Arbeitszimmer | Aquilius und ein seriöser Geschäftsmann

  • Mit dem Brief des Aristides in der Hand erreichte Sciurus das Arbeitszimmer des Herrn Auqilius. Er klopfte und wartete auf ein Zeichen des Einlasses, dann betrat er das Zimmer und sprach, nachdem er auch hierzu ein Zeichen abgewartet hatte. "Herr, vor der Tür steht ein Sklavenhändler mit einem Germanen in Ketten. Er behauptet von eurem Vetter Aristides geschickt worden zu sein, welcher dir den Sklaven überführen lässt, und will dreihundert Sesterzen für den Sklaven. Seine Geschichte ist jedoch zweifelhaft, er überbringt zwar einen Brief, um seine Worte zu bestätigen, doch er hat das Siegel bereits einmal gelöst."


    Sciurus übergab Aquilius den gerollten Brief mit dem gelösten Siegel. "Womöglich stammte das Siegel von einem anderen Dokument und wurde hier wiederverwendet. Soll ich Brutus zur Tür schicken?"

  • Ich blickte von der Schriftrolle auf, die ich gerade studiert hatte, um in das Gesicht des Leibsklaven meines Lieblingsvetters zu sehen, die Brauen etwas erhoben. Dass ich tagsüber bei meinen Studien gestört wurde, kam nicht oft vor, kümmerte sich doch zumeist Furianus um den Besuch, und seit seiner Abreise nach Hispania hatte dies mein Vetter übernommen.
    So nahm ich den Brief entgegen und erkannte Aristides' Handschrift, dieses spillerige und des öfteren nicht ganz geübt wirkende Buchstabendkonstrukt, sofort wieder. Der Brief zumindest schien echt, was das andere anbelangte ...dreihundert Sesterzen für eine Überbringung? Deiser Kerl musste wohl träumen.


    "Die Schrift ist mir bekannt, auch der Tonfall spricht für meinen Vetter, aber ..." Wieder warf ich einen Blick auf den Brief. Von einer vereinbarten Summe war hier absolut nicht die Rede, nur von einer zu überbringenden Ware in Form eines widerspenstigen Sklaven. Innerlich stöhnend reckte ich mich in meinem Stuhl und legte meine Arbeit gänzlich beiseite - Ciceros staubtrockene Schrift De res publica würde auch später noch auf mich warten, dessen war ich mir ziemlich sicher. "... schick diesen Verrückten herein, aber Brutus soll ebenso vor der Türe warten. Es könnte sein, dass unser werter Besucher sehr schnell den Weg nach draußen antreten wird." Dreihundert Sesterzen! War ich Krösus? Erst einmal wollte ich mir den Sklaven genauer ansehen, ob er diese Summe überhaupt wert war.

  • "Ja, Herr." Sciurus nickte und verließ den Raum wieder. Über einen kurzen Umweg bei Brutus kehrte er zur Tür der Villa zurück.


    ...


    Kurz darauf kam er mit dem Sklavenhändler und dem Sklaven zurück. Er öffnete die Tür und bedeutete dem dreckigen Kerl mit einem Wink, dass er das Zimmer betreten solle.

  • Gravitätisch stolzierte Syagrius in das Arbeitszimmer. Der Germane folgte ihm widerwillig. Das Klirren seiner Ketten hallte laut von den mamornen Wänden wider.
    Sich vielfach tief verbeugend trat der Sklavenhändler auf Aquilius zu.


    Zitat

    Original von Marcus Flavius Aristides
    Der Mann war eher von Zwergengestalt. Sein Gesicht war rund wie der Vollmond und eine lange, spitze Nase zierte den Apfelkopf. Dabei zeigte die obere Rundung kein Härchen, nur eine etwas fettige, schmierige Schicht, die von seltenem Waschen zeugte. Auch seine Kleidung hätte durchaus auf dem Boden alleine stehen können, so sehr strotzte sie von Dreck und Körperfett.


    Treuherzig, mit einem untertänigen Lächeln, sah er zu Aquilius auf. Seine Nase krauste sich und zuckte ein bisschen.
    "Salve edler Herr, Salve! Gestatte dass ich mich vorstelle - ich bin Syagrius, Kompagnon im Sklaven- und Gladiatoren-Großhandel des ehrenwerten Lucianus, des 'Keltenhändlers', der Dir sicherlich ein Begriff ist..."
    Ein salbungsvoller Unterton trat in seine näselnde Stimme.
    "Zuerst lass mich Dir sagen, dass es mir eine große, überaus große Ehre ist, den edlen Flaviern zu Diensten sein zu dürfen!" Die trüben Augen richteten sich mit einem Ausdruck tiefer Ergriffenheit auf Aqulilius. Im Raum verbreitete sich langsam ein übler Dunst: in eine säuerlich-schweißige Grundnote mischte sich ein Hauch von ranzigem Bratfett mit einer Nuance von billigem Rosenwasser.


    "Werter Herr, ich überbringe Dir hier den Sklaven, den Dein Verwandter Dir schickt, pünktlich und in allerbestem Zustand, obwohl unsere Reise, wenn ich das anmerken darf, durch allerlei widrige Umstände sehr erschwert wurde, mal hatten wir Gluthitze, mal die schauerlichsten Unwetter, Überflutungen, Erdrutsche, Schneestürme, marodierende Banditen..."
    Bei den letzten Worten ballte er die rundlichen Hände ergrimmt, dann überzog mit einem mal ein strahlendes Lächeln seine Gaunervisage, und in einer Geste tiefer Rührung presste er die Fäuste auf die Brust.
    "Nichtsdestotrotz! - Syagrius steht zu seinem Wort! Hier stehe ich nun, und bin stolz, überaus stolz, Dir trotz aller Hindernisse diesen wackeren Germanen hier zu übergeben, wahrlich ein Prachtexemplar, ein wahrer Achilles!"
    "Denk an die Löwen und benimm dich!" raunte er dem "Achilles" leise aber unheilschwanger zu. Und lauter: "Zeig dich!" .

    Hocherhobenen Hauptes trat der Germane vor, ein großer und gestählter Mann, in dessen Bewegungen auch jetzt, in Ketten, eine kraftvolle Gewandtheit lag, wenn er auch sehr erschöpft schien, und man unter seinem zerfetzten Hemd die Rippen einzeln zählen konnte. Teils frisch blutig, teils verschorft war die Haut um die Eisenbänder an seinen Hand- und Fußgelenken und am Hals, sowie die Striemen auf dem Rücken.
    Aus schmalen graugrünen Augen musterte er den Flavier feindselig. Seine zusammengepressten Lippen waren trocken und schrundig, und auf Nase und Wangen schälte sich gerade ein ordentlicher Sonnenbrand ab.


