Atrium | Ein fehlender Sklave, ein fehlendes Biest

  • Der Tag war nicht dazu angetan, meine eh schon miese Laune zu verbessern. Irgendwie war ich auf der falschen Sandale aufgestanden, eine Nacht voller verworrener und seltsamer Träume hatte mich schweißnass erwachen lassen, womit ich auch Nefertiri erschreckt hatte, die nicht minder unruhig geschlafen zu haben schien, und als ich viel zu früh aus dem Bett gestiegen war, war ich auch noch an meiner Toga auf dem Boden hängen geblieben und der Länge nach auf dem Fußboden gelandet - seitdem hatte sich dieser Tag als stetige Abfolge enervierender Kleinigkeiten entwickelt, von den viel zu reichlich mit Garum bedachten Eiern zum Frühstück über das zu heiße Badewasser danach, über einen Stapel schlampig geführter Rechnungen meines ererbten Weinguts in Hispania - kurz und gut, heute schienen die Götter dazu angetan, mir die Laune zu verderben, und das mit erschreckender Effizienz.


    Und wenn man ihn einmal brauchte, war natürlich auch mein Sklave nicht zu finden, selbst als ich Nefertiri ausschickte, ihn zu suchen, kam sie ohne Rutger und mit etwas Unruhe im Blick zurück. "Das kann doch nicht wahr sein, wo ist denn dieser elende bucco von einem Germanen!" tobte ich durch mein Arbeitszimmer, eine Wachstafel landete an der Wand, rutschte auf den Boden herunter und zerbrach, was Nefertiri eilig zu einem Rückzug veranlasste - schnaufend und sichtlich schlecht gelaunt machte ich mich also selbst auf die Suche nach meinem widerspenstigen Eigentum ohne Manieren und Anstand. Wehe ihm, wenn ich ihn finden sollte, dies wäre nicht mit Worten zu bereinigen! Ich durchstreifte zuerst den Wohnbereich der Villa Flavia Felix, in der Hoffnung, irgendein Familienmitglied hätte ihn requiriert, das ich dann auch noch hätte anbrüllen können ...

  • Finsterer Miene ging Marcus durch die Gänge der Villa. In seiner Hand hielt er ein Papyrus. Marcus war nicht nur wütend. Er war so zornig, daß er in seinem Gästezimmer gleich eine Karaffe Wein gegen die Wand geschleudert hatte. Mit ein wenig Wein darin und dabei war Marcus selten so verschwenderisch. Er kochte vor Wut wegen seiner kleinen Tochter. Denn heute, am letzten Tag, wo er in Rom weilen würde, erreichte ihn der Brief seiner Mutter, Agrippina. Natürlich hatte sie erst mal lange nach der Audienz beim Kaiser gefragt, aber auch von dem Verschwinden von Arrecina berichtet. Sie hat einiges in Bewegung gesetzt, um Marcus Tochter wieder zu finden. Natürlich nicht mit Erfolg, war seine Tochter doch in die Arme der römischen Flavia geflüchtet. Knurrend zerknüllte Marcus das Papyrus in seiner Hand und stapfte, nur eine rostrote Tunika bekleidet und sich schnell die Sandalen umgebunden, auf Arrecinas Zimmer zu. Ohne zu klopfen, riß er die Tür auf und scheuchte zwei junge Mädchen- Sklavinnen- auf, die gerade dabei waren, Arrecinas Gewänder auszuprobieren. Ängstlich sahen sie zum finsteren Marcus und warfen sich vor ihm auf die Knie.


    „Wo ist meine Tochter?“


    Marcus herrschte die beiden Sklavinnen an und funkelte ärgerlich auf sie herunter. Die jüngste von den Beiden, sie war höchstens 12 Lenze alt, fing leise an zu schluchzen. Die Andere sah, einigermaßen tapfer, zu Marcus hoch. Grenzenloses Entsetzen zeigte sich in ihren Rehaugen, die das Licht der Öllampe wiederspiegelten.


