geduckt hinein.
    "Gytha, ich habe -" er stockte.
    Sah Gytha und den Römer in einen innigen Kuss vertieft. Starrte ungläubig auf das Bild, das sich ihm da bot.
    " - gewartet." murmelte er tonlos.
    Das Blut wich aus seinem Gesicht. Wie erstarrt stand er da.
    Dann verzerrten sich seine Züge zu einer Maske des Zornes.
    "Römerbuhle!" , brüllte er und kam mit geballten Fäusten auf sie zu,
    "Du Metze, du falsches Weib!" .
    Grob packte er sie an den Schultern und riss sie von Marcus weg.
    Mit blanker Mordlust in den Augen stürzte er sich auf den Römer.
    "Dreckiger Neiding!"
    Blind vor Wut holte er mit der Faust aus.
    "Ich brech dir alle Knochen!"
    Und schlug zu.

  • Was für weiche Lippen! Und der Hauch von einem salzigen Geschmack war auf der zarten und rosigen Haut ihrer Lippen zu spüren. Forsch küßte er Gytha und Marcus Hand lag fest auf ihrem Nacken, keinen Widerspruch duldend. Und es schien tatsächlich, daß Gytha ihn ebenfalls küssen wollte. Oder war es eher die Überraschung? Doch dann spannte sie sich an und wollte sich von Marcus lösen. Doch in dem Moment hörte Marcus die Stimme Rutgers. Was er sagte, verstand Marcus nicht. Doch daß er wütend war, wurde sofort klar. Gytha wurde Marcus Hand entrissen. Die Kordel um ihren Hals riß ebenfalls und Marcus behielt die Bulla in seiner Hand.


    Gytha starrte Rutger verblüfft an und landete neben der Feuerschale, die umfiel. Funken stoben auf und flogen auf einige der Felle am Rande des Zeltes. Etwas Rauch stieg von dort aus und das Fell fing an zu kokeln, doch blieb das erst Mal unbemerkt. Marcus griff schnell nach dem Messer unter seinem Lager als Rutger auf ihn zu sprang. Marcus lächelte leicht, denn Rutger kam ihm eigentlich gelegen. Doch trotzdem traf ihn der Faustschlag von Rutger wuchtig ins Gesicht. Marcus biß seinen Kiefer aufeinander und spürte einen blutigen Geschmack im Mund. Doch es war nur eine kurze Benommenheit und Marcus packte in dem Moment Rutgers Arm und nutzte dessen Schwung aus, ihn auf den Boden zu reißen. Mit einer schnellen Bewegung war Marcus über Rutger und presste das Messer an Rutgers Hals, dicht an der pulsierenden Ader.


    "Eine Bewegung und Du bist tot, Du kleiner Bastard!"


    Marcus Stimme war nur ein Knurren. Gytha hatte sich inzwischen aufgerappelt und sah sich nach einer Waffe suchend um. In dem Moment trat auch einer der Wächter mit einem Speer in der Hand in das Zelt.


    "Kommt nicht näher oder ich töte ihn!"


    Marcus sah finster zu Gytha und dem Wächter. In seinen Augen war abzulesen, daß Marcus es ernst meinte und dem war auch so. Gytha warf dem Wächter einen kurzen Blick zu und murmelte einige germanische Worte zu ihm. Der nickte kurz. Marcus packte Rutger fester und hielt das Messer an seinen Hals gedrückt, fest genug damit es auch etwas schmerzte.


    "Steh auf, aber langsam!"