    Ölig lächelnd fuhr Syagrius derweil fort:
    "Vierhundert Sersterzen, so bin ich mit dem edlen Herrn Flavius Aristides verblieben, das ist der Preis für den Transport - natürlich kam ich ihm da entgegen, aufgrund der enormen Ehre für Eure Gens tätig sein zu dürfen, jawohl - jedenfalls hat er schon hundert angezahlt, verbleiben noch dreihundert, und so es Dir beliebt, hochedler Herr, die Summe huldvoll zu begleichen, ist er Dein.
    Der Sklave, meine ich."

    Und Syagrius gönnte sich einen tiefen, leicht pfeifenden Atemzug.

  • Die beiden waren da ungleichste Paar der Saison, zumindest hatte ich selten ein solches Schmuckstück wie meinen zukünftigen Sklaven gemeinsam mit einem solchen widerwärtigen Ding wie dem Sklavenhändler gesehen, nicht einmal auf den Sklavenmärkten Athens, auf denen die absonderlichsten Abartigkeiten des Orients ihren Platz und natürlich auch Käufer fanden. Es musste wohl ein Streich der Götter sein, dass mir das Geschenk des Aristides von einer solchen optischen Zumutung überbracht wurde, aber da musste ich nun durch. Hieß es nicht, dass die Belohnung ohne Anstrengung vorher nichts wert war? So taxierte ich den schmierigen Sklavenhändler schweigend und ebenso seine 'Ware'. Als seine Duftwolke zu mir herüber driftete, gelang es mir nur mit absolut stoischer Selbstbeherrschung, nicht lauthals zu würgen - dass man ein offensichtlich nicht billiges Parfum oder Körperöl damit so verunstalten konnte, dass man anscheinend wie ein Wasserfall schwitzte und danach nicht in die Therme ging, war mir ein Ding der Unverständlichkeit.


    Der Sklave fand deutlich mehr meine Aufmerksamkeit, als aufmüpfig hatte mir ihn mein Vetter beschrieben, und die Peitschenspuren an seinem wohlgestalteten Körper sprachen deutlich davon, dass dies der Wahrheit zu entsprechen schien - oder aber sein schmieriger Begleiter machte gern und häufig Gebrauch von der Peitsche, auch wenn dies nicht notwendig war. Dass er so viele Schorfspuren aufwies, gefiel mir nicht besonders, es sprach nicht gerade für die Sorgfalt des Händlers, dass er so behandelt worden war.


    "Es wundert mich," ergriff ich nach einer wirklich langen Zeit des Schweigens, die auf den öligen Syagrius hoffentlich einen demoralisierenden Wert gehabt hatte, schließlich das Wort, in einer schneidenden und sicher nicht angenehmen Form. "... dass Du trotz der vielfältigen Gefahren, die angeblich euren Weg beschwert haben, noch bedeutend besser aussiehst als mein Eigentum. Da drängt sich doch der Gedanke auf, dass es Dir an Sorgfalt und der richtigen Hand für den Besitz anderer mangelt, werter Syagrius." Das Wort erhielt eine Betonung, die im Normalfall auch für besonders widerwärtige Würmer oder sonstiges Geschmeiß ausgereicht hätte - und noch immer hatte ich mich weder erhoben noch nennenswert geregt, als sei ich der pater familias und er ein säumiges Mitglied der Familie.


    "Vornehmlich sehe ich nur eines: Dass Du Deinen Schwur nicht eingehalten hast, ihn in angemessenem Zustand zu überbringen, denn ein schlecht ernährter, verletzter Sklave mit so vielen Spuren jüngster Bestrafungen am Leib ist deutlich weniger wert als Deine bezifferten dreihundert Sestzerzen." Noch immer maß mein Blick den Sklavenhändler, dann glitt er zu dem jungen Mann hinüber. Dass er gelitten hatte, war offensichtlich, zumindest die Verletzungen an den Kettengliedstellen hätten vermieden werdern können, hätte man ihn sorgfältiger gefesselt - und meine Miene verdüsterte sich gleich noch ein klein wenig mehr.

  • Syagrius wartete mit gefalteten Händen auf das Ergebnis von Aquilius´ Musterung, und schaute dabei drein als könne er kein Wässerchen trüben. Als sich das Schweigen dehnte, begann aber seine Nase nervös zu zucken, und als die Stille immer schwerer lastete, scharrte er unruhig mit den Füßen...
    Erleichtert atmete er auf als Aquilius dann sprach, doch dessen Vorwürfe trafen ihn anscheinend mitten ins Herz. Schockiert rang er die Hände, zog ein gekränktes Gesicht, katzbuckelte und schien sich gar eine Krokodilsträne aus dem Augenwinkel zu wischen.
    "Aber mein Herr, hochedler Herr, ich versichere Dir daß ich höchste Sorgfalt habe walten lassen! Du tust mir unrecht!"
    Er schniefte betrübt, sah unterwürfig zu Aquilius auf und schnurrte schon beinahe wie eine Katze, als er weiterflunkerte:
    "Deinen kostbaren Besitz habe ich gehütet wie meinen Augapfel, ich versichere Dir, keinen ruhigen Moment habe ich auf der langen (und sehr beschwerlichen) Reise gehabt, ach was, kein Auge habe ich zugetan, damit das Eigentum der hochverehrten Flavier keinen Schaden nimmt!"


    "Aber ich muss schon sagen , " - er wies anklagend auf den Sklaven - " das Ding hat es mir nicht gerade leicht gemacht! Als ich ihn in Empfang nahm war er noch völlig roh, ungezähmt, ein gemeingefährlicher germanischer Wild-Fang, zu jeder Greueltat bereit! Mein treuer Diener Finn musste erst mal mit einem Knüppel Deinen - edlen - Verwandten raushauen, weil dieser Unhold hier ihm gerade an die Kehle ging wie ein toller Hund!!"
    Syagrius verdreht die Augen, packte sich am Hals und gab eine kleine schauspielerische Einlage. Dann stemmte er die Hände in die Seite, richtete sich hoch auf und verkündete Aquilius im Brustton moralischer Überlegenheit:
    "Und das habe ich nicht in Rechnung gestellt."
    Er nickte bekräftigend, starrte den Germanen verächtlich an und ein hämisches Grinsen huschte über sein Gesicht.
    "Dir mißfällt, dass er ein bisschen mager ist? Kein Wunder, hat er doch anfangs das Essen verweigert, störrisch wie ein wildes Tier! Die Barbaren machen das leider manchmal. Und, nun ja, den Trichter verwende ich nicht gerne..." - fromm wandte er den Blick gen Himmel - "...ich bin ja kein Unmensch."
    Empört berichtete Syagrius weiter: "Dafür hat er einem wertvollen Angestellten von mir, einem Wächter, der nur seine Pflicht tat, wirklich ein guter Mann - dem hat er zwei Finger abgebissen!"
    Todernst sah er Aquilius tief in die Augen und dämpfte die Stimme zu einem schaurigen Raunen - "Und verschluckt!"