    “Ich weiß es nicht, Dominus! Sie war schon den ganzen Tag...nicht mehr hier, Dominus!“


    Kaum ein Flüstern war ihre Stimme. Marcus musterte sie voller Ingrimm, fuhr jedoch herum und stapfte aus dem Zimmer wieder hinaus. Den ganzen Tag nicht dort gewesen? Wo trieb sie sich denn nun schon wieder herum? Im Garten fand Marcus sie nicht, da war nur die idyllische Trautheit mit einem zwitschernden Vogel. Marcus verscheuchte den und wandte sich suchend um. Seine Schritte lenkten ihn dann schließlich auf das Atrium zu. Den Ianitor wollte er befragen, ob seine Tochter die Villa verlassen hatte. Den Ianitor konnte Marcus auf Anhieb nicht ausmachen, dafür jedoch seinen Vetter. Mit dem zerknüllten Papyrus in der Hand schritt Marcus, finster schauend wie der personifizierte Iuppiter, auf ihn zu. Erst kurz vorher glättete sich Marcus Miene wieder.


    „Grüß Dich, Caius. Du hast nicht zufällig meine Tochter gesehen?“

  • "Nein, habe ich nicht. Hast Du zufällig meinen Sklaven gesehen? Rutger?" knurrte ich zurück. Heute schien der Tag der schlechten Laune zu sein, mein Vetter und ich besaßen heute eine nicht zu unterschätzende Familienähnlichkeit. Erst nach einigen Momenten registrierte ich, dass es um Arrecina ging. Noch immer fiel es mir nach ihrem Besuch in meinem cubiculum schwer, die Tatsache, dass sie Aristides' Tochter und damit unantastbar war, und die Tatsache, dass sie sich mir fast brünstig an den Hals geworfen hatte, miteinander in Verbindung zu bringen. Manchmal könnte man auch fast glauben, sie bestünde aus zwei Personen, dem unschuldigen, etwas albernen Kind, und der fordernden, leidenschaftlichen Frau - aber diesem Gedanken weiter nachzuhängen hatte ich gerade weder die Muße noch die Stimmung.


    "Seit wann ist Arrecina denn verschwunden?" erkundigte ich mich und maß meinen Vetter mit einem überlegenden Blick. Abgesehen davon, dass sie als Flavierin stets ein Händchen für Schwierigkeiten haben würde, machte ich mir um ihr Verschwinden einstweilen weniger Gedanken, wahrscheinlich erkundete sie gerade auf eigene Faust Rom, in diesem Punkt fiel der Apfel nicht weit vom Stamm - Marcus' Hang dazu, Vorschriften mit Füßen zu treten war ebenso wie meine Veranlagung dazu legendär. Obwohl ... wenn er meinen Sklaven auslieh, vielleicht glaubte seine Tochter, dies auch tun zu können. "Vielleicht sind sie ja gemeinsam unterwegs, es wäre nicht das erste Mal, dass mein Sklave ohne mich zu fragen ausgeborgt wird..."

  • „Verschwunden? Nun, ich habe sie heute Morgen zuletzt gesehen. Eigentlich erwähnte sie nicht, daß sie in die Stadt oder sonst wo hin wollte. Rutger? Meine Tochter und Rutger? Nein, das ist doch undenkbar. Immerhin weiß meine Tochter doch, was für ein gefährlicher Kerl dieser kleine Germane ist...oder?“


    Marcus kratzte sich verwirrt am Nacken und grübelte darüber nach. Daß Rutger sogar etwas größer als Marcus war, erschien ihm wie eine Nebensächlichkeit. Rutger und Arrecina? Nein, das glaubte er nicht. Wahrscheinlich war Arrecina unerlaubterweise, sprich sie hatte nicht gefragt, in die Stadt gegangen um seinen letzten Lohn sinnlos mit süßem Obst, Stoffen und Puppen [in Marcus Gedanken spielte seine Tochter noch damit] auf den Kopf zu hauen. Marcus grummelte leise vor sich hin und seine Gedanken arbeiteten etwas langsam. Warum hatte er noch mal in dem Atrium nach seiner Tochter gesucht? Ach ja, der Ianitor! Marcus sah sich suchend um und winkte herrisch den Ianitor heran. Dieser schlürfte langsam zu den beiden Flavia und verbeugte sich.


