Der große Tag war gekommen und ich hatte in der Nacht vorher nicht allzu gut geschlafen. Die Übung an den Ferkeln war letztendlich doch noch irgendwie erträglich gewesen, auch wenn einige der Sklaven im Haushalt der Villa Flavia lange Gesichter gemacht hatten, als sie die Sauerei gesehen hatten, die ich ihnen zum Aufwischen hinterlassen hatte - aber da mussten sie durch, wofür hatte man sie denn, wenn nicht, um die unangenehmen kleinen Probleme lösen zu lassen, die sich ab und an auftaten?
Nefertiri war mir bis zum Tempel gefolgt, um den Korb mit dem Ferkel und den anderen Opfergaben zu tragen, und als wir uns dem Tempel des Mars näherten, schluckte ich meine Nervosität zumindest halbwegs herunter. Es konnte ja auch nicht angehen, dass ein Priester zittrige Hände hatte - so hoffte ich einfach darauf, dass mich da Voropfer ein wenig beruhigen konnte. Meine kleine kluge Ägypterin hatte dem Ferkel ein wenig Baldrian mit in sein Futter gemischt, und so verhielt sich das prächtige, fette Tierchen ausgesprochen ruhig. Sie blieb im Eingangsbereich des Tempels stehen und ich nahm die Opfergaben für das Voropfer mit mir, eine Amphore guten Falerner, frisch aus dem Flavischen Weinkeller geklaut, frische Dinkelkekse, die ich in der culina hatte backen lassen und dazu Aloeholz für das Räucherwerk.
Ich schritt auf die Statue zu, deren hoheitsvolle Haltung mir einen leichten Schauer über den Rücken jagte. Normalerweise fühlte ich mich hier vertraut, an einem Ort, der mich empfing, aber heute spürte ich einen gewissen Druck, eine Ahnung eines möglichen Versagens mindestens ebenso stark wie den Wunsch, mich und meine Familie nicht zu blamieren. Langsam zog ich einen Zipfel meiner Toga über den Kopf und trat zur mensa heran, um meine Opfergaben dort abzulegen - den Wein und die Dinkelkekse, bevor ich zur Räucherschale trat und auf die glühende Kohle, die ein Tempelsklave gebracht hatte, mein Aloeholz verteilte und wartete, bis der Rauch empor stieg und die Beine der Marsstatue umspielte. Für einen Moment lang konnte man meinen, wir wären alleine im Tempel, doch ahnte ich, dass mein Beobachter, der Semptemvir, irgendwo im Hintergrund stand und mir sehr genau zusah, was ich tat. Es kam mir vor, als hätte ich einen riesigen Klumpen im Hals stecken, aber ich räusperte mich und begann mein Gebet mit kräftiger, hallender Stimme.
"O Mars, Beschützer, Krieger, mächtigster aller Kämpfer, Erster unter jenen, die Waffen tragen, gnadenloser Rächer, Siegbringer und Vater des römischen Volkes. Ich rufe Dich an, schütze Dein Volk, das an vielen Orten gegen Feinde kämpfen muss, die inneren wie auch die äusseren. Schenke unserem göttlichen Kaiser die Kraft und Weisheit, seine Bürde mit Würde und den richtigen Entscheidungen zu tragen, schenke Deine Stärke auch den gewählten Magistraten und Senatoren, auf dass das römische Reich und Volk in Glanz erstrahlen, wie es uns die Ahnen hinterlassen haben." Zugegeben, es war ein ziemlich anspruchsvolles Gebet, aber ich wollte bei meiner Prüfung nichts persönliches erbitten - dafür konnte ich schließlich jederzeit opfern, wenn mir danach war. Und ein bisschen Kraft und Weisheit für die derzeitigen Politiker konnte schließlich nicht schaden.
Mit nun endlich wieder ruhig gewordenen Händen öffnete ich die Amphore und goss den Wein in die dafür bestimmte Schale, bevor ich diese wieder auf der mensa abstellte und schweigend nun den nach oben aufsteigenden Rauch betrachtete, dessen würzig-sanfter Duft das Tempelinnere auszufüllen begann. Der erste Teil der Prüfung war damit beendet, der zweite würde folgen, sobald ich das Gefühl hatte, nicht mehr mit wackeligen Knien unterwegs zu sein.