• Unsanft stießen sie Rutger hinein, er landete auf dem Steinboden, und hörte wie sich hinter ihm krachend die massive Eichentüre schloss. Dann ein Knirschen als der Riegel vorgeschoben wurde, und mal wieder war er eingesperrt. Nur wenig Licht drang von oben durch ein vergittertes Fenster.
    Er lag auf dem Boden, die Hände noch immer auf den Rücken gebunden, presste die Stirn an den kalten Stein und atmete langsam, flach, ein und aus, bis der Schmerz in seinem Brustkorb abklang. Die Luft war schal und schwer.
    "Garms Grimm." flüsterte er verbittert. "Drecksbastarde."
    Als er sich aufsetzte, hatten seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt, und er konnte die Inneneinrichtung bewundern: ein wenig Stroh, eine löchrige Decke, ein Eimer.


    Rutger stand auf, ging in der Zelle umher, legte den Kopf in den Nacken, und sah zum Fenster hoch. Kein Himmel war dahinter zu sehen, nur vage weiteres Mauerwerk zu erahnen. Er schloß die Augen, stand regungslos da, spürte wie ein gewaltiger Zorn in ihm aufkochte! - Auf die Nornen, die sein Schicksal so tückisch knüpften. Auf Wodan, der ihn nicht zu sich gerufen hatte, obwohl er sich ihm geweiht und mit Todesverachtung gekämpft hatte. Auf Flavius Aristides, der ihn im Kampf niedergestreckt hatte. Auf Flavia Arrecina, die ihn mit ihrem Liebreiz betört hatte. Auf Flavius Aquilius, der ihn jetzt wohl kreuzigen lassen würde. Auf seinen Bruder Lingwe, der ihn schon für tot erklärte. Auf sich selbst. Auf alles und jeden...
    "Ihr dreckigen Schweine!" brüllte er, ballte die Fäuste, und riss wutschnaubend an den Fesseln.
    "Solln euch doch Hels Hunde alle in Fetzen reißen!"
    Wuchtig trat er gegen die Türe , doch die war davon gar nicht beeindruckt, und das Schreien tat seinen Lungen nicht gut. Hustend krümmte er sich zusammen, sank auf die Decke. Und da saß er dann lange Zeit, den Kopf an die Wand zurückgelehnt, den Blick ins Leere gerichtet, versunken in dumpfes Brüten.

  • Hoch stand die Sonne über ihm, ein glühender roter Fleck... das Gesicht des Flaviers schob sich davor, er schwang sein Gladius, um es ihm in die Brust zu stoßen ... er hörte Arrecina weinen und die Stimme seines Bruders: "Für uns ist er schon lange gestorben."... das Schwert fuhr auf ihn herab - und als er sich schweißgebadet aufrichtete, und wild in der Zelle umhersah, hatte er immer noch das Geräusch brechender Knochen im Ohr.
    "Zu Hel..." flüsterte er, und ein Beben ging durch seinen Körper. "Wann hört das endlich auf..."
    Seine Glieder waren steif, seine zerlumpte Tunika klamm. Er rappelte sich auf, ging in der Zelle hin und her, um wieder wärmer zu werden, stampfte fest auf und bewegte seine Schultern.
    Dem bisschen Licht nach zu schließen, das durch das Gitterfenster drang, war es Tag. Sehr gedämpft hörte er, wie Stimmen in der Ferne immer wieder etwas riefen: Io Saturnalia. War das nicht das Fest, das die Römer um die Julzeit herum feierten? "Bis zum Julfest werden wir bei meiner Sippe sein." hatte er zu Arrecina gesagt.


    "So ein Irrsinn..." murmelte er bitter, lehnte sich schwer gegen die Wand, und sah wieder Arrecinas Gesicht vor sich, über das im Schein der zuckenden Flamme Schatten hinweggestrichen waren, ihre dunklen Augen, die ihm voll Sternen gestanden hatten.
    "Arrecina..." flüsterte Rutger rauh, "Arrecina...", und eindringlich stellte er sich vor, wie er seinen frierenden Körper zurücklies, und aus der Zelle entwich, als ein Hauch, als ein Traum, ein Gedanke nur, und durch die endlosen Gänge der Villa zu ihr hinstrebte...
    Lautlos schlüpfte er durch Türen, ein Luftzug trieb ihn einen Bogengang von kühler Pracht entlang, die Oberfläche eines Brunnens kräuselte sich kaum merklich, als er vorüberwehte... und sie schließlich fand... wie der Flügelschlag eines Schmetterlings streifte er ihre Wange, hauchte lächelnd eine ihrer seidigen Haarlocken an, die ihr in die Stirn fiel, und sie sacht kitzelte... schmiegte sich als ein warmer Hauch an die Beuge ihres Halses, berauscht von ihrem Duft... und flüsterte ihr ganz leise all die Worte ins Ohr, die er in Wirklichkeit niemals ausgesprochen hätte... dann fand er ihre Lippen, und küsste sie hitzig, bevor er mit dem Strom ihres Atems verschmolz und davongetragen wurde... fort...


    "So ein Irrsinn." Rutger schüttelte den Kopf, und sah vor sich wieder die eisenbeschlagene Türe seiner Zelle. Ob man es selbst eigentlich merkte, wenn man den Verstand verlor?
    Er stieß sich von der groben Wand ab, und ging ruhelos wieder in dem kleinen Raum umher, drei Schritte hin, zweieinhalb zurück, drei hin, zweieinhalb zurück, drei hin... immer wieder.

  • Wie ein getriebener Tiger lief der Germane unstet in seinem Käfig, seinem Gefängnis auf und ab. Doch hatte dieser nicht wie ein Tiger im Circus einen Zuschauer. Oder etwa doch? Wer genauer hinsah, würde doch eine leichte Bewegung an dem Lichtspalt der Tür wahrnehmen. Denn es stand tatsächlich jemand vor dem Carcer. Hannibal, der in der Hand ein Tablett hielt, überlegt kurz, ob er vielleicht doch mit Tablett, Schüsseln und Becher in den Armen die Tür aufgeschlossen bekam. Etwas genervt, der Tag hatte ihn wegen all der Vorbereitungen genug in Beschlag genommen, stellte er das hölzerne Brett herunter und griff nach dem Schlüsselbund, dem er diesem suspekten Subjekt namens Mico und seinem noch viel abscheulicheren Hund, Maia, abgenommen hatte. Hannibal fand Hunde schon immer etwas abstoßend, mit ihren hängenden Zungen und dem ständigen Bestreben an einem Herumzulecken. Aber da er Tieren wenig Bedeutung zumaß, hatte er seine Abscheu schnell überwunden. Nur wurmte es Hannibal an manchen Tagen, dass ein Pferd mehr wert war als es ein Sklave war, ein Mensch war bedeutungsloser als ein Tier.


