Cubiculum | Flavia Leontia

  • Serenus betrat den Raum und schaute sich um. Vor der Tür begann ein jämmerliches Geheule.


    „UUUUUUUUHHHHHUUUUUUWINSEL!“


    „Tante Leontia, ich glaube Nero mag es nicht alleine vor der Tür zu warten. Und er ist auch ganz artig und deiner Katze wird er auch nichts antun. Die hat er eben mal wieder auf den großen Mandelbaum gejagt. Dahin haut sie immer ab, weil sie genau weiß, daß Nero zu schwer zum klettern ist. Vielleicht sollten wir den Baum bei Gelegenheit mal fällen. Dann wird deren Spiel interessanter.“


    Serenus plazierte sich im Korbsessel.


    „Ja, aber der war nicht gut. Onkel Gracchus sucht schon den Nächsten. Der wollte immer nur Sachen von mir wissen, hat selber aber keine Fragen beantwortet und nicht einmal meinen Gesang zu schätzen gewusst. Mir geht es da mitunter wie Kaiser Nero. Keiner versteht mich und keiner schätzt meine künstlerische Ader. Tante Leontia, mir geht es gar nicht gut!“


    „UUUUUUUUHHHHHUUUUUU! WINSELWINSEL! WAFFWAFF!“ *kratzkratzanderTür*


    Ein Stück kandierter Melone und ein Becher Fruchtsaft wurden augenblicklich konsumiert.


    „Und jeder hat eine Freizeitbeschäftigung. Ich habe Onkel Senator Felix gefragt, ob ich besser Kampfhunde oder Sklaven züchten soll. Er hat beides verboten. Zierfische und Rosen sind langweilig und für meinen Ziegenrennwagen werde ich in ein bis zwei Jahren zu groß und zu schwer sein. Er hat beides untersagt. Was soll ich denn jetzt machen? In der Villa darf man überhaupt nichts. Ich glaube ich gehe zu Papa in die Legio und werde ein Kriegsheld oder ich gehe zurück nach Baiae und werde Pirat oder noch besser ein professioneller Meuchelmörder. Ja, ich könnte masskiert in der Nacht durch die Strassen schleichen und männliche Eunuchen und Lupas ermorden. Halt was ausgefallenes, was nicht jeder macht.“


    Als Ausdruck seiner Depression konsumierte Serenus niedergeschlagen 8 weitere Stücke kandierte Melone und 3 Becher Fruchtsaft, wobei ihn seine kleine Leibsklavin Dido aus reiner Solidarität unterstützte.

  • "Oh, dieses Tier!" Mit spitzen Fingern griff sich Leontia geziert an die Schläfen, als das Geheule losging, und nutzte die Gelegenheit, ihren lange schwärenden Unmut über den Hund auszudrücken: "Serenus, die ständige Aggressivität Deines Hundes ist mir schon längst ein Dorn im Auge. Zuvörderst diese anhaltenden Übergriffe gegenüber meiner armen kleinen Sphinx. Das ist kein Spiel; ich zweifle nicht daran, dass Dein Nero sie zerfetzen würde, wenn er sie zu fassen bekäme. Und auch so ist sie sehr verstört. Sphinx ist ein edles und sensibles Tier, und mir sehr lieb. Darum bitte ich Dich ganz vernünftig: halte Deinen Hund in Zukunft davon ab, sie zu drangsalieren. Sollte Dir das aber nicht gelingen und er ihr etwas zu leide tun, so sei dir sicher, dass ich dafür zu sorgen weiß, dass seine Existenz diesen Tag nicht überdauern wird."


    Diese kleine Drohung ernst und streng ausgesprochen, lehnte sie sich wieder in die Kissen zurück, nippte an ihrem Granatapfelsaft, und bemerkte lächelnd: "Ich hoffe sehr, wir haben das damit geklärt. - Es geht Dir nicht gut, sagst Du?" Bestürzt und fragend sah sie ihren kleinen Neffen an, und hörte sich mit verständnisvollem Nicken sein Dilemma an.
    "Oh, mein armer Spatz!", seufzte sie schließlich betroffen, stellte ihren Kelch zur Seite und nahm Serenus tröstend in die Arme. Man war ja schließlich unter sich. "Komm, magst Du Dich auf meinen Schoß setzen, wie früher als Du noch klein warst? Ich hatte ja keine Ahnung, dass es Dir so schlecht geht. Du wirkst immer so fröhlich und lebhaft... Aber es ist gut, dass Du mir davon erzählt hast, wir werden uns schon etwas einfallen lassen gegen Deinen Kummer."


