Vor der Curia

  • Ich verließ die Curia gerade, als ich die Iulierin vor mir herlaufen sah. Mein Schädel brummte. Es war der Tag, an dem der comes dem centurio das Rederecht entzogen hatte. Stumm folgte ich Helena in einigem Abstand, bis ich schließlich meine Schritt beschleunigte, da sich ein angenehmer Gedanke in meinem Kopf geformt hatte.


    "Helena", sprach ich, um sie zum Stehenbleiben zu bewegen. Dann schloss ich zu ihr auf und deutete zurück zum Gebäude der curia.
    "Das war ja was. Mein Schädel fühlt sich an, als sei er gespalten worden. Sag mal, hättest du Lust, mit mir deine Kopfschmerzen zu pflegen? Ich brauche ganz dringend entwas Abwechslung und du schaust aus, als würde dir das auch gut tun. Was hältst du von einem ganz normalen Spaziergang über die Trajansmärkte? Oder einer Einkehr in die Apicia?" schlug ich ganz frech vor. Doch an meiner Lockerheit war sicher zu erkennen, dass es mir wohl wirklich nur um Ablenkung ging, die ich allein sicherlich nicht finden würde. Fragend musterte ich die hübsche Iulierin.

  • Als sie die curia verließ, schien es, als hätte sich der Alpdruck des vergangenen Tages aufgelöst. Dass erwachsene Männer, die sich im Allgemeinen auf ihre dignitas und gravitas beriefen, so miteinander umgingen, war ihr ein Rätsel - unter Soldaten wäre der rauhe Ton verständlich gewesen, aber doch nicht unter Vertretern der wichtigsten Städte Italias. Ihr Sklave, den sie inzwischen immer mitnahm, wenn sie in Roma unterwegs war, hatte gerade zu ihr aufgeschlossen, als sie den Ruf hörte, für einen Moment verwirrt darüber, dass sich jemand erdreistete, ihren cognomen ohne das nomen gentile zu verwenden.


    "Aurelius Corvinus," erwiederte sie höflich, als sie den Rufenden erkannte und blieb stehen, um ihn zu erwarten, nicht ohne sein nomen gentile ein klein wenig betont zu haben.
    "Ich nehme an, dies war auch Deine erste Erfahrung mit der sogenannten großen Politik? Man sollte meinen, es würde nicht wie bei den Germanen zugehen, aber inzwischen glaube ich, dass selbst die Germanen gesitteter miteinander interagieren als gewisse ... Mitglieder ... der curia." Seine Einladung war ausgesprochen frech. Sogar dreist. Aber sie hatte Witz und nach diesem Tag war ihr ein klein wenig Abwechslung durchaus recht. "Ein normaler Spaziergang klingt nicht schlecht nach diesem Tag, der wahrlich durchwachsen genug war. Zieht es dich wieder zu den Schmuckständen?" stichelte sie gutmütig und ließ die Worte von einem leichten Lächeln begleitet sein.

  • Ich schmunzelte und blinzelte in die Sonne, die vom Himmel stach. Es störte sie wohl etwas, dass ich ihr nomen gentile nicht genannt hatte...
    "Nein, die erste Erfahrung war dies nicht. Mit der römischen curia, ja, doch wie die römische Politik funktioniert, lehrte man mich in Achaia. Allerdings sprach man dort nicht davon, dass erwachsene Männer sich in derartigen Wortgefechten üben. Entweder einer Vertuschungsaktion oder es war den großen Rhetorikern peinlich", gab ich zurück.


    Erfreut nahm ich zur Kenntnis, dass sie die Einladung zu einem erfrischenden Spaziergang annahm. So nickte ich denn und deutete nach vorn, um mich sogleich in Bewegung zu setzen und neben der Dame entlangzulaufen.
    "Die Schmuckläden?" fragte ich und schüttelte den Kopf.
    "Nein, zu meinem Bedauern musste ich feststellen, dass die Aubeute an eben jenem Laden enttäuschend war."


    Ich hielt inne und zwinkerte Helena zu.
    "Leider hat sich Tiberia Livilla nicht beeindrucken lassen."

