• Wie schön er doch die Worte setzte! Wider Willen war Leontia fasziniert, malte sich lebhaft eine Schlacht aus, in der urtümliche, große, blonde Krieger, die alle ein bisschen wie Daphnus aussahen, gegen die glorreichen Legionen des Imperiums anstürmten… und mit Genugtuung sah sie die Barbaren unterliegen und sterben. Siegreich erhob sich der römische Adler über die wilden Lande.


    Und tatsächlich streckte Leontia die Hand nach Daphnus aus, legte ihm sacht zwei Finger unter das Kinn, und ließ ihn das Gesicht emporheben. Ihre großen nachtblauen Augen, so dunkel in ihrem alabasternen Antlitz, richteten sich intensiv, forschend, durchdringend, auf ihn, als suchten sie die klare Bläue seiner Augen zu durchdringen. Und nicht ohne in ihrem Inneren ein Erzittern zu spüren, gestand sie sich ein, dass dieser Mann, so strahlend und schön, wahrhaft seinesgleichen suchte… - Leontia, beherrsche dich! Der Sklave ist recht dekorativ, nichts weiter!


    "Aha." Ein undeutbares Lächeln spielte um ihre Lippen, und ihre zarten Finger fuhren langsam, nachlässig, die Linie von Daphnus' Kinn nach - dann zog sie sie abrupt wieder zurück. In geringschätzigem Tonfall bemerkte sie, mehr zu sich selbst: "Ich möchte mal einen Sklaven sehen, der nicht behauptet, von irgendwelchen Königen und Kriegsherren abzustammen… Diese Schlingel sind doch alle gleich. - Wie auch immer, es ist belanglos. Sprich weiter, Daphnus… berichte mir, wo du gedient hast, und vor allem was deine Qualitäten sind…"

  • Daphnus hatte den Eindruck,daß die Enthüllung seiner adligen Herkunft die Herrin nicht unberührt gelassen hatte.Mochte sie sich auch nicht spontan zu dem humanitären Akte seiner Freilassung durchringen,was Daphnus nüchtern abwägend als durchaus folgerichtig und angemessen angesehen hätte,die Art und Weise,wie sie sein energisches,edel geschnittenes Kinn berührte,erschien ihm wie ein Akt der Anerkennung,ja fast wie eine Huldigung,als wäre dieser bewußt geworden,welch ein Edelstein sich unter ihrem Dienstgesinde versammelt hatte.
    Daphnus verstand kaum die ersten Worte,die die Domina an ihn richtete,waren es Schleier innerer Erregung und Ergriffenheit,die ihre Stimme verschatteten,eine Stimme,die doch sonst so bestimmt und klar sein konnte?
    ..Ah,jetzt verstand Daphnus wieder,was das Mädchen zu ihm sprach,und schlagartig fühlte er sich ernüchtert..
    Seine Dienste-...recht eigentlich war es ja nur ein Dienst,oder besser gesagt ein Bündel gleichgearteter Dienste,die ihn bei den Kundinnen des Sklavenmarktes so begehrt machte,ihn von Hand zu Hand gehen ließ...
    Wieder blickte er rasch in das Gesicht seiner jungen Herrin,wieder senkte er keusch den Blick vor ihr zu Boden-offensichtlich war sie im Zenit ihrer Mädchenblüte,unschuldig und unverdorben,abgesehen eines gewissen Anfluges hochnäsiger Attitüde,wohl nicht ungewöhnlich für eine Angehörige des Patriziats,das seinen Platz noch suchte zwischen Plebs und Nobilität..
    Nun,das Gebiet seines bisherigen vorzüglichen Dienstes galt es klug zu umschiffen...im übrigen hätte sich für solche Dienste die Domina nicht unbedingt einen Eunuchensklaven gekauft,und Daphnus wurde auf einmal bewußt,daß sein Gebrauchswert in dieser Hinsicht in absehbarer Zeit sowieso gegen Null tendieren werde..
    So sprach Daphnus,den Blick demütig gesenkt,samtweich die Stimme:"Herrin,ich diente nacheinander vielen Herrschaften.Zumeist war ich deren einziger Sklave,und so wurden mir wichtige und verantwortungsvolle Dienste zugewiesen.So hatte ich deren Garderobe zu besorgen,das Haus oder die Wohnung in ihrer Abwesenheit zu hüten,ja,ich hatte sogar alleine zum Markte zu eilen und unter anderem Gemüse einzukaufen..."
    Daphnus folgte mit seinen Augäpfeln dem wohlgeformten Fuße,der immerfort vor seiner Nase hin-und herwippte..hmm,was das letztere anging war es allerdings einige Male zu recht unerquicklichen,schmerzhaften Weiterungen gekommen,wenn er seiner Herrschaft Rechenschaft über seine Einkäufe zu leisten hatte..nun,wenigstens dieses würde Daphnus bei seiner künftigen Domina erspart bleiben,sicherlich war sie keine Knauserin..

