Atrium | Post Casum de Rutger et Arrecina oder eine fast endlose Reise geht zu Ende

  • Kein großer Troß, kein großes Gefolge oder viele Wägen tauchten vor der Villa Flavia auf. Eigentlich nur vier Reiter, einer davon war sogar auf dem Pferd gefesselt- Rutger- und einer der Vier war kein Reiter, sondern ein junges Mädchen. Arrecina! Marcus ritt vorweg und Mico hinten dran. Am Tor angekommen hatte Marcus ruppig die Sklaven losgescheucht. Mit zusammen gepressten Lippen und weniger frohgelaunt wie sonst zu den Saturnalien schwang sich Marcus vom Sattel und trat neben das Pferd von Arrecina. Vorsichtig hatte Marcus seine Tochter vom Pferd gehoben. Immer wenn er sie ansah, legte sich ein Schatten über seine Seele. Den Ausdruck in ihren Augen zu sehen, war oft zu viel, zu schwer für ihn. Es war jedes Mal wie eine Dolchstoß, doch hatte er sich in den letzten Wochen schon immer mehr daran gewöhnt. Oder eher es sich angeeignet, beherrscht und stoisch zu wirken, trotz Angst, Sorge und Trauer. Mit einem Nicken deutete Marcus seinem Lakaien, Mico, sich um Rutger zu kümmern. Die Sklaven am Eingang, einige kannten Marcus inzwischen durchaus, hatten sich gleich um die Pferde gekümmert, die in den Hof der Villa hinein geführt wurden. Marcus berührte seine Tochter sachte an der Schulter, noch mehr sich aufdrängen tat er schon seit einiger Zeit nicht mehr.


    „Komm, Arrecina. Das ist Dein Zuhause, die Villa Flavia!“


    Dem Sklaven- Rutger- warf Marcus nur einen kontrollierenden Blick zu, dann strebte Marcus auf den Eingang zu. Auch dort wurden die Männer und die junge Frau nicht lange aufgehalten. Erst im Atrium angekommen verharrte Marcus wieder. Dabei sah er seine Tochter prüfend an. Erkannte sie etwas wieder? Fast hoffte er es, doch er zweifelte in letzter Zeit immer mehr an einer Besserung. Doch tief in sich hatte Marcus die Hoffnung nicht aufgegeben. Marcus sah schnell weg und musterte die Statuen seiner Ahnen. Mühsam unterdrückte er ein Seufzen.

  • Stumm war sie auf dem Pfed gesessen, hatte Rutger (von dem sie nun wusste, dass er so heißen sollte) immer wieder heimlich Blicke zugeworfen. Sie machte sich Sorgen um seinen gesundheitlichen Zustand, auch wenn er es bis jetzt überstanden hatte. Warum sollte er sie denn entführt haben? Das war ein Punkt den sie einfach nicht verstehen konnte und wollte. Hatte er ihr all das in dem Zimmer nur vorgespielt? Er war so zärtlich und liebenswert gewesen, hatte sich um sie gekümmert und auch danach. Es schien als würde sie immer noch seine Lippen auf ihren spüren und dann war da dieser Mann, der behauptete ihr Vater zu sein. Es fiel ihr schwer das zu glauben, vor allem nachdem was gewesen war. Er hatte Rutger umbringen wollen ohne vorher zu fragen was überhaupt los war.


    Je näher sie diesem Gebäude kamen desto unheimlicher wurde ihr. Auf der einen Seite spürte sie ein heimisches Gefühl aber auf der anderen Seite war da dieses schwarze Loch was alles so unendlich fremd für sie machte. Zerbrechlich saß sie auf ihrem Pferd und wurde langsam zu der Villa geführt bis ihr Vater ihr hinunterhalf. Zögerlich und langsam ließ sie sich in das Innere führen. Sie meinte zu spüren wie lauter Blicke auf ihr hafteten auch wenn es vielleicht nicht der Fall war, aber es war unheimlich und am liebsten hätte sie auf der Stelle wieder kehrt gemacht und wäre davongelaufen. Ja am besten wieder in die Wildnis zurück um sich zu verstecken und nicht mehr so schnell raus zu kommen.