    Mit dem Gedanken im Kopf schloss Hannibal die Tür auf, das Fackellicht vom Gang fiel flackernd in den Raum hinein. Hannibal bügte sich, hob das Brett mit den Schüsseln und dem Becher wieder auf und trat hinein, durchaus wachsam. Aristides hatte ihm von der Heimtücke jenes Sklaven Rutger berichtet. Abrupt blieb Hannibal am Eingang stehen und sah Rutger an, wie er seinen Weg hin und her nahm. „Salve!“ grüßte Hannibal ihn weder freundlich, noch feindselig. Eine gewisse Aversion gegen Rutger verspürte Hannibal durchaus in sich, er hatte doch gehört, dass dieser die kleine Arrecina entführt hatte. Und Hannibal hatte das Mädchen in sein Herz geschlossen, hatte sie früher sogar unterrichtet und auf sie aufgepasst als sie auf Reisen waren. An der Sache mit dem Fluch glaubte Hannibal jedoch weniger, ganz sicher war da zwar auch nicht, aber er wollte sich erst mal selber ein Bild machen. Er kannte seinen Herren schließlich gut genug, um zu wissen, wie vorschnell Aristides doch sein Urteil fällte. „Ich habe Dir etwas zu Essen mitgebracht.“ Ratlos sah sich Hannibal in der Zelle um. Kein Tisch? Noch nicht mal eine anständige Decke lag da. Seine Stirn runzelte sich missmutig. Hierfür waren mit Sicherheit Sica oder Sciurus verantwortlich, die beiden kleinen Ratten.


    Kopfschüttelnd und leise seufzend ging Hannibal ein paar Schritte hinein und bügte sich um das Tablett abzustellen. „Es hat keinen Sinn, wenn Du mich angreifst. Ich bin auch nur ein Sklave wie Du!“ beugte Hannibal jeglichen Attacken vor. In einem der Schüssel war ein dicker Eintopf, daneben lag Brot und Käse, mit einigen weiteren Oliven in einer zweiten Schüssel. Außerdem waren dabei ein kleiner Krug mit verdünntem Wein und ein leerer Tonbecher. Hannibal richtete sich wieder auf und musterte Rutger. „Rutger ist Dein Name, stimmt das? Du warst schwer verletzt habe ich gehört? Trägst Du noch Verbände?“ Hannibal musterte Rutger, ganz ausgeglichen in seinen Säften schien dieser nicht zu sein. Hannibal war zwar bei weitem kein Medicus, aber ein paar wenige Wissensbrocken hatte sich Hannibal schon angeeignet. Hannibal sah sich in dem düsteren Loch um und schüttelte noch mal den Kopf. Es war zwar immerhin nicht die Kammer, aber auch nicht sehr viel besser.

  • Als das Schloß knirschte, hielt er in seinem Umhergehen inne und starrte wie gebannt auf den breiter werdenden Lichtspalt, trat dann in den Schatten zurück, weil der Fackelschein ihn blendete. Düster lag sein Blick auf Hannibal, flackerte zur Türe, dann wieder auf ihn. Leichtsinnig war dieser Mann. Und er sprach, nicht so wie Mico, dessen lastendes Schweigen Rutger in der Zeit in Mantua zu verabscheuen gelernt hatte.
    Der Geruch des Eintopfs stieg ihm in die Nase. Das Essen sah gut aus - so gut, dass Rutger ein unangenehmer Verdacht beschlich.
    "Mein Name ist Rutger Thidriksohn."
    Seine Stimme war rauh, er hustete und sprach müde aber starrsinnig weiter: "Ich bin kein Sklave, ich bin ein Kriegsgefangener. Aber danke für das Essen. Und wenn du mir die Fesseln lösen würdest, könnte ich es sogar essen..." ohne es wie ein Hund aus der Schüssel zu schlingen.
    "Nein." Die Verbände waren irgendwann von alleine abgefallen.
    Sein Blick verlor wieder den Fokus, driftete fahrig in die Ferne.
    "Was ist eigentlich da draußen los?" fragte er, in der vagen Hoffnung, dass der Mann nicht gleich wieder verschwand.

  • Dem flackernden Schatten einer Fackel folgend, wandte Hannibal kurz seinen Blick ab, musterte das Schattenspiel auf dem Boden. Fast erschien es ihm wie ein geflügeltes Pferd, was mit seinen breiten Schwingen schlug oder dann doch der Cerberus, der mit seinen vielen Köpfen nach den Lebenden greifen wollte. Ein feines Lächeln umspielte Hannibals Lippen. „Kriegsgefangener. Natürlich.“ Hannibal riss seine Augen von dem faszinierenden Schattenspiel und sah Rutger direkt an und ging auf ihn zu, vielleicht unvorsichtig, vielleicht auch nur unerschrocken vor jenem ‚Kriegsgefangenen’. „Mein Name ist Hannibal!“ fügte Hannibal an und trat an Rutger heran. Für einen Augenblick blieb Hannibal vor Rutger stehen, sah ihm in die Augen, fast schon prüfend. Dann trat er um ihn herum. Mit beiden Händen löste er die Fesseln an Rutger. „Kriegsgefangener? Das ist natürlich schade, denn sonst hätte ich Dich für einige Zeit von der Enge des Carcers befreien können.“


    Da Hannibal hinter Rutgers Rücken stand, konnte dieser das listige und amüsierte Lächeln auf dessen Gesicht natürlich nicht sehen. Denn als Hannibal wieder um Rutger herumging, war das Lächeln nicht mehr zu sehen. „Es sind Saturnalien. Die Tage des goldenen Zeitalters als alle Menschen noch frei und gleich waren. An jenen Tagen speisen die Sklaven mit ihren Herren und die zu Tode geweihten, werden für jene Zeit verschont. Wärst Du ein Sklave, hättest Du heute draußen speisen können, aber so...darf ich Dich wohl nicht herausholen. Oder was meinst Du?“ Hannibal sah ihm wieder direkt in die Augen.

  • Zermürbt starrte Rutger ins Leere, und erwiderte weder den Blick noch den - Spott ? - dieses absonderlichen Mannes. Er streckte die Arme, und rieb sich abwesend die mal wieder aufgescheuerten Handgelenke, dann bückte er sich zu dem Tablett, hob den Krug und trank in tiefen Zügen. Mit dem Handrücken fuhr er sich über den Mund, und ließ die Hand, in der er den Krug hielt, wieder sinken.
    "So? Die Herren mit den Sklaven? Das ist doch lachhaft. Weißt du warum ich hier bin? Wenn es wirklich in deiner Macht liegt mich rauszulassen, Hranyp-hall, dann tu es - bitte."
    Ein Unterton drängender Verzweiflung stahl sich in dieses kleine Wort, und um so verbitterter sprach Rutger weiter: "Wenn nicht, dann verschone mich mit diesem wahrlich dürftigen Hohn."
    Er fuhr sich fahrig über die Stirn und sann darüber nach, ob es günstiger war, dem Sklaven den Krug direkt über den Schädel zu ziehen, oder zuerst den Rand an der Wand abzubrechen, um eine scharfe Bruchkante zu haben... er sah nicht so aus als ob er bewaffnet wäre... aber aus der Villa war wohl ohnehin kein Entkommen.

