Landpartie zweier Patrizier

  • Die Sonne schien hell auf Rom und seine Kinder herab, als ich mich auf den Weg zum verabredeten Treffpunkt machte. Bei mir trug ich einen Beutel mit Proviant, den ich mir lässig über die Schulter geworfen hatte. Sklaven begleiteten mich heute keine. Ich hatte lediglich Camryn gesagt, dass ich auf dem Weg nach Ostia war, eine ganz normale Landpartie eben, und dass sie meinen Eltern und Deandra sagen sollte, wo ich war. Dann hatte ich frisch gesäubert und in eine verhältnismäßig einfache tunica gekleidet das Haus verlassen und mich durch Roms Straßen hierher begeben. Hier wollte ich Aquilius treffen, wie wir es ausgemacht hatten. Ich freute mich schon auf den gemeinsamen Ausflug, bei dem ich sicherlich so einiges zu sehen bekommen würde, was mir innerhalb Roms Mauern verborgen blieb.


    Ich hoffte allerdings, dass Aquilius ein ruhiges Pferd für mich ausgesucht hatte, denn als kaum begabter Reiter ohne jegliche Erfahrung war es sicherlich kein Leichtes, auf ein so großes Tier zu gelangen - und auch noch oben zu bleiben. Leise ein Lied vor mich hin summend blieb ich schließlich stehen und wartete, zufrieden in die Sonne blinzelnd. Eine gewisse Vorfreude hatte mich schon am Morgen gepackt und bisher nicht wieder losgelassen. Ich malte mir Dinge aus, die wir gemeinsam auf der Reise entdecken würden, Gegebenheiten, die geschehen würden. Darüber vergaß ich die Zeit.


    Schließlich kam Aquilius. Er ritt ein großes Pferd. Um genau zu sein...ein sehr großes Pferd. Etwas skeptisch sah ich, wie er langsam näher kam. Eine schlechte Vorahnung beschlich mich. Eine ganz und gar schlechte. Ein Pferd. Zwei Reiter. Nicht gut. Oder doch? Entweder, einer von uns müsste laufen - oder aber, man ritt gemeinsam auf dem Tier. Die Frage war dann nur: Wie würde ich da raufkommen? Und wo sollte ich mich festhalten? Die Antwort auf diese Frage wiederum gefiel mir. Irgendwie, zumindest.

  • Es war nicht schwer gewesen, genau das Pferd für den Ritt zu finden, das ich mir vorgestellt hatte, und nachdem mir meine Tätigkeit im Tempel nun doch ein gewisses Einkommen gesichert hatte, hatte ich das Kaltblut aus den nordischen Landen kurzerhand erstanden. Das Pferd war ein Riese, eine breitschultrige und noch breitärschigere Züchtung aus der Zucht kräftiger Ackergäule, dazu sanftmütig und gleichzeitig nicht ganz dumm, das ideale Reitgetier also, um zwei Männer zu tragen, von denen einer zudem noch nicht allzu schwer war, Corvinus war nun einmal deutlich schmaler gebaut, als ich es war. Dass ich Rutger mitgenommen hatte, verstand ich immernoch nicht, aber vielleicht war es die leise Sehnsucht in seiner Stimme gewesen, als ich das Meer erwähnt hatte. Vielleicht war ich auch einfach viel zu nachsichtig mit diesem aufsässigen Stück Sklaven, und würde es spätestens bereuen, wenn sich ein wenig Zweisamkeit mit Corvinus abzeichnen würde.


    Oder hatte ich ihn unbewusst deswegen mitgenommen, damit sich genau dies nicht ereignen würde? Ich vertrieb die Gedanken daran einfach aus meinem Kopf und lenkte meinen lapsus - denn so hatte ich mein Riesentier genannt - in die Richtung meines Reisegefährten. Rutger folgte mir auf einem der schlichteren, ehemaligen Armeepferde, die bei uns im Stall standen und für größere Besorgungen dienten, ab und an mussten auch solche Tiere weiter weg bewegt werden, damit sie keinen Stallkoller bekamen. Ich hob die Hand und grüßte Corvinus mit einem Lächeln.