    Arrecinas Blick schweifte durch die Halle, aber es war wie ein leeres Blatt Pergament. Unklar und neu. "Hier lebe ich?"

  • Bitter starrte Rutger auf die Villa. Als er sie zuletzt gesehen hatte, hatten die Blätter gerade erst begonnen, sich bunt zu färben. Er hatte gehofft, diese kalte weiße Fassade nie wieder zu sehen. Nun streckten die Bäume ihre kahlen Äste in den frostigen Winterhimmel, und er war wieder genau da, wo seine Flucht ihren Anfang genommen hatte.
    Er wandte den Blick zu Arrecina, sah wie ihr Vater sie vom Pferd hob. Es tat ihm in der Seele weh wie zerbrechlich und verängstigt sie aussah. Aber wenigstens schien ihr Vater sanft mit ihr umzugehen, und Rutger war froh, dass er wohl auf Arrecina nicht wütend war oder sie gar verstoßen hatte - wenn es auch sehr befremdlich war, zu sehen, wie der verhasste Neiding, derselbe Mann, der Gytha grausam ermordet hatte, sich liebevoll um seine junge Tochter kümmerte.


    Rutger hatte, in den endlosen Stunden in der Zelle in Mantua, befürchtet, dass Arrecina ihm was vorgemacht hatte. Dass sie - verständlicherweise - versucht hatte, sich vor ihrem Entführer zu schützen, indem sie ihm den Kopf verdrehte, und dass sie nun, nach ihrer 'Rettung' nur mehr Hass für ihn übrig hätte. Aber während des Rittes hatte sie ihm immer wieder verstohlene Blicke zugeworfen, die eine andere Sprache sprachen, die besorgt waren, und fragend, und auf jeden Fall nicht gleichgültig.
    Diese Blicke wärmten ihn, er hatte sie, wenn ihr Vater nicht hinsah, erwidert, und ihr heimlich zugelächelt, mit einer Unbekümmertheit, die er nicht wirklich verspürte. Gerade erst dem Tod - vorläufig - von der Schippe gesprungen war er noch immer kraftlos, das Reiten strengte ihn enorm an, und wenn er zu tief einatmete stach es in seinen Lungen wie von einem Messer. Aber natürlich wollte er nicht, dass Arrecina sich sorgte, und vor Flavius Aristides konnte er sich schon gar keine Blöße geben - so saß er also bleich und hohlwangig zu Pferde, und überstand mit - meist - hocherhobenem Haupt und mit großer Verbissenheit auch diese Tage.


    Hinter ihm stieg Mico, der Handlanger des Flaviers, vom Pferd und hob als erstes Maia, seinen kleinen Hund herunter, der während der Reise die meiste Zeit vor ihm auf dem Mantelsack gesessen war und begeistert die Schnauze in den Wind gehalten hatte. Während das Hündchen mit fröhlichem Gebell um die Pferde herumsprang, kam Mico zu Rutger, sah ihn warnend an, und löste dann seine Fußfesseln.
    Steifbeinig rutschte Rutger vom Pferderücken, und landete unsicher auf halb tauben Füßen. Mico packte mit festem Griff Rutgers hinter dem Rücken zusammengeschnürte Hände, und ging mit ihm, hinter dem Flavier her, auf die Villa zu. Und so durchschritt Rutger zum zweiten Mal erschöpft, grimmig, und in Bande geschlagen die Porta der Villa Flavia. Maia hüpfte lustig hinterdrein.
    Im Atrium angekommen rannte sie aufgeregt schnüffelnd im Zickzack um die Sockel der ehrwürdige Ahnen, und löschte laut schlabbernd ihren Durst am Wasserbassin. Ihr Besitzer hingegen schien von der Pracht der Halle vollkommen geblendet. Mit großen Augen sah er sich um, und seine Lippen formten ein stummes "Bei Teutates!".

