Die Koppel und die große Weide

  • "Nein, kannst du nicht.", konterte Lando kühl, wobei er gleich merkte, dass er wohl zu hart zu ihr war, "Also, es geht mir darum: wenn ich dir jetzt erlaube mit einem Bock aufzusteigen, wäre das wahnsinnig einfach für dich. Bequem. Geradezu müßig. Das bringt dir aber nicht im geringsten das bei, was du können musst: reiten. Wenn du ausreitest, alleine, und du fällst vom Pferd, weit und breit nichts zu sehen, was dir helfen könnte wieder auf das Tier zu kommen, und du bist drei Stunden ZU PFERD von Mogontiacum entfernt. Was würdest du dann machen? Fluchen, dass du nicht gelernt hast aus dem Stand auf das Pferd zu kommen, so wie ich es wollte. Also... ich zeig es dir."


    Er drängte die Römerin sanft zur Seite, stellte sich vor die Seite des Tieres, platzierte eine Hand auf dem Halsende des Tieres ohne in die Mähne zu greifen, die andere auf etwas davon entfernt nahe der Wirbelsäule des Tieres, sprang mit Schwung hoch, und als er den Zenit des Sprungs erreicht hatte drückte er sich mit beiden Händen vom Rücken des Tieres ab, schwang ein Bein herüber und sich selbst in eine aufrechte Position.


    "So geht das. Nicht an den Haaren hochziehen. Hochspringen, Schwung mitnehmen, raufdrücken.", sprach er, während er sich wieder vom Pferderücken gleiten ließ, um Callista die Chance zu geben es ihm nachzumachen. Das Tier war nicht allzu groß, wie alle Pferde im Norden ging es den Menschen nicht einmal bis zu den Schultern. Von der muskelbepackten Maschinenart der hochgezüchteten Tiere, die fast zweitausend Jahre später als Reittiere benutzt wurden war diese Art noch weit entfernt.

  • Natürlich. Es war zu einfach. Callista seufzte verlegen und beobachtete dann ganz genau, was Lando tat. Es sah sehr einfach aus, wie er auf Sirwing aufstieg und sie konnte sich nun in etwa ausmalen, wie lächerlich sie ausgesehen haben musste. Allerdings hatte Lando nicht gelacht und somit überging sie es einfach und versuchte stattdessen noch einmal ihr Pferd zu erklimmen. Die Technik war zwar verstanden, aber es fehlte der kleinen und schmächtigen Römerin an Kraft sie umzusetzen. Ihre Arme waren bei weitem nicht trainiert genug, aber sie schaffte es doch irgendwie und saß oben. Von Eleganz keine Spur. Allerdings war Sirwing wirklich ein ruhiges Tier, sie störte sich nicht an der Frau und deren Turnübungen, sondern stand einfach still. Wie automatisch beugte sich Callista ein Stück vor und tätschelte der Stute ihren Hals, was diese mit einem Brummeln quittierte, was Callista lächeln ließ.


    Das warme Fell unter ihr fühlte sich toll an und es kamen Erinnerungen hoch, die sie längst vergessen hatte. Wie früher als Kind saß sie nun mit bloßen Beinen und spürte ein weiches Lebewesen unter sich, ein großes Pferd, dass trotz seiner Kraft und Stärke tat was sie wollte. (Oder wenigstens in etwa...) Wobei, das Aufsitzen war ja nur der Anfang, Sirwing hatte sich noch nicht mal in Bewegung gesetzt. Da konnte man ja nicht von reiten sprechen. Callista hoffte nur, sie würde nicht fallen. Etwas stolz und gleichzeitig etwas schüchtern blickte sie zu Lando. Würde er ihren ersten kleinen Erfolg kommentieren?

  • Ein perfekter Pädagoge. Das war Lando sicherlich nicht. Und so war die Reaktion auf die geschaffte Besteigung des Pferdes nicht unbedingt die euphorischste: "Na, das wäre geschafft. Und jetzt noch einmal... so lange, bis es dir leicht fällt."


    Landos Meinung nach war es mehr als freundlich, das zu sagen. Aber wie so oft, konnte er nicht darauf zählen, dass andere diese Einschätzung teilten.