    "Salve, Marcus! Ich hoffe, Du hast Dich auf einen längeren Ritt eingestellt, ich denke, ich habe genau das richtige Pferd für uns beide gefunden," sagte ich grinsend, als wir ihn erreicht hatten, dann glitt ich vom Rücken des schwarzbraun gefleckten Kaltblüters und kam neben ihm auf dem Boden auf. "Am besten Du gibst Dein Gepäck an Rutger, so groß mein neuer Freund hier auch sein mag, ich will ihm nicht gleichzeitig uns beide wie auch unseren Proviant aufbürden. Das hier ist Rutger, mein Sklave. Er wird uns begleiten, zur Sicherheit. Ausserdem kennt er sich mit längerem Aufenthalt draußen gut genug aus."

  • Auf einem grobknochigen grauen Wallach ritt Rutger in Aquilius' Schlepptau. Der große Germane war an diesem schönen Tag ein wenig kleinlaut... hätte er doch nicht damit gerechnet, in der nächsten Zeit überhaupt jemals die Villa verlassen zu dürfen, geschweige denn die Mauern der Stadt. Er atmete befreit auf, als sie diese hinter sich gelassen hatten, und die Straße sich gerade und frei vor ihnen in der Sonne erstreckte.
    Nachdenklich hielt er die Augen auf Aquilius' Rücken gerichtet, und fragte sich, warum der ihn eigentlich mitgenommen hatte. Bevor er allzu kontemplativ werden konnte, begann allerdings sein Pferd seine Aufmerksamkeit zu beanspruchen. "Canus" war ein übellauniges, etwas heimtückisches Tier. Mal keilte er nach einem harmlosen Passanten aus, mal schnappte er plötzlich nach "Lapsus", dann wiederum scheute er fürchterlich vor einer schnatternden Gans - Rutger hatte seine liebe Mühe, ihn unter Kontrolle zu behalten.


    Auch während Aquilius Corvinus begrüßte, wollte Canus nicht still stehen, tänzelte nervös, und setzte dann plötzlich zu einem Bocksprung in den Straßengraben an, von dem ihn Rutger gerade noch abhalten konnte.
    Barsch zügelte er das Pferd, nickte Corvinus schweigend zu, und streckte die Hand aus, um dessen Gepäck in Empfang zu nehmen.

  • Dann aber lenkte er das Pferd auf mich zu und das riesige Tier entblößte einen weiteren Reiter, auf einem Pferd, das neben dem großen Schwarzbraunen wirklich winzig wirkte. Es war allerdings nicht das Pferd, auf dem ich meine kläglichen Reitversuche machen sollte, sondern das Tier eines Sklaven. Überrascht sah ich Aquilius an, während dieser sein Pferd verhielt. Mein Blick ging zu dem Sklaven, der Rutger hieß. Ich nickte ihm zu und wandte mich dann an Aquilius und hob den Beutel, in dem meine Sachen verstaut waren.


    "Salve Caius. Ich bin gewappnet", grinste ich und reichte dann dem Sklaven mein Gepäck.
    "Ist das dein Bursche? Ein Prachtkerl. Ich frage mich nur, wie ich jemals da rauf kommen soll..."


    Ein leicht verlegenes Grinsen traf Aquilius, dann trat ich neben das Tier und musste zu seinem Widerrist aufschauen, so groß war das Pferd. Ich hatte nie eine besondere Bindung zu Pferden gehabt, vom Rennsport einmal abgesehen, trotzdem hob ich die Hand und klopfte dem Riesen ein paar Mal auf den Hals. Mit einem Lächeln auf den Lippen drehte ich mich wieder zu Aquilius um.

    "Ich hoffe, ich werde nicht herunterfallen. Bei einer solchen Höhe wird einem der Schädel sicher gehörig brummen... Aber sag, wie geht es dir? Wir haben uns lange nicht gesehen."

  • Innerlich den Göttern dafür dankend, dass Rutger sich wenigstens dieses Mal irgendwelche Sprüche über Römer im allgemeinen und deren Unterlegenheit den Germanen gegenüber im Besonderen verkniffen hatte, tätschelte ich meinem riesenhaften lapsus den Widerrist, was er mit einem gutmütigen Schnaufen quittierte. Dieser Kaltblüter war wirklich lammfromm, und irgendwann würde ihn ihn wohl dazu benutzen, Corvinus das Reiten zu lehren. Zumindest hatte der Gedanke etwas recht verführerisches an sich.
    "Ich ziehe Dich dann schon hoch, keine Sorge," entgegnete ich schmunzelnd auf die Bedenken des Aureliers hin und betrachtete ihn eine Weile. Die längere Abwesenheit hatte ihm gutgetan, er hatte ein bisschen Farbe zugelegt, seine Züge schienen markanter geworden, hatten einen Gutteil der jugendlichen Weichheit verloren, ohne sie gänzlich fortgewischt zu haben. Was er in der Ferne wohl erlebt hatte?