  • Serenus kam mit Dido in die Bibliothek. Eine halbe Stunde später waren viele Schriftrollen in der Bibliothek verteilt und eine abenteuerliche Konstruktion von einer Kiste, einem Schemel und einer Kline stellte eine provisorische Leiter dar. Die interessanten Schriften waren scheinbar alle vorsätzlich außerhalb seiner Reichweite plaziert worden. Die sonstigen Nutzer dieser Bibliothek hatten mal wieder nicht bedacht, daß auch kleine Leute ganz oben an die Regale kommen mußten.


    Natürlich hätten er und Dido auch einen Sklaven den Befehl geben können, aber so eine selbst gebaute Leiter und das entlöang hangeln an den Regalen war viel abenteuerlicher und machte mehr Spaß.


    Inmitten dieser Unordnung saß Serenus an einem Tisch und studierte die patrizischen Tugenden aus Quellen, die ihm sein Onkel Gracchus benannt hatte. Reichlich langweilig, aber da er Dido die Quellen gleichzeitig vorlesen mußte fiel ihm dies nicht so auf.

  • "So, ein Sklave kleiner Leute bist du also gewesen.", stellte Leontia herablassend fest. "Nun, Daphnus, lass dir gesagt sein, dass sich in meinen Diensten für dich vieles ändern wird. Zum einen hast du in Zukunft ein Verhalten an den Tag zu legen, das dem Stand dieses Haushaltes angemessen ist… halte dich an die anderen Sklaven und lerne von ihnen, wenn dir ein solches nicht vertraut ist. Zum anderen : diene mir unaufdringlich, geschickt und flink, sei mir ein guter Sklave, und du wirst in diesem Haus ein Heim finden, in dem es dir an nichts mangelt."


    Sie lächelte huldvoll und blickte von oben auf seinen goldenen Scheitel hinab. Was konnte sich ein Sklave denn anderes wünschen, als ihrer glorreichen Gens zu dienen und auf diese Weise ebenfalls eines winzigen Stückchens ihres Glanzes teilhaftig zu werden? In sachlichem Tonfall fuhr sie fort: "Zum dritten: Schlechtes Benehmen, Faulheit, oder gar Aufsässigkeit werde ich in keinster Weise dulden. Solltest du so einfältig sein, mein Missfallen zu erregen, wirst du empfindliche Sanktionen zu tragen haben…" Ein verträumter Unterton mischte sich in diese Androhung, Leontia dachte an die exquisiten Geißeln, die sie eben erst neu erstanden hatte, und noch keine Gelegenheit gehabt hatte, richtig zu testen. Nur Geduld, Leontia, sie kommen schon noch zum Einsatz…


    "Und komm nicht auf den absurden Gedanken zu fliehen.", befahl sie ihm spöttisch. "Wir fangen diese armen Toren alle wieder ein. Immer. Und es würde mir leid tun, dein blondes Haupt auf einem Pfahl stecken zu sehen, zur Lehre und Mahnung…" Zu Hause machte ihr Papa das immer so, und Leontia fand diesen Brauch sehr vernünftig. "… dein Kopf macht sich auf deinen Schultern doch viel besser, scheint es mir. - Hmm…" Sie legte zwei Finger an ihr zartes Kinn, schien zu überlegen, sah auch kurz zu ihrer Leibsklavin, die wieder ihren schweigenden Posten neben der Türe bezogen hatte.