    „Hast Du meine Tochter heute rausgelassen? Und wenn ja, wann?“


    Der Ianitor richtete sich ächzend auf und sah Marcus verwirrt an. Scheinbar mußte er scharf über die Fragen nachdenken, schüttelte dann langsam den Kopf.


    “Nein, Dominus! Heute war es ruhig an der Porta. Keine junge Flavia, die hinaus wollte!“


    Marcus hob erstaunt die Augenbrauen und sah zu Aquilius. Dabei fiel Marcus auch dessen Frage ein. Warum den Ianitor nicht auch gleich danach befragen, wenn der Alte schon hier her geschlurft war.


    “Und was ist mit dem Germanensklaven Rutger?“


    Erneut ein Kopfschütteln.


    „Nein, Dominus. Aber der müßte doch im Stall arbeiten, Dominus!“


    Marcus schickte den Ianitor wieder mit einer herrischen Handbewegung fort. Marcus grübelte, wo er schon nach seiner Tochter gesucht hatte. Garten, Zimmer, Flure...auch das Triclinum? Die anderen Zimmer? Na, was sollte sie denn bei den Verwandten wollen? Waren doch alle bestimmt langweilig für sie. Ratlos sah Marcus zu Aquilius. Wenn sein kleiner Junge noch hier wäre, hätte Marcus natürlich sofort den Verdacht, daß beide zusammen eine Dummheit aushecken würden. Wer der Rädelsführer war, konnte immer unterschiedlich sein.


    „Suchen wir mal im Haus?“

  • "Ach ja, im Stall, wer hat ihn denn da wieder hingeschickt! Immer wenn man diese verdammten Sklaven braucht, sind sie nicht da, wo sie hin sollen," grollte ich vor mich hin, während ich überlegte, wo sich Arrecina befinden konnte. Sie hatte sich doch hoffentlich nicht irgendeinen der armen Haussklaven geschnappt und auf eine Kline gedrückt - oder noch schlimmer, sie war durch den Hintereingang der Villa, an dem sich immer die Bettler, Lieferanten und Sklaven herumdrückten, in die Stadt entwischt und sich dort irgendeinen feschen Soldaten aufgegabelt, um mit diesem in einem Gasthaus ihre Jungfräulichkeit zu verlieren.


    Wahre Horrorszenarien entspannten sich vor meiner in diese Richtung sicherlich nicht einfallslosen Vorstellungskraft, seit ihrem gänzlich unfamiliären, sondern ausgesprochen brünstigen Besuch in meinem cubiculum hatte ich hin- und her überlegt, was ich tun sollte und war ihr kurzerhand erst einmal aus dem Weg gegangen. Glücklicherweise gab es im Tempel genug zu tun, um mich auch bis in die Nacht hinein beschäftigt zu halten, und so war ich die Woche über meist sehr spät erst in der Villa eingetroffen, zu spät, um ihr zu begegnen, denn junge Römerinnen gehörten früh ins Bett. Dass ich Aristides davon kein Sterbenswort sagen konnte, verstand sich von selbst, und ich bedauerte es gleichzeitig, ihm meine Befürchtungen nicht mitteilen zu können.


    "Lass uns erst im Hof nachsehen, vielleicht strolcht sie nur im Sklavenbereich herum oder ist durch die Nebenpforte rausgerannt - Du weisst doch, wie uns das damals magisch angezogen hat, und wenn sie auch nur ein bisschen Deine Tochter ist, dann dürfte es ihr nicht viel anders gehen. Und ich kann im Stall gleich nachsehen, wo Rutger steckt, dieser germanische Nichtsnutz ...gib es zu, irgendwas trägst Du mir nach, dass Du mir den geschickt hast," brummte ich und setzte mich schon in Bewegung, den ianitor mit einem lässigen Kopfnicken entlassend. Während wir die Villa durchquerten und an Säulen, Türen, Mosaiken und Wandbildern vorbei gingen, warf ich ihm einen prüfenden Blick zu. "Was ist denn eigentlich los? Du schnaubst wie ein Stier, dem man die brünstige Kuh vorenthalten hat."