  • "Das Prinzip der römischen Politik sollte etwas mehr Respekt voreinander enthalten, aber ich hoffe sehr, dass nach dem anfänglichen gegenseitigen Abstoßen der Hörner langsam aber sicher klar wird, wie man miteinander umzugehen hat und welche Art des Verhaltens nicht tragbar ist," meinte sie sinnierend und atmete tief ein, um den Gedanken dann beiseite zu schieben. Sie wollte sich später damit befassen, wenn es etwas abgekühlt war und sie nicht mehr das Gefühl hatte, bei jedem Gedanken gleich schmelzen zu müssen.


    "Das wundert mich nicht," erwiederte sie auf die Worte über Tiberia Livilla. "Einer Frau aus reicher und edler Familie schenkt man doch auch keinen Schmuck, um sie zu beeindrucken, denn davon hat sie im Normalfall mehr als genug. Ein neues Stück wird sie nicht annähernd so beeindrucken wie etwas, was sie nicht bereits besitzt." Sie nahm eine sehr gemütliches Lauftempo auf und blickte sich sinnierend um. "Aber Du weisst sicherlich selbst genug über die Werbung um eine Frau und brauchst meine Ansichten dazu nicht." Überlegend wölbte sie die Lippen vor und maß ihn dann mit einem sinnierenden Blick. "Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns noch einmal unterhalten würden."

  • Ich hob langsam und in einer jungenhaften, unwillkürlichen Geste meinen Arm und kratzte kurz an meinem Hinterkopf.
    "Um ehrlich zu sein... nein", gestand ich, während ich mich selbst noch fragte, warum ich ihr das eigentlich verriet.
    "Ich hatte ihr den Schmuck nicht für ihre Sammlung kaufen wollen, sondern damit sie etwas hat, das sie an mich erinnert. Leider bin ich dabei gescheitert... Allerdings hätte ich gedacht, dass jede Frau Schmuck schön findet."


    Ich ließ den Arm wieder sinken, als es mir auffiel, und legte beide Arme auf den Rücken. So ging ich gemächlich neben Helena he. Dabei konnte ich es nicht unterlassen, hin und wieder einen kurzen Blick zu ihr hinüber zu werfen. Sie war schön und gebildet, ohne Zweifel. Allerdings hätte ich sie aus zwei Gründen nicht leiden können müssen. Zum einen war sie ungebeten an die Tiberierin und mich herangetreten und hatte somit zerstört, was ohnehin nicht geklappt hätte. Zum einen war sie eine Frau, die ein Amt inne hatte. Ich fragte mich, wie sie sich wohl als Vorstand und gute Seele einer casa machen würde. Dann schüttelte ich den Kopf und fragte, was mich brennend interessierte.
    "Sag, warum gehst du den Karriereweg und nicht den einer Frau, die häuslich bleiben möchte?"

  • "Mag denn jeder Mann beispielsweise den Kampf? Oder Pferde? Oder den Falerner? Genausowenig wirst Du bei jeder Frau mit Schmuck Eindruck machen können - die meisten Damen sind nur höflicher in dem, wie sie ein Geschenk annehmen, dass man ihnen nicht sofort ansieht, was sie bevorzugen, um einen Schenkenden nicht zu vergrämen," erwiederte sie lächelnd und blickte den jungen Aurelier freundlich an. Ein klein wenig erinnerte er sie an ihren inzwischen verstorbenen ältesten Bruder, mit seiner halb forschen, halb nachdenklichen Art. Für einen Aurelier war er ausgesprochen höflich und offen, vor allem zu einer Frau, die das angeblich undenkbare gewagt hatte und in die Verwaltung gegangen war.