  • In seinem rasenden Zorn erkannte Rutger nicht sofort, dass die Verhältnisse sich grundlegend gewandelt hatten.
    "Räudiger Dieb, dein Leben ist verwirkt !" stieß er hervor, und kämpfte gegen den Griff mit dem Marcus ihn gepackt hielt. Erst als durch diese Bewegung die kalte Klinge seine Haut ritzte, und ein dünner Faden Blut warm über seinen Hals rann, kam er auf den Boden der Tatsachen zurück.
    Die lodernde Wut in seinem Gesicht wich der Verblüffung, und dann machte sich ein Ausdruck tiefer Betroffenheit breit.
    "Lass mich los oder..." - er setzte auf Latein neu an - "Lass mich sofort los, Römer, oder meine Sippe wird dir die Haut in Riemen vom Körper schneiden, den Bauch aufschlitzen und deine Eingeweide den Wölfen zum Fraß vorwerfen!".
    Seinen großen Worten zum Trotz erhob er sich - widerstrebend - ganz langsam. Unwillkürlich schielte er kurz schräg nach unten auf den Dolch. Gytha warf er einen kalten Blick zu.
    "Verräterin!" zischte er voll abgrundtiefer Verachtung.

  • Marcus Kehle entwich ein tiefes, aber leises Lachen. Mit einer fleißenden Bewegung stand Marcus ebenfalls auf, wobei er genau darauf achtete Rutger das Messer an die Kehle zu halten.


    "Wer hier wem, was aufschlitzt werden wir noch sehen, Germane! Außerdem würde die Wölfin mir nichts tun. Wir Römer entstammen ihr!"


    Marcus packt Rutger und hielt ihn wie ein Schild vor sich. Dabei warf Marcus Gytha nur einen kurzen Blick zu. Diese stand stumm und starr am Rande des der Feuerstelle. Ihre Augen hatte sie auf den Boden gerichtet und schien die Beschimpfung von Rutger gar nicht zu hören.


    "Langsam gehen! Keine falsche Bewegung!"


    Marcus drückte Rutger vor sich nach vorne. Dabei hielt er ihn weiter fest gepackt und sah den Germanen, den Wächter, finster an. Dieser wich Schritt für Schritt zurück. Marcus stutzte dann jedoch.


    "Halt! Gytha, sag ihm, daß er reinkommen soll! Sag ihm, daß er Dich fesseln soll!"


    Gytha sah zögerlich auf und musterte Marcus stumm. Langsam schüttelte sie den Kopf. Marcus zog seine Augenbrauen genervt und etwas gereizt zusammen.


    "Los, sonst stirbt er! Ich scherze nicht!"


    Gytha sah Rutger nicht an, sonder wiederholte Marcus Worte leise und auf Germanisch zu dem Wächter. Der sah Marcus erstaunt an, ging dann zögerlich auf Gytha zu. Diese nahm einige Hanfstränge und reichte sie dem Wächter. Mit langsamen Bewegungen und recht vorsichtig fing er an Gytha zu fesseln.


    "Auch an den Füßen!"


    Gytha nickte und wiederholte erneut die Worte. Der Wächter bügte sich und fesselte Gytha, die sich auf das Lager nieder gelassen hatte. Weiter Rutger fest im Griff, prüfte Marcus kurz die Fesseln und nickte dann zufrieden.


    "Und jetzt sag ihm, daß er mir den Rücken zuwenden soll. Los, sag es ihm, meine Schöne!"


    Gytha warf Marcus einen finsteren Blick zu, gab dessen Worte jedoch weiter. Mißtrauisch wirkend drehte der Germane Marcus den Rücken zu. Marcus schlang seinen Arm fest um Rutgers Hals und drückte zu. Dann machte Marcus eine schnelle Bewegung und schlug mit der freien Hand und kurzzeitig Rutgers Kehle ohne Dolch lassend auf den Hinterkopf des Wächters mit dem Knauf. Noch bevor dieser zusammensank, hatte Marcus wieder das Messer an Rutgers Hals und Marcus lockerte seinen Würgegriff ein wenig, damit Rutger wieder Luft bekam.


    Stoßend trieb Marcus Ruger zum Zeltausgang als von hinten ein leises "Rutger?" von Gytha ertönte. Marcus verharrte und presste die Lippen aufeinander.


    "Na, willst Du ihr nicht antworten, du kleiner Gauner?"