    Schließlich entschied sie sich: "Was deine Aufgaben angeht, so gedenke ich, dich als meinen zweiten persönlichen Leibdiener einzusetzen - so du dich geschickt anstellst - um meine gute Salambo ein wenig zu entlasten…" Sie lächelte dünn. Ein kleiner Dämpfer konnte ihrer Nubierin nun gut tun; unmöglich hatte die sich während der Saturnalien benommen, einfach unmöglich! - Besagte Nubierin konnte bei dieser Eröffnung offensichtlich nur schwer ihre Bestürzung verbergen. Ein eifersüchtiger Blick aus den dunklen Augen des "Kammerkätzchens" traf den Rivalen wie ein vergifteter Dolch, bevor Salambo wieder sittsam die Augen niederschlug.


    "Sie wird dir alles zeigen, damit du dich zurechtfindest, und gleich deinen Pflichten nachgehen kannst. Nicht wahr, Salambo?" - "Natürlich, Domina.", antwortete die Nubierin glatt. - "Gut. Bring ihn zuerst in die Sklavenunterkunft, er soll sich ein wenig zurecht machen und etwas schmuckeres anziehen. Treib etwas in veilchen-, oder nein, besser in azurblau für ihn auf. Die Blumen kann er dann ablegen. Noch etwas, Daphnus - selbstverständlich wirst du, wenn ich deiner Dienste gerade nicht bedarf, die Wünsche meiner Familienmitglieder, oder unserer Gäste, ebenso gewissenhaft und respektvoll befolgen, als wären es die meinigen… Hast du das alles verstanden?"

  • Verwundert blickte Daphnus auf,...hatte das Mädchen zuvor kaum die Zähne auseinander bekommen,so sprudelte es jetzt aus ihr heraus wie aus einer Quelle im Cumanischen Haine...
    .....hmm,wieder dieser Hinweis,daß dies hier a u c h ein vornehmes Haus sei..Daphnus überlegte ernsthaft,was ihm bereits über die Flavier bekannt war,aber abgesehen von einigen bekannten Kinderreimen,die sich alliterativ auf das Wort 'Flatulentia' mit seinen Abwandlungen bezogen und ein Beispiel waren für die derbe,kraftvolle dichterische Gestaltungskraft der breiten Plebsmassen,fiel ihm im Augenblick tatsächlich nichts ein..
    Der Hinweis auf den 'Pfahl' wiederum,der von einer arg überhitzten Phantasie des Mädchens zeugte, veranlasste aber Daphnus,jedes seiner Worte sorgfältig abzuwägen:...."Herrin,wer denkt an Flucht?Müßten nicht im Gegenteil die Tore dieser Villa der flavischen Gens verriegelt und verrammelt sein um die Sklavenmassen Roms fernzuhalten,die danach lechzen,in diesem hochherrschaftlichen Hause dienen zu dürfen?"...Daphnus mußte noch einen drauf setzen..."Und Ihr,Domina,Ihr habt mich gar zu Eurem 2.Leibdiener gemacht.Ungezählte neidische Blicke werden meinen Rücken durchbohren,wenn ich Euch auf das Forum zu folgen habe..."
    ...in der Tat,2.Leibdiener,das hörte sich gar nicht so schlecht an...sicherlich würde die Domina,was die intimeren,delikateren,aber eben auch unangenehmeren Aufgaben anging,als Frau auf die Dienste des Schwarzen Kammerkätzchens zurückgreifen,Daphnus' Aufgaben hingegen würden es wohl sein,z.B. an der Tafel die gefüllten Wachtelbrüstchen und die diversen Weine und Liqueurs für die Herrin vorzuschmecken und vorzukosten...
    ....überhaupt,was das Schwarze Kammerkätzchen anging...es hatte ihm zwar gerade einen finsteren Blick zugeworfen...grundsätzlich mochte aber Daphnus diese kleinen,farbigen Exoten aus dem tiefen Süden.Hatte man diesen erst einmal freundlich zugelächelt oder ein freundliches Wort an diese gerichtet,erwiesen sie sich erfahrungsgemäß als dankbare und anhängliche Geschöpfe..
    ...nun,eventuell konnte Daphnus,bevor er das Sklavenquartier inspizierte,dieses zu einem Abstecher in die Küche überreden,sein Magen grummelte bereits gewaltig...
    ...als Salambo,das Schwarze Kammerkätzchen, und Daphnus die Bibliothek verließen,lächelte dieser es freundlich an...