  • Unbewegt sah Hannibal Rutger in die Augen. Seine Blick verfolgte Rutger als dieser nach dem Krug griff, in dem Moment auch dessen Statur, seines ganze Erscheinung musternd. Gut gebaut, groß, blond und hübsch, dazu noch mit einem Eigensinn und Stolz der Seinesgleichen suchte. Das war genau die Art von Mann, in die sich Hannibal früher Hals über Kopf verliebt hätte, die ihm jedoch stets Unglück und Liebeskummer einbrachten. Einen solcher seiner Liebhaber hatte Hannibal leider töten müssen, aber das war alles schon lange, lange her und Hannibals Gefühlsschwankungen weniger hitzig. „Du bist hier, weil Du geflohen bist. Gefesselt warst Du, da Du die Tochter von Flavius Aristides entführt hast. Und was in Germanien passiert ist, weiß ich auch. Doch, ich könnte Dich hier herauslassen. Das hängt jedoch auch von Dir ab!“ Hannibal verschränkte die Arme vor der Brust. „Mir wurde erzählt, Germanen wären ehrenhaft Männer!“ Das war glatt gelogen, Hannibal hatte noch nie das Bedürfnis gehabt, sich mehr mit den Germanen zu beschäftigen als in den Schriften großer Männer stand. Außerdem hatte er genauso die Vorurteile im Kopf wie viele Römer. „Gibst Du mir Dein Wort, dass Du nicht fliehen wirst, solange Du während den Saturnalien von mir rausgelassen wirst? Oder jemanden hier in der Villa angreifen oder als Geisel nehmen wirst?“

  • "Mein Wort..." Rutgers Augen wurden schmal.
    Einer der unzähligen Verse, in denen die Chatten ihr Wissen bewahrten, kam ihm in den Sinn:
    Weißt du den Mann / dem du wenig vertraust,
    Und hoffst doch von ihm Holdes,
    Sei fromm in Worten / und falsch im Denken
    Und zahle Losheit mit Lüge.

    Doch es war Wodans wendige Beredsamkeit, die aus diesen Zeilen sprach, und nicht die eherne Ehrenfestigkeit des Ziu. Und der war nun mal der Herr der Eide. Rutger schwankte, sich so zu binden, und misstrauisch suchte er in den Worten Hannibals nach einem verborgenen Hintersinn. Doch er fand keinen. Und das ständige Eingesperrtsein setzte ihm wirklich zu. Außerdem... vielleicht könnte er Arrecina sehen...?
    So nickte er langsam, und richtete den Blick nun fest, doch noch immer mit Argwohn, auf Hannibal.
    "So sei es. Bei Ziu, du hast mein Wort, Hranyp-hall." sprach er klar und mit einem tiefen Ernst.
    Dann bückte er sich, nahm das Essen auf, und ging auf die Türe zu, halb erwartete er dabei, daß der Sklave nun in Hohngelächter ausbrechen würde, und ihm selbstgefällig eröffnen würde, dass alles nur ein perfider römischer Scherz war.

  • War es ein perfider Scherz von Hannibal? Wollte er mit dem jungen Germanen spielen und ihn dann höhnisch auslachen? Nein, Hannibal tat es nicht. Statt des vielleicht zu erwartenden Spottes nickte er andeutungsweise und ging auf die Tür zu, öffnete sie wieder. "Gut, ich vertraue Deinem Wort, Rutger!" Denn es war auch besser für Rutger, wenn er es hielt, befand Hannibal. So zaudernd vor dem letzten Schritt, den Germanen zu töten, war Hannibal nicht, im Gegensatz zu seinem Herren. Stumm und ernst entließ Hannibal Rutger aus der Zelle, schloß die Tür wieder und nickte Rutger ihm zu folgen. Mit hinter den Rücken verschränkten Armen ging Hannibal voraus und über Treppen erklomm er den Weg an die Oberfläche der Welt, direkt in einen der abgelegeneren Gänge der Villa Flavia. Nur kurz warf er Rutger einen prüfenden Blick zu. Eine Idee entwuchs in Hannibal, noch ungereift und unausgegoren. Diese Idee sollte sich gegen Sciurus richten, doch vergaß Hannibal, der doch sonst oft so umsichtig war, dabei völlig, dass es sich wohl auch gegen seinen Herren richten würde. Trotzdem erschien ein feines Lächeln auf Hannibals Lippen und er schlug den Weg zu den Sklavenquartieren ein. "Du kannst erst mal essen, dann solltest Du ein Bad nehmen. Du stinkst wie ein Suburahund. Und ich besorge Dir eine neue Tunica!"


    Schon waren sie in der Sklavenunterkunft, Hannibal stieß die Tür auf, sondierte ob Sica oder Sciurus Spur oder gar ihre Anwesenheit zu erkennen war. Als dem nicht so war, ließ er Rutger hinein und folgte ihm in den Raum. Herrisch, als ob er einer der Hausherren oder oberen Sklaven war, hielt er ein junges Mädchen am Arm. "Hol eine der roten Tunicen für heute Abend. Und mach Wasser warm!" Mit der anderen Hand deutete Hannibal auf einen der einfachen Tische dort, ließ das Mädchen davon ziehen und sprach: "Setze Dich ruhig!"Hannibal nahm ebenfalls am Tisch Platz, verschränkte die Hände ineinander und musterte Rutger. Das Mädchen kam kurze Zeit später wieder und legte eine hübsche rote Tunica aus weichem, feinen Stoff, den sich so manch ein Plebeier nicht leisten konnte, auf eines der Lagerstätten. Schnell, um dem Blick der beiden Männer zu entkommen, verschwand sie jedoch wieder. Hannibal stand auf und ging zu einer kleinen Truhe. Diese, er hatte sie gestern Nacht aus dem Lupanar herüber geschafft, öffnete er und holte einen schweren, vergoldeten Gürtel hervor. Nachlässig warf er diesen auf die rote Tunica, dazu ein paar gute Schuhe, die auch nicht einem Sklaven gehören würden, an normalen Tagen, in normalen Haushalten. "Das kannst Du später anziehen, Rutger!" Hannibal nahm ihm gegenüber wieder Platz. "Du glaubst mir nicht, was die Saturnalien angeht? Also wirst Du es heute Abend beim Mahl mit den Flaviern erleben. Es beginnt zur späten Nachmittagsstunde."

