Wie rote Flammen züngelten die letzten Sonnenstrahlen über den Horizont, färbten den Himmel in ein blutigroten Farbton und dann ging die Sonne unter. Nur ein sanftes Glimmen in der Ferne war noch auszumachen, beharrlich fielen die weichen und samtigen Schneeflocken auf das Deck der Harpyia, legten sich zart streichelnd auf Lucillas dunkle Haare und auf Hortalus nach unten gebeugtes Haupt. Nachdenklich betrachtete der Trierarchus die sanft plätschernden Wellen. Seine Hände wurden ohne den Umhang etwas steifer in der Kälte der nahenden Nacht, so steckte er die goldene Opionpfeife langsam in seine Tasche zurück.
„Vergeltung ist eine andere Form der Gerechtigkeit, die sich nicht mit dem herkömmlichen Maßstab beurteilen lässt. In manchen Situationen ist sie notwendig.“
Hortalus verstummte und sah auf den königsblauen Nachthimmel, der immer mehr an Schwärze gewann und weitere Sterne offenbart.
„Aber ich werde Deiner Bitte nachgeben, Decima. Der Meuterer wird erst in Ravenna sterben. In der Stadt wirst Du gewiss einen Sacerdos finden, der Dir behilflich sein wird.“
Schritte näherten sich von Backbord aus. „Trierarchus? Der Zimmermann kann Meldung machen!“ Hortalus wandte sich vom Anblick des Meeres ab und sah zu dem Soldaten, nickte knapp. „Wir werden um Sicilia herumsegeln und an der Ostküste Italias bis nach Ravenna reisen. Aber wenn Du mich jetzt entschuldigst. Die Pflicht ruft. Solltest Du etwas benötigen, lass es mich wissen. Gute Nacht!“ Das Hinken war weniger zu sehen als er sich entfernte, aber das Opion schlug bereits an, der Schmerz war fast gänzlich entschwunden.
Eine Nacht, lange Zeit nach diesem Abend. Die Ulpia hatte eine stete und gute Brise in den Segeln gehabt, kein erschreckender Sturm hatte sie in letzter Zeit in Atem gehalten und so war das Schiff um das italische Land herumgesegelt. Monoton, stets im gleichen Rhythmus, versahen die Soldaten ihren Dienst. Der noch junge Mond war bereits untergegangen, deshalb strahlten die Sterne von einem samtschwarzen Himmel, an denen sie erschienen, wie an verschiedener Höhe aufgehängt, mit einem beunruhigend roten Mars dazwischen. Die See strahlte eine eisige Kühle aus. Geisterhaft bewegten sich die bleichen Vordersegel, dazu die regelmäßigen Geräusche des lebendigen Schiffes: das leise Knarren der Blöcke, das Knirschen der belasteten Leinen und arbeitenden Spieren oder Planken, das Zischen, Gurgeln und Rauschen des Wassers. Sonst herrschte völlige Stille auf dem Schiff. Eine Gestalt schälte sich aus der Dunkelheit hinaus, spähte über das Deck und huschte an der Rehling entlang, schwer atmend und mit einem Rasseln bei jedem Atemzug.
„Macht ein Beiboot klar. Ich bin gleich wieder da!“
Die anderen Gestalten nickten und griffen nach der Plane eines Beibootes, nur eine Gestalt, eine Kleine, löste sich aus der Gruppe. „Was soll das?“ raunte sie. „Komm nicht auf dumme Gedanken, Quintus. Mit dem Kapitän kannst Du es in dem Zustand nicht aufnehmen. Der bringt Dich um!“ Taumelnd hielt sich Tullius an einem Tau fest.
„Du hast Recht. Es ist jedoch etwas anderes. Warte hier.“
Eine Kabinentür öffnet sich, langsam drängt sich Tullius durch die Tür und sog die Luft ein. Wölfisch lächelnd verzogen sich seine Lippen, wenngleich auch im gleichen Moment ein heftiger Schmerz durch seine Seite zog. Lautlos nährte er sich Lucilla und sank neben ihrem Lager auf die Knie, betrachtete aufmerksam ihre Silhouette. Der Dolch glitt zu Lucillas Kehle und verharrte ein wenig über ihrer Haut. Dann presste er seine Hand auf ihren Mund.