  • Zufrieden nahm Leontia zur Kenntnis, dass ihr neuer Besitz sich offensichtlich bewusst war, welche Ehre es war, der Flavia zu dienen. Mit einem "Nun gut. Du darfst dich entfernen.", überließ sie ihn Salambos Obhut, und wandte sich wieder ihren Schriftrollen zu. Doch sobald die Tür der Bibliothek sich hinter den beiden geschlossen hatte, sah sie vom Schreibtisch auf, ihr Blick schweifte nachdenklich über die Regale, blieb an der Büste des Homer hängen, und gedankenverloren spielten ihre Finger mit ihrem Mondsteinohrring…


    Dieser Sklave hatte etwas an sich… sie musste nur an seinen selbstsicheren, geradezu selbstgefälligen Auftritt in all seiner Nacktheit denken, da wurde ihr schon wieder ganz anders… Zudem hatte sie das Gefühl, dass sie nicht wirklich all das von ihm erfahren hatte, was sie wissen wollte; ja, je mehr sie darüber nachdachte, desto sicherer schien es ihr, dass er etwas verheimlicht hatte, sich vielleicht gar insgeheim über sie mokiert hatte?
    Ärgerlich kühlte sie ihre Wangen mit dem Handrücken. Wie konnte sie sich denn nur von einem Sklaven so aus dem Konzept bringen lassen! Möglicherweise hatte Serenus ja recht, wie hatte er noch gesagt, Daphnus sähe zu gut aus, das würde Ärger bedeuten… aber ihm die Nase zu brechen war natürlich vorerst keine Alternative. Seinen Willen zu brechen, das vielleicht schon eher…


    Wozu überhaupt soviel Gedanken daran verschwenden?! War doch nur ein Sklave. Und damit griff Leontia wieder zu Stylus und Wachstafel, und vertiefte sich erneut in das Gastmahl des Kallias. Doch die Begegnung mit diesem germanischen Tadzio war ihrer Konzentration auf die Schriften gar nicht zuträglich. Alsbald verließ auch sie die Bibliothek, um sich ein wenig im Garten zu ergehen, und an der frischen Luft hoffentlich auf andere Gedanken zu kommen.

  • Serenus hing an der Tür zur Bibliothek ein riesiges Schild auf. Dann ließ er von Sklaven einen riesigen Schreibtisch in die Bibliothek stellen, wo er sich ausbreitete. Einige Büsten wurden aufgestellt, Tinten, Farben, Kreide, Papyrrus, Wachstafeln drauf gestellt. Dabei ignorierte er alle Proteste des Bibliothekars und verwies diesen nur auf das Schild an der Tür. Dann begann er sich munter an seinem neuen Arbeitsplatz einzurichten, während sein kleiner Kampfhund mitten in der Bibliothek auf dem Boden lag und friedlich in der Sonne döste.




    ANWEISUNG VON SENATOR FAVIUS FELIX


    Die Bibliothek ist ab sofort das offizielle Arbeitszimmer von Lucius Flavius Serenus. Wer sich an seinen Schreibtisch setzt oder sein Officium ohne vorheriges Anklopfen betritt bekommt 2 Wochen nur Spinat und Gerstenbrei zu essen und wird in "das Loch" geworfen! HUNDE sind in diesem Officium ausdrücklich erlaubt!