  • Ungläubig, dem Carcer so bald - wenn auch nur vorläufig - wieder zu entkommen, trat Rutger in den Gang hinaus. Er atmete auf, und folgte Hannibal mit großen Schritten zurück ans Tageslicht. Mit geblendet zusammengekniffenen Augen setzte er sich an den Tisch in der Sklavenunterkunft, und griff nach der Schüssel mit dem Eintopf.
    Den Kopf in die Hand gestützt widmete er sich hungrig dem Essen, und hatte die Schale schnell geleert. Dann sah er auf die Tunika – sie war sehr rot – und aß langsam Olive um Olive, während er Hannibal beobachtete, wie er den Gürtel und die Schuhe hervorzauberte. Dies alles erschien ihm ein höchst seltsamer Brauch, und noch immer konnte er sich eines gewissen Misstrauens gegen diesen so entgegenkommenden Sklaven nicht erwehren.
    "Danke. Ja, ich kann es mir nicht vorstellen. Aber mal sehen. Dann geh ich jetzt baden."
    Mit schiefgelegtem Kopf rieb er sich das Kinn, auf dem sich ein struppiger blonder Bart breitgemacht hatte, und murmelte "Und rasieren sollte ich mich wohl auch…"
    Er schob das Tablett beiseite und erhob sich.
    "Ich kenne den Weg."
    Hoffentlich musste ihn Hrannyp-hall jetzt nicht auf Schritt und Tritt begleiten. Ob eigentlich die süße Ne-fahr-thyrri, die ihn einst so resolut an der Hand genommen, und dort entlang geführt hatte, bei dem Mahl auch zugegen sein würde?
    Rutger nickte Hannibal dankbar zu, und wandte sich zum gehen, um die Gelegenheit zu nutzen, endlich den Schmutz von Wochen und Monaten der Gefangenschaft loszuwerden.



  • Lange schon waren die Saturnalien vorüber, und der Carcer hatte Rutger wieder. Enge, Kälte und Dunkelheit waren um ihn, dazu die bedrückende Monotonie vollkommen gleichförmiger Tage, nur unterbrochen wenn ihm das karge Essen gebracht wurde - und doch, doch war er erstaunlich guter Dinge. Arrecina wiederzusehen, und sie in den Armen zu halten zu dürfen, hatte ihn seltsam belebt, und ihn gegen alle Vernunft mit Zuversicht erfüllt.
    Noch bin ich nicht tot...
    Stundenlang ging er in der Zelle auf und ab, kämpfte gegen die Leere und den Stumpfsinn indem er sich die alten Lieder hersagte, Vers um Vers, von den Welten und Göttern, von Helden und Untieren und von den Taten seiner Ahnen. Auch versuchte er, Stück für Stück seine alte Kraft zurückzugewinnen, reckte und dehnte sich, und übte sich wieder und wieder verbissen in Liegestützen auf dem Boden und Klimmzügen an den Stäben des Gitterfensters in der niedrigen Decke. Noch immer überkam ihn die Erschöpfung und der Schmerz viel zu schnell, noch immer plagte ihn ein Husten sobald er sich richtig anstrengte, aber es war doch schon deutlich besser geworden als noch vor einigen Wochen.


    "Ich weiß, dass ich hing / am windigen Baume
    Neun lange Nächte
    Vom Ger verwundet / dem Wodan geweiht
    Mir selber ich selbst…"

    flüsterte Rutger leise vor sich hin, während er unermüdlich seine Zelle durchwanderte, drei Schritte in die eine Richtung, zweieinhalb in die andere, und wieder zurück, und erneut… Die Saturnalienkerze brannte, die kleine Flamme flackerte leicht und warf Rutgers Schatten verzerrt auf die groben Wände. Sie verströmte einen honigsüßen Bienenwachs-Geruch, dem es nicht gelang, den üblen Dunst in dem Verließ zu übertönen, eine schale Mischung von Moder und Urin, faulem Stroh und dem Echo der Angst, die so viele Gefangene zwischen diesen Mauern ausgestanden hatten.


    "Runen wirst du finden / und ratbare Stäbe
    Starke Stäbe
    Machtvolle Stäbe
    Die Fimbulthul färbte
    Und die Asen schufen
    Und der hehrste der Herrscher ritzte."

    Schon längst flossen die Worte wie von selbst über Rutgers Lippen, murmelte er, ohne seine eigene Stimme wirklich zu hören. Halbvergessene Verse tauchten aus der Versenkung auf, strömten, als ein geisterhaftes Flüstern, unaufgefordert aus seinem Mund. Eine Ratte raschelte leise im Stroh, wo sie geschäftig nach Essensresten suchte.

    "Lieder kenn ich / die kennt der Kunigaz nicht
    Und keines Menschen Kind. -
    Eines weiß ich / wenn der Feind mir schlägt
    In Bande die Bogen der Glieder.
    Sobald ich es singe / so bin ich ledig
    Von den Füßen fällt mir die Fessel
    Die Haft von den Händen. -
    Des Hohen Lied ist gesungen
    In des Hohen Halle
    Wohl ihm der es kann / wohl ihm der es kennt -"

    Rutger hielt inne. Ja, dieses Zauberlied kannte er doch tatsächlich! Ein Lied war es, um mit Hilfe der Disen seine Bande zu lösen und den Feinden zu entkommen. Der alte Maginhardt hatte es einst für Jorun und ihn gesungen und ihnen auf einem Stück Birkenrinde auch gezeigt, wie die Runen zu ritzen waren. Vielleicht konnte es ihm helfen? Aber wie ging das noch…?
    Eiri sazun Ididsin…, ja, genau. Aber an die Runen erinnerte er sich nur noch vage. Was solls. Er musste es einfach versuchen.


    Wieder raschelte es im Stroh. Rutger wandte langsam den Kopf, fixierte die Ratte, die jetzt, an etwas undefinierbarem nagend, in einer Ecke hockte. Ihr nackter Schwanz zuckte. Es war ein fettes, dreistes Tier, das Rutger schon manche Nacht um den Schlaf gebracht hatte. Ohne Hast griff er nach der leeren Schale, aus der er vorhin einen faden Getreidebrei gekratzt hatte, und näherte sich ganz langsam und mit ruhigen Bewegungen dem Tier.
    Die Ratte ließ sich davon nicht stören, erst als Rutger die Schale jäh auf sie niedersausen ließ, versuchte sie sich in Sicherheit zu bringen – zu spät. Unempfindlich packte Rutger den blutigen Kadaver, riss mit einem Ruck den zerschlagenen Kopf vom Rumpf, und ließ das warme Blut in die Essensschale hinein fließen.