    "Warum? Nun, weil es mich interessiert. Warum geht ein Mann in die Provinzverwaltung? Die meiste Zeit wohl, um Einfluss und Ansehen zu gewinnen, aber ich habe erkannt, dass sich die Organisation eines Halshalts mit Sklaven, Familienmitgliedern und der Notwendigkeit, sich an allen Ecken und Enden um die Probleme der Leute zu kümmern, nicht allzu sehr von der Organisation einer Stadt unterscheidet - es ist nur eine weit größere Dimension. Mehr Probleme, die man erkennen und lösen muss, aber im Prinzip dasselbe wie eine Familie. Ich bin Witwe, ich habe vor zwei Jahren meinen Mann im Feld verloren, und unsere Kinder haben leider nicht lange genug gelebt, um die toga virilis anzulegen - sodass ich mich einer neuen Aufgabe stellen möchte, solange ich die Kraft dazu besitze. Warum hast Du den Weg zu einer Karriere eingeschlagen? Familiäre Verpflichtung?"

  • Da hatte sie recht. Ich nahm mir vor, das beim nächsten Mal zu berücksichtigen, wenn ich jemals wieder um eine Frau werben würde. Unwillkürlich musste ich an Aquilius denken, wie er... Ich schlug die Lider nieder und konzentrierte mich auf Helena, schenkte ihr ein kurzes Lächeln.


    "Das müssen wahre Worte sein, wenn sie aus dem Munde einer Dame kommen", entgegnete ich freundlich.
    "Ich werde sie bei meinem nächsten Versuch berücksichtigen."


    Dann lauschte ich mit großem Interesse den Ausführungen ihre Tätigkeit betreffend. Den Vergleich mit dem Haushalt konnte ich nicht so ganz nachvollziehen.


    "Nun ja, ich finde schon, dass es weit mehr als etwas Organigationsgeschick bedarf, um die Geschicke einer Stadt zu lenken", widersprach ich daher.
    "Was ist zum Beispiel mit Verhandlungen, die Geführt werden müssen, mit Abkommen und Vorschlägen aus der Bürgerschaft? Ich stelle es mir schwierig vor, diese Dinge als Frau ebenso wie ein Mann auszuhandeln. Viele sehen in der Frau ein schwaches Mädchen, das sich nicht durchsetzen kann. Ich muss gestehen, dass ich den Traditionen treu bin und daher Frauen im Amte nicht gutheiße. Allerdings, fügte ich an, "soll das nicht heißen, dass ich mich mit Gegebenheiten nicht arrangieren kann. Gewiss, du bist eine Frau und du bist zum Kopfe Ostias gewählt worden. Das muss ich respektieren, denn es war der Wille des Volkes, wenngleich er mir auch nicht gefällt."


    Offen und ehrlich sah ich Helena an, auf eine Reaktion ihrerseits wartend. Stattdessen erzählte sie mir von ihrem verstorbenen Mann und ihren Kindern. Ich setzte ein betrübtes Gesicht auf, das nicht gespielt war.
    "Oh. Das tut mir leid," sagte ich. Wenigstens wusste ich nun, dass Helena auf niemanden warten musste, der erschöpft von der Arbeit nach Hause kam und seine Frau an seiner Seite wissen wollte. Eine weitere Erklärung dafür, weshalb sie den Karriereweg gewählt hatte und nicht den, der den Frauen von Natur aus vorgezeichnet war.

  • Sie schmunzelte kurz, als er ihr zustimmte, erstaunte sie das doch durchaus ein klein wenig. "Es ist nur eine Erfahrung, die ich über die Jahre hinweg gemacht habe - Du wirst sicher Deine Erfahrungen auch noch machen," sagte sie freundlich und schenkte ihm ein warmes Lächeln. Er stand noch ganz am Anfang seines Weges, und es ließ ein wehmütiges Gefühl zurück, als sie sich daran erinnerte, wie sie in seinem Alter gewesen war. Es schien eine halbe Ewigkeit zurück zu liegen, als sie so jung gewesen war und noch nicht geahnt hatte, in welche Richtung sich ihr Lebensweg wenden würde.


