In eine ungewisse Zukunft

  • So lange ich in meiner Erinnerung auch zurückging, aber auf ein solch mildes Wetter um diese Jahreszeit konnte ich beim besten Willen nicht zurückblicken. Es musste also ein Zeichen der Götter gewesen sein, dass ich derart problemlos die Alpen überqueren konnte. Kein Vergleich zu meinem Germanienaufenthalt vom letzten Jahr - Eiseskälte, Schneemassen und verstopfte Verkehrswege prägten damals das Bild.


    Kürzer als erwartet, aber nicht weniger erschöpft, entstieg ich - mich unentwegt reckend - der Reisekutsche und steuerte auf die Villa zu. 'Was würde mich hier erwarten? Wie würde ich von meinen Familienmitgliedern empfangen werden? Wussten sie schon von meinem Schritt, der mich von ihnen losreißen würde? Wenn nicht, wie sage ich es ihnen?' Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort wusste.


    Den Kopf voll schwerer Gedanken ließ ich nicht erst an der Porta meine Ankunft vermelden, sondern trat unangekündigt ins Atrium. Bloß jetzt nicht hinsetzen, der Po schmerzte noch von der langen Fahrt am heutigen Tag. Also schlenderte ich um das Becken, wobei ich die wenigen Blühpflanzen kaum bemerkte. Mein Blick war nach unten gerichtet.


    Edit: Zeichen geändert.

  • Nachdem ich in Rom alles erledigt hatte, was es an dringlichen Dingen gab - und es war nicht sehr viel, da machte ich mich nach Mantua auf. Aus verschiedenen Gründen. Zum Einen war ich viel zu lange nicht mehr dort gewesen, auch würde ich hier in Bälde ein Treffen haben, und zuletzt musste ich einfach mal wieder ausspannen. Die letzten Wochen waren unangenehm und hart gewesen. Hier nun konnte ich aufatmen. Leise flötend betrat ich das Atrium, und nachdem meine Augen sich langsam an das Licht gewöhnten, erkannte ich, das ich nicht alleine war....

  • Und weil mein Blick nach unten gerichtet war, bemerkte ich Cicero nicht. Noch immer kreisten meine Gedanken um die Vorgänge, die ich selbst angeschoben und deren Auswirklungen ich derzeit nicht einschätzen konnte – mir fehlten die nötigen Informationen. Ich hoffte, meinen Vater zu treffen oder wenigstens eine Nachricht von ihm vorzufinden. Neben all der Ungewissheit, die mich plagte, war dann noch die Unsicherheit: Ich freute und fürchtete mich zugleich vor dem Zusammentreffen mit meiner Familie, meiner ehemaligen Familie, die in meinem Herzen doch immer die einzige bleiben würde. Ich seufzte vernehmlich und langsam kam Herzklopfen auf.

  • Ich glaubte an eine Erscheinung und rieb mir leicht die Augen, doch das Bild vor meinen Augen blieb, und mein Herzschlag erhöhte sich. Viele Gedanken jagten durch meinen Kopf, mit Deandras Anwesenheit hatte ich nun zu allerletzt gerechnet. Eine Weile betrachtete ich sie, da sie meiner noch nicht gewahr wurde, und iIhre Bewegungen verrieten mir viel über ihren Gemütszustand. Ich beschloss, sanft auf mich aufmerksam zu machen. Still stehenbleibend sprach ich die Worte:

    *Räusper* :D

  • Erst Momente später drang das Räuspern zu mir durch – musste es sich doch zunächst den Weg durch schwere Gedanken bis in mein Bewusstsein bahnen. Ich blieb stehen und wandte mich langsam der Geräuschquelle zu. Cicero, mein Onkel also … Und sein Auftreten ließ mich nichts Gutes ahnen. Früher wäre er herangestürmt und hätte mich umarmt, heute räusperte er sich nur. Ich schaute bedrückt zu Boden. ‚Aber gut, das war zu erwarten gewesen und da musste ich jetzt durch.’


    Wieder atmete ich schwer aus, dann blickte ich auf und machte mich für einen Schwall an Vorwürfen bereit.