    Zufrieden richtete er sich damit auf, wandte sich zu der Wand, die ihm, vom Gefühl her, als die nördliche erschien, und verfiel in einen monotonen Singsang. Langsam verschwand die triste Zelle um ihn herum, er war ganz ruhig, spürte das Schlagen seines Herzens, und vor seinem inneren Auge stiegen, glühend wie Feuer in der Nacht, die Umrisse kraftvoller Runen auf. Er tauchte die Hand in das klebrige Rattenblut, und begann:
    "Ansuz, Asgards wortgewaltiger Fro
    den Wind fesseln keine Ketten…"

    Und weiter webte er seinen Zauber, zeichnete Rune um Rune mit Blut an die Wand, wobei er mit rauer Stimme ihre Macht heraufbeschwor...

  • Entschlossen zeichnete Rutger die letzte Rune, Hagalaz, um die beschworene Zaubermacht zu halten, dann verstummte sein Gesang, und er ließ die blutigen Hände sinken. Als nächstes setzte er die halb heruntergebrannte Saturnalienkerze vor den Runen auf den Boden, kniete sich daneben und hielt einen Stoffetzen ins Feuer. Der Stoff kokelte, entflammte dann hell. Rutger warf den brennenden Fetzen auf das Wachs. Rote Zungen leckten darüber hinweg, und zerschmolzen gänzlich die Form der Kerze. Hell flackerten die Flammen auf, knisterten und erfüllten die Zelle mit einer ganz ungewohnten, zuckenden Helligkeit, während sie gierig das Wachs verzehrten.
    Die Runen glitzerten feucht in diesem unsteten Licht, einzelne Blutstropfen flossen an dem schimmligen Mauerwerk hinab, und die gezackten Formen schienen, wie belebt, eilig über die Wand hinweg zu huschen.
    Rutger goss den Rest des Rattenblutes in die Flammen, es qualmte und verzischte. Er erhob sich wieder. Aufrecht und stolz beschwor er entschieden die Schicksalsfrauen.


    "Idisen! Ich gebe Euch Blut und ich gebe euch mein Licht. Fylgjen, hört mir zu!
    Ich bin Rutger, Sohn des Thidrik! Ich weiß, in letzter Zeit ward Ihr nicht gerade gut zu sprechen auf mich, aber hört mich jetzt wenigstens an! Lange genug sitze ich schon hier in diesem Drecksloch! Ich habe doch gekämpft, und ich habe mich nicht gebeugt vor den Römern… - oder jedenfalls, letztendlich nicht, und das wisst Ihr genau.
    Der Wallvater, der zürnt mir, und gönnte mir nicht das Kampfesglück, aber Ihr, Ihr seid doch von milderer Art, und ich weiß dass Ihr mich jetzt hört. Ich beschwöre Euch, steht mir wieder zur Seite! Löst meine Bande! Gewährt es mir aus diesen Mauern zu fliehen und zurückzukehren in die Heimat!
    Ich habe doch noch so viel zu tun! Ich zähle gerade erst zweiundzwanzig Winter, ihr Idisen, und Ihr wisst dass ich tapfer bin und nicht den Kampf scheue, doch noch habe ich nicht in einer großen Schlacht gefochten, und selbst Männer in den Kampf geführt! Ich bin jung, ich konnte mir noch nicht den Ruhm gewinnen, der einem Sohn meiner Sippe gebührt! Wollt Ihr mir denn gar keine Gelegenheit mehr dazu geben?! Das nenne ich eines Argen Art!"


    Wut war in diesen Worten, und ein grimmiger Vorwurf. Doch wollte er die Disen nicht beleidigen. Besser war es, sie vernünftig zu überzeugen. So zügelte sich wieder, atmete tief durch, räusperte sich, und sprach etwas ruhiger weiter.
    "Und außerdem, ihr Idisen, habe ich noch kein Weib genommen, und keine Kinder. Ist es denn so unverständlich, dass ich da noch nicht abtreten will?
    Ja, ich verstehe schon, Ihr missbilligt das mit Arrecina. Aber, ich versichere Euch, sie ist nicht wie die anderen Römer. Sie würde sogar mit mir kommen, hat sie gesagt, und ich glaube ihr das auch! Das würde doch keine normale Römerin tun.
    Ich liebe sie, hört Ihr? Sie hat mir nun mal mein Herz gestohlen, ihr Idisen, aber Ihr müsst euch deshalb nicht von mir abwenden. So was ist schon vielen guten Männern passiert, Fimbulthul selbst verlor sich einst in der Thursin weißen Armen. Es ist keine Schande."


    All die Zeit hatte Rutger, verborgen unter der Tunika, die Schwanenfibel bei sich getragen, die er, wie durch ein Wunder, auch während Flucht und Gefangennahme nicht verloren hatte. Aber jetzt zog er sie hervor, und drehte das dunkel angelaufene Schmuckstück in den Händen, so dass der rote Feuerschein über die kunstvoll verschlungenen Linien der bronzenen Schmiedearbeit glitt. Dies war das allerletzte was er aus der Heimat besaß.
    Ohne zu zögern zerbrach er die Fibel in den Händen, und warf die Bruchstücke in die Flammen.
    "Seht, ihr Idisen, ich gebe Euch alles was ich noch habe, und ich flehe um Euren Beistand. Setzt ein Ende meiner schmachvollen Knechtschaft, helft mir die Freiheit zurück zu gewinnen, und mit meiner Geliebten in mein Heimatland zurückzukehren!
    Wenn ihr mir helft, werde ich dann auch zu den Hamingjasteinen gehen und Euch ein noch viel größeres Opfer bringen.
    Bei Tiwaz, ich, Rutger, gelobe es Euch."

  • Düster umschattet lag der Kellergang, ein Luxus der Reichen, unter der Villa Flavia. Schritte näherten sich. Zielstrebig lenkte Hannibal seine Schritte durch den düsteren Gang und zog Nortruna immer noch am Arm hinter sich her. Sein Griff um sie war stählern und duldete keine weiteren Fluchtversuche. Immer wieder warf er ihr kalte Blicke zu, ärgerte sich maßlos über die Sklavin, dass er zu all dem genötigt wurde von ihr. Doch sie in die vollkommen dunkle Kammer sperren wollte Hannibal auch nicht, ebenso wenig sie weiter mit der Peitsche malträtieren. Darum ging er an dem Carcer mit Rutger vorbei, sah nur kurz durch das vergitterte Fenster und ging zur benachbarten Tür. Mit einer Hand schob er den Riegel auf und zog Nortruna in den dunklen Raum hinein.