  • „Ja, gute Idee! Na ja, Caius, ich dachte, Du kommst am besten mit diesem kleinen Gauner klar! Wem hätte ich ihn sonst geben können?“


    Letzter Blick auf den etwas empörten Marcus, der Aquilius nach draußen folgte. [Schnitt auf den Innenhof] Eine fette Taube hatte sich aufgeplustert und umgurrte heftig eine deutlich grazilere Schönheit seiner Art. Die kümmerte sich jedoch keinen Deut um den Werber, sondern pickte nur suchend zwischen dem ausgestreuten Sand nach Körnern, welche von der Küchenmagd nach draußen geworfen war. Zwar waren die Körner brandig, aber die Taube kümmerte sich nicht darum. Marcus trat direkt vor sie, scheuchte das Viech auf und sah sich suchend um. Ein Sklave führte gerade ein nachtschwarzes Pferd aus dem Stall und band es mit dem Strick an einen hölzernen Pfosten. Mit einer groben Bürste bewaffnet, strich er über das Fell des Rappen. Es staubte ordentlich auf und das Pferd stapfte unruhig hin und her. Erst dort angekommen widmete sich Marcus Aquilius Fragen.


    „Was los ist? Bei allen Göttern, meine Kleine ist meiner Mutter abgehauen. Und all die Tage log sie mir was vor, daß meine Mutter sie hierher geschickt hat. Ich leg sie übers Knie, das sag ich Dir! Und solche Jungenflausen, wie wir sie gemacht haben, steht einer Flavia außerdem nicht zu. So ist es nun mal so! Das Mädchen treibt mich noch mal in den Irrsinn, sag ich Dir, Caius. Gehen wir in den Stall!“


    Ohne eine Antwort abzuwarten, stapfte Marcus in den Stall hinein. Der übliche Pferdegeruch schlug ihm entgegen, unter seinen Füßen raschelte das frische und goldene Stroh, was erst vor wenigen Wochen auf den Feldern eingebracht worden war. Eigentlich bekam Marcus in Ställen sonst immer sentimentale Anwandlungen. Auf dem Landgut bei Baiae hatte er so manch eine Liebelei im Stroh gehabt. Hach! ....Die Suche! Hastig schob Marcus die Gedanken zur Seite und sah sich suchend um. Er entdeckte einen anderen Sklaven. Den am Eingang zu befragen kam Marcus wohl nicht in den Sinn.


    „Du da! Komm her!“

  • "Was weiss ich, ein paarmal ordentlich vertrimmen und dann laufen lassen, stattdessen schickst Du ihn mit dem widerlichsten Kerl von einem Sklavenhändler her, den ich jemals gesehen habe," brummelte ich vor mich hin, den Gedanken daran, wie dieser ekelhafte Sklavenverkäufer sein Ende gefunden hatte, eiligst beiseite schiebend. Als wir den Hof erreicht hatten und Marcus von Arrecinas Flucht erzählte, schnaubte ich nur. Das sah diesem kleinen Biest ähnlich, dass es die beschauliche Ruhe des flavischen Landgutes flüchtete, um in das wesentlich spannendere Rom zu kommen und die gesamte Familie zu terrorisieren, wie es nur ging. Ihr Götter, manches Mal vermutete ich schon, dass uns Flaviern die Neigung zu rebellischem Verhalten von den Ahnen mitgegeben war, und als Tochter des Aristides musste diese Neigung in ihr noch deutlicher ausgeprägt sein als bei jedem anderen.


    "Zumindest hat sie es recht geschickt angestellt, das muss man ihr lassen," meinte ich trocken und blickte mich im Stall um, ob ich Rutger dort irgendwo entdecken konnte. Zuerst natürlich in der Box meines eigenen Pferdes, dann klapperte ich die anderen an - natürlich kein Rutger, es war sowas von klar gewesen. Der würde sich heute auch seine erste Tracht Prügel fangen, soviel war sicher. Langsam wurde ich richtig sauer. Der Sklave trollte sich aus seiner Ecke in Richtung meines Vetters und glotzte ihn fragend an. "Ja, Herr?" fragte er, während ich durch die Boxreihen schritt und hinter die Heuballen schielte, in der Hoffnung, Rutger in flagranti mit irgendeiner Sklavin im Heu zu erwischen, was es mir noch spaßiger gemacht hätte, ihn herunterzuputzen.