    "Ein Mann kann durch seine gravitas überzeugen, als Frau hast Du andere Mittel und Wege. Ich denke, man sollte nicht davon ausgehen, dass der Weg einer Frau derselbe sein kann wie der eines Mannes - denn man wird einer Frau immer anders gegenüber treten als einem Mann. Aber wenn eine Frau klug ist, und das Führen eines Haushalts erfordert in nicht geringem Maß diplomatisches Geschick, Strenge, Ernst, Klugheit, Flexibilität und Einsatz, dann sollte sie dieselben Chancen haben, ihre Geistesgaben für dieses Reich einzusetzen wie ein Mann es vermag. Wenn eine Frau, die nach Höherem strebt, dumm ist, dann werde ich sie sicher nicht verteidigen - aber eine Frau nur deswegen abzulehnen, weil sie eine Frau ist, das hat für mich nichts mit Logik zu tun." Sie sprach freundlich, aber durchaus überlegt und wandte den Blick wieder zu ihm.


    "Es muss Dir nicht leid tun. Ich war glücklich in meiner Ehe, und mein Mann war ein guter Mann. Ich denke, meinen Teil vom Glück, das ein Mensch im Leben haben kann, habe ich bekommen," meinte sie lächelnd. "Aber Du hast mir noch immer nicht verraten, was Dich in die Verwaltung geführt hat."

  • Ich war Helena dankbar, dass sie meine Unwissenheit nicht belächelte oder mich gar verspottete. Um ehrlich zu sein, hatte ich das aber nicht erwartet von ihr, denn sie war durchaus eine Frau der Ehre, hilfsbereit dazu, und hatte einen scharfen Verstand. Wahrscheinlich hatte das Volk Ostias sie aus diesem Grund zum duumvir gewählt. Ich musste mir selbst eingestehen, dass mich ihre ruhige, gelassene, aber dennoch forsche Art beeindruckte, wenngleich ich noch immer nicht verstehen konnte, wieso man eine Frau in ein Amt wählte, wo es doch viele Männer gab, die die Stadt besser repräsentieren konnten als es eine Frau vermochte, auch nach Helenas Ausführungen nicht, die mir zwar logisch, aber zugleich auch seltsam erschienen. Aber das Volk hatte entschieden und es stand mir nicht zu, diese Entscheidung anzuzweifeln. So zog ich es vor, besser nichts mehr zu dem Thema zu sagen, und stattdessen Helenas Frage zu beantworten.


    "Ich bin in der Verwaltung, weil es mein ursprünglicher Plan war, in den cursus honorum einzusteigen, so ich denn bekannt genug geworden bin. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher... Der Weg der Götter erscheint mir inzwischen ebenso erstrebenswert. Ich werde sehen, was die Zukunft bringen mag."

  • Es war seltsam surreal, aber als er lächelte, ihre Worte annahm und danach seine Gedanken aussprach, bemerkte sie, dass sie diesen jungen Mann durchaus sympathisch fand. An jenem Schmuckstand war er ihr wie ein grober Tölpel erschienen - nicht zuletzt, weil offensichtlich gewesen war, dass er mit Tiberia Livilla hatte allein sein wollen und sie durch einen so billigen Trick hatte gewinnen wollen - aber nun schien sich der erste Eindruck seiner Person langsam aber sicher zu wandeln. Für einen frauenablehnenden Aurelier war er wirklich höflich und schien sich tatsächlich auch für ihre Sicht der Dinge zu interessieren, ohne sie vorzuverurteilen, und das gab einiges an Pluspunkten. Dafür waren die letzten Gespräche in der curia einfach zu eindeutig gewesen - sie wusste nun sehr genau, wo sie stand und wo die anderen ihren Standpunkt bezogen hatten.


    "Manche Entscheidungen brauchen auch einfach ein wenig Zeit, bis man seinen Weg klar erkannt hat. Als ich vor einigen Monaten zurück nach Rom kam, hatte ich den Wunsch, in den cultus deorum einzutreten und führte deswegen auch einige Gespräche - aber ich entschied mich letztendlich anders und landete in Ostia. Manchmal sind es nur sehr wenige Entscheidungen, die alles ändern - solange man nur zufrieden mit dem Weg ist, den man geht," erwiederte sie freundlich und überlegte sich, welchem Gott er wohl dienen würden wollte.

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