    Gezeichnet: LFS im Auftrag für Onkel Senator Felix



  • "Salve?"
    Vorsichtig streckte der Germane das blonde Haupt durch die, nur einen Spalt geöffnete, Tür der Bibliothek. Es war am späten Abend. Der große halbrunde Raum lag, von einigen Öllampen beleuchtet, scheinbar verlassen vor ihm. Die Flammen spiegelten sich auf dem glänzenden schwarzweißen Mamorboden, und die Regale warfen lange Schatten.
    Etwas unbehaglich setzte der Germane den Fuß in diese fremde Welt, trat leise ein und schloss die Türe hinter sich. Gleich stieg ihm ein fremdartiger Geruch in die Nase, eine Mischung von Papyrus, Wachs, Pergament, Tinte und Staub. Auf einem schweren Schreibtisch stand der steinerne Kopf eines bärtigen Mannes und blickte ihm tiefsinnig entgegen. Aus einer Schlucht zwischen zwei Regalen drang ein undefinierbares Rascheln, ein Grummeln, ein schlurfendes Geräusch, und dann trat Mago, der alte Bibliothekar, hervor, mit mürrischer Miene und einem Haufen von Schriftrollen im Arm.


    Der Germane räusperte sich.
    "Salve. Verzeih mein Eindringen. Es heißt Du bist ein weiser Mann..."
    Wie bei einem Uhu ruckte der Kopf des alten Sklaven herum. Mit grämlichem Blick maß er den Besucher.
    "Bist Du nicht der Gekreuzigte? Junger Mann, wegen Dir hab ich meine alten Knochen in der schlimmsten Affenhitze durch halb Italia schleppen müssen!"
    "Ähm. Das tut mir leid. Nun, es ist so dass mein... Herr mir aufgetragen hat... -"
    "Schön schön."
    Mago ließ ihn nicht ausreden.
    "Du kommst gerade recht. Kannst mir helfen mit den Schriftrollenbehältnissen da drüben. Die gehören nämlich da oben hin. Nimm die Leiter und dann ganz oben im Regal einordnen. Aber schön der Reihe nach!"
    Der Germane öffnete den Mund um zu einem Protest anzusetzen, doch da man ihm einst beigebracht hatte dass man zu alten Leuten immer höflich sein sollte, besann er sich eines besseren und schloß ihn wieder. Außerdem sagte er sich, dass es wohl nicht ratsam wäre, den ehrwürdigen Hüter dieses Hortes des Wissens zu verärgern.


    Brav nahm er die besagte Leiter, lehnte sie an die Wand und erklomm sie mit einem Stapel der schmalen hölzernen Behältnisse. Während er sie eines nach dem anderen verstaute, strich der alte Mann unten zwischen den Regalen herum, räumte auf und schimpfte murmelnd vor sich hin.
    "Kinder, Kinder sind ein Graus, eine Geißel der Götter... kein Verständnis für die Weihe dieses Ortes... aussperren sollte man die... und überhaupt die ganzen Besucher die sich nicht zu benehmen wissen... oh wenn ich nur könnte wie nur wollte... Fettige Fingerabdrücke! Hundehaare! Und was haben wir denn da - einen Apfelbutzen! Ein Apfelbutzen auf dem dritten Buch der Eudemischen Ethik! Das geht zu weit!"
    Zornig hob der Bibliothekar das Corpus Delicti in die Höhe. Von seinem Aussichtspunkt oben auf der Leiter sah der Germane, der noch immer nicht sein Anliegen hatte vorbringen können, neugierig zu ihm hinunter.
    Sorgfältig legte der alte Gelehrte den Apfelbutzen in eine Schale und gesellte ihn zu der Sammlung penibel gehorteter Beweise, mit der er eines Tages den Hausherren davon zu überzeugen gedachte, die Bibliothek nur noch per Passierschein für ausgewählte und über jeden Zweifel erhabene Persönlichkeiten des Haushaltes zugänglich zu machen. Oh ja! Ein dünnes Lächeln hob die schlaffen Mundwinkel des Bibliothekars. Das würde ein wahrer Triumphtag sein!