  • Oh Mars, die Welt war einfach nicht auf die Frau vorbereitet worden und der Mann (im Allgemeinen) insbesondere nicht. Gib mir ein wenig mehr Geduld mit meiner Tochter! Marcus schloß die Augen und schickte das Stoßgebet zum Himmel. Zusammengepressten Lippen öffnete er sie und sah den Sklaven stumm an. Der sah ihm wie ein dummer Vertreter seines Standes aus. Kein Wunder, daß er bei den Pferden gelandet war. Marcus sah sich suchend nach Aquilius um und nickte zufrieden als er den Pferdestall absuchte. Aber irgendwie bezweifelte Marcus, daß Rutger so unauffällig wäre. Schließlich war er durchaus ein großer Mann.


    „Hast Du den Sklaven Rutger gesehen oder meine Tochter Arrecina?“


    Marcus Magen knurrte in dem Moment. Eigentlich hätte er nach dem Öffnen der Briefe sich ein oder zwei Hühnchen schicken lassen, in Wein geschmort und mit Lorbeerblättern. Dazu ein wenig Brot und guten Wein aus Felix privaten Weinkeller. Schließlich war er doch sein Bruder. Der eklatante Mangel an diesen Genüßen verschlechterte Marcus Laune erheblich. Voller Grimm sah er den Sklaven an, ganz so als ob er ihn gleich kreuzigen lassen wollte. Erneut knurrte Marcus Magen und schien wohl genauso seinen Unmut kund zu tun, was Marcus sich in dem Moment eher verkniff.

  • "Öhm," sagte der Sklave und linste eilig meine Richtung, während ich auf und ab ging, um mich nach meinem aufsässigen Egientum umzusehen, bevor er schnell nickte. "Die waren beide hier, heute morgen, oder so. Ich war gerade dabei, das Futter für die Tiere auszugeben." Schnelle Schritte trugen mich neben meinen Vetter, und ich nahm den recht schmächtigen Stallsklaven in meinen Blick. Die schlechte Laune ballte sich klumpenförmig in meinem Magen zusammen, am liebsten hätte ich ihn wohl in diesem Moment sogleich geohrfeigt, aber es war sinnvoller, sich das noch etwas aufzusparen.


    "Wohin ist Arrecina gegangen, nachdem sie hier war? Und wohin ist Rutger gegangen?" stellte ich die Frage, die uns beiden so sehr auf der Zunge brannte, während der Sklave ein wenig in sich zusammen zu sacken schien. "Ähm naja, sie sind auf den Hof hinaus und ... na ja, seitdem fehlt Phaidra auch," stammelte der Knecht und blickte sich zu beiden Seiten um, als fürchte er, Rutger könnte aus einer Box herausspringen und ihn zu Boden prügeln, weil er ihn verraten hatte. "Kann Arrecina reiten?" wandte ich mich an meinen Vetter, aber mein Zähneknirschen angesichts dieser Eröffnung war kaum zu überhören. Für mich lag das, was sich abgezeichnet hatte, ziemlich klar auf der Hand. Arrecina war es jederzeit zuzutrauen, dass sie einen Sklaven auf ihren Ausritt mitnahm, selbst wenn es sich nur um einen blutrünstigen, römerhassenden Germanen handelte.

  • Ein rotbrauner Hahn stakte in dem Moment in den Stall hinein, stolz und mit aufgeplusterten Federn pickte er nach einigen Körnern auf dem Boden und stolzierte mit seinem prächtigen Hahnenkamm an den beiden Flavia vorbei und unter dem Pferd hindurch. Völlig ohne Angst und Argwohn hüpfte er auf eine Kiste und fing an seine glänzenden Federn zu ordnen. Marcus hörte dem Sklaven ohne Verständnis zu. Rutger und Arrecina....? Gemeinsam auf den Hof...? Wer zum Hades ist Phaidra...? Eine andere Sklavin? Rutger und Arrecina? Der Germane und meine Tochter? Dieser kleine Bastard und mein Goldschatz? Es kam bei Marcus an. Schweigen und Marcus wurde leichenblaß. Seine Hand krallte sich in das Holz einer Pferdebox und er holte scharf Luft. Das konnte nicht sein!! Seine Tochter war bestimmt klug genug, nicht mit einem wildfremden Sklaven irgendwo hinzugehen. Außerdem waren da doch noch ihre eigenen Sklaven. Marcus schluckte, die Frage nach dem Reiten war völlig an ihm vorbei gerauscht. Es war als hätte sich eine eiserne und kalte Faust um sein Herz gelegt. An Aquilius vorbeisehend, sah er zum Hof raus und verließ plötzlich und ohne was zu sagen den Stall.