    "Aber," - der Sklavenhändler lächelte strahlend - "davon haben wir uns nicht entmutigen lassen. Mit unermüdlicher Arbeit, Konsequenz, und nicht zuletzt einer harten Hand haben wir ihn Gehorsam und Disziplin gelehrt. Und ich muß sagen, bei aller Bescheidenheit, wir haben ihn ganz gut hingekriegt."
    Stolz wippte er auf den Zehenspitzen und zeigte auf den Sklaven. "Nicht wiederzuerkennen. Ta-del-los!"
    Der Germane um den es da ging schüttelte nur langsam den Kopf. Er schien von dem ganzen absurden Theater ein wenig fassungslos.
    Syagrius verbeugte sich noch mal schmeichlerisch vor Aquilius und schnurrte: "Also, wir haben ihn nicht nur transportiert, wir haben ihn auch unter Lebensgefahr zu einem guten, gefügigen Sklaven geformt, der Dir treue Dienste leisten wird, Herr, und das zu einem Spottpreis! Wenn ich nun also so frei sein dürfte untertänigst um das vereinbarte Sümmchen zu bitten...?"
    Gierig streckte er schon die Hand danach aus.

  • Je mehr ich von der abenteuerlichen und sicher von vorn bis hinten erstunkenen und erlogenen Geschichte des Sklavenhändlers erfuhr, desto übler wurde mir. Der Germane schien mir ein recht stattliches, wenngleich hungriges Exemplar eines Sklaven zu sein, und die Götter mochten allein wissen, wie mein Vetter Aristides wirklich an diesen Prachtburschen geraten war - ich würde ihn wohl irgendwann eingehender darüber befragen müssen. Das allerdings dräuendere Problem befand sich vor mir und stank wie ein Parfumladen, dessen Essenzen ungefähr drei Jahre alt und in der Sonne gelagert worden waren, um dann ranzig zu werden.


    Während meine Gedanken vornehmlich um die Überlegung kreisten, aus welcher Kloake der Sklavenhändler herausgestiegen war, um mir meinen Tag zu vermiesen, kehrte wieder eine gewisse Stille im Raum ein - es hatte ihn schon vorher verunsichert, vielleicht würde es auch dieses Mal klappen. Eine kleine Peitsche, deren Striemen ihm ins Gesicht geschlagen wurden, könnten entscheidende positive Punkte seiner Erscheinung hinzufügen, und wenn nicht das, dann zumindest zu meiner Befriedigung über die Situation beitragen.


    "Er sieht aus wie halb verhungert und schlecht gepflegt, und das ist allein Dir zur Last zu legen, dem er anvertraut wurde! Keine Widerrede!" Damit erhob ich mich zum ersten Mal seit Beginn dieses Gesprächs und blickte auf den deutlich kleineren Sklavenhändler herunter - manchmal war eine stattliche Körpergröße einfach nur ein Vorteil, auch wenn es bedeutete, deutlich längere Togen und Tuniken zu brauchen als der Normalrömer. "Im Brief meines Vetters steht absolut nichts von einer finanziellen Vereinbarung mit Dir, und da ich nicht die Absicht habe, für mein Eigentum einen schlechtgekleideten, stinkenden Lügner wie Dich auch noch zu belohnen, dass er es mir in beschädigtem Zustand übergibt, solltest Du Dir Deine Möglichkeiten sehr gut überlegen. Entweder ... Du verlässt diese Villa auf dem schnellsten Wege, ohne dass Du Dir weiterhin meinen Zorn und damit den Zorn der gens Flavia zuziehst, oder aber ... Du verlangst weiterhin eine ungerechtfertigte Bezahlung und lernst mich von einer Seite kennen, die Du Dir in deinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt hast."


    Ich zischte ihm die Worte entgegen, als wollte ich ihn damit erdolchen - und ich ließ ihn auch das volle Ausmaß meines Ärgers spüren. Das Aller-allerletzte, was ich an diesem Tag sehen, hören oder mitbekommen wollte, war ein schmieriger Wicht wie dieser, der mir meine Zeit stahl, und sei es für einen attraktiven, wenngleich derzeit nicht ganz makellosen Sklaven, den mir mein Vetter schickte. Mein Blick fiel auf seine ausgestreckte Hand, und in meinen Augen stand die pure Lust, sie ihm mit meinem Obstmesser - oder vielleicht einem noch stumpferen Gegenstand - abzuhacken. Einfach nur, um mich besser danach zu fühlen. Ob er wohl die Gerüchte über angeblichen Wahnsinn in der flavischen Familie kannte? Ich hatte diese immer für höchst amüsant gehalten ...

  • ... stand in Syagrius´ erbleichendem Gesicht geschrieben, als er hastig die Hand wieder zurückzog und einen kleinen Sicherheitsabstand zwischen sich und Aquilius brachte.
    "Herr," säuselte er besänftigend, mit zitternder Stimme, "aber gütigster Herr, es besteht doch kein Grund..., es muß sich um ein Mißverständnis halten, ein bedauerliches Mißverständnis, der Vetter des Herren war doch sehr in Eile als er den Auftrag erteilte, wie schnell vergisst man da so ein kleines (und doch so bedeutsames) Detail zu vermerken..."
    Er hustete verlegen und zog sich mit beschwichtigenden Gesten Richtung Aquilius noch etwas weiter zurück.
    "... nicht dass ich ihm da einen Vorwurf machen wollte, nein keineswegs! Und doch, mit Verlaub, hochedler Herr, habe ich jede einzelne von den zweihundert, öh... äh... dreihundert Sesterzen sauer verdient, aber selbstverständlich lässt sich über den Preis reden, keine Frage, oder vielleicht bevorzugt der Herr ja die praktische Form der Abwicklung über einen netten kleinen Schuldschein... "
    Er schielte fragend zu Aquilius hoch. - "Nein?"


    Doch dann straffte er sich und erschien im Gegensatz zu vorher geradezu würdevoll, als ehrliche Empörung ihn beseelte - vielleicht weil Syagrius sich diesmal in einer für ihn ganz ungewohnten und extrem raren Situation befand: Er war im Recht! (Oder jedenfalls schien es ihm so.) Vielleicht war es aber auch bloss seine unbändige Gier, die ihm die tollkühnen Worte in den Mund legte:
    "Mein Herr, die Lage ist doch die: ich habe die Leistung erbracht und der Sklave ist hier. Dein Eigentum ist er erst wenn Du den Transport bezahlt hast, bis dahin ist er... - nein, lass mich ausreden! - bis dahin ist er nach Recht und Gesetz mein Pfand. Und wenn du nicht zahlen willst, landet er eben bei den Ludi. Sobald er wieder gut im Futter steht, bekomme ich da gut das doppelte für ihn."
    Er drehte sich zu dem Germanen um. Der hatte sich längst von der Szene abgewandt und blickte abwesend durch das Fenster nach draußen in den Garten. Eine schlanke Zypresse zeichnete sich dort fast schwarz vor der strahlenden Bläue des Himmels ab.
    "Auf gehts, du Stück Dreck! Wir gehen."
    Syagrius zückte seine Peitsche, schwang sie lässig aus dem Handgelenk, und mit einem feuchten Klatschen fand sie ihr Ziel - wieder die Kniekehlen. Ein rauhes, abgehacktes Keuchen kam von den zusammengepressten Lippen des Germanen, und blanker Hass glomm in seinen Augen. Syagrius lächelte suffisant.
    "Zu den Löwen, hähä." Er wandte sich wieder um und verbeugte sich knapp vor Aquilius. "Vale. Wenn Du es Dir noch anders überlegen solltest, Du findest mich bei..." -
    Ab da ging plötzlich alles sehr schnell.


