Sklaveneingewöhnung | Aquilius, Rutger

  • Es war eine Lektion, die ich als Kind mit Härte und Schmerzen hatte lernen müssen. Beherrsche Dich selbst oder Du wirst stets von Deinen Leidenschaften beherrscht werden. Eine Eigenschaft, die ich von meinem Vater geerbt hatte, war die leichte Entflammbarkeit meiner Sinne, aber auch meines Zorns. Meine Begierden einigermaßen zu unterdrücken und sie dann an anderer Stelle auszuleben hatte ich gelernt, diesen Platz nahm Nefertiri in meinem Leben ein oder zur Not die rechte Hand, wenn es denn gar nicht anders ging, meinen Zorn jedoch hatte ich viele Jahre lang nicht in den Griff bekommen können und es fiel mir auch heute immer noch schwer, darin mein eigener Herr zu sein.
    Auch deswegen hatte ich diese Klinge, einige sorgsam geschnitzte Knüppel und Gerten. In der Villa, die meinem Familienzweig in Hispania gehörte, gab es so manchen Baum, der unter meiner Wut hatte leiden müssen, und mein Körper zog noch immer in der vagen Erinnerung an die Prügel, die ich von meinem Vater bezogen hatte, sobald er mich bei einer Unbeherrschtheit ertappt hatte.


    Manche Dinge lernte man wohl nur, wenn sie mit Schmerzen verbunden waren, und so hielt heute die Luft dafür her, dass ich mir die Wut aus dem Körper schlug. Irgendwann würde ich müde werden, und dann wäre alles vorbei. Kein toter Leib würde unter meinem liegen, und der rote Schleier um mein Innerstes wäre erloschen ... ich zuckte heftig zusammen, als das Knacken erklang, meine Hand umspannte den Griff der Waffe deutlicher, als müsse ich mich gegen einen unbekannten Feind verteidigen. Mit einem Mal war ich hellwach, und dieses Mal glitt mein Blick deutlich aufmerksamer über den Hof.
    "Zeig Dich!" erklang meine Stimme hart und kalt.

  • "Ich bin hier."
    Ruhig sprach Rutger diese Worte, und beugte sich ein wenig vor. Ein bleicher Lichtstrahl von der Villa her fiel kurz seitlich auf sein Gesicht, erleuchtete die eine Hälfte - fahl und von dem Striemen wie entzwei geteilt - während die andere im Schatten lag.
    Er lehnte sich wieder zurück, sah Aquilius entgegen, und fragte sich seltsam unbeteiligt, ob der Flavier ihn töten wollte. 'Vielleicht sollte ich jetzt aufspringen, zum Stall stürzen, und mich mit einer Heugabel verteidigen' dachte sich Rutger, aber das erschien ihm zu würdelos, und so blieb er sitzen.


    Er betrachtete das Schwert, das der Flavier in der Hand hielt, die schlichte Form, den metallischen Glanz, und wünschte sich, er hätte auch eines. Oder eine Frame, oder überhaupt eine Waffe, um wie ein Mann um sein Leben zu kämpfen. Immerhin, einen Stein erfühlte er zwischen den Wurzeln des Oleanderbusches, und spöttisch über sich selber lächelnd schloß er die Finger darum. Ein Stein... man sollte einen Stein nie unterschätzen. Hatte er doch letztlich Flavius Aristides bei ihrem ersten Zusammentreffen nicht mit der Frame, sondern mit einem Stein besiegt. Ein Kampf der ihm gezeigt hatte: auch die Römer sollte man nie unterschätzen.
    "Willst du mich töten?" fragte Rutger Aquilius. Weder Hass noch Provokation lag in seiner Stimme, es war eher eine sachliche Frage, mit einem leichten Unterton von Traurigkeit.

  • Langsam ließ ich mein gladius sinken, als ich zuerst die Stimme, dann die Gestalt meines Sklaven erkannte. Was bei allen Erynnien hatte ausgerechnet Rutger hier auf dem Hof zu suchen? Hätte es nicht tausend andere Orte in der Villa gegeben, an denen er seinem Müßiggang fröhnen konnte? Aber nun war er schon einmal da, und hatte mich gesehen. Wahrscheinlich hätte ich sogar damit rechnen müssen, immerhin war die Villa nicht Rom. Seine leicht angespannte Haltung hätte ein Spiegel der meinen sein können, denn körperlich mussten wir uns ebenbürtig sein, er war wahrscheinlich noch deutlich trainierter und im Überlebenskampf versierter als ich es war. Sehr langsam entspannte ich meinen Körper, Stück für Stück, bis meine Haltung aufrecht war, aber nicht mehr sofortige Kampfbereitschaft wiederspiegelte.