    Schnell schritt er auf einen Sklaven im Hof zu und packte ihn an der Tunika. Er schüttelte ihn ein paar Mal. Der Sklave riß erschrocken die Augen auf, wußte er doch nicht, wie ihm geschah. Marcus brauchte eine Weile, um seine Stimme wieder zu gewinnen. Derweil baumelte der Sklaven eine Handbreit über den Boden und sah zu Tode erschrocken aus.


    „Wer...stand heute am Tor?“


    Der Sklave schloß erleichtert die Augen. Nicht er war gemeint, vielleicht würde er den heutigen Tag noch mal überleben. Zitternd hob er die Hand und deutete auf einen bulligen Sklaven, den Thraker mit dem geflochtenen Bart. Marcus ließ den Sklaven fallen und wandte sich dem Sklaven zu, der am Hoftor lehnte und scheinbar aufmerksam nach draußen sah. Nur aus der Ferne hörte er noch die leisen Worte des Sklavens.


    „Ajax...Dominus!“


    Der Tochwächter Ajax hatte heute wahrlich keinen guten Tag gehabt und er sollte nicht besser werden. Es fing damit an, daß er eine schreckliche Schmach vor wenigen Stunden ertragen musste. Ein Mädchen, ein junges Mädchen, hatte ihn, den großen Ajax, tatsächlich Angst eingejagt. Oh bei Zeus und Herkules, was für eine Schande. Wie peinlich! Da halfen ihm seine Geschichten über die sinnliche und verführerische Gloria auch nicht mehr. Obwohl er sie heute gegen eine ganze Horde von römischen Legionären antreten ließ und sie alle nach einander nieder machte, kam immer wieder das Bild der kleinen Flavia vor seinen Augen. "Ich kann natürlich auch meinen Onkel Felix holen“. Was hätte Ajax da anderes tun können? Seine Wut hatte er auch schon an einem anderen Sklaven ausgelassen als dieser ihn blöd anmachte. Doch nun hörte er Schritte sich nähern. Er wandte sich um und sah mit Schrecken, wie ein daimonisch wirkender Marcus auf ihn zutrat, ihn an der Schulter packte und wuchtig gegen die Mauer stieß.


    „Hast Du meine Tochter und Rutger heute rausgelassen?“


    Marcus Finger krallten sich in den Stoff von Ajax und seine Augen funkelten ihn tödlich und grimmig an. Ajax vergaß das Atmen und sein Hals schnürte sich zu. Bei den Göttern des Olymps, es wäre doch richtig gewesen die Beiden aufzuhalten! Er atmete langsam ein und aus. Was sollte Ajax jetzt tun? Alles abstreiten?


    „Ja, Dominus! Sie sind zusammen auf Phaidra ausgeritten! Aus der Stadt hinaus. Sie befahl es mir...Deine Tochter, Dominus! Sie sagte, daß sie es dürfte...! Wie sollte...?“


    Weiter kam er nicht, denn Marcus schlug ihm voller Wut und Zorn mit der Faust ins Gesicht. Einmal und noch einmal, dann ließ er ihn los und drehte sich um. Die Faust um sein Herz schloß sich fester und Marcus hatte das Gefühl, daß tausend kleine Nadelstiche sich dort hinein bohrten. So waren seine nächsten Worte nicht mehr so laut, wie es sonst seine Stimme war. Er deutete auf den nächstbesten Sklaven, außer Ajax.