    "Das ist übrigens lapsus, unser bester Freund für die nächsten Tage," stellte ich meinen tierischen Begleiter vor, der die Nüstern ein wenig zittern ließ und ansonsten von Corvinus' Nähe nicht sonderlich beeindruckt wirkte. "Und solange Du Dich gut an mir festhältst, fällst du auch nicht herunter, glaube mir." Ich atmete ein und überlegte einen kurzen Moment lang, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, nur ein Pferd für zwei zu wählen - aber immernoch besser, als einen Reitanfänger auf dem Rücken eines Tieres alleine zu lassen, wenn man ausreiten wollte. "Inzwischen bin ich sacerdos publicus und kümmere mich um den Tempel des Mars - ich habe gehört, Du bist Duumvir Mantuas oder war das nur ein gerücht?"

  • Ich grinste Aquilius an. Mich an ihm festhalten.... Das dürfte spannend werden, dachte ich mir. Iapsus hieß er also. Ein komischer Name für ein Pferd. Stirnrunzelnd ging ich einmal um das Pferd heruml, wobei ich einen großen Bogen um das Hinterteil machte. Schließling langte ich wieder neben Aquilius an und runzelte leicht besorgt die Stirn.


    "Iapsus. Ich hoffe, sein Name hat nichts mit seinem Gemüt zu tun.... Wie kommt man dazu, sein Pferd so zu nennen?" fragte ich ihn interessiert. Ich würde mich ganz sicher nicht auf ein Pferd setzen, das so hieß wie es war: fehlerhaft.


    Die Musterung, der ich unterzogen wurde, entging mir nicht, doch ich sagte nichts und ließ Aquilius gewähren, während ich zu einem stummen Gegenangriff ansetzte und ihn nun meinerseits musterte. Groß verändert hatte Aquilius sich nicht. Er war noch immer der muskulöse, stattlich-maskuline Römer, als den ich ihn in Erinnerung gehabt hatte in Germanien. Und ich hatte oft genug an ihn gedacht und mir für einige wenige Stunden herbeigewünscht, wenn ich wieder einmal wach auf meiner Pritsche gelegen und Löcher in die weiß getünchte Decke gestarrt hatte. Ich seufzte leicht. Langsam sickerten die Worte des Flaviers in mein Bewusstsein sickerten und verdrängten die Gedanken an einen warmen, weichen Männerkörper.


    "Sacerdos publicus? Oho! Meinen Gklückwunsch, Caius. Was das ehrenvolle Amt des duumvir betrifft, so sind die Gerüchte wahr, die du vernommen hast. Ich reiste nach Germanien, um die Rennen zu sehen, und um mich mit meinem Amtskollegen zu treffen."


    Ich sah zu dem Sklaven, dann zu dem Pferd und schließlich abenteuerlustig zu Aquilius.
    "Was ist, wollen wir los?"

  • Rutger nahm Corvinus das Bündel ab, packte es hinter den Sattel, wo schon so einiges Gepäck verstaut war, und schnürte es mit einem Lederriemen obendrauf fest. Wieder zickte sein Pferd, er kämpfte damit, es zu bändigen, und wartete ungeduldig darauf, daß es endlich losging - er war schon sehr gespannt, und brannte darauf, endlich das große Wunder Meer, von dem Sigmar damals so geschwärmt hatte, mit eigenen Augen zu sehen. Ob es wirklich so viele verschiedene Farben auf einmal hatte? Und richtig nach Salz schmeckte? Und ob er vielleicht auch ein Seeungeheuer erblicken würde?