    Eine alte Decke lag am Rande des nicht allzu großen Kellerraumes, mit dem kalten und etwas rauhen Steinboden. Hannibal schob Nortruna vor sich und behielt sie aufmerksam im Auge als er nach einer Öllampe vom Sims vor dem Keller ergriff und diese anzündete. Schweigend stellte er die Öllampe in den Keller und auf ein kleines hölzernes Fass. Ansonsten war der Raum völlig leer, besaß auch kein Fenster nach draußen. Aber, was Hannibal in dem Moment auch nicht erkannte, ein kleines Loch, zwei Faust groß, zu dem benachbarten Carcer mit dem anderen germanischen Sklaven- Rutger.


    Hannibal richtete sich auf und sah Nortruna weiterhin kühl an. „Du bleibst die Nacht hier. Morgen früh hol ich Dich wieder ab.“ Mit einer Hand deutete er auf die Decke. „Und damit wirst Du vielleicht den Komfort“ sprach er leicht ironisch. „ der Sklavenunterkunft zu schätzen lernen.“ Als sich Hannibal umdrehte und aus dem Raum gehen wollte, verharrte er kurz, sah zurück und fügte an: „Essen gibt es auch erst morgen. Reaktion, Gegenreaktion!“ Mit einem lauten Zuschlagen ging die Tür zu und der Riegel wurde vorgeschoben. Nortruna scheinbar alleine gelassen. Doch so ganz einsam und verlassen war sie dann dennoch nicht. Eine Ratte huschte durch ein Loch, wieselte über den ganzen Raum und zu einem anderen Loch, wo sie verschwand. Und durch die Verbindung in der Wand zum Nachbarraum war das leise Fiepen der Ratte zu hören, die dort weiter lief.

  • Die Flammen waren längst heruntergebrannt, hatten das Wachs bis zum letzten verzehrt, und wieder erfüllte ein trübes Halbdunkel das enge Gewölbe. Nur mehr schemenhaft konnte Rutger die Runen an der Wand erkennen, mit denen er versuchte hatte, sich die Idisen geneigt zu machen.
    Das Blut war jetzt getrocknet. Noch immer lag ein brandiger Geruch in der Luft. Die Idisen, wenn sie denn jemals zu ihm gekommen waren, waren wieder verschwunden, ohne ihm ein Zeichen zu geben.
    Zürnten sie ihm denn noch immer? Oder - ein noch trostloserer Gedanke - vielleicht reichte ihre Macht nicht bis hierher, in diese fremden Südlande.
    Der Germane kauerte sich auf das faulige Stroh, schlang die Arme um die angezogenen Knie und starrte auf die Runen, stundenlang, leer.
    Die Zeit verrann zäh.
    Er war allein.


    Irgendwann drang gedämpft der Klang von Schritten an sein Ohr. Und wie jedes Mal fragte Rutger sich, ob sie ihn jetzt holen kamen, um ihn zu strafen oder zu töten. Und hoffte, dass dies alles endlich ein Ende nahm.
    Für uns ist er schon lange gestorben.
    Eine Stimme sprach, nur ein unverständliches Murmeln, dann hallte eine Türe und die Schritte entfernten sich wieder. Mit einem leisen gequälten Laut barg Rutger den Kopf in den Händen, und kämpfte gegen die Verzweiflung, die sich seiner bemächtigen wollte. Doch vergeblich versuchte er, Wälder und Berge vor seinem inneren Auge erscheinen zu lassen, sich an das Gefühl der Weite und Freiheit zu erinnern. Es war ihm, als wäre er schon immer ein Gefangener dieser Mauern gewesen, hätte nur immer Dunkel und Enge gekannt.


    Ein tonloses Flüstern stahl sich von seinen Lippen, und mechanisch begann er wieder, wie ständig in den letzten Wochen, in seiner chattischen Muttersprache die Verse aus seiner Heimat vor sich hinzumurmeln.
    "…Urzeit wars da Ymir hauste… nicht war Sand noch Meer noch Salzwogen… nicht Erde unten noch Himmel oben… nur grundlose Klüfte und Gras nirgendwo…"
    Als ein geisterhaftes Raunen erfüllte das uralte Lied von den Göttern und der Welt das Verließ. Doch jäh brach es ab. -
    "Garms Grimm, Drecksvieh, elendes!" fluchte Rutger und trat heftig nach dem räudigen Rattentier, das ihm gerade dreist über die Füße gehuscht war.

  • Düsterer Gang, kühle Luft, als er mich weiter zog wusste ich, dass ich hier nicht bleiben wollte. Es war nicht nur unheimlich sondern auch ziemlich unfreundlich und erinnerte mich an die kühlen Carcer der Vigilen. Ihm machte es sicher Spaß mich hier entlang zu führen, deswegen versuchte ich meine Gefühle zu verbergeb. Er sollte nicht wissen, dass solche Orte mich fürchten ließen, denn dann hatte er immer etwas gegen mich in der Hand und das sollte nicht sein. Ich wollte mich auf keinen Fall von ihm kontrollieren lassen, auch wenn ihm das sicher Spaß machen würde.
    Hier zu fliehen oder es zu versuchen wäre sinnlos gewesen deswegen tat ich auch nichts dergleichen sondern hinkte einfach nur so schnell es eben ging hinter ihm her und hoffte, dass er mir meinen Arm nicht zerquetschen würde, denn das tat er ja schon fast. Grob war er und zwar richtig, sicher war er hier der Schlachter kam es mir in den Sinn, als ich die Tür sah auf die wir zusteuerten.


    Dunkelheit


    Eine Gänsehaut überzog meinen Körper als ich in den Raum, wenn man das so nennen konnte, geschoben wurde. Zum Glück gewönhnten sich meine Augen schnell an dieses irreale Licht und ich konnte die Decke sehen die sicher schon bessere Zeiten gesehen hatte. Ich wollte gar nicht wissen was dort alles drinne krabbelte oder wie lange die da schon am modern war. Schauer gesellten sich zu meiner Gänsehaut und ich musste ein Schlucken unterdrücken.


    Mit erhobenem Kopf drehte ich mich zu ihm und sah ihn nicht minder kühler an als er mich. Eine Liebe würde das hier nie werden. >>Und auf Gegenreaktion folgen weitere. Wie ich schon sagten du sollen aufpassen auf deinen Rücken und mir niemals drehen ihn zu.<< Sicher machte ich ihm keine Angst aber er sollte eine Germanin auch nicht unterschätzen.