    Sehnige Arme schlangen sich von hinten um den Hals des kleinen Sklavenhänders. Die kurze, straff gespannte Kette zwischen den Handgelenken wurde ruckartig zurückgerissen und grub sich tief in Syagrius faltigen Hals.
    Der Germane knurrte etwas unverständliches, und rasende Wut verzerrte seine Züge als er Syagrius Kopf mit voller Wucht gegen die Kante von Aquilius´ Arbeitstisch schmetterte. Es gab einen dumpf knirschenden Schlag, der Händler röchelte erbärmlich, ein Stapel Papyri wurde aufgewirbelt und trudelte durch die Luft wie welke Herbstblätter... Auf der Tischkante blieb eine verschmierte Blutspur zurück, und einige rote Sprenkel landeten auf der Res publica.
    "Z..z..zu...ch...h...hilfe!" krächzte Syagrius, zappelte wild, stieß dabei ein Tintenfass um, und suchte panisch nach dem Messer in seinem Ärmel, während der Germane mit einem Ausdruck tiefer Genugtuung die Kette um seinen Hals gnadenlos fester und fester anzog...

  • Dass diese Missgeburt es auch noch wagte, mir zu widersprechen, schickte meine Laune dann ins Bodenlose hinab. Was dachte sich dieser Zwerg eigentlich, dass er hier irgend etwas durch seine Haltung gewinnen konnte? Vor meinem inneren Auge lief ein Szenario ab, das sehr viel mit Blut zu tun hatte, oder aber im Ersticken hervorquellenden Augen - solange dieser Gedanke nur mit dem möglichst qualvollen Tod des Sklavenhändlers endete. Dass mir die Gedanken allerdings so schnell in die Tat umgesetzt werden würden, hatte ich auch nicht gedacht - schon gar nicht, dass der Sklave eine so brutale Eigeninitiative entwickeln würde. Langsam verstand ich die Worte meines Vetters, aber es machte auch eine schnelle Entscheidung notwendig. Entweder der schmierige Alte würde überleben und hätte die Gelegenheit, das Erlebte weiterzusagen, oder aber er würde sterben und ich hätte eine Leiche am Hals. Wenngleich man hier mit einer Leiche in Rom sicher besser zurecht kam als mit einem lebendigen Erpresser ...


    Der dumpfe Aufschlag des Schädels auf meinem Schreibtisch war seltsamerweise ein ausgesprochen befriedigendes Geräusch, dass er mir meine Schriftrolle mit dem Blut dieses Dreckskerls befleckte, weniger - und so hörte ich wie aus weiter Ferne meine Stimme kommandieren: "Brutus!" Bevor ich meinen Satz zuende führen konnte, sah ich das Blitzen im Ärmel des Sklavenhändlers, das Tasten seiner Hand dorthin und stürzte mich nun ebenso auf ihn, sodass ich die Hälfte der Ladung aus meinem Tintenfass noch abbekam, ebenso Blutspritzer und einen Tritt in die Richtung meiner Lendengegend, aber ich ignorierte den Schmerz, so gut es nur möglich war - sobald er eine Waffe in die Finger bekam, würde er gefährlich werden, also musste ich das verhindern.


    Dieser Kampf hatte nichts mehr mit dem freundschaftlichen Rangeln zu tun, das mich mit meinem Vetter Gracchus oft in den Staub geschickt hatte, auch nichts mit den sonstigen Trainingseinheiten im gymnasión - hier kämpfte ein Mensch um sein Leben und verlor diesen Kampf gegen einen deutlich stärkeren, deutlich kampfgeübteren Mann, der zudem stinksauer war.


    Brutus stürmte in den Raum und blickte sich knapp um, sah mich im Kampf und griff ebenfalls sofort ein - ich erwischte den verdammten Dolch endlich und kassierte dafür einen herben Schlag des Händlers in meine Seite, der sich noch immer verzweifelt und erstaunlich kräftig wehrte. "Er hat mich angegriffen!" schob ich kurzerhand die ganze Schuld auf Syagrius und der hühnenhafte Brutus wusste sofort, wie er mich zu verstehen hatte - er packte den anderen Arm des Händlers und versuchte ihn damit im Griff zu halten, während ich den Dolch so weit wie möglich fortschleuderte. Er hatte wie so viele die Waffe zu seinem Schutz mitgenommen gehabt, obwohl es verboten war, in Rom Waffen zu tragen, und nun hob ich den Blick zu meiner Neuerwerbung mit dem wutverzerrten Gesicht, dessen heißen Atem ich genauso deutlich auf meiner Haut fühlte wie sich Syagrius in unser aller Griff wand, langsam schwächer zu werden schien.


    "Du wirst mir in Zukunft gehorchen," zischte ich Rutger entgegen, im Blick einen Ausdruck, der deutlich machte, dass er ebenso sterben würde und es mich nicht mehr Zeit zum Überlegen kosten würde als im Fall des ekelhaft stinkenden Sklavenhändlers, ihn in den Tod zu schicken.

  • Syagrius' Bewegungen wurden schwächer und schwächer. Kurze Muskelzuckungen liessen seine Gliedmassen grotesk auf und nieder schlagen. Ein letztes Röcheln entrang sich seiner zerquetschten Kehle, hing einen Moment lang in der Luft und erstarb. Die bläulichen Lippen zogen sich von den fauligen Zähnen zurück, und in die hervorgetretenen, blutunterlaufenen Augen trat das abgrundtiefe Grauen. Dann brachen sie. Es war vorbei.



    Einschub
    ~ Ein kleiner Nachruf ~
    *elegische Streicher*

    Syagrius hatte es im Leben nicht leicht. Aus einfachsten Verhältnissen stammend, mit geringen körperlichen und überschaubaren geistigen Vorzügen ausgestattet, besaß er doch einige Talente, die da wären Ehrgeiz, Skrupellosigkeit, ein kaltes Herz und eine gewisse Hartnäckigkeit, mit denen er sich erfolgreich bis zum Handlanger in einem florierenden Unternehmen, welches seinen Schwerpunkt im Menschenhandel setzte, hocharbeitete.
    Er betrog sowohl seinen Arbeitgeber als auch die Kunden regelmäßig und dreist, und sparte das Geld eisern, um später einmal einen sorgenfreien Lebensabend verbringen zu dürfen. Tragischerweise sollte ihm dies nicht vergönnt sein. An einem heißen Sommertag wurde Syagrius, in der Blüte seiner Jahre, während er mit vorbildlichem Eifer seinen Geschäften nachging, durch einen heimtückischen Mord jäh und unerwartet vom Antlitz dieser Welt getilgt. Niemand weinte ihm eine Träne nach.