    Voll Tatendrang drückte sie ihn ans Herz, sah kurz irritiert zur Türe, von wo wieder Neros dumpfes Wehklagen erklang, dann zu Dido, die gerade ein großes Stück Melone verspeiste. "Du solltest Deine Sklavin nicht mit Dir speisen lassen, damit verdirbt du sie im Handumdrehen.", bemerkte sie nebenbei milde, bevor sie sich wieder dem eigentlichen Problem zuwendete. "Ich verstehe, Serenus, wirklich. Dein Papa fehlt Dir sehr, nicht? Vielleicht sollten wir ihn einfach mal besuchen fahren? Um zur Legio zu gehen, bist du nun einmal noch zu jung. Pirat und Meuchelmörder, ja, das wären sicher ausgefallene Karrieren, aber auf Dauer, denke ich, wohl etwas einseitig, meist Du nicht? Ich könnte mir vorstellen, dass die Sache nach dem ersten Dutzend Morden rapide an Reiz verliert. Gibt es denn nichts anderes, das Dir Freude bereiten könnte? Studien vielleicht, Reisen, oder Gladiatorenspiele?"


    "Weißt Du, mein Spätzchen, Du bist so ein kluger Junge, und schon jetzt so verständig und charmant, und wenn Du einmal groß bist, werden Dir sicher die Herzen im Sturm zufliegen. Das ist in der Politik sehr von Vorteil. Du hast das Zeug zu einem ganz großen Staatsmann, da bin ich mir ganz sicher, und mit unserer Gens im Rücken, wird Dir sicher eine glanzvolle Karriere bevorstehen. Das ist abwechslungsreicher als die von Dir genannten Optionen, und natürlich standesgemäßer - und möglicherweise auch nicht weniger blutig." Mit einem aufmunternden Lächeln zauste Leontia ihrem kleinen Neffen, dem Hoffnungsträger der Gens Flavia, liebevoll das Haar. "Lockt Dich das nicht?"

  • Serenus stieß einen Pfiff aus und Nero verstummte.


    “Aber Tante Leontia. Nero ist lammfromm, du kennst ihn nur nicht gut genug. Und er hört sehr gut. Ich beweise es Dir.”


    Serenus stand auf und packte Sphinx auf der Kline im Nacken und ging mit der zappelnden Katze am ausgestreckten Arm zur Tür und öffnete diese.


    “Nero! Hier Sphinx. Sphinx Pfui Pfui Pfui! Andere Miez Miez ja, Sphinx PFUI. Brav Platz und Ruhe!”


    Er schloss wieder die Tür und ließ die Katze von Tante Leontia wieder im Zimmer frei, welche unter einer Kline verschwand.


    Er schüttelte auf die Worte seiner Lieblingstante den Kopf.


    “Aber Tante Leontia, ich kann doch nicht auf deinen Schoss. Ich bin doch schon fast zehn Jahre alt. Und Dido ist nicht nur meine Leibsklavin, sondern auch meine treue Spionin hier im Haus. Fast jeder übersieht sie. Da muß ich sie ab und an belohnen. Und du meinst wirklich, daß Pirat und Meuchelmörder auf Dauer seinen Reiz verliert. Ja, vielleicht hast du recht. Wie wäre es mit Grabräuber? Ich hörte die Pyramiden sollen echte Herausforderungen darstellen? Oder doch eher Lyraspiel? Du meinst in der Politik geht es auch blutig zu. Ja, Politik macht sicher Spaß. Seit Onkel Furianus im Senat ist, ist er kaum noch zu Hause. Onkel Milo hat sich mal darüber lustig gemacht, daß sein Sitzplatz bestimmt schon von seinen Pobacken eingedrückt wurde und eine Mulde hat. Aber zuvor würde ich schon gern noch eine Pyramide ausrauben. Das ist sicher genauso lustig wie in der Nacht in unserer Fussbodenheizung herum zu kriechen. Wir wissen sogar, wo Onkel Gracchus ein Teil seines Geldes dort versteckt hat.”

  • Wie schnell er doch groß geworden war! Schade. In Ermangelung ihres Neffen packte Leontia schnell Sphinx am Kragen und hob das verstörte Tier auf ihren Schoß. Der Hund war ihr noch immer unheimlich, auch wenn er wirklich auf Wort zu hören schien. Sie kraulte das arme Kätzchen hinter den Ohren und lauschte Serenus' Redeschwall mit leicht geneigtem Kopf.


