Als Mädchen war sie losgezogen und als junge Dame kehrte sie also nun heute zurück. Minervina hielt sich an der Oberfläche des Schiffes auf. Ungefähr 18 Monate hatte sie in Achaia zugebracht und sich einiger Studien gewidmet. Sie hatte viele patrizische Gepflogenheiten nachzuholen, seit sie aus den plebeischen 'Fängen' ihrer Mutter entfliehen konnte. Sie lebte deutlich lieber in ihrer väterlichen Familie, der gens Tiberia. Und sie wusste ganz genau, dass sie dort eher hingehörte als unter Plebeier. Die schönen Seiten des Lebens boten deutlich mehr Reize als die Bescheidenheiten des einfachen Volkes.
Und der heutige Tag bot ebenfalls keinen Luxus. Sie hatte sich in ihren warmen Umhang eingekuschelt, der keine richtige Form besaß. Er war edel verziert aber wie sie ihn trug, war ihr gleich, solange er diese elendige Kälte abhielt. Den letzten und auch den heutigen Tag hatte es ununterbrochen genieselt. Der gestrige sanfte Wind war zu einem mittleren Sturm herangewachsen und durchnässte sie bis auf die Knochen. Die kleinen Regentropfen stachen in ihren Augen und unwürdigerweise hatte sie sich am frühen Morgen bereits über der Reelng übergeben müssen. Kein sehr würdiges Opfer an Neptun.
Im Moment lehnte sie sich mit schwachen Beinen an die hölzerne Wand irgendeiner Unterkunft um zur Ruhe zu kommen. Noch immer rumorte ihr Magen, ihr Gesicht war aschfahl und ihre Laune auf dem absoluten Tiefpunkt. Dabei konnte sie es sich kaum vorstellen, dass ihre Laune noch niedriger als die Temperaturen sein könnte. "Verdammt!" rief sie undamenhaft und funkelte irgendeinen der Matrosen zornig an, der an ihr vorüberschlenderte. Wenigstens für einen Wutausbruch reichte ihr inneres, fast erlischendes Feuer noch. Sie würden in Misenum anlegen. Sie war dagegen gewesen, doch nun erwartete sie nur noch sehnsuchtsvoll den Moment in welchem sie endlich anlegten. Die Freude auf festen Boden war unermesslich größer geworden, als jene ihre Familie wieder zu sehen. Shlaff wandte sie sich dem Bug zu und ihr Herz machte - samt Magen, dank einer weiteren kleinen Welle - einen großen Hüpfer, denn dort lag die Hafenstadt.
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Mit ihrer kleinen Sklavenschar verließ sie schwankend das Schiff. Sie konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Das erleichterte Aufatmen der Seeleute, diese unfreundliche Person loszusein, registrierte sie gar nicht. Jetzt wäre ihr ihre Pietas auch herzlich egal. Beinahe hätte sie wieder würden müssen. Ihre Wangen waren gerötet und ihr Gesicht weiterhin leichenblass. Ihre Augen matt, sie zeigten deutlich ihre schlechte Laune an. Wie sollte sie nun nach Hause kommen? Sie wollte in keiner rumpeligen Kutsche nach Hause, sie wollte eine Sänfte. Eine Sänfte mit Sklaven, die genau wussten wie man sie möglichst schaukelfrei trug. Aber nichts dergleichen war hier. Wie sehr die Sklaven während eines solchen Transportes gelitten hätten, wäre ihr nun auch egal.