    *ein letztes Aufschluchzen der Geigen - dann Grabesstille*
    Einschub Ende


    Rutger kniete schwer atmend auf dem Boden. Sein rasender Zorn ebbte ab und hinterließ eine angenehme Mattigkeit. Von oben blickte er zufrieden auf das tote, entstellte Gesicht herab. Die Kette, die seine Handgelenke verband, lag noch immer um den Hals seines Feindes, tief hatte sie sich ins Fleisch eingegraben.
    Viel Blut war nicht geflossen, aber eine große blaue Tintenlache hatte sich um den Toten herum gebildet, und auch seine Angreifer besudelt. Ein heller Bogen Papyrus trudelte sacht in die Lache hinein. Zuerst erschienen kleine blaue Flecken auf der beigen Oberfläche, dann bildete sich ein netzartiges Muster als einzelne Fasern sich schnell vollsaugten, zuletzt nahm das ganze Blatt eine leuchtendblaue Farbe an.
    Ein flüchtiges Lächeln huschte über Rutgers Züge. Sein Atem beruhigte sich. Langsam löste er die Kette, zog die Hände zurück und wischte sie an seiner zerschlissenen Hose ab. Rache... Rache war etwas schönes.


    Erst dann blickte er auf. Warum die beiden Männer eingegriffen hatten, war ihm nicht ganz klar. Wollte der Flavier das Geld sparen? Oder war er in einen plötzlichen Blutrausch verfallen?
    Rutger erwiderte Aquilius' Blick mit aufreizender Gelassenheit.
    "Ich danke dir, daß du ihn entwaffnet hast." sprach er langsam, mit rauher Kehle und hartem Akzent.
    "Aber ich bin freier Chatte. Rutger Thidriksohn ist mein Name, ich entstamme edler Sippe, und mein Vater gebietet als Drichten über viele Krieger. Seit ich die Frame halten kann, habe ich gegen euch Besatzer gekämpft."
    Mit ungebrochenem Stolz erklärte Rutger hoheitsvoll:
    "Ich bin kein Sklave. Ein Gefangener wohl, aber kein Sklave."

  • Die Leiche auf dem Boden sah aus, wie alle Leichen irgendwann aussehen: Ziemlich abstoßend. Brutus' Blick huschte zwischen mir und dem Germanen hin und her, aber er war klug genug, über das Gesehene zu schweigen, allein schon aus der Gewohnheit heraus, dass man Flaviern nicht widersprach. "Hol eine Decke zum einwickeln," wies ich ihn an und er verließ eilig mein Arbeitszimmer, um den Befehl auszuführen, während ich mich langsam wieder aufrichtete und meine widerspenstige Neuerwerbung zu betrachten begann. Ein vages Prickeln in der Lendengegend stellte sich ein, während mein Blick über seine trotz der erlittenen Schwächungen noch kräftig wirkende Gestalt glitt, die Oberarmmuskeln, die der Beine, seinen kräftigen Brustkorb mit den fein ausdefinierten Linien, derzeitig allerdings von Schmutz und Entbehrungen gezeichnet. Mit einer guten Ernährung würde er umso besser aussehen, umso anziehender ...


    Ich vertrieb den Gedanken zumindest vorerst aus meinem Hinterkopf. Es würde noch genug Zeit dafür bleiben, seine Neigungen zu erkunden, jetzt war anderes deutlich wichtiger. "Lass ihn jetzt los. Er ist tot, toter bekommst Du ihn auch mit Deinen Ketten nicht," sagte ich knapp und trat einen Schritt zurück, bevor die Tintenlache meine Sandalen beflecken konnte. Was für eine Sauerei! Ich würde mir eine neue De res publica Ausgabe besorgen müssen, um die Ereignisse hier zu überdecken, der Blutschmierer war eklig genug, um sich nicht mehr auf die Lektüre konzentrieren zu können. Erst dann wanderte mein Blick zurück zu Rutger, dem ich leicht zunickte, als er sich vorstellte.


    "Gut. Dann wird man Dich auch in Zukunft in diesem Haushalt bei Deinem Namen nennen, Rutger. Alles andere - woher Du stammst, was Du bist, hat in dem Augenblick geendet, als Dich mein Vetter in Besitz nahm. Wie auch immer Du Dich selbst bezeichnen magst, es ändert nichts an der Tatsache, dass Dein Leben und die Entscheidung darüber ab sofort in meiner Hand liegen und ich von diesem Recht Gebrauch machen werde, wenn Du Dich nicht Deinem neuen Stand entsprechend benimmst. Sieh den Tatsachen ins Auge, Rutger: Du bist nach römischem Recht Sklave, mein Sklave, mein Eigentum. Was immer Du tun wirst, es wird danach bemessen werden, wie Du vor dem römischen Recht stehst - und das ist mit Sklaven, die nicht gehorchen, gnadenlos." Mein Blick war strenger geworden, maß ihn mit einer Härte, die ihm klar machen sollte, dass ich nicht zu Späßen bereit war und ihm dieses 'ich bin Rutger, der kleine Chattenprinz'-Gehabe nicht durchgehen lassen würde. Dass ich eben geholfen hatte, einen Mann zu töten, darüber würde ich nachher nachdenken, aber nicht in diesem Moment, nicht jetzt. Zur passenden Zeit.

  • Rutger war müde. Er stand mühsam, durch die Ketten behindert, auf. 'Den Tatsachen ins Auge sehen'. Er versuchte es einmal. Die 'Tatsachen' blickten kalt, grausam, und hämisch grinsend zu ihm zurück, versuchten ihn zu lähmen und ihm seinen Kampfesmut auszusaugen. Da schaute Rutger lieber wieder weg.


    "Die Nornen spinnen die Fäden des Schicksals nach ihrem Willen." antwortete er schließlich.
    "Aber, auch wenn meine Fylgien mich verlassen haben, keiner von euch, und schon gar nicht euer 'römisches Recht' kann das enden lassen, was ich bin, und was mich mit meiner Sippe und meinen Ahnen verbindet, denn das liegt nicht in eurer Macht. Dein Vetter hat mich nicht im Kampf besiegt! Nur durch einen niederträchtigen Betrug bin ich in seine Gewalt geraten."
    Angewidert stieß Rutger mit der Spitze seines zerfetzten Bundschuhs gegen die Peitsche, die Syagrius' Hand entfallen war. Sie glitt ein Stück über den Boden und zog eine Tintenspur hinter sich her.