    Froh war ich als er verschwand, aber da machten sich auch die ganzen Ängste in mir breit und die Dunkelheit umschloß mich und meine Gedanken und es war als würden sie mich erdrücken wollen. Meine Arme legte ich um meinen Oberkörper und es sah fast aus als wollte ich mich selber umarmen was ich ja eigentlich auch tat. Auf die Decke wollte ich im Moment noch verzichten auch wenn mir kalt war und die Feuchtigkeit mir meine Haare kräuseln ließ. Hier unten konnte ich nicht einmal nach meinem Bein sehen und so ging ich zu der Wand und setzte mich davor um mich auch anzulehnen, das Loch in der Wand sah ich dabei erst einmal nicht.


    Mit geschlossenen Augen lauschte ich dann den Geräuschen von denen es hier unten unzählige zu geben schien. Woher sie kamen wusste ich nicht und bei so manch einem war es auch ganz gut so. Als etwas kleines über meinen Arm krabbelte schrack ich zusammen und wischte das Vieh mit der anderen Hand weg und dann hörte ich leise eine Stimme.


    Meine Sprache!


    Ich lauschte weiter, aber es war viel zu kurz, doch hatte ich gehört, dass es meine Sprache war. Ein Germane, hier war jemand der mich verstehen konnte. Doch wer war er? Ich kniete mich hin und sah die Wand an, zumindest das was ich sehen konnte im Dunkeln und dann tasteten meine Hände das Gemäuer ab, welches furchtbar feucht und ekelig war. >>Wo bist du? Und wer bist du?<< fragte ich in der gleichen Sprache, in meiner Sprache.

  • Rutger fuhr zusammen. Einmal mehr fragte er sich ob man selbst es überhaupt mitbekam wenn man den Verstand verlor. Da hatte er eben doch geglaubt, eine liebliche Frauenstimme zu hören, die in der Sprache seines Volkes zu ihm sprach…
    Er schüttelte heftig den Kopf und starrte wild in die finsteren Ecken des Verließes, flüsterte dabei leise vor sich hin "So ein Irrsinn… so ein Irrsinn…"
    Doch vielleicht - er zögerte - vielleicht hatten die Idisen ihm jemanden geschickt? Er erhob sich, legte den Kopf schief und lauschte. Nur das Scharren einer Ratte war jetzt zu hören, und irgendwo tropfte stetig Wasser. Alles nur Einbildung?
    Unschlüssig rieb er sich stoppelige Kinn, straffte sich dann, und gab der körperlosen Stimme laut, mit rauer Stimme zur Antwort:
    "Rutger… Rutger Thidriksohn bin ich, Krieger von Hallvards Sippe. Die Flavier halten mich gefangen. Aber wer spricht da? Haben dich die Idisen gesandt?"


    Zugleich wandte er sich der Mauer zu, von wo er die Stimme zu vernehmen gemeint hatte. Da hatte er doch, am Anfang seiner Gefangenschaft hier, als er noch die Hoffnung hegte eine Schwachstelle in seinem Gefängnis zu finden, mal irgendwo einen Riss ertastet…
    Er stützte sich auf ein Knie ab, suchte, und fand die Stelle wieder - ein Spalt, fast zwei Faust groß, da wo die Wand schlecht mit dem Boden abschloss. Staubige Spinnweben hingen vor der Öffnung. Ungeduldig riss er sie zur Seite, beugte sich hinunter, und fragte aufgeregt, und ganz begierig darauf die Stimme wieder zu hören:
    "Bist du da drüben?!"

  • Ich bekam einen Kloß im Hals und alles was ich wollte war diesen Menschen auf der anderen Seite zu sehen. Wer er nur war? Es war kein Traum denn dafür war er einfach viel zu wirklich, das konnte kein Traum sein denn die Nornen sponnen für mich doch sicher nicht ein solches Netz aus Intriegen. Hörte ich nicht Schritte oder war ich nun wirklich kurz vor dem Wahnsinn? Würde ich durchdrehen? Das durfte ich nicht, denn ich musste doch wieder zurück nach Hause in meine Heimat um zu sehen ob nicht doch noch lebende Verwandte vorhanden waren und ich war mir da sehr sicher. Sie würden mich hier nicht brechen, eher würde ich den Spieß umdrehen und sie würden vor mir knien.
    <<Ich bin hier, hier in dieser dunklen Zelle und nehme an, dass es dir nicht anders ergeht.<< Ich ging ebenfalls so weit auf die knie und tastete mit meiner Hand die Wand ab bis ich auch dieses Loch fand welches wirklich unscheinbar war in dieser Dunkelheit. Es war wirklich ein Zufall, dass wir es gefunden hatten, mehr nicht. <<Ich bin Nortruna von einem Stamm der Chatten, aber ich erinnere mich nicht mehr, zu klein war ich damals.<<
    Nun hockte ich da auf Knien im Dreck und wollte gar nicht wissen was hier alles auf dem Boden lag und was ich schon platt gedrückt hatte, denn dieser Gedanke ließ ziemlichen Ekel in mir aufsteigen. <<Seit wann bist du hier unten und warum?<< Eigentlich eine dumme Frage aber besser als das Gespräch zum Stillstand zu bringen denn diese Ruhe die vorher geherrscht hatte, hätte einen ja fast umbringen können.

  • "Dann sind wir vom selben Volk. Nortruna."
    Er konnte es kaum glauben. Diese Stimme zu hören, noch einmal den vertrauten Klängen aus seiner Heimat lauschen zu dürfen, war ihm ein großes, bewegendes Glück. Andächtig formten seine Lippen ihren Namen. Nortruna. Schön.
    "Es ist lange her, dass ich unsere Sprache vernommen habe... eine Ewigkeit scheint es mir."
    Überhaupt hatte er, seit er wieder hier eingesperrt war, mit keiner Menschenseele gesprochen. Es dürstete ihn nach Worten, und gierig sog er ihren Klang in sich auf, wenn der Inhalt auch bitter war.
    "So bist auch Du durch Neidingstat in Gefangenschaft geraten…? Sogar schon als Kind?"
    Eine hilflose Wut würgte ihn bei diesem Gedanken. Sie klang jung. Schon für ihn war es die Hölle gewesen, nach Rom verschleppt zu werden - wie unsäglich grausam musste es erst für ein junges Mädchen sein!
    "Eine Pest sind sie, diese Römer!", stieß er heftig hervor. "Eine Seuche die nur immer weiter fortschreiten will! - Doch… Du hast unsere Sprache nicht vergessen. Nortruna. So viele unserer Landsleute haben sich hier, im Süden, schmählich verloren, wissen nicht mehr wer sie sind…"


    Seine Kehle war rau. Er hustete, und fragte sich einen Moment lang, ob er vielleicht doch nur zu sich selbst sprach?
    "Ich bin hier drin seit den Saturn...- seit Jul! Vorher war ich woanders eingesperrt. Seit - ich weiß nicht… da wurde es gerade Herbst. Weil ich geflohen bin. Und ich habe eine Römerin entführt. Ich wollte Rache. Rache an dem, der mir die Freiheit nahm. Aber es ist schief gelaufen. Die Götter waren nicht mit mir. - Wie kommst Du hierher?"
    Er streckte die Hand aus, legte sie kurz auf das schimmlige Mauerwerk, machte sie dann schmal und tastete sich durch den Riss vor. Wenn da jetzt nur keine Ratte drinnen hockte. Aber er spürte nur Spinnweben und scharfkantigen kalten Stein. Dann war er durch, und auf der anderen Seite kam nun eine große, kräftige Hand zum Vorschein. Sie war rauh, mit Schwielen bedeckt und schmutzig, mit dicken Trauerrändern unter den eingerissenen Nägeln, und angetrocknetem Blut daran.
    "Bist Du… wirklich?"