„Still oder ich töte Dich!“ flüsterte er leise.
Mit einem Seitenblick sah er zu Ambrosius, sollte er sich auf ihn stürzen wäre Lucilla bereits dahingeschieden. Sein Handballen glitt leicht über die Klinge, trotzdem hielt er weiterhin Lucillas Mund verschlossen. Einige Bluttropfen fielen auf Lucillas Wange herunter und benässten sie mit seinem warmen Lebensodem.
„Du bist der Fluch, Lucilla. Du ganz alleine! Und wie mir scheint, ist unser Schicksal miteinander verbunden, dann soll es wohl so sein.“
Angst! Er wollte sie mit der Angst und Sorge zurücklassen, die er ebenfalls empfunden hatte, wenngleich er sich das nie eingestehen würde. Raunend begann er zu sprechen, seine Kehle war noch ganz ausgedörrt und so klang seine Stimme heiser und kehlig.
„Ich, Quintus Tullius, geboren aus dem Schoße einer Römerin rufe Euch, ihr Götter an, besiegelt unser Schicksal. Nona, spinne unsere Fäden beharrlich weiter, Decuma nimm die Fäden und schlinge sie ineinander, auf dass sie nie wieder gelöst werden können. Und Morta, trenne sie erst im Tode wieder auf, doch stirbt Einer, so stirbt auch der Andere. Dea Tacita, ereile den mit Deinem Atem und Deiner rächenden Hand, der es sich getraut sich dem Los des Schicksals entgegen zu stellen. Cacus verfolge den Frevler, der es wagt diesen Spruch zu zerstören. Ihr Götter, nehmt mein Blut als Pfand für mein Leben, was ich mit jedem Tropfen an das Leben von dieser Frau binde!“
Immer mehr Blutstropfen glitten auf Lucillas Wangen.
„Ein Laut, wenn ich gehe, und Du stirbst als Erstes. Denn am Kreuz will und werde ich nicht gebunden werden!“
Seine Hand löste sich, ein kühles Lächeln glitt über seine Lippen und er stand auf, schnell verließ er wieder die Kabine, gab Lucilla keine Gelegenheit sich des Schicksalsspruches zu erwehren. In der Stille der Nacht verschwanden die Piraten, das kleine Beiboot ruderte auf das nahe liegende Land zu. Die ersten Alarmrufe ertönten auf dem Schiff, Tumulte brachen aus, doch die Piraten hatten vorgesorgt und auch die anderen Beiboote gelöst. So waren die Römer gezwungen, diese erst wieder einzufangen. Mittlerweile hatten die Piraten die Flucht ergriffen. Dennoch schickte Horatalus einen Trupp Soldaten hinter her. Die ganze restliche Nacht und die folgenden zwei Tage suchten die Männer nach den Piraten, doch die Erde schien sie verschluckt zu haben. Erst am dritten Tag gab Hortalus auf und setzte Segel, Richtung Ravenna.
Einige Zeit später, Ravenna. Die Lagunenstadt lag im Glanze der weißen Wintersonne am Rande der Adria. Die Ulpia schiffte in den Hafen der Classis ein, Taue wurden an den Steg geworfen und der Trierarchius trat auf das Deck. Seit der Nacht, als die Piraten flohen, war sein Gesicht stets grimmig. Selbst als er Lucilla zum Abschied zunickte, sie sollte mit einigen Soldaten bis in die Stadt gebracht werden, wo weiter dafür gesorgt wurde, dass sie sicher nach Rom kam. „Es tut mir leid, dass ich versagt habe, Decima. Doch eines Tages, werde ich den Meuterer finden. Das schwöre ich bei allen Göttern! Doch mögen sie Dir eine sichere Reise nach Rom gewähren. Vale, Decima!“ Abrupt wandte sich Hortalus um, man konnte es als brüsk empfinden, aber Hortalus war tief beschämt, beschämt über seine Schande, die Verbrecher entkommen zu lassen.