    Rutger bückte sich zu der Leiche, schob den Ausschnitt des besudelten Gewandes zur Seite und zog einen schweren Eisenschlüssel hervor, der noch an einer Schnur hing. Er riß ihn ab, richtete sich wieder auf, und versuchte damit seine Handfesseln zu öffnen. Es war schwierig, er kam nicht richtig an das Schloß, rutschte ab und biss die Zähne zusammen als ein Kettenglied über eine schwärende wunde Stelle scheuerte.
    Widerwillig wandte er sich an Aquilius.
    "Würdest du... - ...bitte..."
    Er hielt ihm den Schlüssel entgegen.

  • Ich stöhnte innerlich. Ein Sklave mit einem Hang zur Philosophie - in Athen hätte mir das noch gefallen, aber hier in Roma blieb keine Zeit und kein Raum für derlei Gedankengut, das würde er schnell lernen müssen oder auf der Strecke bleiben. Zu jeder anderen Stunde hätte ich mich wohl auf eine Diskussion eingelassen, aber angesichts der Tatsache, dass gerade ein übel stinkender ehemaliger Sklavenhändler auf meinem Fußboden lag, verging mir jegliche Lust auf längere Gespräche.
    "Du magst in Deinem Kopf denken, was Du willst, diese Freiheit besitzt jedes ... Lebewesen. Aber nach außen hin wirst Du sein, was Du bist: Mein Sklave, mein Besitz, mein Eigentum, hast Du mich verstanden, Rutger? Du wirst mich begleiten, wohin ich gehe, und meinen Körper vor unbefugten Zugriffen schützen. Dafür wirst Du ein ruhiges Leben gewinnen, dich hier zurechtzufinden lernen und wenn Du Dich bewährst, werde ich Dich nicht vergessen zu belohnen. Du wirst keine Ketten tragen, sondern mein Gefährte sein bei dem, was ich zu tun habe, hast Du das verstanden?"


    Ich beobachtete ihn einige Momente lang, wie er sich mit dem Schlüssel und seinen Ketten abmühte, registrierte dabei auch, dass Brutus den Raum wieder betreten hatte und den Leichnahm des Sklavenhändlers mit der mitgebrachten, einfachen Decke verhüllte. Schweigend ergriff ich den Schlüssel, schob ihn in das einfache, aber wirkungsvolle Schloss und öffnete seine Ketten damit, half ihm, die schweren Eisen abzunehmen, ohne dass seine Wunden erneut berührt wurden. Er sah, um es genau zu sagen, entsetzlich aus, aber es würde kein Zustand von Dauer bleiben, dafür würde ich zu sorgen wissen.
    "Du hast Glück, bei den Flaviern gelandet zu sein und nicht bei irgendeiner anderen Familie. Wir behandeln diejenigen gut, die uns gut dienen, vergiss das nicht." Mein Blick glitt zu seinem Gesicht hinauf, und dieses Mal tauchte mein Blick sehr direkt und forschend in den seinen.

  • Rutger atmete auf, als er die Ketten los war. Als erstes kratzte er sich erleichtert am Sonnenbrand auf den Wangen, dann lehnte er sich müde auf den Rand des Schreibtisches und betrachtete unglücklich seine geschundenen Handgelenke.
    Eine gewisse Dankbarkeit gegenüber Aquilius stieg in ihm auf. Keine Ketten tragen, Gefährte sein, das klang doch ganz gut, Leibwächter, warum nicht... wenn er jetzt noch einen Krug Wasser bekäme, würde er glatt... würde er was? Sich mit dem allem abfinden?! Niemals!
    Beschämt über solche Schwäche ballte Rutger die Hand zur Faust. Er starrte ins Leere und sah vor seinem inneren Auge die Wälder seiner Heimat, die Halle seines Vaters wie sie früher war, die vertrauten Gesichter seiner Familie und die strengen seiner Ahnen. Was würden sie ihm raten? Rutger hatte keine Ahnung. Er fühlte sich leer.


    Auf Aquilius' Worte hin lachte er bitter auf. "Glück!" - Er spuckte das Wort förmlich aus.
    "Glück! Glück, dir in schmachvoller Knechtschaft zu dienen!?
    Verhöhne mich nicht!"

    Er hob den Kopf und für einen Augenblick stand eine tiefe Verzweiflung in seinen Augen, sie verschwand aber gleich wieder hinter hartem kaltem Stolz. Und kalt und abweisend erwiderte er auch Aquilius forschenden Blick. Dieser Römer war perfide. Seine wohl dosierten menschlichen Gesten bedrohten Rutgers Widerstandsgeist gerade mehr als sämtliche Quälereien auf der Reise.
    "Ja, ich habe deine Worte verstanden. Ich weiß woran ich bin."
    Rutger zuckte hochmütig mit den Schultern. "Wenn du meinst, dass ich dich schützen soll... bitte, ich bin ein ausgezeichneter Krieger."
    Aber, fügte er in Gedanken hinzu, meine Treue schenke ich dir nicht, nur weil du nicht gleich die Peitsche schwingst...
    Und er wandte sich praktischeren Fragen zu.
    "Was machen wir mit der Leiche? Wir sollten sie irgendwo versenken - gibt es ein Moor in der Nähe? Und wir dürfen nicht vergessen, ihm vorher noch den Kopf abzuschneiden und so weiter, solche Leute kommen oft als Draug zurück, das sollten wir nicht riskieren."
    Da fiel ihm siedendheiß noch etwas ein. "Finn! - Dieser Kadaver da hat, glaube ich, noch einen Kumpanen draußen warten, Finn. Der muß natürlich auch sterben."

  • Ich quittierte seinen Ausbruch mit keiner Regung, sondern verlegte mich ausschließlich auf die Beobachtung seiner Person. Er würde früh lernen müssen, wie die Dinge hier in Rom liefen, genau wie ich sie auf die harte Art und Weise hatte lernen müssen. In Athen hätten wir sicher stundenlang diskutieren können, aber nicht hier, nicht in Rom, nicht in dieser Villa, in der die Freunde in nur geringer Anzahl wohnten und bei der ich bei den anderen nicht recht wusste, ob sie Feinde waren oder werden würden.
    "Um seinen Kumpan wird sich Brutus kümmern, ebenso um die Leiche," damit war das Thema für mich erledigt, zwei Tote in den Kloaken mehr oder weniger, wen kümmerte das schon? Und der Sklavenhändler hatte nicht wie jemand gewirkt, den man auf lange Sicht und tragische Art und Weise vermissen würde. Wahrscheinlich hatten wir heute der Menschheit sogar einen kleinen Dienst erwiesen.