  • Eine Weile lang half der Germane dem bärbeißigen alten Herrn, kletterte Leitern hoch und runter, räumte Schriftrollen ein und trug ein paar schwere Kisten in den Nebenraum, wo er sie stapelte. Dann herrschte wieder penible Ordnung in der Bibliothek. Der Herr über dieses Reich atmete auf, und seine gebeugte Gestalt straffte sich.
    Zeit für einen neuen Anlauf. Der Germane klopfte sich den Staub von den Händen und reckte die müden Schultern.
    "Werter Mago", fragte er dann sehr höflich, "kannst Du mich lehren was es mit den Göttern der Römer auf sich hat? Es heißt dass Du ein Quell des Wissens bist, und dass Dir keiner in diesem Hause an Gelehrsamkeit gleichkommt. Darum wende ich mich an Dich."
    "Hm hm. So, sagt man das?", grummelte der Bibliothekar geschmeichelt. "Ja nun. Was willst Du wissen, junger Mann?"
    "Über ihre wichtigen Götter und Feste würde ich gerne etwas lernen. Ein paar Sachen weiß ich auch schon. Aber nicht so viel."
    "So so. Nun, Wissbegier ist eine Tugend. Aber merk dir: hier drinnen wird nicht gegessen, nicht getrunken, und Tiere sind strengsten verboten!"


    Zielsicher fischte der Bibliothekar ein Bündel Schriftrollen aus einem Regal, breitete es auf den großen Schreibtisch aus und winkte den Germanen zu sich.
    "Setz dich. Und sieh her."
    Er stellte die Öllampen um die Pergamente herum auf, so dass die Zeichnungen darauf deutlich vom Licht beschienen wurden. Neugierig besah der Germane sich die Bilder. Muskulöse Männer mit Bärten und anmutige Frauen tummelten sich auf den Bildern, umgeben von wilden Tieren, Fabelwesen und Riesen.
    "Was ist das?"
    Er tippte auf ein dreiköpfiges, zähnefletschendes Scheusal, das ein wenig an den Garm, den schrecklichen Hund der Hel erinnerte.
    "Das ist Cerberus", raunte der Bibliothekar, "der Wache hält an den Pforten der Unterwelt, des furchtbaren Reiches der Finsternis und des Todes. - Aber wir beginnen hier."
    Mit einem Stylus zeigte er auf eine auf den Wolken thronende respektable und väterliche Gestalt, die drohend einen Blitz in der Faust hielt.
    "Jupiter.", sagte der Germane, stolz, dass er nicht ganz unwissend war. Und grübelte, ob es denn sein konnte dass die Blitze, die Wodan mit dem Speer Gugnir schleuderte, hierzulande wirklich einem anderen gehorchten. Oder ob die Römer vielleicht, wenn auch natürlich in einer verzerrten und verfälschten Form, ebenfalls dem Wallvater huldigten?


    "So ist es. Iuppiter, der Himmelsherr, er ist von allen Göttern der höchste und vollkommenste und herrscht über Götter und Menschen. Seine Macht hat nicht ihresgleichen, in ewiger Jugend und Kraft thront er in schimmerndem Aetherglanze, sein Gesetz und Machtgebot gilt im Himmel und auf der Erde und unter der Erde und dauert durch alle Zeiten...."
    Und so begann Mago zu erzählen, ausführlich, um nicht zu sagen langatmig, pries er den Göttervater, erzählte ohne Punkt und Komma von seiner Herkunft, den Formen in denen er verehrt wurde, seinen Festen...
    Der Germane hörte gut zu und mühte sich sehr, das alles zu verstehen und sich einzuprägen. Einfacher wäre es natürlich gewesen, wenn man diese ganzen Geschichten in ordentliche Stabreime gefasst hätte. Außerdem war müde vom Training. Von den seltsamen Liebschaften des Göttervaters zu hören, fesselte aber wieder seine Aufmerksamkeit und ließ ihn breit grinsen. Ja, das klang doch sehr nach Allvater Wodans Frauengeschichten. Dann wiederum trug dieser römische Göttervater deutliche Züge des Tiwaz, des Schirmers der Eide.