    Nur mit einem Ohr hörte er die Unterhaltung der beiden Patrizier, horchte allerdings auf, als Corvinus Germanien erwähnte. Schon wollte er ihn fragen wo er denn gewesen war, schwieg dann aber - er wollte an diesem Tag mal ausnahmsweise keinen Ärger - und nickte nur.
    Ja, er wollte los. Er wollte sogar so dringend los, daß er sich mit Elan vom Pferd herunterschwang, die Zügel um den Arm herumschlang, und mit den Worten "Ich helfe dir aufsitzen." auf Corvinus zutrat. Bereitwillig bot er ihm die verschränkten Hände.
    "Stütz das Knie da hinein, und stoß dich kräftig ab. Bitte."

  • "Tja, der Name ist vom Vorbesitzer. Ich nehme mal an, er empfand es irgendwann als Fehler, diesen großen Dicken gekauft zu haben, er schien mir eher als einer der Männer, die ein schnelles Pferd brauchen, um sich als ganze Männer zu präsentieren," dabei tätschelte ich schmunzelnd den Hals meiner Neuerwerbung und war mit ihm gar nicht so unzufrieden. "Er hat ein recht friedliches Gemüt, also einen Fehler sehe ich in ihm garantiert nicht. Ich bin mir sicher, er wird uns beide sehr gut tragen, mein Gewicht setzt ihm kaum zu, da wird er mit uns sicher kein großes Problem haben."
    Ich maß ihn abermals mit meinem Blick und sann nach. Er war noch jung, und schon Duumvir - das ließ auf eine große politische Karriere hoffen, zumindest glaubte ich zu ahnen, dass solches seinen Eltern durchaus wichtig sein dürfte. Mein Vater hatte sich schließlich auch für mich etwas anderes ausgemalt als Zukunftsplan, und ich hatte mich dem aus eigenem Willen entzogen.


    "Duumvir - na da gratuliere ich Dir zur Wahl. Ich bin mir sicher, Du wirst Dein Amt gut ausfüllen, Corvinus, und damit einen guten Grundstock legen für ein weiteres Fortschreiten in der Politik. Am Ende lädst Du mich noch ein, mir Deine Stadt anzusehen und ich kann überall damit angeben, dass ich den Duumvir kenne," scherzte ich und registrierte gleichzeitig mit einer gewissen Zufriedenheit, dass Rutger sich anbot, meinem Reitgast zu helfen. Endlich entwickelte er einmal eine Eigeninitiative, die willkommen war - und blieb dabei auch noch höflich. Deutlich nickte ich ihm zu, er sollte merken, dass diese Art des Benehmens auf Zustimmung stieß. So trat ich beiseite, nahm etwas Anlauf und schwang mich auf den mächtigen Rücken meines Tiers, um dort eine gute Sitzhaltung zu finden und etwas nach vorn zu rücken, damit er hinter mir Platz finden würde. "Dann lasst uns mal nicht zuviel Zeit verlieren, bis Ostia ist es noch ein Stück Weg." Dass Corvinus das Angebot meines Sklaven ausschlagen könnte, kam mir nicht einmal in den Sinn, schien es doch die praktischste Möglichkeit zu sein.

  • "Dann hoffe ich, dass deine Hoffnungen bezüglich des Tieres nicht enttäuscht werden - und das hoffe ich für mich mit", entgegnete ich und grinste kurz, um meine eigene Unsicherheit zu überspielen. Der Sklave stand schon bereit und würde mich wohl hochwuchten, was angesichts der Größe des Tieres ein hartes Stück Arbeit werden würde, obwohl ich gar nicht einmal so schwer war. Etwas skeptisch sah ich noch einmal in die Runde, nickte nur dankend als Aquilius mich zum duumvirat beglückwünschte.


    "Ich hoffe sehr, dich einmal in Mantua begrüßen zu dürfen , sacerdos", sprach ich würdevoll, doch das belustigte Grinsen auf meinem Gesicht ließ erahnen, dass die Worte zum Teil auch ironisch gemeint waren. Mit pochendem Herzen sah ich zu dem Riesenpferd, dann zu dem Sklaven, als Aquilius sich bereits auf den Rücken des Tieres schwang. Mühelos, schwerelos, behende. ich verspürte etwas wie Neid, war aber dennoch klug genug, um es nicht selbst zu versuchen, auf diesen Riesen zu klettern. Also benutzte ich den Sklaven als eine Art Leiter, ließ mich auf Drei hochwuchten und schwang mein Bein über den Pferderücken.