    „Geh..rein und hol meine Rüstung, mein Schild und mein Schwert. Und sorge dafür...daß das schnellste Pferd gesattelt wird!“


    Marcus achtete nicht darauf, ob der Sklave wirklich hinein rannte, sondern er lehnte sich bleich und mit kaltem Schweiß auf der Stirn gegen das Hoftor. Grauenhafte Szenarien schoßen vor seinem inneren Auge vorbei und alle endeten mit dem zerschmetterten Körper seiner Tochter. Marcus schloß gequält die Augen und fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht hinweg.

  • Die Ereignisse begannen, an mir vorbei zu fluten wie der Tiber bei viel Regenfällen nördlich der ewigen, verkommenen Hure Rom. Also hatte meine ins Blaue getroffene Vermutung doch Bestand. Was hatte Arrecina eigentlich gelernt? Bei ihrer Großmutter waren ihr anscheinend die wichtigsten Grundsätze eines patrizischen Nachkommens einer so hochstehenden Familie wie den Flaviern nicht beigebracht worden: Vertraue niemandem. Liefere Dich niemals Unbekannten aus. Wenn Du eine Sache richtig erledigt haben willst, erledige sie selbst. Mindestens zwei dieser Gebote hatte Arrecina verletzt, und wenn ich mir überlegte, wie Nefertiri nach ihrer ersten Nacht mit dem Germanen ausgesehen hatte, dann befiel mich kalter, glühender Zorn. Es war eine Sache, sehr intensiv mit einer Frau zu schlafen, die das mochte, eine andere, ein junges Mädchen in der Nähe zu haben. Ich wollte mir nicht einmal ansatzweise ausmalen müssen, was er mit meiner Nichte anstellen konnte, vor allem, weil ich wusste, wie leicht entflammbar sie war. Was war nur in sie gefahren? Knurrend stapfte ich meinem Vetter hinterher. Dass der idiotische Torsklave den Fausthieb verdient hatte, war ohnehin keine Frage.


    "Geh und sage Nefertiri, sie soll meine Sachen für eine Reise packen. Mein Schwert mit dazu und Proviant für einige Tage," rief ich dem enteilenden Sklaven nach, der schon Marcus' Auftrag erhalten hatte und nur eilig nickte und weiter rannte, wer wollte schon mit zwei Flaviern, bei denen man nicht wusste, ob sie nicht in den nächsten Momenten vor Zorn explodieren würden, alleine bleiben? Einem anderen Sklaven herrschte ich den Befehl zu, auch mir ein Pferd vorzubereiten, erst dann wandte ich mich meinem inzwischen kreidebleichen Vetter zu. Eindeutig, Aristides trank zuviel. "Ich werde Dich begleiten," informierte ich ihn knapp. Ausserdem würde es zwei Männer brauchen, Rutger zu bändigen, ich hatte ihn nicht umsonst in Aktion gesehen.

  • Immer schlimmere Bilde rauschten an Marcus vorbei. Seine Tochter, blutend und wie sie sich mit letzter Kraft aus einem Gebüsch hervorziehen wollte, hinter den Rutger sie achtlos geworfen hat. Seine Tochter gefesselt und alleine im Wald, den Ungnaden von wilden Tieren ausgesetzt. Doch was wirklich geschah übertraf Marcus schlimmsten Horrorszenarien bei weitem. Hätte Marcus nur geahnt, was seiner kleinen Tochter von Rutger angetan wurde, er wäre vor Entsetzen selbst ganz starr geworden. So raffte er sich keuchend auf und griff sich an die schmerzende Brust. Er schluckte in paar Mal, sein Mund fühlte sie so staubig und trocken wie die Wüste Afrikas an. Mit ausgetrockneten Lippen und kaltem Schweiß auf der Stirn sah er zu Ajax, der sich abmühte zu verschwinden.


    „Du! Warte...in welche Richtung sind sie geritten?“


    Gerade hatte Ajax schon geglaubt, daß seine Tortour ein Ende hatte und er sich verdrücken konnte. Aber er wußte durchaus, daß es nur fürs Erste war. Denn Versagen wurde im Hause Flavia nicht geduldet. Starr vor Schreck blieb er stehen, doch dann war er wiederum erleichtert. Denn dieses Mal wollte ihn der Dominus wohl nicht zu schlagen.