    Irgendwann schob der Bibliothekar ihm eine Wachstafel rüber.
    "Hör nur gut zu. Und mach Dir Notizen. Aber nur auf Wachs! Tinte bekommst du keinen Tropfen von mir. Ach, diese Knappheit ist verheerend, einfach katastrophal, und kein Ende abzusehen..."
    "Ich kann nicht schreiben."
    "Hm. So..?"
    Mago blickte ihn finster an. Leute die nicht mal schreiben konnten hatten hier gleich mal gar nichts verloren.
    "Wir machen dann mal Schluss.", verkündete er, und begann schon die Pergamente wieder einzurollen.
    Der Germane zögerte, dann fasste er sich ein Herz.
    "Kannst Du es mich lehren?"
    "Was? Schreiben?"
    "Ja, und Lesen auch."
    "Sonst noch was?!"
    "Die Kunde von den Göttern?"
    "Das ist alles?!!"
    "Ja."
    Mago schnaubte unwirsch.
    "Ausgeschlossen."
    "Warum?"
    "Du bist zu alt."
    "Ich lerne schnell!"
    "Zu - germanisch."
    "Ich kann schon ein paar Buchstaben! Das 'Rrrr' und das 'Uuh', und das 'Eeeh'..."
    "Ich hab keine Zeit."
    "Ich helfe Dir dafür auch!"
    "Ich hab schon einen Gehilfen. Dieses faule Stück hat sich heute nur gedrückt."
    "Dann erweise ich mich anders erkenntlich. Bestimmt gibt es etwas was ich für Dich tun kann!"
    "Fällt mir nichts ein."
    "Ich könnte zum Beispiel Deine Feinde verprügeln."
    "Hab keine. Keinen einzigen. Was meinst Du wie ich in diesem Haus so alt geworden bin?"

    Geschlagen senkte der Germane den Blick zu Boden, erhob sich dann um zu gehen.


    "Eines gäbe es da allerdings...", fuhr Mago auf einmal leise fort.
    "Ja?"
    "Für das ich einen unbedarften Handl... - ääääh, will sagen einen tüchtigen, vertrauenswürdigen, schlagkräftigen Mann wie dich möglicherweise gebrauchen könnte... Verschwiegen sollte er auch sein. Du bist doch verschwiegen? Wie heißt du nochmal?"
    "Severus. Verschwiegen wie ein Grab."
    Der Bibliothekar beugte sich vor und wisperte dem Germanen etwas ins Ohr. Der überlegte, legte den Kopf schief, furchte nachdenklich die Stirn, nickte dann.
    "Mach ich."
    "Schön schön."
    Wie eine Vogelklaue legte sich die ausgezehrte Hand des Bibliothekars auf seine Schulter.
    "Dann komm morgen abend wieder. Das wird schon. Mit Zeit und Fleiß. Jetzt aber husch husch. Gute Nacht junger Mann."
    "Gute Nacht, Hüter der Schriften."
    Müde, zufrieden und zuversichtlich verließ er die Bibliothek. Der Handel mit dem Weisen schien ihm äußerst günstig zu sein. Von der Lektion um Iuppiter schwirrte ihm aber noch der Kopf. Während er seine Schritte zur Sklavenunterkunft lenkte, begann er sich im Geiste das Gehörte zu wiederholen...
    Iuppiter, Himmelsherr, höchster der Götter/
    Hehrer Herrscher, vortrefflich im Glanz/
    Sturm deckt Deine Schultern, Gewölk Dein Haupt/
    Künder der Lose und Schirmer des Schwurs/
    Gestrenger Gebieter, weitsehend waltend...