    Nach der Art, wie Pferde nun einmal gebaut sind, hatte auch dieses Tier einen Pferderücken, eine Art Kuhle. Aquilius saß direkt hinter dem Widerrist. Und ich saß direkt hinter Aquilius. Sehr direkt. Ich fasste vorsichtig seine Hüften und sagte von schräg hinten, so dass nicht nur mein Körper eng an seinem lag, sondern auch mein Atem ganz unvermeidlich an seinem Ohr vorbeistrich:
    "Von mir aus können wir."

  • Mit einem kräftigen Schwung half Rutger dem jungen Römer auf Lapsus hinauf. Aquilius' huldvolles Nicken bemerkte er wohl. Eine Falte trat zwischen seine Augenbrauen. Das war doch alles so würdelos. So verkehrt.
    Gerade als er sich abwandte, reckte sein Grauer den Hals, bleckte die großen gelben Zähne, und zwickte seinen vierbeinigen Kollegen blitzschnell in den Hintern.
    "Schindmähre!" verfluchte Rutger ihn in seiner Sprache, und gab Canus einen Klaps auf die Nase. Er zog ihn zur Seite, wich selber einem Biss aus, und schwang sich schnell in den Sattel. Mit einem Schenkeldruck setzte er das Tier in Bewegung, dessen Hufe klapperten auf der steingepflasterten Straße, und ohne wirklich auf die beiden Patrizier zu achten, ließ Rutger ihn in einen flotten und raumgreifenden Schritt fallen.


    Zum ersten Mal seit man ihn nach Rom verschleppt hatte, war er den erdrückenden Steinmauern, die da in der Stadt so allgegenwärtig waren, entronnen. Die Sonne schien ihm ins Gesicht, und ein leichter Wind strich ihm um die Nase. Der Geruch nach Herbst lag darin, ein Hauch von Sumpf, und zugleich etwas frisches, rastloses. Auch der mißmutige Wallach schien das zu spüren, er blähte die Nüstern, und strebte immer dynamischer vorwärts. Rutger lenkte ihn seitlich um ein Ochsengespann herum, ließ ihm dann die Zügel lang, und ritt hochaufgerichtet in der Mitte der Straße weiter. Etwas wehmütig richtete er den Blick auf ein paar fedrige Wolken, die hoch oben im leuchtend blauen Himmel schnell nach Norden trieben, weiß strahlend, und ständig ihr Form ändernd. Mal sahen sie aus wie ein Rudel flüchtender Rehe, dann wie eine lange Barke die da oben eilig dahinsegelte, und dann wiederum erinnerten sie ihn an riesige Schwäne.
    Die Anwesenheit der beiden Römer auf dem gewaltigen Ross hinter sich versuchte Rutger einfach zu vergessen, während er versunken den Wolken nachsah, den Ritt genoß, und sich ein wenig der Illusion von Freiheit hingab.

  • Ich warf einen kurzen Blick auf Rutger, der sich mit Canus wahrlich kein leichtes Pferd ausgewählt hatte, aber so würde sich meine aufsässige Neuerwerbung wenigstens während der Reise nicht langweilen, soviel war sicher. Dass er mit dem widersinnigen Frauen zurecht kommen würde, daran zweifelte ich nicht, zumindest nicht nach seinen eigenen Worten über seine Vergangenheit. Ein germanischer Krieger, der nicht reiten konnte, war eine Unmöglichkeit, und schon auf dem Hinweg zum Treffpunkt hatte er sich gut auf dem übellaunigen ehemaligen Armeepferd gehalten. Dann allerdings wurden meine Gedanken abgelenkt, und das sehr deutlich, denn ich fühlte den Körper meines Gefährten allzu deutlich an den meinen sich schmiegen. Es würde ein langer Ritt nach Ostia werden, soviel hatte ich bereits im Gefühl, und wahrscheinlich würde es mehr eine Marter denn ein Vergnügen werden, wenn ich ihn so deutlich fühlen musste, aber nun hatten wir es so schon begonnen, es gab kein Zurück mehr.