  • Noch einmal? Stirnrunzelnd schaute Callista zu Lando und traute sich fast gar nicht zu seufzen. Sie ließ sich von Sirwing herunter gleiten und streckte einmal kurz die Beine. Dann versuchte sie es erneut. Äußerst unelegant und bei weitem nicht so sportlich wie Lando, hievte sie sich rauf und rutschte wieder runter. Ganz wie sie erwartet hatte musste sie diese Übung noch ein paar Mal wiederholen. Doch irgendwann zwischendurch war es, als hätte ihr Körper die Reihenfolge der Bewegungen gespeichert, es fiel ihr leichter und immer leichter. Auch wenn es wahrscheinlich Wochen brauchen würde bis es zu einer solchen fließenden Bewegungen würde wie bei den anderen, die immerhin schon ihr ganzes Leben lang ritten. Sie spürte bereits Muskeln in ihren Beinen, wo sie nicht mal welche vermutet hatte und wunderte sich insgeheim, wie sie morgen noch laufen können sollte. Ein warmes Bad war bitter nötig, um den schlimmsten Muskelkater abzuwenden. Und dabei hatte sich Sirwing immer noch kein Stück fortbewegt!!


    Als sie wieder oben saß, blieb sie einfach sitzen. Sie hatte genug vom rauf und runter klettern und sah zu Lando. "Und jetzt?" fragte sie leise. Hoffentlich verlangte er nicht noch mehr Turnübungen.

  • Zufrieden beobachtete Lando, wie Callista sich immer versierter zeigte. Er lehnte sich mittlerweile gegen die hölzerne Umfassung der Koppel, und sah der Römerin dabei zu wie sie sich auf das Pferd hievte, wieder runtergleiten ließ und nochmal von vorne begann. Immer wieder.


    Bis er das Gefühl hatte, sie hätte genug geübt. Für heute. Als sie oben saß, sah sie ihn fragend an, und Lando nickte zufrieden. Er nahm das Pferd bei den Zügeln, und zog es am Zaun entlang, damit es in leichten Schritt überging. Es war kein Problem oben zu bleiben, aber darum ging es aber auch garnicht.


    "Wie du vielleicht bemerkst, hebt ein Pferd beim gehen immer zwei Beine gleichzeitig nach vorne.. erst links, dann rechts, dann links, dann rechts, dann wieder links, dann rechts. Wie wir Menschen erst das eine, dann das andere Bein belasten und dazwischen das Gleichgewicht verlagern, so macht es ein Pferd mit vier Beinen. Das führt dazu, dass du dort oben eine leicht schaukelnde Bewegung machst, wenn das Pferd das Gleichgewicht verlagert. Im Schritt ist das kein Problem... im Trab wieder es schon arg schaukelnd, und im Gallopp wird das zu einer ernsten Gefahr für deine Knochen. Irgendwann wirft es dich auf diese Art und Weise einfach ab, deshalb musst du ein Gefühl für den Rhythmus deines Pferdes entwickeln.", sprach Lando, während er Callista wie ein kleines Kind auf dem Rücken des Pferdes über die Koppel führte. Steigbügel gab es selbstverständlich noch nicht, also war der Mensch dem Hin- und Her des Pferdes auch hilflos ausgeliefert, wenn er nicht trainierte eben dieses Schaukeln auszugleichen. Was früher oder später voll in die Beine ging.

  • Uuuuh, es ging los. Endlich. Callista grinste selig vor sich hin und lauschte den Ausführungen von Lando und ließ sich kein Stück davon stören, dass er sie wie ein kleines Kind behandelte. Besser so, denn damit konnte sie umgehen. Jedenfalls erklärte er sehr sinnig und nachvollziehbar, so dass sie nickte und zu ihm sah. "Wenigstens fall ich von ihr nicht ganz so tief." machte sie wohl einen der ältestens Witze und lächelte sanft. Dabei ging sie felsenfest davon aus heute noch das ein oder andere Mal runterzufallen. Jetzt im Schritt war es kein Problem oben zu bleiben, aber mit Reiten hatte das auch nicht viel zu tun.

  • "Fallen?", sprach Lando, der auf einmal sehr ernst wurde, "Das Hauptziel ist es, dass du GARNICHT fällst. Wer fällt, stirbt. Alleine im Stammbaum sind zwei Namen, deren Träger die letzten Momente ihres Lebens auf dem Rücken von Pferden zugebracht haben. Sprich: reiten ist ebenso schön wie gefährlich. Besonders für eine Frau."


    Was Lando schon fast leid tat, war so hart sein zu müssen. Aber immerhin ruhte auf dieser Frau auch ein gewisses dynastisches Interesse, zwar war der Nachwuchs für ihn nicht so wichtig wie sein eigener, aber aus Familieninteresse war daran schon viel mehr gelegen. Es war Frauen, die schwanger waren nicht ohne Grund beinahe gänzlich verboten ein Pferd zu reiten. Und Lando wollte sich auch nicht Witjon gegenüber dafür verantworten müssen, weil er seiner Frau beigebracht hatte wie man im Gallopp über die Weiden prescht.

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