    „Onkel Cicero?“ Es sollte ein Gruß sein, dabei klang es vielmehr wie eine unsichere Frage.

  • Langsam näherte ich mich und spürte ein gewisses Unbehagen bei meiner Nichte. Und vergeblich versuchte ich, einen Augenkontakt herszustellen. Als sie mir direkt gegenüberstand, da verharrte ich. Regungslos, nur schauend. Doch ihr Kopf blieb gesenkt. Vieles hätte ich sagen wollen, doch meine Gefühle überschlugen sich, also schwieg ich, um ihnen Zeit zu geben, sich zu ordnen.


    Dann, nach einer scheinbar endlosen Zeit, legte ich sanft meine Hände um die Schultern meiner Nichte. Erst vorsichtig, als hätte ich sie zerbrechen können, dann kräftig - ganz so, als wollte ich ihr signalisieren, das sie sich ganz auf meinen Schutz verlassen konnte. Weitere, endlose Augenblicke vergingen.

    Deandra....... Kind........

  • Während ich den Druck der Hände spürte, nahmen meine Augen an Größe zu und die Brauen verformten sich – ganz so, als würden ich Schmerzen empfinden und so war es auch … seelische. Ich fixierte die Augen meines Onkels, doch schon bald verschleierte sich mein Blick, weswegen ich wieder zu Boden blickte.


    „Es tut mir so leid“, hauchte ich. Sicher fühlte ich mich nicht nur, sondern sah auch aus wie ein Häufchen Unglück.

  • Meine Hände, die noch immer ihre Schultern umklammerten, glitten sanft zum Gesicht meiner Nichte. Ihre Wangen umschließend, erhob ich ihren Kopf, so dass sie meinen Blicken nicht mehr entrinnen konnte. Mit meinen Augen versuchte ich nun, tief in ihre Seele zu schauen. Ihre weiche, warme Haut, lag in meinen Händen, und ich spürte das Leben, das von meiner Nichte ausging. Meine Daumen streichelten sanft ihre Wangen, und es verging erneut eine kleine Ewigkeit.


    Eine Haarlocke meiner Nichte lag nicht so, wie sie hätte liegen sollen, und mit einer vorsichtigen Bewegung brachte ich sie wieder ins rechte Lot, um dann erneut mit beiden Händen ihr Gesicht zu halten.


    Ssssssssst


    Ich spürte so sehr, wie angenehm es war, einem Menschen nahe zu sein. Ich verlor meine Frau, ich verlor meine beiden Töchter.....


    ......Ich lasse nicht zu, Dich zu verlieren

  • Ich hatte mich auf Vorwürfe eingestellt, auf eisige Ablehnung, auf Schweigen, auf alles, aber nicht auf eine liebevolle Begrüßung. Und doch drängte sich mir eine Frage auf.


    „Was bleibt uns noch, wo ich nun rechtlich nicht mehr zu euch gehöre? So ist es doch. Dabei weiß ich nicht einmal, wer meine neue Familie ist. Und du verzeihst mir?“, fragte ich ungläubig. Die Gedanken stürzten gerade wild durcheinander und so redete ich auch.

  • Ich legte eine ernste Miene auf.


    Du hast, wie ich erfuhr, meinem Bruder einen Brief geschrieben.


    Du hast meinem Neffen einen Brief geschrieben.



    Doch ich erfuhr von Dir nichts. DIESEN Vorwurf muss ich Dir machen, das Du mich nicht ins Vertrauen gezogen hast.


    Lange konnte ich die kalte Miene jedoch nicht aufrecht erhalten, und so wurde mein Blick wärmer, meine Hände streichelten ihre Wangen. Vieles würde ich nun ansprechen, doch gab ich meiner Nichte Zeit.

