Still und mit einem gewissen Erstaunen sah sie Rutger beim hastigen Essen zu, denn sie wusste im Gegensatz zu ihm genau, dass es immer genug Essen für die Sklaven in der Villa gab und sie keinen Mangel leiden mussten. Dennoch, es war gut, dass er so viel Appetit zu haben schien, denn das bedeutete auch, dass er zumindest innerlich gesund sein musste. Kranke Menschen hatten wenig Hunger, und auch wenn er gerade sehr ausgezehrt wirkte, er schien sich seine zähe Natur bewahrt zu haben.
"Mein Volk war bis zum Wirken des Caesar ein eigenes Reich, und nach dem Tod unserer letzten Königin gelangte Aegyptus zum römischen Reich. Aber wir kämpfen nicht gegen die Römer, denn was unserem Land fehlt, das haben sie, und was den Römern fehlt, besitzen wir. Mein Land ist viel älter als Rom, und unsere Götter haben schon existiert, als hier nichts lebte. Unsere Könige waren schon groß, als in Rom nur einige Flüchtlinge Schweine hüteten." Sie hatte an Ruhe und Würde zurückgewonnen, als sie sprach, und während sie ihr Kinn ein wenig reckte, kehrte auch der stolze Audruck in ihre Augen zurück. Kein Zweifel, auch die Ägypterin konnte Stolz und Würde entwickeln, wenn sie es wollte.
"Es gibt durchaus Nacht bei uns, unsere Tage sind einfach heller, weil wir der Sonne näher sind als ihr. Seth ist ein Gott, den man mit Zerstörung und Chaos verbindet, aber alles zu erfassen, für das er steht, ist sehr schwierig, weil er an verschiedenen Orten meiner Heimat verschiedene Bedeutungen hat. Er ist es, der Osiris, den Gott der Fruchtbarkeit und Wiedergeburt, getötet hat, und er gilt mir deswegen als ein böser Gott. Alles Fremde kommt von Seth, verstehst Du? Und für einen Menschen meiner Heimat wirkst Du mit deiner hellen Haut und dem hellen Haar sehr fremd. Bei uns sind alle Männer dunkel und haben dunkles Haar."
Dann, als er um einen Schlafplatz bat, erhob sie sich und bedeutete ihm mit einer sanften Geste, ihr zu folgen, bevor sie ihn in einen der Räume führte, die den Sklaven als Schlafplatz dienten. Leise flüsternd, denn in diesem schlichten Zimmer schlief bereits ein Mann unter einer dünnen Decke auf einem Bettgestell, ein zweites, leeres stand an der gegenüberliegenden Wand, fügte sie an: "Hier kannst Du heute nacht unterkommen, morgen suchen wir Dir einen Platz, auf den Du passt. Nicht jeder hier ist so groß wie Du."