  • Rutger rang nach Luft, ein kratziges Husten kam aus seiner Kehle, und in seinen Augen glomm ohnmächtige Wut.
    "Verflucht sollst du sein, Niederträchtige !" flüsterte er mit rauher Stimme.
    "Jede Freude soll dir zur Qual werden, jede Speise sich in deinem Mund in Asche verwandeln."
    Seine Stimme wurde lauter, schneidender, und erfüllte das Zelt mit ihrem eiskalten Klang.
    "Geschmäht für deine Tücke, verbannt für deine Arglist, sollst du einsam in der Ödnis wandeln, bis du elend zugrunde gehst und der Garm dein Aas verschlingt!"
    "Walvater, Grimmer, Gaut, das soll der Lohn sein für den Verrat dieses Weibes!"

    Rutger verstummte. Leise hörte man das Rauschen der Wälder, dann ein hohles Aufheulen, als eine plötzliche Windbö vorüberstrich. Der Zeltvorhang flatterte und die Pfosten knarrten.
    Mit verschlossener Mine trat Rutger, von Marcus gestoßen, aus dem Zelt.
    Nebelfetzen trieben durch das nächtliche Lager, und der Mond verbarg sich hinter zerklüfteten Wolken.

  • Verwirrt trat Marcus dicht hinter Rutger in die laue Sommernacht. Was Rutger wohl Gytha noch gesagt hatte? Es waren wohl einige deftige Worte nach ihrem entgeisterten Gesichtsausdruck beurteilt. Doch Marcus tat es mit einem Schulterzucken ab. Rutger war nicht der erste eifersüchtige Mann, den Marcus gesehen hatte und ob Germane, Römer, Grieche oder Ägypter, sie waren doch letztendlich alle gleich bei der Eifersucht.


    Marcus atmete die Luft draußen tief ein. Herrlich, es roch schon ganz nach Freiheit! Doch schnell und aufmerksam musterte Marcus das Lager. Es war recht ruhig. In der Nähe waren einige Koppeln und Marcus konnte darauf die Konturen von den Pferden wahrnehmen. Schnell sah Marcus noch mal zu den anderen Zelten und sprach leise und flüsternd.


    "Kein Laut von Dir, Junge! Mir macht es gar nichts aus, Dir die Kehle durchzuschneiden. Also sei vernünftig!"


    Dann stieß er ihn wieder nach vorne. Dabei zog er Rutger jedoch auch ein wenig runter und an den Schatten der Zelte entlang. Immerhin kam es Marcus zu Gute, daß der Mond nicht mehr seine volle Größe hatte. Schnellen Schrittes, flach atmend und sich immer wieder umsehend, zog Marcus seine Geisel zu den Pferden. Dort schnappte er sich einen der Lederbänder, was über einem Holzbalken lag und zog mit Zähnen und einer freinen Hand eine Schlinge zusammen.


    "Hände auf den Rücken!"


    Marcus zog die Schlinge um die Handgelenke und zog die Leberbänder fest um Rutgers Hände. Einen Hanfstrick greifend und Rutger mitziehend, ging Marcus zu den Pferden. Mit schnalzenden Lauten, gutem Zureden gelang es Marcus nach einigen Minuten eines der Pferde anzulocken. Mühsam, da er den Gefangenen im Schach halten mußte, legte er dem Pferd den Strick um den Hals. Dann schwang sich Marcus auf den Pferderücken. Dabei hielt er Rutger noch an den gefesselten Händen fest und zog ihn schließlich mit einem Ruck nach oben. Schwer atmend von der Anstrengung verharrte Marcus kurz. Doch dann zog er an dem Strick, schnalzte und lenkte das Pferd über die Wiese und einen Hang hinauf. Dort hielt er die Stute an und wandte seinen Blick auf das Lager hinunter. Die Bäume rauschten um sie herum. Eine Eule flog über sie hinweg und in der Ferne war das Heulen des Windes zu vernehmen.