  • „Ja.“ Ich senkte den Kopf, da gab es nichts zu erklären. Oder doch? Wieder blickte ich auf. „Ins Vertrauen gezogen? Corvi wusste nichts von meinen Absichten. Ich habe ihm gegenüber mein Vorhaben bestenfalls angedeutet, aber nicht offen anvertraut. Aber ich habe es für notwendig empfunden, ihm meinen langen Aufenthalt in Germania zu erklären, weil ich bei seiner Abreise zugesichert habe, bald nachzukommen.“


    Sodann blickte ich verlegen zur Seite, weil ich mich bemühte, eine vernünftige Formulierung für meine nächste Frage zustande zu bringen. Doch irgendwie wurde es nix, so sehr ich mich auch anstrengte.


    Also fragte ich einfach: „Was denkst du jetzt?“ Er würde schon verstehen, was ich meine.

  • Ich umarmte meine Nichte - ich drückte sie fest an meine Brust - und so verharrte ich. Es war eine erneute Ewigkeit, dann nahm ich sie bei der Hand und führte sie zu einer Bank, die an der Seite stand.


    Setzen wir uns Ich ergriff ihre Hand und ließ diese nicht mehr los :D


    Was soll ich denken? Ich weiß ja noch nicht einmal alles. Ich weiß so gut wie gar nichts. Bevor ich also eine Meinung äußern kann, so erzähle mir, wieso überhaupt Du Dich von der Familie gelöst hast

  • Das lange Sitzen in der Reisekutsche war vergessen und so folgte ich bereitwillig der Aufforderung, Platz zu nehmen. Schon hatten mich die Gedanken wieder gefangen, aber wie beginnen? Sollte ich es lang oder kurz machen? Und wie weit sollte ich ihn einweihen, wo doch vieles, was mich bewegte, mitunter nicht einmal mir zuträglich war, ich es deswegen verdrängte?


    „Wieso? Ich liebe meine Familie, nichts ist mir so wichtig wie gerade sie und doch habe ich um die Lösung meiner Adoption gebeten. Es sind egoistische Gründe. Du weißt doch, ich liebe ihn schon so lange und finde doch nicht das Glück. Es ist eine Hoffnung, an die ich mich klammere, weil ich weiß, dass ihn die gleiche Genszugehörigkeit stört.“


    Meine Angst, dass dies nicht der alleinige Grund für seine Zurückhaltung war, verschwieg ich. Wieso sollte ich sie meinem Onkel gegenüber eingestehen, wo ich sie doch selbst nicht wahrhaben wollte?

  • Ich nickte stumm und machte mir meine eigenen Gedanken darüber, doch schwieg ich erst einmal diesbezüglich.


    Du bist Dir der Tragweite deines Beschlusses voll und ganz im Klaren?


    Ich wusste nicht einmal, zu welcher Gens sie nun gehören würde.

  • „Ja, ich denke schon. Was genau willst du damit sagen?“


    Ich wusste beim besten Willen nicht, worauf der Onkel hinauswollte. Fragend blickte ich ihn an und kramte gleichzeitig in meinem Gedächtnis nach möglichen Erklärungen.

  • „Ja, aber … ich habe doch bereits gesagt, dass ich nicht weiß, wohin ich jetzt gehöre.“ Während ich ratlos die Schultern hob, suchten meine Augen in Ciceros Gesicht zu lesen, aber er hatte ja auch keine Antwort parat.


    „Hat mein Vater denn keine Nachricht hinterlassen? Kann nicht einmal jemand nachschauen gehen?“


    Die Untätigkeit beim Sitzen störte mich plötzlich. Also stand ich auf und begann einige Schritte zu laufen, blieb immer einmal wieder stehen, holte Luft, so als wollte ich etwas sagen, blieb aber doch stumm und setzte schließlich meine Wanderung fort.


    „Er hat bestimmt eine gute Familie für mich ausgesucht“, sagte ich, vor Cicero anhaltend. „Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Ja, und ich habe doch auch schon gesagt, dass mir nichts so wichtig ist wie die Aurelia. Onkel, du hörst mir nicht zu!“


    Vorwurf lag in meiner Stimme, aber er galt weniger der Unaufmerksamkeit meines Onkels, sondern vielmehr der Situation, die mich gerade überforderte. Ich wusste einfach nicht, wie es weiterging.

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