    „Dominus, sie sind durch die Porta Quirinalis und der Brücke dahinter ins Grüne geritten. So wollten sie es zumindest...Dominus!“


    Knapp nickte Marcus. In dem Moment ging es auch schon Schlag auf Schlag. Der Sklave kam mit Marcus Sachen zurück, seiner lorica segmentata, seinem roten Soldatenumhang und seine Waffen. Auch ein schwarzer Hengst wurde heraus geführt, gesattelt und gezäumt. Marcus ergriff die Rüstung und ging zum Pferd. Gekonnt verschnürte er die Sachen und legte den Umhang zusammengerollt quer über den Sattel. Marcus griff nach den Zügeln und schwang sich auf den Rücken.


    „Du willst mitkommen? Gut...dann auf! Öffnet das Tor!“


    Ohne lange zu warten, ritt Marcus aus dem Tor hinaus. Eilig dirigierte er das schnaubende Pferd, was sich wohl auf die Bewegung freute, in Richtung des Tores. Erst als er das passiert hatte und sein Pferd die Brücke mit einem lauten Klappern überquerte, hielt er an. Schnell knotete er seine Rüstung vom Sattel und streifte sich die lorica segmentata wie eine Weste über. Darüber den roten Soldatenumhang. Mit zusammengepressten Lippen sah er zu Aquilius und ob dieser ihm noch folgte. Ein Weile musste Marcus wohl dann doch ausharren, doch dann gab er seinem Pferd die sprichtwörtlichen Sporen, schlug ihm die Hacken in die Seiten und folgte dem Weg....

  • In diesem Moment begann mein Kopf, die Vermutungen und Bilder einfach auszuschalten, mit denen ich wohl überflutet worden wäre, hätte ich mir gestattet, manche Gedankengänge weiterzugehen, die mit Rutger und meinem kleinen Täubchen zu tun hatten. So wartete ich einfach ab, bis lapsus, meine riesige, kaltblütige Neuerwerbung, die wirkte, als könnte sie einen Angreifer auch zur Not mit ihren Hufen zu Boden knüppeln, gesattelt und gezäumt auf den Hof geführt wurde, Nefertiri eilte mit einer Satteltasche herbei, die hoffentlich alle Dinge enthielt, die ich brauchen würde, unter den Arm eine Decke mit einem eingewickelten Gegenstand geklemmt - gemeinsam zurrten wir beides fest und als ich aufsaß, war auch Marcus längst fertig und sah aus, als würde er am liebsten durch die Luft pflügen, um sein Töchterchen zu retten. Selten hatte min phlegmatischer, dem Wein und dem Genuss so verhafteter Vetter einen solchen Eifer gezeigt, wenn es nicht gerade darum ging, eine hübsche lupa auf seinen Schoß zu ziehen, und in diesem Moment stieg er nicht unbeträchtlich in meiner Achtung.


    Ich lenkte mein riesiges Ross ihm nach und wir ritten eine ganze Weile lang schweigend durch die Stadt - ich hatte einen schlichten, aber warmen Wollumhang umgelegt und als er Halt machte, gürtete ich mich mit meinem Schwert. In Rom durfte ich es nicht tragen, ausserhalb von Rom wollte ich jedoch nicht darauf verzichten, wehrhaft zu sein, zumindest abschreckend genug zu wirken, dass wir nicht gleich der ersten Bande Straßenräuber zum Opfer fallen würde, die auf einer der Landstraßen um Rom herum lauern mochte.
    "Wir finden sie," sagte ich und verfluchte Rutger innerlich bis in das siebente Glied seiner Nachfahren. Mochte seine Männlichkeit verwelken und verdorren, seine Hand niemals wieder eine Waffe recht führen können - es mochten ihm die Götter gnädig sein, wenn wir die beiden fanden und Arrecina irgend etwas zugestoßen war. Dann gingen meine Gedanken im Hufschlag unserer Pferde unter und ich musste mich darauf konzentrieren, das mächtige Schlachtross dem wendigeren Tier meines Vetters nach zu lenken, ohne ihn zu verlieren.

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