    Verblüfft verharrte Marcus, denn ein Zelt hatten unten im Lager Feuer gefangen und die Flammen züngelten todbringend und lodernd in die dunkle Nacht. Die ersten aufgeregten Rufe ertönten von unten und Warnlaute. War das nicht Gythas Zelt, was brannte? Die Stute tänzelte nervös, roch sie doch wohl den Rauch. So drehte sich die Stute ein wenig und zeigte auch Rutger die Flammen, die das Zelt erfasst hatten.

  • Hoch stoben die Funken. "Feuer!" Der Ruf hallte durchs Lager.
    Dunkle Umrisse wurden vor den düsterroten Flammen sichtbar, Menschen die mit nassen Decken auf das Feuer einschlugen.
    Aus der Ferne schien es als würden sie einen seltsamen Tanz aufführen. Es prasselte, qualmte und zischte, Dampfschwaden stiegen auf, und glimmende Fetzen der Zeltwand wirbelten hoch hinauf in den Nachthimmel.
    "Nein!" flüsterte Rutger entsetzt.
    Er zerrte an seinen Fesseln, und bäumte sich wild gegen Marcus Griff auf, kam dabei ins Rutschen, glitt vom Pferderücken herunter und prallte mit der Schulter unsanft auf dem Boden auf.
    Mit zusammengebissenen Zähnen rollte er sich herum und versuchte mühsam, auf die Füße zu kommen.


    "Was haben wir denn da?" Ein Wachtposten löste sich aus der Dunkelheit des Waldes, den Speer in der Hand. Ein zweiter folgte ihm, und spannte den Bogen.
    "Ein flüchtiger Gefangener und Brandstifter." Sie kamen auf Marcus zu.
    "Runter mit dir!" Der vordere Wächter machte ihm mit einer abrupten Bewegung seines Speeres das Zeichen vom Pferd zu steigen.

  • „Bei Mars, verflucht noch mal!“


    Marcus fluchte deftig auf Latein als Rutger sich vom Pferd herunter wand. Nur, weil er kurz von dem Flammeninferno abgelenkt gewesen war. Und dann schien es Fortuna erneut nicht gut mit ihm zu meinen. Denn die Wachposten machten ihm die Flucht ganz schön schwierig. Knurrend glitt Marcus vom Pferderücken. Mit einem Satz war Marcus hinter Rutger. Er packte Rutger am gefesselten Arm und zog ihn mit einem Ruck wieder zurück.


    “Hier geblieben, Germane!“


    Marcus setzte erneut das Messer an Rutgers Hals. Dabei sah er grimmig zu den Wachtposten. Die Stute an seiner Seite tänzelte noch ein paar Mal nervös. Warf ihren Kopf in die Höhe, wieherte laut und trabte schließlich davon. Verärgert sah Marcus dem Pferd kurz hinter her, wandte jedoch sofort wieder seine Aufmerksamkeit der Bedrohung zu.


    „Den erkennt ihr sicherlich, oder? Einen Schritt näher und er ist tot! Geht langsam zur Seite und lasst uns durch. “


    Marcus zog seine Augenbrauen zusammen und presste das Messer fester an Rutgers Hals.


    “Sag es ihnen, Germane, sonst stirbst Du!“

  • "Und du stirbst mit mir, Römer." erwiderte Rutger hasserfüllt.
    Starr blickte er auf die Feuersbrunst. Er sah jetzt klar.
    Sein Tod war unvermeidlich, und er wollte es hinter sich bringen, hier, wo der Römer dafür büßen würde. Nur nicht irgendwo im Wald abgestochen werden, wo der Körper unbestattet verrottete, und er sich zu einem schadenbringenden Wiedergänger wandeln würde.
    Was wohl Jorun... nein, bloß nicht daran denken!
    Stolz hob er das Kinn und presste die Lippen fest aufeinander. Seine Stimme wankte nicht, als er kalt hinzufügte:
    "Töte mich. Du kannst nicht entkommen."
    Noch einmal sog er tief die Luft ein und wartete gefasst auf das Ende.