    Ich schritt durch meinen Arbeitsraum, die Stirn gerunzelt, denn die Sauerei auf dem Boden gefiel mir ganz und gar nicht - aber sie würde zu entfernen sein. Blut war nicht viel geflossen, umso besser, ein umgekipptes Tintenglas ließ sich deutlich leichter erklären als alles andere. Allein um die verschmierte Ausgabe meines Cicero-Klassikers war es mir ein wenig traurig zumute, aber sie würde sich ersetzen lassen.
    "Deine Wunden müssen versorgt werden und ein Schlafplatz sollte Dir auch noch zugewiesen werden," bemerkte ich in Richtung meiner Neuerwerbung und ließ sein restliches abergläubisches Gewäsch einfach unter den Tisch fallen. Schließlich waren diese Germanen Barbaren, was sollte man schon groß erwarten, ausser dass sie sich benahmen wie tollpatschige Kinder, wenn es um Kultur und Glauben ging?


    "NEFERTIRI!" brüllte ich zur Tür hinaus, und ich war mir sehr sicher, dass meine kleine Ägypterin diesem Ruf in keinem Fall widerstehen würde - sie kannte die Konsequenzen nur zu gut. Ausserdem - ich gestand es mir mit einem perfiden Vergnügen ein - welcher Mann war schon resistent gegen das Lächeln einer schönen Frau? Zumindest an diesem Abend würde der Germane vielleicht mit ein bisschen weniger Groll vor sich hin existieren, versorgt, gewaschen und nicht mehr hungrig würde sein Widerstand zumindest ansatzweise unter dem Gedanken zurücktreten können, dass es bei den Flaviern nicht so furchtbar sein würde zu leben ...

  • Finn... vor Rutgers Augen zogen diverse Möglichkeiten vorbei, diesen Unhold langsam und unter Qualen zu töten. Allerdings... ehrlich gesagt war er gerade nicht in der Verfassung dazu. Diesen Kampf würde er ein anderes mal fechten, beschloß Rutger erleichtert. Seine LISTE würde er nach und nach abarbeiten... kürzer geworden war sie ja schon. Daß Brutus Finn zur Strecke bringen könnte, zog er, fixiert auf seine Rachegedanken, gar nicht in Betracht.


    Rutger nickte bei Aquilius' Worten, wandte sich dann an Brutus, und erklärte ihm eindringlich:
    "Wenn du den Leichnam hinausbringst, dann ist es sehr wichtig, daß du für einen Moment die Decke wegnimmst, und ihn dem vollen Sonnenlicht aussetzt. Und bevor du ihn versenkst, schneide ihm doch bitte den Kopf ab. Es kann sonst gut sein, daß er wiederkommt, um uns zu plagen!"
    Rutger schien es, als ob Aquilius seine Befürchtungen nicht so ganz teilte, deshalb klärte er ihn ernst auf:
    "Er würde das Korn auf deinen Feldern verdorren, und dein Vieh dahinsiechen lassen. Ein Wiedergänger, mag er auch im Leben ein jämmerlicher und schwacher Mensch gewesen sein, vermag im Tode doch so manchen üblen Schadenszauber zu wirken."


    War da nicht noch irgendwo... Rutgers Blick schweifte über den Boden... ja, dort. Er ging zur gegenüberliegenden Wand, bückte sich, und hob langsam das Messer auf, das Aquilius dem Sklavenhändler entrungen und dann weggeschleudert hatte. Es fühlte sich gut an, wieder eine Waffe in der Hand zu halten, auch wenn es nur so ein kleines Ding war. Ob er sich damit den Weg freikämpfen könnte...? Hmm... wohl kaum.
    "Ich muß nun ein paar Runen ritzen." meinte Rutger ruhig zu Aquilius. "Ich gebe dir das Messer danach. Lass mich bitte gewähren."


    Er kniete sich neben den Leichnam, schlug die Decke etwas zurück, und setzte die Klinge mit der Spitze auf der Stirn des Toten auf. Dann verfiel er in einen eintönigen rauhen Singsang. Zwischen seinen Augenbrauen stand eine tiefe Falte, als er angestrengt nachdachte. Tiwaz oder Sowilo? Jorun hätte das genau gewußt. Rutger war da mehr ein Amateur. Er entschied sich spontan für Tiwaz, und schnitt die Rune hochkonzentriert, tief bis auf den Schädelknochen, in die Stirn des Toten hinein - es konnte nicht verkehrt sein, den mythischen Stammvater seiner Sippe mit im Boot zu haben.


    "Einhändiger, Herr des Eides, Feind des Wolfes / der Schmied schürt das Feuer."
    Der Runengesang war raunend, 'primitiv', und doch von archaischer Kraft. Er bildete den denkbar größten Kontrast zur nüchternen Umgebung des Arbeitszimmers.
    Rutger ritzte noch zwei weitere Runen, Dagaz und Eihwaz.
    "Das Tals helles Tor, strahlender Morgen, vereint sich der Nacht / Stachel weckt Schläfer.
    Hüter der Flamme, mit rauher Rinde, des Grundes, des Bodens / nur Allvater kennt seine Worte."

    Kleine Schweißperlen standen auf Rutger Stirn, als er die abschließenden Worte sang.
    "So liege, Hel-Runen-fest, jenseits von Midgard / liege solange es sei
    Deine Haut wird gehalten, dein Draug gebunden, deine Leiche gefesselt / solange die Welten bestehen
    Also spreche ich, Rutger von den Hallvardungen / und so soll es sein!"


    Erschöpft schloß Rutger einen Moment lang die Augen und verharrte. Er war sich seines Erfolges ziemlich unsicher. Vielleicht doch Sowilo... Na ja, man würde ja sehen.Schließlich erhob er sich ausgelaugt, ging ganz langsam zum Tisch und legte das Messer darauf ab, der Griff zeigte dabei in Aquilius' Richtung.

  • Die Stimme ihres Herrn war die Stimme, die sie nie überhörte - dieses Mal war dieser Effekt natürlich dadurch begünstigt, dass sie sich im cubiculum ihres Herrn befand und einige seiner Kleidungsstücke, die sie frisch gewaschen zurückerhalten hatte, in die Kleidungstruhe einsortierte. Das Arbeitszimmer war nicht allzu weit von jenem Raum entfernt, und fast sofort erhob sich die Ägypterin, klappte die Kleidungstruhe sorgsam zu, damit keine Fliegen es sich dort gemütlich machen konnten, und verließ eilig den Raum, um dem Ruf Folge zu leisten.


    Dass der Raum, in den sie nun eintrat, ganz anders aussah, als sie es erwartet hatte, zeichnete sich jedoch nicht auf ihrem Antlitz ab - sie war vieles gewöhnt und auch wenn die eigenartigen Dinge, die im Leben ihres Herrn bisweilen geschahen, zumeist doch überraschend waren, versuchte sie allem mit einer gewissen Gleichmut zu begegnen, wie es der Nachfahrin der größten Zivilisation der bekannten Welt zukam. Leise klirrten die in ihr Haar eingeflochtenen Glasperlen, als sie an der Tür stehenblieb, die Hände vor der Brust aneinander legte und sich knapp verneigte, bevor sie so stehen blieb, den Kopf halb gesenkt, und die Szenerie aus den Augenwinkeln betrachtete.