    "Die Pyramiden würde ich auch gerne einmal besuchen.", seufzte sie sehnsüchtig. "Nicht unbedingt ausrauben, aber besichtigen! Lyraspieler kannst du aber nicht werden, mein Spatz, das ist nicht standesgemäß. - Wirklich, so etwas hat Milo gesagt!? Na, das sieht ihm ähnlich. Diese Häme! Hör mir zu, ich möchte nicht, dass Du über Furianus spottest mein Spatz. Er ist in seinen Taten ein äußerst ehrenwertes und erfolgreiches Mitglied unserer Familie!"


    Wenn auch nicht unbedingt in seiner Herkunft. Aber soo höflich, und schick sieht er aus, mit all diesen Liktoren um sich herum. Wenn er nicht mein Vetter wäre, also eigentlich ja sogar mein Neffe, würde ich möglicherweise… - also Leontia! Die junge Patrizierin verbat sich diese unbotmäßigen Gedanken. Man sagte ihrer Familie doch ohnehin schon einen ungesunden Drang zueinander hin nach. An solch unaussprechliche Laster wollte sie nicht einmal denken!


    "In der Fußbodenheizung!? Oh, bei den Göttern, das war es also was ich gehört habe! Nachts, beim Weben. Wie konntet ihr mich nur so erschrecken, ich dachte es wären die Lemuren!" Sie griff sich bei der Erinnerung an diese spukhafte Begebenheit geziert an die Stirn, schüttelte dann schmunzelnd den Kopf. "Was machst Du nur für Streiche, mein Spatz?", bemerkte sie milde, und bot ihm noch mehr Süßigkeiten an. Und so saßen die beiden noch eine Zeitlang gemütlich zusammen und plauderten über dies und das, wobei Leontia es nicht versäumte ihrem kleinen Lieblingsneffen nochmals wärmstens eine Zukunft in der Politik ans Herz zu legen.


    Was für ein liebes, herziges Kind, dachte sie, nachdem er irgendwann wieder davon gestürmt war. Und schon so erwachsen! Wenn es dazu nicht der Männer bedürfte, und gewisser… Körperlichkeiten hätte ich auch gerne welche. Gedankenverloren nahm sie das letzte Stück Melone aus der Schale, lehnte sich träge zurück, und genoss mit halbgeschlossenen Augen die Fortsetzung ihrer Fußmassage.

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    Offene Rebellion! Dieser Gedanke, an sich so ungeheuerlich, der Leontia noch tags zuvor zutiefst schockiert hätte, erschien ihr nun, nachdem sie die Entscheidung einmal getroffen hatte, so liebevoll bestärkt durch die bedingungslose Unterstützung ihres verehrten Manius, ganz natürlich. Ihr Vater war ein schnöder Wüstling, blind für Sitte und Anstand, blind für das Glück seiner Tochter, und um jener fatalen Verbindung zu entkommen blieb Leontia keine andere Wahl, als das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen!
    Nun galt es nur noch, dieses Vorhaben möglichst geschickt in die Tat umzusetzen. Hochaufgerichtet, die Hände in die Seiten gestemmt, stand Leontia am Fenster ihres Cubiculums. Die Frühlingsbrise spielte sacht mit den zartblauen Vorhängen, und im Garten drunten leuchteten die Blüten des Mandelbaumes, unter dem sie soeben jenen kühnen Entschluss gefasst hatte. Entschlossen griff Leontia nach den Fensterflügeln und schloss sie. Was es zu besprechen galt, war nicht für fremde Ohren bestimmt. Sie wandte sich zu ihrer treuen Nubierin, die ruhig, die Augen demütig niedergeschlagen, neben einem schon jetzt immensen Berg von Gepäck stand.


    "Salambo."
    "Ja, Domina."
    "Heute Abend werde ich abreisen, gemeinsam mit Manius. Offiziell werde ich dem Ruf meines Vaters nach Ravenna Folge leisten. In Wirklichkeit nicht. Aber das weißt nur du."
    "Ich verstehe vollkommen, Domina."
    "Pack meine Sachen. Beschränke dich auf das Notwendige. Es geht in südliche Gefielde. Alles in allem sollte das Gepäck, denke ich, nicht mehr als ein, zwei Reisewägen betragen. Sphinx wird mich begleiten, und ebenso mein Papagei. Dazu Kosmas, Hamilkar… eventuell Daphnus… dann die Nubier… ein paar Frauen natürlich auch…"
    Leontia legte einen schlanken Finger an die Unterlippe und überlegte. Furchtbar was das, sich so einschränken zu müssen, sie ahnte schon jetzt dass die Reise nicht mit dem üblichen Komfort vonstatten gehen würde.