    "Nein," sagte ich auf seine Frage und betrachtete ihn daraufhin schweigend. Hatte ich mich getäuscht, war ein vages Echo Traurigkeit dabei gewesen? Aber hatte er Grund dazu? Ich musste mich geirrt haben. "Wollte ich Dich tot sehen, wärst Du es längst, Rutger. Das hier," damit hob ich meine Klinge leicht an, bis das Licht des Mondes einen glitzernden Reflex darauf offenbart hatte, um sie dann wieder sinken zu lassen, "... das hier ist der Grund, Dich nicht zu töten. Ein Mann muss sich selbst beherrschen können, bevor er andere beherrscht, sonst ist er nichts wert. Ich kämpfe lieber gegen die Luft als gegen Dich, der Du unsere Lebensart nicht kennst und nicht begreifst, denn ich hege noch immer die Hoffnung, dass Du irgendwann verstehen wirst, dass dies hier nicht der Wald ist und Dein vorheriges Leben unwiederbringlich vorüber. Bis dahin ... bis zu dem Zeitpunkt, in dem ich erkenne, ob Du gelernt hast oder nicht lernen willst ... bis dahin wirst Du leben."

  • "So." Müde sah Rutger den Flavier an, und folgte mit den Augen dem Weg des Lichtreflexes über dessen Klinge. Wie er doch diesen herablassenden Tonfall hasste. Wie er es doch überhaupt hasste, dass sein Leben in der Hand dieses unberechenbaren Mannes lag, der da vor ihm stand, sich seiner Kälte rühmte, sich mit der Macht brüstete, die er über ihn hatte... und der ihn tatsächlich jederzeit, unverzüglich - nur aus einer Laune heraus - auslöschen lassen konnte.
    "Verspotte mich nicht." bat er resigniert, traurig, und des Trotzes für heute überdrüssig.
    "Ich sagte dir doch, meinetwegen lerne ich das lesen, oder versuche es zumindest..."
    Es war ja wohl ziemlich schwer. Wahrscheinlich war er sowieso schon zu alt dafür.


    "Im übrigen, auch wenn du nur gegen die leere Luft antrittst, solltest du deine linke Schulter etwas zurücknehmen, und bedeckter halten." konnte Rutger sich nicht verkneifen zu bemerken.
    "Vor der Luft hast du zwar nichts zu befürchten, aber ein aufmerksamer Gegner würde da eine Blöße finden, denke ich." fügte er unschuldig hinzu.

  • "Ich spotte nicht," sagte ich nach einer Weile des Schweigens mit einem müden Beiklang meiner Worte. "Sieh nicht in jedem meiner Worte einen Angriff oder Spott, wenn ich Dir zu vermitteln versuche, wie die Realität derzeit für Dich aussieht. Denn sonst verbringst Du die nächsten Wochen damit, Dich verspottet zu fühlen, wo kein Spott liegt, und aller Zorn ist sinnlos geboren." Ich blickte für einige Momente lang in den Himmel und betrachtete die fernen Punkte dort, die Sterne, zu denen ich mich manchmal so hingezogen fühlte, als seien sie der Hort meiner Sehnsucht. Langsam schob ich meine Waffe wieder in die schützende Lederscheide und klemmte mir das gladius so nun unter den rechten Arm. Dass ich mich so einem Angriff relativ schutzlos gegenüber stellte, war mir durchaus bewusst, aber auch dies gehörte zu meiner Absicht, ihm durch meine Haltung klar zu machen, dass ich ihn nicht anzugreifen wünschte.


    "Was ich mit lernen meinte, betrifft nicht alleine das Lesen, Rutger. Je füher Du Dich hier in Rom zurechtfindest, je früher Du merkst, worauf es hier ankommt, desto eher wird es Dir leichter fallen, hinter die Fassade der meisten Menschen zu blicken. Du weisst, wie man in Deinem eigenen Volk denkt und daraufhin handelt, aber hier ist vieles anders, wenn nicht alles. Kenne Deinen Feind, sagen die Soldaten, und letztendlich ist Dein Lernen hier nichts anderes," erklärte ich und machte eine leichte Geste durch den stillen Hof. "Glaubst Du wirklich, ich bin wild darauf, Dich zu strafen? Dich zu verletzen oder zu töten? Dann wäre ich wohl Soldat geworden. Oder Sklavenhändler. Ich denke, dass Du mehr werden kannst als ein Krieger, und ich hoffe, ich täusche mich nicht, auch wenn ich wahrscheinlich für Dich nie etwas anderes sein werde als ein Herr, den Du hasst." Ein kurzes, fast bitteres Lächeln umspielte meine Lippen, dann hoben sich meine Brauen an. "Wir werden morgen früh mit Stäben anstatt Waffen trainieren, und dann wirst Du mir mehr über den Kampf sagen können."