    "Wie kann ich meinem Herrn dienen?" erklang die weiche, melodische Stimme Nefertiris, deren dunkle Haut keinen Zweifel daran ließ, dass sie aus einem südlichen Land stammen mochte. Die zarte Haut, der weiche Schwung der Lippen und auch ihre schlanke, dennoch weiblich gebliebene Gestalt mochten recht schnell erklären, warum sie die Leibsklavin ihres Herrn geworden war und diese Position auch noch nach zwei Jahren innehatte. Verstohlen blickte sie zu dem einzigen Unbekannten im Raum - Rutger - der als ihr direktes Gegenstück hätte gelten können, hätte man sie direkt miteinander verglichen. Leise sog sie den Atem ein, bemühte sich, ihn nicht zu offen zu mustern, doch sie gestand sich insgeheim ein, dass ihr dieser Fremde gefiel, und dass seine Arme das Zeichen der Sklavenschaft aufwiesen, war zumindest für sie ein gutes Zeichen ...

  • Ich verfolgte das abergläubische Gewäsch meines neuen Eigentums mit der Miene konzentrierter Aufmerksamkeit - nicht umsonst übte das römische Reich eine Politik der Duldung lokaler Kulte aus, wenn sich die Bürger der Provinzen auch dem Diktat des römischen Glaubens unterwarfen, und es war sehr lange her, dass ich jemanden auf diese Art und Weise hatte seinen Glauben ausüben sehen. Es wirkte so primitiv und archaisch, als entstamme er wirklich einer ganz anderen Welt, die noch voller seltsamer Geister und boshaften Wesenheiten steckte. Sicherlich, die gab es auch für uns Römer, aber wir hatten es sicherlich nicht nötig, obskure Zeichen in Leichen zu ritzen. Ob er sich wohl überlegt hatte, mit dem Dolch in der Hand zu fliehen? An seiner Stelle hätte ich es wohl, aber angesichts der Tatsache, dass er sich hier in einem gut bewachten Haus befand, war das reiner Selbstmord. Aber vielleicht wollte er lieber sterben als mein Sklave zu sein? Es würde interessant bleiben, dessen war ich mir sicher.


    Brutus lauschte den Vorschlägen meiner Neuerwerbung mit verwirrter Miene und ich war mir sicher, dass er es genau so tun würde, wie ich es haben wollte - beide Leichen irgendwo in der Subura verschwinden zu lassen, und damit hatte es sich dann. Verdorrte Äcker, als ob es die hier geben würde. Dass Nefertiri eintrat und die Aufmerksamkeit durch ihre bloße Anwesenheit auf sich zog, wunderte mich nicht - schließlich war sie mein Schmuckstück, geübt in jenen Künsten, die das Auge fesseln sollten und konnten, und eine ehemalige Tänzerin musste nun einmal wissen, wie man einen eindrucksvollen Auftritt hinlegte, damit sie am Abend mit vollen Taschen nach Hause zurückkehren würde.


    "Nefertiri, Du wirst Dich um das Wohlergehen von Rutger hier kümmern. Er ist mein neuer Sklave und wurde schlecht behandelt. Also wirst Du ihn waschen, seine Wunden verbinden, dafür sorgen, dass er isst und trinkt und einen Schlafplatz erhält, auf dem er sich ausruhen kann. Du wirst ihm den Haushalt hier zeigen, ihn dem Verwalter vorstellen und dafür sorgen, dass er sich hier zurechtfindet." Die dabei unausgesprochenen Worte mochte sie in meinen Augen lesen, dafür kannten wir uns inzwischen gut genug. Ich richtete den Blick wieder auf Rutger und versuchte zu erkennen, wie er auf diese Wendung der Geschichte reagierte.

  • Rutger sah auf, beim Geräusch der Glasperlen, erblickte Nefertiri, und betrachtete sie mit unverhohlenem Staunen. Was für ein fremdartiges Geschöpf! Nicht größer als ein Kind erschien sie ihm, und hatte dabei doch Formen wie eine Frau, ganz eindeutig. Filigran, ja zerbrechlich sah sie aus, wie, hmm... ein bisschen wie ein Rehkitz. Und dann die dunkle Haut! Ja, wirklich sehr fremdartig, und irgendwie... interessant.
    Rutger straffte sich, und rieb unwillkürlich die blutverschmierten Hände an der Hose ab - nicht, daß das viel gebracht hätte.
    Er war angenehm überrascht zu hören, dass diese faszinierende Person sich um ihn kümmern sollte. Mit staubtrockener Kehle schluckte er, als dann von etwas zu trinken die Rede war. Endlich!
    Nachdem Aquilius gesprochen hatte, ging Rutger auf die Ägypterin zu, mit aufrechter Haltung, und einem freundlichen Nicken, so als wäre er ein geschätzter Gast, und sie die Frau des Hauses.
    "Ne-fahr-thyrri, Heil dir." Ein widerstrebendes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.
    "Ich bin Rutger Thidriksohn."

  • Ein warmes, offenes Lächeln erhellte die exotischen Züge der dunkelhäutigen, zarten jungen Frau, und sie neigte langsam den Kopf in Rutgers Richtung, als er seinen seltsam klingenden Namen nannte.
    "Ruth-geer Thhhi-dri-son," wiederholte sie vorsichtig, dem Klang seines Namens einen sehr fremdartigen, aber sicher nicht unangenehmen Klang beimengend. "Ich bin Nefertiri, und diene als Leibsklavin unserem Herrn. Möchtest Du mir folgen? Ich denke, das Beste ist, dass Du zuerst diesen ganzen Dreck vom Leib bekommst und frische Kleidung." Wieder klirrten leise einige Glasperlen, als sie sich in Richtung des Römers und ihres Herrn wandte, um seine Zustimmung zu ihren Worten einzuholen, bevor sie sich zur Tür wandte und dort auf den Germanen zu warten schien.


    "Es ist nicht weit, und Du siehst gleich einen Teil der Villa Flavia," erklärte sie und machte mit der schlanken Hand eine leichte Bewegung in Richtung der Türe, bei der die dünnen, goldenen Armreifen klirrten, die sie trug. Überhaupt schien sie deutlich mehr Schmuck zu tragen als die meisten römischen Bürger - entweder es gefiel ihrem Herrn, sie so zu sehen, oder sie besaß, selbst als Unfreie, einige gewisse Stücke von Wert. Still ließ sie ihren Blick über den Körper des Germanen schweifen, innerlich schon eine gewisse Vorfreude unterdrückend, die sich auf die Tatsache bezog, dass sie es sein würde, die seinen Körper waschen würde. Und wie sie ihren Herrn einschätzte, war es genau das, was er wollte.

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