    Die beiden Wächter versperrten Marcus hochaufgerichtet den Weg in den Wald. Speer und Pfeil waren reglos auf ihn gerichtet, düsterrote Reflexe huschten über das Eisen. Ein lautes Knacken und Prasseln war zu hören, die Luft roch brandig, und einige Funken schwirrten vorbei wie Glühwürmchen.
    Der Augenblick dehnte sich, dann senkten die Wächter ihre Waffen und machten Marcus den Weg frei.

  • Für einen Moment war Marcus sprachlos gewesen. Irgendwie hatte er schon geglaubt, daß dieser Barbar ein wenig an seinem Leben hängen würde. Marcus zögerte und zog nicht das Messer über die zarte Haut am Hals, die nur mit einer dünnen Schicht das pulsierend Blut davon abhielt den Körper zu verlassen. Aber Marcus wußte genauso, daß sein eigenes Leben von dem Leben dieses Germanen abhing. Blitzschnell formierten sich Pläne in seinem Kopf. Wie er den Germanen töten und wenigstens noch einen anderen Barbaren in den Tod reißen konnte. Bei Mars, sie würden sehen, wie auch ein Römer zu sterben vermag. Der Moment des Stutzens verflog. Gerade wollte Marcus das Messer über die Kehle des Germanen ziehen. Seine Hand drückte etwas tiefer, ein Rinnsal floß über seinen kleinen Finger. Doch noch nicht genug, um den Germanen zu töten.


    Doch in jenem Augenblick traten die Germanen zur Seite! Vielleicht hatten sie es in Marcus Augen gesehen, daß er nicht zögern würde? So stockte Marcus mit dem Messer. Eine kurze Erleichterung überkam ihm, denn im Grunde wollte Marcus noch nicht sterben.


    "Ich glaube, die Götter sind heute mit Dir gnädig, Germane! Oder vielleicht wird Fortuna Dich auch prüfen..."


    Marcus lachte leise. Zwar etwas unpassend, aber die Erleichterung brachte ihn dazu. Grob drückte Marcus Rutger an den Germanen vorbei. Schnellen Schrittes dirigierte Marcus seine Geisel in den dunklen Wald hinein. Fast sofort verlor sich der Lichtschein des Feuers zwischen den Birken und den hohen Rosskastanien. Ohne ein Wort zu verlieren lief Marcus mit seinem Gefangenen, den er keine Minute aus den Augen ließ oder ihn von seinen Fesseln erlöste, in die Dunkelheit und dem wilden germanischen Wald. Hinter ihnen waren mal Stimmen zu vernehmen, was Marcus nur noch mehr anspornte, schneller zu laufen.


    Der nächtliche Marsch wurde immer mehr zu einer Tortour, besonders für Marcus, der schließlich noch nicht ganz genesen war. Immer wieder hatte Marcus das Gefühl sie würden verfolgt, doch dann waren es nur die Nachttiere des Waldes. Ein Tier, was vom Gebüsch aufgeschreckt wurde. Eine Fledermaus, die sie umflatterte. Eine Eule, die eine Maus schlug. Außerdem hatte Marcus nicht die geringste Ahnung wo sie waren. Nach einiger Zeit verharrte Marcus und atmete schwer. Schweiß klebte an seinem Rücken und seine Wunden brannten. Er hielt Rutger fest an den Fesseln gepackt.


    "Wo sind wir, Germane? Wo geht es nach Colonia Claudia Ara Agrippinensium?"