  • Rutger zuckte die Schultern. Seine gesamte Situation war der blanke Hohn. Was machte es da noch aus, ob sich der Flavier über ihn mokierte oder nicht. Genau verfolgte er dessen Bewegungen, und wie er die Waffe wegsteckte. Anscheinend sah er in ihm keine Bedrohung. Seine Augen wurden kurz etwas schmaler, als er in Betracht zog, ihn unvermittelt anzuspringen, um mit einem gezielten Hieb mit dem Stein sein Genick zu zertrümmern... es waren aber eher pflichtbewußte Überlegungen, und Rutger fand es auch ein bisschen zu heimtückisch. Außerdem wäre er selber dann auch gleich tot, und könnte sich nicht mehr um die LISTE kümmern. Alles zu seiner Zeit, sagte er sich und ließ, im Schatten des Oleanders, den Stein los.
    Statt dessen begann seine Hand müßig mit einem herabgefallenen Zweig zu spielen, zog die kühlen glatten Blätter zwischen den Fingern hindurch, während er Aquilius reserviert zuhörte.


    Als ob der ein Interesse daran hätte, daß Rutger "seinen Feind besser kannte". Er war doch selber ein Feind. Nein, der wollte ihn bloß manipulieren, auf diese simple Weise, um ihn besser für seine Zwecke einzusetzen. Nur welche Zwecke eigentlich, fragte sich Rutger. Sicher nichts gutes. Wahrscheinlich brauchte er, außer einem Leibwächter, noch einen Handlanger für irgendwelche Intrigen - es war ja bekannt, daß die Römer sich mit sowas liebend gerne die Zeit zwischen einer Orgie und der nächsten vertrieben. Diese Gedanken behielt Rutger aber für sich. Offene Worte hatte er vorher am Tag schon genug gesprochen - oder eher gebrüllt.
    So, der Flavier war also nicht wild darauf ihn zu quälen. Wie nett. Rutger lächelte suffisant, geriet aber wider Willen doch ein wenig ins Nachdenken - er stellte sich vor, ein Unfreier hätte so mit seinem Vater gesprochen, wie er vorhin zu dem Flavier, und kam zu dem Schluß, daß der so jemanden schon längst von den Pferden hätte zertrampeln lassen. Oder wenn ihm, Rutger, ein Sklave solche Widerworte gegeben hätte - er hätte ihn sicher grün und blau geschlagen. Aber das war ja auch was ganz anderes.


    Mehr als ein Krieger? Krieger sein war doch das beste überhaupt! Schon wollte Rutger empört widersprechen, da fiel ihm auf, daß solche Arroganz unter Goden wohl allgemein weit verbreitet war. Selbst sein Bruder Starkad, der seit einer verkrüppelnden Verletzung nicht mehr in den Kampf ziehen konnte, und sich nun nur noch den Riten widmete, um die Götter der Sippe wohlgesonnen zu stimmen, selbst der hielt sich inzwischen für was besseres. 'Déformation professionelle' hätte Rutger dieses Phänomen genannt, wenn es den Begriff schon gegeben hätte.

    Verwundert, und wiederum mit einer Falte des Mißtrauens zwischen den Augenbrauen, betrachtete er Aquilius bei dessen nächsten Worten und dem seltsamen Lächeln. Ja, da hatte er natürlich recht. Hass war das einzige, das Rutger gedachte, seinem "Herrn" entgegenzubringen. Was sonst? Alles andere wäre unangemessen gewesen. So war das nun mal. Und auch daß er ihm die Ketten abgenommen hatte... nebensächlich! Und auch daß er gerade, so schräg von unten gesehen, gegen den Sternenhimmel, irgendwie melancholisch aussah, irgendwie... fast... sympathisch... - Moment! Streng untersagte Rutger es sich, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Hass. Das war das einzig Wahre.
    Er nickte nur, als Aquilius ankündigte, daß sie trainieren würden, behielt sein Schweigen bei, und trug dazu eine möglichst gleichgültig-distanzierte Miene zur Schau.