    "Nicht mehr als acht… nein, zehn – nein, sagen wir besser ein Dutzend Sklaven. Wähle sie mit Bedacht. Dido bleibt hier. Sie hat mich verraten, diese alte Harpie. Wahrscheinlich lauscht sie gerade schon wieder an der Türe! Ich sollte sie eigentlich hinrichten lassen. Aber das wäre jetzt zu auffällig."
    "Sehr wohl, Domina." Keine Regung zeigte welche übergroße Genugtuung Salambo bei diesen Worten verspürte. "Wünschst Du, dass ich mich diskret darum kümmere?"
    "Hmm… Ja." Mit einem kurzen Nicken besiegelte Leontia das Schicksal ihrer guten alten Amme. Heute war der Tag, sich von eingefahrenen Gewohnheiten und liebgewordenen Dingen zu trennen. Jedenfalls wenn sie sich als unnützer Ballast entpuppt hatten.
    "Aber spute Dich. Heute Abend schon geht es los. Und zuvor habe ich dir noch einige Briefe zu diktieren. Meine Bücher packe ich selbst. Aber du musst mir unbedingt schnell noch eine schöne Ausgabe von 'Plutarchs Reisen' besorgen!"
    "Sehr wohl, Domina."
    Die treue Nubierin eilte los, um sich in Windeseile, und doch gewissenhaft, um die Wünsche ihrer Herrin zu kümmern. Auch Leontia machte sich konzentriert an die Reisevorbereitungen, und als des Abends eben der Unterrand der Sonnenscheibe den Horizont berührte, ihre letzten Strahlen das Cubiculum mit goldrotem Licht erfüllt, war tatsächlich alles bereit.


    Leontia erhob sich von ihrem Schreibtisch, wo sie soeben den letzten Brief gesiegelt hatte, und überreichte das Bündel an Salambo. "Hier. Den an Papa musst du nach Ravenna bringen. Überreiche ihm aber auf keinen Fall persönlich, ich will nicht dass er dich den Muränen vorwirft."
    "Ja, Domina." Salambo senkte den Kopf, gerührt ob dieser Sorge um ihr Wohlergehen. "Dann wird es mir nicht vergönnt sein, Dich zu begleiten Domina?"
    "Nein. Du musst zu gegebener Zeit die Briefe überbringen. Vielleicht lasse ich später nach Dir schicken. Bis dahin halte Dich an ihn." Leontia tippte in dem Bündel Schriftrollen auf den Namen eines Adressaten. "Das wäre alles."
    "Ja, Domina. Viel Glück! Mögen die Götter Deinen Weg beschirmen!", wünschte die Nubierin von ganzem Herzen. "Und sei nicht verzagt wegen dem Aemilier. Er ist doch schon so betagt, vielleicht haben die Götter ein Einsehen, und rufen ihn zu sich."
    "Ja", murmelte Leontia nachdenklich. "Wie Cassius. Das wäre schön…" Und sie warf ihrer Leibsklavin einen fragenden, ein wenig unsicheren Blick zu, schien einen Augenblick lang zu einer Frage anzusetzen – schwieg dann.


    Salambo verbeugte sich tief und sprach mit glühender Ergebenheit die Worte: "Es wird alles zu Deiner Zufriedenheit geschehen, Domina."
    "Du bist eine gute Sklavin, Salambo." Dankbar streckte Leontia die Hand aus und strich ihrer treuen Nubierin über den lockigen Scheitel. Dann griff sie nach einem weiten Reisemantel aus tiefblauer Seide, warf ihn sich schwungvoll um die Schultern, und verließ, zugleich mit den letzten Strahlen der untergehenden Sonne, leichten Schrittes ihr Cubiculum. Und an der Seite des blutrünstigen Räubers, der so tückisch den Platz des Manius Flavius Gracchus eingenommen hatte, begab sich Leontia vertrauensvoll, frohgemut und voller Vorfreude auf eine lange und gefährliche Reise

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