Mild und sanft sandte Helios seine Strahlen auf die winterlich verzauberte Stadt. Noch früh am Morgen glitzerte überall der frostige Tau, grausilbern, auf den gelblich vergilbten Grashalmen, die am Rande des Flusses Minicius wuchsen und in der kalten Morgenluft wie erstarrt wirkten. Dessen langsame Strömung trug einige braune Blätter von einem nahen Baum davon und schlang sich wie ein liebender Arm um Mantua. Die Stadt erwachte langsam, die ersten Bauern waren mit den Waren, die selbst einen Winter gut überstanden, unterwegs auf den allwöchentlichen Markt. Die Fensterläden wurden aufgestoßen, die ersten Läden öffneten ihre Türen und eine Gruppe von Müßiggängern schlenderte auf den Weg nach Hause, sie hatten schließlich die ganze Nacht in einer Taberna und danach in dem einzigen Lupanar in der Stadt verbracht. Eine Amsel zwitscherte und versuchte immer wieder nach oben zu fliegen, doch an ihrem filigranen Bein war sie mit einem Faden an einen Stein gebunden. Neben der Amsel im Gebüsch lauerte ein junger Mann, bereit die von dem Gesang angelockte Artgenossen zu fangen, um sie an die Vornehmen zum Verzehr verkaufen zu können. An einer Straßenecke baute ein alter Mann seinen hölzernen Schemel auf und griff nach einer grauen Schiefertafel, fuhr sich mit zittrigen Fingern durch die Haare. Bald würden die ersten Kinder der Gasse kommen, denen er für einige magere Sesterzen in der Woche das Lesen beibrachte. Seufzend ließ sich der alte Mann auf den Schemel nieder und schloss im Angesicht der Sonnenstrahlen erschöpft die Augen.
An einer kleinen Taberna, ein gut geführtes Gasthaus, öffnete sich die Tür zu dem Schankraum. Ein kleiner zwergwüchsiger Mann tapste nach draußen, streckte sich, wölbte seinen fülligen Bauch der Strasse entgegen und rülpste leise. „Pumilus!“ vernahm der kleine Mann eine empörte Stimme hinter sich. Mit verschämter Miene, natürlich spielte er das nur vor, drehte sich der Leibsklave zu seiner Herrin um. „Tut mir Leid, Domina!“ Medeia trat aus dem Schankraum hinaus und ließ die Sonne auf ihr Gesicht strahlen, seufzte und lächelte glücklich und entspannt. Obwohl die Sonne schien, war es doch sehr kühl. Ihr Atem bildete kleine Wölkchen vor ihrem mild lächelnden Mund. Mit kalten Fingerspitzen zog sie ihre goldsilberne Palla zurecht und tat den ersten Schritt, bei jeder Bewegung umschmiegte der dunkelblaue Peplos aus feingesponnenen Stoffen ihren Körper, doch sie trug darunter noch eine warme Tunica Intima. Silberne Lilienmuster schienen auf ihrem blauen Gewand wie lebende Pflanzen zu wogen als sie sich weiter von der Taberna entfernte und in Richtung des Marktes schritt. Ihr kleiner Leibsklave und Gesellschafter, Pumilus, folgte ihr mit fröhlichem Schritt. Er hatte ja auch allen Grund dazu fröhlich zu sein, seine Angebetete, Olympia, schien immer mehr aufzutauen nach den Ereignissen der Reise. Da waren die Widrigkeiten ein kleiner Preis, den der kleine Mann bezahlt hatte. „Und wo gehen wir suchen, Domina?“ Medeia schritt hocherhobenen Hauptes die gepflasterte Strasse entlang und warf ihrem Sklaven nur einen flüchtigen Blick zu. „Camillus meinte, dass der Würdenträger wohl öfters auf dem Markt anzutreffen ist wegen Stadtbelange. Wir sollen ihn dort treffen. Und Pumilus? Wenn wir uns die Häuser ansehen, dann benimm Dich bitte!“ Streng sah Medeia auf ihn herunter und schritt etwas schneller weiter.
