An einem kühlen Herbstmorgen

  • ...betrat Rutger mit zwei langen Rundhölzern in der Hand den Hof, und sah sich suchend um. Der Grund war noch feucht von einem Regenschauer, der des Nachts niedergegangen war, und ein ganz leichter Bodennebel lag darüber wie ein feines Linnen. Es zerfaserte, als Rutger mit langen Schritten des Hof überquerte, und auf den Garten zusteuerte. Vielleicht war der Flavier ja dort?
    Seit den frühen Morgenstunden war Rutger schon auf den Beinen, und hatte seinen Teil der Stallarbeit erledigt. Etwas unangenehmes hatte er wohl in der Nacht geträumt, irgendetwas um diese verfluchte Knochenmühle, aber die Bilder waren während der Arbeit bei den edlen, ruhigen Tieren verflogen, und jetzt erinnerte er sich nur noch ganz vage daran, und ärgerte sich lediglich ein bisschen, dass diese Drohung ihn so... nun ja... beschäftigte.


    Über eine akkurat gestutzte Grasfläche betrat er den Garten, duckte sich unter den tropfenden Zweigen eines Zitronenbaumes hinweg, und folgte einem schmalen Pfad, der sich zwischen üppigen Rosenstäuchern spielerisch dahinschlängelte. Einige späte Blüten bildeten purpurrote Farbflecke zwischen den fahlen und verwischten Tönen, in denen dieser trübe Morgen gezeichnet war. Ihr Duft, schwer und betörend, mischte sich mit dem Geruch von nasser Erde, von gefallenem Laub, und mit dem allgegenwärtigen Dunst der ungeheuren Stadt.
    Weißer Kies knirschte unter Rutgers Schritten, ein Vogel sang unverdrossen in einem minutiös beschnittenen Busch, und das Fallen der Wassertropfen von den Bäumen bildete ein beständiges Rieseln im Hintergrund.


    Leise vor sich hinsummend, ging Rutger weiter, schwang im Gehen die Stäbe in der Hand auf und nieder, und bog in einen anderen Pfad ein. Der wand sich um einen kleinen Teich herum, und endete vor einer imposanten Mamorstatue. Den Flavier konnte Rutger da zwar auch nicht entdecken, aber die Statue mußte er sich genauer ansehen.
    Es war eine erhabene Frowe mit einem Helm auf dem Kopf und einem Gewand mit unzählig vielen Falten. Einen Arm reckte sie hoch gen Himmel, auf dem anderen trug sie eine Eule. Ihre reinweiße Gestalt spiegelte sich unscharf im grau erscheinenden Wasser des Teiches. Sie sah sehr echt aus, und es schien Rutger, als könne sie jeden Moment von ihrem Sockel hinunter steigen. Oder vielleicht würde die Eule plötzlich ihre Flügel spreizen, und sich in Lüfte schwingen? Er trat näher heran, und betrachtete sich das Tier genau. Da war jede einzelne Feder im Stein abgebildet! Neugierig hob er die Hand, berührte die kalte glatte Oberfläche, und fuhr fasziniert an den elegant gemeißelten Konturen des steinernen Gefieders entlang. Schön.

  • Mein Tag hatte so früh begonnen wie jeder andere auch, ich musste zwar die salutatio im Morgengrauen nicht mitmachen, aber zu jener Zeit begannen die Tagesgeschäfte und bevor ich in den Tempel gehen würde, stand noch etwas Leibesertüchtigung mit meinem Sklaven auf dem Programm. Wenigstens darin glaubte ich eine nicht allzu schlechte Figur zu machen, wenn ich mir schon nicht sicher war, wie ich mit Rutger umgehen sollte, um ihm seinen Starrsinn und die Anti-Römer-Haltung abzugewöhnen, so konnte ich wenigstens versuchen, eine Art Verhältnis zu ihm aufzubauen. Wie weit er mir nützlich sein konnte, stand jedenfalls in den Sternen und ich glaubte auch nicht, dass es allzu bald der Fall sein würde, dafür war er einfach zu alt. Einen Jungen hätte man vielleicht formen können, diesen Hass irgendwann abzulegen, aber ein erwachsener Mann ... wie ich es gewohnt war, hatte ich mich mit einfachen Dehn- und Streckübungen warm gemacht, die Muskeln nach der fast schlaflos verbrachten Nacht gelockert und mir das Leben mit einem Guss eiskalten Wassers zurück in den Körper getrieben.


