Wieder war ein langer Tag an mir vorüber gestrichen und mir war nach ein wenig Ruhe und Abgeschiedenheit von der Welt. Die lärmenden, öffentlichen Thermen waren mir an diesem Tag ein Greuel, ich wollte nicht irgendwem begegnen, den ich kannte und mit dem ich dann wahrscheinlich noch hätte ein Gespräch führen müssen - derzeitig war mir nicht nach Gesellschaft, nicht nach politischem Taktieren, lauernden Worten, süßem Lächeln oder sonstigen Formen des menschlichen Miteinanders, denen man in Rom an keiner Ecke entkam. Ab und an war es mir einfach zuwider, mit jedem Blick angelogen zu werden, und selbst lügen zu müssen.
Mir waren die lächelnden Weiber zuwider, die um die nächste Straßenecke bogen und sich dort in die willigen Arme ihrer Liebhaber stürzten, ich konnte den tierhaft stinkenden Pöbel nicht mehr sehen, der sich an blutigen Spielen ergötzte, weil er zu faul war zu arbeiten und von den Amtsträgern der Stadt durchgefüttert wurde, damit dem Kaiser das Volk zujubelte, wann immer er sich durch die Stadt bewegte, ich konnte die fetten Patrizier nicht mehr sehen, die sich im Bewußtsein ihrer eigenen Wichtigkeit sonnend mit ihren Schmerbäuchen auf Sänften durch die Stadt tragen ließen, zum nächsten Lustknaben, zur nächsten Orgie - kurz und gut, Rom hatte als Gesamtheit bei mir wieder einmal jenen Abscheu hervorgerufen, den es immer wieder auslöste und dem ich nur durch eine Reise weit fort oder eben einige Stunden allein im Bad irgendwie entkommen konnte.
So hatte ich mich alleine ins balneum der Villa Flavia begeben, darauf geachtet, dass mir niemand folgte, mir von Nefertiri einige Kerzen bringen lassen und dann hatte ich mich ins Wasser gleiten lassen, den Kopf auf den marmornen Rand des Beckens gelegt, die Augen geschlossen und mich meinen Erinnerungen überlassen. Erinnerungen an Olivenhaine, den würzigen Duft der Kräuter im Frühling und Sommer, die sich mit wogendem Weizen mischten, das sanfte Rauschen der Baumwipfel im lauen Wind, der sich über das Land schlich und sich den Hügeln, aber auch Klippen nahe des Meeres anpasste wie ein Schleier dem Gesicht einer schönen Frau.
Nur, als ich in Gedanken diesen Schleier hob, war es ein höchst vertrautes Antlitz, mit kurz geschnittenem Haar und männlichen, markanten Zügen, deren Augen den meinen mehr glichen, als es uns vielleicht lieb sein mochte. Ama te. Warum er, warum konnte ich nicht vergessen? All die Jahre, all die dampfenden Körper, auf denen sich der meine bewegt hatte, all die stöhnenden Münder, die sich in meiner Erinnerung zusammenquirlten und zu einem einzigen wurden, den ich nicht küssen durfte ... ich seufzte leise und legte eine Hand auf meine Lendengegend, schützend und mit einem bitteren Beigeschmack dieser Erinnerung zugleich. Und wieder ahnte, wusste ich es: Im Grunde waren wir Flavier alleine, alleine in den tiefsten, dunkelsten Abgründen unserer Seele ...