  • Vom selben Volk? Das waren Worte die in meinem Kopf immer widerhallten. Er war von meinem Volk und was war wenn er sogar von meinem Stamm war, aus meinem Dorf, wenn wir verwandt waren? Mein Herz schlug immer schneller und schneller das war unglaublich, da wurde ich gekauft, kam hier her und dann traf ich ihn. Ich wusste gar nicht was ich sagen sollte so durcheinander war ich mit einem mal. Freude und Angst brachen über mich rein.
    >>Es tut so gut jemanden von sich hier zu haben. Ich dachte schon ich würde nie wieder jemanden sehen oder hören und doch geschehen immer wieder Wunder. Als Kind, ja, ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, ausser, dass ich mich bis heute weiger wirklich die Sprache von ihnen zu sprechen oder wirklich zu lernen. Ich hasse diese Sprache und ich will sie so selten wie es nur geht in meinen Mund nehmen,<< sagte ich verächtlich und am liebsten hätte ich ausgespuckt, aber das tat ich natürlich nicht.
    >>Ich würde niemals vergessen woher ich komme und schon gar nicht meine Sprache. Sie gehört zu uns und alle die sie vergessen, vergessen sich selber und das werde ich niemals machen, niemals.<< Verschwörerisch war meine Stimme geworden, denn wer sich vergas der hatte sein Leben doch schon längst verwirkt und das hatte ich sicher nicht und würde es auch niemals.


    Meine Hand lag am Rande des Loches und tastete die Kanten ab die brüchig waren und man sich leicht schneiden konnte. >>Warum waren die Götter nicht hold? Was ist geschehen? Dieser Sklave kaufte mich auf dem Markt, dieser Hannibal. Ich hasse ihn und habe geschworen es ihm heimzuzahlen, dafür, dass er mich die Peitsche hatte spüren lassen.<< Man konnte den Hass in meiner Stimme deutlich hören und die Verachtung, die ich ihm gegenüber empfand. >>Ich war irgendwann einem Händler davongelaufen und habe mich in den Strassen von Rom versteckt, aber irgendwann kamen sie und fanden mich brachten mich in einen Carcer und dann zu einem anderen Händler und nun bin ich hier. Und ich habe versucht zu fliehen aber es war ein Fehlschlag und Hannibal schnappte mich im Garten wieder und dann legte ich mich mit seiner komischen Schwester an.<<


    Leise drang ein Seufzer über meine Lippen und dann spürte ich, das seine Hand sich durch das Loch bewegte und ich ergriff sie schließlich. Nun lag meine kleine zierliche Hand in seiner großen. Ich konnte spüren wie sie rauh war. >>Ich bin so wirklich wie diese unwirkliche Umgebung. Ich bin hier.<<

  • Rutger nickte langsam, im Dunkeln. Ja, es tat sehr gut. Und ihm war, als hätten doch die Idisen diese Frau geschickt, um seine Einsamkeit zu lindern und ihn an das zu erinnern, was zählte.
    "Sie ist kalt ihre Sprache. Akkurat und leblos, so wie sie selbst ... erscheinen."
    Und vereinnahmend dazu. Er verschwieg lieber, dass er selbst schon manchmal auf Latein dachte, sogar schon auf Latein geträumt hatte...
    "Du hast recht. - Ach. Ich war schon ein paar Tagesritte gen Norden gekommen, als sie mich doch eingeholt haben. Ich kämpfte, aber mein Speer zerbrach."
    Auch dass ein einzelner Römer ihn besiegt hatte, wenn auch in einem höchst ungleichen Kampf, mochte er ungern erzählen.


    "Hrannyp-hall also? Ich kenne ihn."
    Hilfreich war er gewesen... warum wohl? Sicher nur Berechnung.
    "Auch so ein Kriecher. Gepeitscht..." Und wieder diese ohnmächtige Wut.
    "Das soll er büßen!", grollte Rutger zornig, "Das wird er bereuen! Wenn ich hier lebend rauskomme, dann wird er zu seinen Sklavengöttern winseln und sich wünschen, er hätte nie die Hand gegen eine Chattin erhoben! Bei Ziu, das wird er!"
    Die wilden Worte verklangen. Sanft schloß Rutger seine Finger um Nortrunas Hand, die sich in der seinen zart und zerbrechlich anfühlte, und drückte sie kurz.


    "Ja.", sagte er leise. Er ließ - um nicht sentimental zu sein - ihre Hand wieder los, begann seine wieder zurückzuziehen, und sprach, aus tiefster Seele, und mit flammender Inbrunst:
    "Wir dürfen nicht aufgeben. Sie können uns vieles nehmen. Unsere Heimat und unsere Freiheit, aber nicht unseren Mut, unseren Stolz und Kampfgeist. Ich meine... sie können nichts daran ändern wer wir sind. Nicht wahr?"
    Er hatte in all der Zeit sehr viel nachgedacht, über diese Frage.
    "Sie nennen uns 'Sklaven', sie meinen uns zu besitzen. Und wir sind in ihrer Gewalt. Aber wir sind Chatten und von edlerer Art als diese Skrälinge. Mit Recht blicken wir auf sie herab. Weich sind sie, arg, feige und verzärtelt."
    Er dachte an Arrecina und fügte, etwas verlegen, hinzu: "Jedenfalls die meisten. - Es ist wie wenn eine Meute von kleinen Hunden sich kläffend auf den Wolf stürzt... Sie sollen nie vergessen, dass wir Reißzähne haben."
    Leise und eindringlich, und ein wenig als wolle er sich selbst überzeugen, sprach er weiter: "Wir dürfen uns nicht beugen. Auch wenn es den Tod bedeutet. Nicht wahr."
    Mit Wärme in der Stimme schloss er. "Doch ich hoffe, Nortruna, ich hoffe wirklich sehr, dass Dir beim nächsten Mal - oder beim übernächsten - die Flucht gelingt."

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