Ein ehrwürdiger Mann, aus Marmor gehauen, und mit einer in die Luft ausgestreckt Hand sah über die Markstände des weitläufigen Platzes hinweg. Zu seinen Füssen tummelten sich einige Tauben, die die Brotkrumen von einem jungen Mädchen wegpickten, die sie gelangweilt den Vögel vorwarf. „Rüben! Rüben!“ tönte eine kräftige Bassstimme über den Marktplatz. „Brot, warmes und frisches Brot, zwei für einen Sesterzen heute!“ Viele der einkaufenden Stadtbevölkerung waren schon hierhin unterwegs, aber auch die jungen Leute, die sich hier trafen, um den Tag mit dem Drücken vor der Arbeit zu verbringen, wenn sie welche zu erledigen hatten. Medeia schritt eine Marktgasse entlang und betrachtete sich die Waren, die angeboten wurde. Sie seufzte leise und blieb bei einem Tuchhändler stehen. Ihre Finger strichen über den groben wollenen Stoff und wieder seufzte sie leise, resigniert und nicht sehr von dem Angebot angetan. „Camillus Matinius Plautius, was ich nicht alles für Dich tue. Was für ein Kaff!“ murmelte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Langsam ging sie weiter, sah auf die schon gelblichen Äpfel, auf einige andere Früchte und blieb dann vor einem Stand mit prallen goldenen Apfelsinen stehen. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen, das erste Mal seitdem sie auf dem Markt angekommen war.
„Pumilus...“ setzte sie an zu sprechen. „Hey! Hey!“ eine donnernde Stimme unterbrach sie dann jedoch schnell. Schreie ertönten, das Klappern von Hufen und wieder ein erschrockener Ruf, gepaart mit einem: „Aus dem Weg...hey, hey!“ Einige Reiter donnerten die Strasse entlang. Ihre Pferde glänzten schweißig, hastig sprangen die Stadtbewohner zur Seite, einige Auslagen der Händler wurden mitgerissen als drei Pferde mit ihren Reitern an ihnen vorbeizogen und mitten in das Marktgedrängel hinein preschten. „Hey, hey! rief der Vorderste laut und kräftig. Gerade noch rechtzeitig packte eine Hand Medeia aus dem Nichts und zog sie nach hinten, sie stieß gegen die Zitrusfrüchte, die auf den Boden kullerten und von den Hufen zerdrückt wurden. Der Geruch von Pferd stieg Medeia für einen kurzen Moment in die Nase, dann waren die Reiter schon vorbei. Medeia, aschfahl im Gesicht, sah ihnen entgeistert hinter her. „Geht’s, junge Frau?“ fragte sie ein älterer Mann, der sie geistesgegenwärtig nach hinten gezogen hatte. „Ich...ja, danke!“ murmelte sie und funkelte den Reitern wütend hinter her. Fast hätte sie ihnen gedanklich einen Fluch hinter her geworfen, zügelte sich im letzten Moment. Sie wollte sich doch bessern. „Hach, es ist jedes Jahr das selbe, junge Frau. Wenn das Reitrennen im Frühjahr naht, dann spinnen die jungen Männer. Wollen schließlich die jungen Frauen, wie Dich, beeindrucken...jaja, jedes Jahr dasselbe. Hach, das war schon zu meiner Zeit so...“ Medeia nickte und lächelte dem Mann noch mal dankbar zu. „Wen suchen wir denn, Domina?“ fragte Pumilus ungerührt von den Reitern. Medeia schüttelte vage den Kopf und sann über den Namen nach, den ihr Plautius genannt hatte. „Aurelius! Aurelius Corvinus!“ Etwas dämmerte bei Medeia, abgesehen davon, dass ihr Schwager den selben Cognomen trug, hatte sie jenen Namen schon einmal vernommen. Hatte nicht ihr Schwager über ihn mal geflucht...?