  • Benommen setzte Rutger einen Fuß vor den anderen. Es erschien ihm unwirklich, dass er noch am Leben war - für den Moment. Jeden Augenblick konnte der Römer die Klinge über seinen Hals ziehen, und ihn schlagartig auslöschen. Ohne Vorwarnung, und ohne dass er sich wehren konnte. Einfach so...
    Gerade eben war er darauf gefasst gewesen dem Tod kühn ins Auge zu blicken, aber nun dieser verfluchte Aufschub, dieses hilflose Warten auf das Unvermeidliche... Rutger spürte wie die kalte Hand der Furcht sich unerbittlich um sein Herz legte.
    Seine Hände waren taub von den Fesseln. Er stolperte über eine Wurzel und fing sich wieder. Zweige kratzten über sein Gesicht, und das Blut sickerte stetig aus dem Schnitt an seinem Hals.


    Als der Römer anhielt, sah Rutger seine Hinrichtung gekommen.
    Er versuchte verzweifelt sich gegen die lähmende Furcht zu wappnen, und Haltung zu bewahren. Nein, er war ein Hallvardunge, und er würde seiner Sippe keine Schande machen!
    Er richtete sich auf, und wandte sein Gesicht trotzig dem Römer zu.
    "Die Stadt wirst du nie erreichen. Vorher versinkst du im Moor oder brichst dir den Hals in einer Schlucht."
    Seine Lippen kräuselten sich zu einem - falschen - verächtlichen Lächeln.
    "Oder endest als Fraß für die Bären, wenn nicht meine Sippe dich vorher erwischt."
    Sein Blick irrte unwillkürlich zu der Klinge, die Marcus in der Hand hielt.
    "Es sei denn..." Er zögerte, und sprach dann schnell, mit etwas belegt klingender Stimme weiter.
    "Ich zeige dir den Weg, wenn du mich gehen lässt."

  • Schwer atmend verharrte Marcus immer noch. Sein Arm schmerzte, der das kleine Messer hielt. Mittlerweile hatte er das Messer auch sinken lassen. Wütend biß sich Marcus auf die Lippen. Höhnische Bemerkungen auf die Beleidigungen lagen Marcus auf den Lippen. Doch im Moment war Marcus vernünftig genug. Der Germane würde seine Worte später noch bereuen, dafür würde Marcus noch sorgen. Stumm blieb Marcus einen Herzschlag stehen. Dann fingen seine Gedanken an zu arbeiten. Langsam und etwas träge. Sollte er darauf eingehen? Und könnte er darauf vertrauen, daß der Germane ihn tatsächlich in die Hauptstadt zurückführte?


    Marcus drehte Rutger halb um, so daß er ihm in die Augen schauen konnte. Marcus hatte seine Augenbrauen zusammengezogen und musterte Rutger grimmig.


    "Also, Kleiner, Du kannst von Glück sagen, wenn ich Dich am Leben lasse. Nachdem Du mich angegriffen hast, ist Dein Leben eigentlich verwirgt. Ich bin ein Flavier und kein römischer Niemand. Aber wenn Du mich nach CCAA führst, dann laß ich Dich am Leben. Und darauf gebe ich Dir mein Wort als Patrizier! Und wage es nicht, mein Wort in Frage zu stellen! Los, führ mich..."


    Mit den Worten drehte Marcus Rutger wieder um, so dass er dessen gefesselte Arme gepackt halten konnte.

  • Rutgers Augen wurden schmal, und seine Nasenflügel bebten, vor allem als der Römer ihn "Kleiner" nannte.
    Doch das Bewußtsein, dass er diesen, wenn auch groß geratenen Südländer, immer noch überragte, half.
    "Was erwartest du eigentlich, wenn du alleine im Kriegsgebiet herumstöberst?" fauchte er.
    "Ihr glaubt ihr hättet uns schon geschlagen, aber da täuscht ihr euch gewaltig!"
    Als Marcus weiter sprach, erwachte in ihm eine unsinnige Hoffnung. Vielleicht konnte er doch irgendwie mit heiler Haut davonkommen? Seine Familie wiedersehen, weiter den Kampf gegen die Besatzer führen, sich auszeichnen und die Schmach dieser Nacht vergessen machen... falls der Römer ihn nicht anlog, was, wie allgemein bekannt war, die Römer zu tun pflegten sobald sie den Mund aufmachten.