    Nefertiri hatte mich nach dem Aufwärmen angekleidet, ein Vorgang, der inzwischen so abgestimmt war, dass ich dabei nachdenken konnte, ohne der Tatsache Aufmerksamkeit zuwenden zu müssen, dass mein Körper gerade in mehrere Lagen Kleidung gesteckt wurde. Heute fiel die Schichtung allerdings etwas geringer aus, eine Tunika, ein Lendentuch und Sandalen mussten vorerst reichen, ein mit einem togabewehrten Mann trainierender Sklave hätte auch reichlich seltsam gewirkt. Als ich die Villa verließ und in den hortus trat, atmete ich unwillkürlich ein. Die bis zur Vollendung getriebene Gärtnerskunst mischte sich hier mit dem Frühnebel, der über alles und jeden einen zart schimmernden Flaum Feuchtigkeit gelegt hatte, und verlieh dem Ort einen ganz besonderen Reiz, einen Zauber, den ich auf diese Weise bisher nicht wahrgenommen hatte. Es mochte schlichtweg auch daran liegen, dass ich mich um diese Zeit höchst selten im Garten herumtrieb, aber ich war nicht unfroh über den Zufall. Es gab wenig an Rom, das mir wirklich gefiel, aber dieser Augenblick der Vollkommenheit, in dem Aurora begann, den Himmel mit einem vagen Schimmer des goldenen Tageslichts zu überziehen, der von den Blättern und Grasenden reflektiert wurde, ließ mir das Herz leicht und weich werden.


    Still und fast lautlos schritt ich über den gepflasterten Weg, nicht wagend, die tauglänzenden Spitzen des Rasens durch meine Schritte zu entweihen, blickte mich einfach um, während die noch in kleinen Resten vorhandene morgendliche Kühle versuchte, mich in ihren Bann zu ziehen. Erst als der Kies unter meinen Sandalen zu knirschen begann, verließ ich den gepflasterten Pfad gänzlich und folgte dem Kiesweg tiefer in den hortus hinein, unwissend Rutgers Spuren nachtretend. Der kleine Teich kam in den Blick, und als ich dort meinen Sklaven in stiller Betrachtung der dort vorhandenen Athene-Statue erblickte, musste ich unwillkürlich lächeln. So etwas vollkommenes wie diese ausdrucksstarke Bildhauerarbeit gab es wohl in Germanien nicht, und auch ich hatte die Statue bereits mehr als einmal bewundert. Langsam näherte ich mich ihm, diesmal aber nicht darauf bedacht, allzu leise zu sein, denn er sollte nicht erschrecken.
    "Sie ist wundervoll, nicht wahr?" fragte ich, als ich ihn erreicht hatte, und betrachtete auch die Eule, dann das ruhige, der Welt zugewandte Gesicht der Athene nachdenklich. "Weisst Du, wer die Göttin ist, die hier dargestellt ist? Wenn nicht, erkläre ich es Dir gerne."

  • Als Aquilius' Schritte sich näherten, wandte Rutger sich ihm zu, mit auf einmal gar nicht mehr so gelöster Miene. Die Stäbe stützte er leicht auf den Boden, und ließ seine Hände darauf ruhen, während der Römer herantrat.
    "Sie ist sehr schön." gab er zu.
    "Und so besonnen. - Ist das nicht..." - seine Stirn legte sich in Falten, als er angestrengt versuchte, sich an etwas zu erinnern, das lange her war - "...mit der Eule, das ist doch... A-thy-naia, nicht? Die diese arme Weberin in eine Spinne verwandelt hat, und einen verkrüppelten Schmied zum Mann hat, den sie ständig betrügt. Oder?"
    Fragend sah er Aquilius an.


    "Ich habe mal ein Bildnis von ihr gesehen, in Colonia." fügte er dann, etwas zögernd, hinzu. "War aber kleiner. Und nicht so weiß."
    Er tat einen Schritt an den Rand des Teiches, neben ein akkurat abgezirkeltes kleines Röhricht mit Schilf und braunen Rohkolben, in dem es leise knisterte. Bunte Fische stiegen bis an die Wasseroberfläche auf, und einige, gewöhnt daran stets gefüttert zu werden, sperrten weit ihre dicklippigen Mäuler auf.
    "Ist das hier für euch ein Heiliger Hain?"

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