  • Fast wäre Marcus versucht gewesen seiner kleinen Tochter eine der braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht zu streichen. Betrübt sah er zu ihr, erkannte, daß sie kein Wiedererkennen spürte. Für einen Moment schloß Marcus die Augen, riß sich jedoch gleich darauf am Riemen. Schließlich wollte er seine Tochter nicht mit seinem eigenen Kummer belasten, es war alles schon so schwer genug für sie. Ein mildes Lächeln glitt über sein Gesicht, das Staunen seines Handlangers Mico bemerkte Marcus nicht sonderlich, es war ihm auch egal, genauso wie der Germane.


    „Ja, Arrecina, hier lebst Du! Außerdem Deine Onkel und auch Dein kleiner Bruder, Lucius. Aber, meine Kleine, mach Dir jetzt mal keine Sorgen und Gedanken. Das wird schon alles wieder. Gracchus, Dein Onkel, wird Dir schon helfen können. Du bist hier in Sicherheit und kannst Dich hier erholen.“


    Marcus wandte sich um und sah Rutger an. Vorwurf stand in Marcus Augen, aber kein glühender Haß mehr. Die geistige Erschöpfung hatte diesen im Laufe der Wochen aus Marcus ausgetilgt. Als einige Sklaven ins Atrium hereinkamen, in der Erwartung vielleicht Gepäck hineinzutragen, nickte Marcus ihnen herrisch zu.


    „Bringt den Germanen in einen Kellerraum und schließt ihn ein. Ich kümmere mich später um ihn. Und passt auf, der kleine Hund beißt gerne!“


    Natürlich meinte Marcus damit nicht Maia, die gerade aus dem Atriumbecken Wasser schlürfte. Das Thema Rutger war im Moment für Marcus abgeschlossen. Er wandte sich seiner Tochter wieder zu und legte seine Hand ganz vorsichtig auf ihre Schulter. Natürlich hatte Marcus irgendwann doch die Blicke zwischen Rutger und Arrecina bemerkt, die gewisse Vertrautheit, die dort herrschte. Doch immer wieder hatte er krampfhaft versucht, das zu ignorieren und aus seinen Gedanken zu verbannen. Den Seufzer unterdrückte Marcus erneut.


    „Komm, ich führ Dich zu Deinem Zimmer, meine Kleine!“


    Etwas bedrückt ging Marcus mit seiner Tochter in den Gang hinein und in Richtung ihres Cubiculums. Dort schickte Marcus eine Sklavin zu ihr und ließ Arrecina erst mal in Ruhe, damit sie sich ein wenig ausruhen konnte.

  • "Aber nein, sie ist ganz brav! Eine Seele von Hund!" nahm Mico seine kleine Maia vor der nicht an sie gerichteten Anschuldigung in Schutz. Schnell lief er hinter ihr her, zog sie vom Bassin weg, und nahm sie auf den Arm bevor sie noch wirklich was anstellte.
    Einer der herangetretenen Sklaven - ein baumstarker Wächter namens Diomedes - neigte seinen kahlen Schädel ehrerbietig vor Flavius Aristides. "Jawohl Herr." Er packte Rutger an der Schulter, um ihn Richtung Keller mitzunehmen, und noch ein weiterer Sklave trat hinzu. "Komm mit, Ausreisser!" befahl Diomedes, und da er ein Kumpel von Ajax war, und das ganze Drama aus dessen Erzählungen kannte, lag eine beissende Häme in seiner Stimme.


    Vor dem stummen Vorwurf des Flaviers hatte Rutger das Gesicht abgewandt. Er blickte vage auf die Mamorstatuen ohne diese zu sehen, und kam widerstandslos mit Diomedes. An der Schwelle zum Verlassen des Atriums blieb er plötzlich stehen, stemmte sich heftig gegen dessen Griff und drehte sich zu Arrecina. Er sah sie liebevoll an - fragte sich, ob es das letzte Mal war - zuckte leicht die Schultern, und lächelte schief, doch den Schatten der Verzweiflung in seinen Augen konnte er damit nicht verbergen.
    Machs gut, Kleines, dachte er, als die beiden Sklaven ihn weiter zerrten. Wären wir uns doch nie begegnet.

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