    Rutger gestand sich ein, dass er keine Wahl hatte, und nickte resigniert. Blieb das Problem, dass er während seiner Entführung selber die Orientierung verloren hatte.
    "Hier." Er wies mit dem Kinn auf den nächstbesten Wildwechsel und führte Marcus ohne zögern dort entlang.
    Aufmerksam nahm er die Laute und Gerüche des nächtlichen Waldes wahr, horchte auf den Wind oder das Murmeln einer Quelle, fühlte Farn um seine Knie streichen, roch die Nähe einer Linde und dann den Duft von Waldmeister. Recht bald hatte er eine ungefähre Vorstellung wo sie waren, und korrigierte behutsam die Marschrichtung.


    Als sich am Himmel wieder der Mond zeigte, führte er Marcus zielstrebig über einen felsigen Hügelrücken. Unter ihnen erstreckte sich, silbrig angeschienen, der endlos scheinende Wald.
    Auf und ab ging es, immer weiter, über holprige Hänge, durch eine Klamm in der das Echo ihrer Schritte hohl widerhallte, dann wieder durch einen lichten Eichenwald. Ganz in der Nähe brach ein Wildschwein grunzend und schnaufend durchs Gebüsch.
    An einer sandigen Furt überquerten sie einen seichten, ruhig strömenden Fluss, an dessen Ufern das Schilf raschelte und wisperte.


    Schließlich, sie hatten gerade einen Abhang erreicht wo dorniger Wacholder in seltsamen menschenähnlichen Formen wucherte, zeigte sich am östlichen Himmel ein blasser Lichtschein, und die Nacht wich einer kühlen, blaustichigen Morgendämmerung. Am Fuße des Abhanges sah man jetzt einen Weg, in den sich tief die Spuren von Wagenrädern eingegraben hatten.
    Rutger hielt inne.
    "Dort unten. Das ist der Weg in die Stadt. Du wirst da sein noch bevor die Sonne aufgeht."

  • Marcus war zu müde, um den Bemerkungen von Rutger etwas entgegen zu setzen. Der Schmerz, der immer wieder durch seine Seite pochte, war schwer zu ertragen. Gut, daß der Germane nicht merkte wie schwach Marcus in Wirklichkeit war. Denn sonst hätte er vielleicht versucht sich zu befreien. So hatte Marcus wenig Sinn für die nächtliche Landschaft um ihn herum. Nur, wenn er ärgerlicherweise über eine Wurzel stolperte oder seine Füße ihn durch einen Bachlauf trugen. Am Weg des Randes unterdrückte Marcus ein erleichtertes Seufzen. Beim Marsch hatte Marcus überlegt gehabt, was er mit Rutger machen würde. Ob er ihn laufen lassen würde oder nicht. Aber schließlich fiel Marcus eine äußerst römische Lösung für sein Dilemma ein. So grinste er auf Rutgers Worte kurz.


    "Oh, da bin ich sicher. Aber Du wirst dort ebenfalls vor Sonnenaufgang sein! Du kommst noch mit! Gehen wir!"


    Ohne zu zögern oder auf Wiederspruchsworte zu achten, zog Marcus Rutger auf den Weg herunter. Er lächelte kurz, wenn es auch keine römische Straße war. Stumm schritt Marcus den Weg entlang. Das Marschieren war auf dem Weg sehr viel leichter. Rutger könnte er nicht mit ins Kastell nehmen, das war klar!. Irgendwie war Marcus Plan in dieser Hinsicht sehr kompliziert. Aber erst mal in der Stadt angekommen, denn dort würde ihm schon etwas einfallen. Wieder verging einige Zeit als im Osten der Himmel sich heller färbte. Die ersten Vögel fingen an zu zwitschern. Als es noch ein wenig Heller geworden war, sah man in der Ferne schon die Silhouette der Stadt auftauchen. Ein Lächeln erschien auf Marcus Gesicht und seine Schritte beschleunigten sich.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!