  • Wir betrachteten uns schweigend, und ich konnte förmlich hören, dass sich im Hinterkopf meiner Neuerwerbung die Gedanken nur so tummeln mussten. Wahrscheinlich würde es nie einen Weg geben, auf dem seine Art, die Welt zu betrachten, und die meinige nicht im vollen Lauf kollidieren mussten, aber das würde die Zeit wohl zeigen. Letztendlich war mir ein Sklave, der sich seine eigene Persönlichkeit bewahrte, deutlich lieber als einer, dessen Sein nur noch von den Wünschen des Herren ausgefüllt wurde. Manchmal schien es mir zumindest bei Gracchus' Sciurus der Fall zu sein, dass er sein eigenes Wünschen und Hoffen vollkommen hinter dem seines Herrn zurückstellte. Vielleicht aber sah ich auch nur Geister dort, wo sie nicht vorhanden waren, dieses ewig währende Misstrauen würde ich kaum jemals verlernen können, war ich damit doch aufgewachsen wie die meisten Patrizierkinder. Vertraue niemandem, und vor allem, vertraue nie darauf, dass die Dinge so geschehen, wie Du sie möchtest.


    Der Körper Rutgers hatte wieder an Kraft gewonnen, die Entbehrungen der Reise nach Roma waren längst nicht mehr so offensichtlich wie noch vor einigen Tagen, und ich war fast froh darum, dass er zumindest keine allzu sichtbaren Schäden davontragen würde. Dieser Idiot von einem Sklavenhändler hatte erhalten, was er verdiente, und ich machte mir um diesen Toten und seinen widerwärtigen Gehilfen nicht wirklich Gedanken. Es war gut gewesen, diesen Kerl von der Welt zu tilgen und ich bereute es nicht, meinen Teil dazu beigetragen zu haben.


    Mein Blick glitt in den Himmel, auf dem einige Wolken begonnen hatten, mit ihrem Spiel den Mond und die Sterne zu verdecken, morgen würde es vielleicht nicht mehr so warm sein wie es heute noch gewesen war ... ich fühlte mich einige Momente lang wie gefangen in der Tatsache, diesen Mann niemals wirklich als den kennenlernen zu können, der er war, aber so hatten es die Parzen für uns bestimmt, so würde es immer sein.
    "Geh schlafen, Rutger, Du musst zu Kräften kommen," sagte ich brüsk, nickte ihm zu und wandte mich von ihm ab, um meine Gedanken und die aufkommende Melancholie mit in die Villa zu nehmen, auch dieses Gefühl vor ihm sorgsam verbergend, denn Gefühle machten einen Mann schwach und verletzlich.

  • Sobald sich der Flavier von ihm abwandte, verflüchtigte sich Rutgers ausdruckslose Fassade. Er stützte das Kinn in die Hand, und sah ihm ambivalent nach wie er in die Villa zurückging, für einen Moment zum dunklen Schatten in der hellen Türöfnung wurde und verschwand. Den sollte mal jemand verstehen... Eines war sicher: Rutger mußte so schnell wie möglich von hier verschwinden, bevor es dem perfiden Römer mit seinen undurchschaubaren Manipulationstechniken noch gelang, ihn einzuwickeln. Sicher wäre es besser, erst mal zu lernen, sich hier zurechtzufinden, sich eine Waffe zu besorgen, und irgendwie an Geld zu kommen, dann wäre eine Flucht sicher leichter zu bewerkstelligen - aber was, wenn bis dahin die Dekadenz der Stadt und die Methoden dieses - hassenswerten! - Flaviers ihn irgendwie... verändern würden? Seinen Kampfgeist schwächen? Ihn mit der allgegenwärtigen Verdorbenheit anstecken? Ihn seinen Göttern entfremden?


    Nein, das durfte nicht geschehen. Er lehnte sich wieder zurück, und legte den Kopf in den Nacken. Wolken trieben vor dem Mond vorbei, der ihre zerfetzten Ränder silbrig aufleuchten ließ. Eine Weile lang betrachtete Rutger so sinnierend den nächtlichen Himmel, dann richtete er sich auf, und verließ den Hof, um vielleicht doch noch etwas vom Abendessen zu bekommen.
    Denn - da hatte der Römer recht - er mußte wieder zu Kräften kommen.
    Um - das hatte sich der Römer wahrscheinlich nicht so gedacht - sich bei nächster Gelegenheit aus dem Staub zu machen.

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