    Ich lenkte meinen Lapsus Rutger nach, der vorausgeprescht war, und ließ ihn Geschwindigkeit aufnehmen, denn was das Armeepferd konnte, das konnte mein breitschultriger, hühnenhafter Kaltblüter schon lange. Wir hatten ihn nach kurzer Zeit bereits eingeholt, während der ich die Arme des Corvinus um meinen Körper so deutlich fühlte wie die Wärme seines Leibes an meinem. Ich würde wirklich stark sein müssen, nicht des Nachts über den jungen Aurelier herzufallen, überlegte ich und vertrieb den Gedanken alsbald aus meinem Hinterkopf. Es war ein strahlender Herbsttag, und trotz der wärmenden Strahlen der Sonne konnte man schon fühlen, dass die Intensität des Sommers vergangen war. Ein perfekter Tag für einen Ritt nach Ostia, und ich bereute es nicht, ihn begonnen zu haben. "Geht es? Kannst Du Dich gut festhalten? Denn dann werden wir ein bisschen schneller," rief ich nach hinten, meinem Reisegefährten zu, während Lapsus langsam, aber sicher aufzuholen begann, einigen Reisenden auf der via ausweichend.

  • Der Sklave schien sich kein angenehmes Reittier ausgesucht zu haben. Ich hoffte, dass unser Tier nicht so einen Aufstand machen würde, doch bisher sah es nicht danach aus. Aquilius dirigierte das Pferd, das so hieß wie es nicht sein sollte, dem Germanen auf seinem kleineren Tier hinterher und gab ihm dann die Fersen. Ich hielt mich hastig an Aquilius' tunica fest und wagte kurz darauf einen Blick nach unten. Wo eigentlich Gras sein sollte, war eine wehende, verwischte grüne Fläche. Ich gestand es mir nicht gern ein, aber ich hatte nicht unbedingt ein gutes Gefühl dabei, wenn ich an dem mächtigen Pferdeleib hinunter sah und mir vorstellte, dass ich mit gebrochenem Genick im sprießenden Gras liegen würde, wenn ich nun den Halt verlor. Ich schloss die Augen und wagte es, mich an Aquilius' Hüfte zu halten. Das prickelnde Gefühl, dass ich verspürt hätte, wenn wir nicht gerade zwei Meter über dem Boden auf einem Pferderücken übers Gelände gerauscht wären, blieb aus. Stattdessen fühlte ich mich ausgehöhlt und ganz so, als würde ich nie wieder vom Pferd steigen können, sollten wir irgendwann wieder anhalten. Pferderennen waren eben doch etwas anderes. Und ich wusste schon, warum ich das Reiten bisher nie erlernt hatte.


    Aquilius' Worte kamen mir für einen winzigen Moment wie blanker Hohn vor, er mutierte zu einem kleinen, boshaften Menschen, der sich nur an meiner eigentlich unbegründeten Angst weiden wollte, dann aber besann ich mich und schlang die Arme vollends um Aquilius' Oberkörper. Manch einer mochte einen Hintergedanken vermuten bei dieser Geste, ich aber hatte nur einen Gedanken dabei: Bloß nicht hinunterfallen! Es dauerte eine Weile, in der ich versuchte, mich zu entspannen, was mir letztendlich zumindest bruchstückhaft gelang, dann erst antwortete ich ihm, während wir gerade an einigen Passanten vorbeischossen. Dass das Pferd noch schneller werden konnte, erschien mir im ersten Moment unmöglich. Es musste schon Hermes selbst sein, mit Flügeln an den Läufen, um seine Geschwindigkeit noch zu steigern.


    "Ich vertraue dir", rief ich gegen das Zischen des Windes an, in der Hoffnung, der Flavier würde mich hören. Was hatte mich nur dazu veranlasst, einer Landpartie zu Pferd zuzustimmen? Vielleicht war es die bloße Anwesenheit Aquilius' gewesen, damals, in der villa Aurelia. So musste es gewesen sein. Er hatte meine Gedanken vernebelt und ich hatte einfach zugestimmt, ohne nachzudenken, ohne zu erwähnen, dass ich Angst vor Pferden hatte. Wenigstens gedanklich konnte ich dieses Eingeständnis machen, wenn ich es schon nicht offen zugeben konnte. Außerdem wollte man schließlich nicht als Feigling gelten.


    Während ich so grübelte und mich selbst für diese dumme Entscheidung scholt, wurden wir noch schneller und ich merkte es nicht einmal. Und doch, der Wind riss heftiger an meinem Haar und meiner Kleidung, zischte lauter in meinen Ohren und kühlte meine Haut. Einzig die Vorderseite meines Körpers blieb warm, gewärmt von Aquilius, der ja vor mir saß und den ich nun für seine Reitkunst bewunderte. Fast war ich versucht, mich etwas zu recken und den Kopf an sein Ohr zu schieben, um ihm zu offenbaren, was ich in diesem Moment fühlte, dass ich Angst hatte und diese Angst sogar meine Begierde niederkämpfte, doch es erschien mir unpassend und des Moments nicht würdig. Also lenkte ich den Blick an seiner Schulter vorbei nach vorn und versuchte mich so gut zu halten wie es mir möglich war.

  • Ganz so leicht ließen sich die beiden Römer dann doch nicht ausblenden. Die Hufe ihres monströsen Reitieres dröhnten förmlich in Rutgers Ohren, als sie aufholten, und dann trottete Lapsus schon wieder neben Canus. Rutger warf einen Blick zur Seite auf die beiden, sah wie inbrünstig sich Corvinus festklammerte, und daß er nicht gerade den Eindruck machte, den Ritt zu genießen.
    'Eben ein typisch dekadenter Römer', dachte sich Rutger und schmunzelte überheblich, als er seine Vorurteile so bestätigt sah, 'Ein wenig frische Luft, und sie kippen schon halb aus den Sandalen... Wie nur ist es ihnen gelungen all diese Länder zu erobern? List und Tücke, denke ich...'


    Er spornte den Grauen, der streckte sich, fiel in einen rasanten Trab, und zog wieder an Lapsus vorbei. Die freie Straße vor ihm brachte Rutger unweigerlich auf den Gedanken, wie das wäre, jetzt seinen "Herrn" abzuhängen, einfach davon zu galoppieren, und für immer zu verschwinden... grinsend stellte er sich dessen Gesicht vor, aber gleichzeitig war ihm klar, daß das vielleicht ein effektvoller, aber kein erfolgversprechender Abgang wäre - bestimmt würde man ihn schnell wieder einfangen, und dann der Knochenmühle überlassen... warum dachte er denn jetzt bloß wieder daran? Er schüttelte den Gedanken ab, der nicht zu diesem schönen Tag passte, ließ sich den Wind um die Nase wehen, und genoß das kraftvolle Vorwärtsstreben seines Pferdes.


    Über die Schulter hinweg sah er auf Aquilius. Holte der gerade etwa schon wieder auf? Rutger warf ihm ein herausforderndes Grinsen zu, richtete den Blick wieder nach vorne, und trieb den Grauen in den Galopp. Leicht hob er sich in den Steigbügeln, als die Muskeln des Tieres unter ihm sich strafften, die Hufe auf den Boden donnerten, und Bäume und Passanten rasend schnell an ihm vorbeiflogen.
    Herrlich, berauschend! Noch ein Blick zurück geworfen, und - Hoppla! Der Graue, der schon wieder viel zu lange brav gewesen war, warf, vielleicht aus Lebensfreude, vielleicht um seinen Reiter loszuwerden, in vollem Galopp die Hinterbeine hoch in die Luft.
    "Angrbrodas Brut!"
    Rutger krallte erschrocken eine Hand in den Sattelknauf, klammerte sich mit den Knien fest, und verlagerte hastig sein Gewicht nach hinten, um nicht im Sturzflug auf der Straße zu landen.
    "Hoh, ruhig, du Bestie!"
    Der eigensinnige Wallach dachte gar nicht daran. Er setzte lieber über den Straßengraben, senkte den Kopf zwischen die Vorderbeine und bockte wild. Ein schmuddeliger Wandersmann, an dem Rutger eben ziemlich knapp vorbeigeprescht war, lachte schon schadenfroh, in Erwartung eines spektakulären Sturzes, aber nein - gerade noch gelang es Rutger sich im Sattel zu halten, und dann tatsächlich auch, die wilde Bestie wieder zu zügeln. Etwas blass um die Nase war er geworden, aber nichtsdestotrotz, sobald er Canus wieder im Griff hatte, lachte er unbekümmert, fasste die Zügel fester, und ließ ihn - um sich keine Blöße zu geben - über den Graben zurückspringen, um sich wieder zu den anderen zu gesellen.

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