  • In einem verwinkelten Nebenraum der Bibliothek, zwischen Stapeln von Papyrus, Kisten mit Schreib-Utensilien, Ersatz-Schriftrollen und zu reparierenden Regalen stand ein kleiner Schreibtisch. Daran sass ein großer Germane. Ganz vorsichtig hielt er den schmalen Stylus in der breiten Faust. Mit vor Konzentration starrem Gesicht, die Stirn in angestrengte Falten gelegt, fuhr er mit dem filigranen kleinen Metallgriffel über die Wachstafel vor ihm auf dem Tisch.
    Draußen war es schon dunkel und nur eine Öllampe spendete ihm Licht. Noch immer hatte er ein wenig Angst, sich die Augen zu verderben, doch tagsüber war einfach keine Zeit für diese Lektionen. Erst abends, nach dem Training, konnte er hier vorbeikommen, um sich von Mago in die Geheimnisse der römischen Schrift einweihen zu lassen. Er war schon müde, aber er gab sich große Mühe. Denn es ging ihm bei dieser Sache auch darum, guten Willen zu zeigen. Wenn Aquilius sehen würde, dass er von sich aus, ganz aus eigenem Antrieb, zu lernen bemüht war - vielleicht würde das irgendwie... ein klein bisschen helfen? Ihm zeigen dass er nicht ein dummer Barbar war? Ihn davon abhalten, ihn in bei nächster Gelegenheit in einen Steinbruch zu verkaufen, oder beim nächsten Wortwechsel der wie gewöhnlich ausartete gleich ad bestias zu verurteilen? Er hoffte es.
    Erst mal hatte ihm jedenfalls Mago die Buchstaben seines Namens aufgezeichnet, und die grub er nun gewissenhaft, doch mit noch sehr ungelenken Bewegungen in das Wachs hinein. S wie ein Schlange, E ein bisschen wie ein Kamm, V wie ein Vogel am Himmel. R konnte er schon, und das U auch... Puh...
    Die ganzen gebogenen Linien in dem Wachs hinzubekommen war echt schwer. Und umständlich! Viel schwerer als das Runen Ritzen. Da gab es nur gerade Kerben.


    Nachdem die Wachstafel mit mehr oder weniger gelungenen Buchstaben bedeckt war, trug er sie zu Mago hinüber, der in der Bibliothek gerade an einem Schreibpult stand, und ein Werk kopierte. Leise schabte das Schreibrohr über das Pergament, hinterließ in klarer, eleganter Schrift, wohlgeformte Lettern, Wörte, Sätze...
    Einen Moment lang blieb der Germane neben dem alten Herrn stehen, und sah beeindruckt zu, wie mühelos diesem die Worte aus der Feder flossen. Dann räusperte er sich und zeigte seine Tafel vor.
    "Stimmt das so?"
    "Das S schaut in die falsche Richtung, Severus.", mahnte Mago streng. "So rum gehört das! Und immer auf der Linie schreiben! Sonst passabel. So, und jetzt noch ein paar weitere Buchstaben."
    Er strich das Geschriebene aus und schrieb ihm die Vokale auf.
    "I wie Iuppiter. A wie Aquilius. E wie Ego. U wie Urbs. Und O wie..."
    "Oktober!"
    "Hmhm. Üb das mal."
    Ernst nickte der Germane, und verzog sich wieder in den Nebenraum, wo er sich eifrig an die mühsame Arbeit des Nachmalens machte. Mit gerunzelter Stirn sagte er sich dabei leise die Buchstaben vor - ein Reisender, der gerade die ersten, tapsigen Schritte unternahm, soeben erst aufgebrochen war zu einer Entdeckungsreise in ein unbekanntes Land, das sehr weit, sehr fremd und sehr unwegsam, voll Stolpersteine und Fallgruben, vor ihm lag...

  • Und schon wieder ist es zu weit in die Nacht hinein, fast früher Morgen, wahrscheinlich kann ich mal wieder die Hähne wecken gehen. -.^


    Aber ich trübe Funzl sitze bei ebenso trübem Funzllicht, das in einen großen Glasbecher eingesperrt ist, an meinem Schreibpult in der Bibliothek, Türme von cistae mit Rollen um mich herum aufgestapelt. Büffeln im Schweiße des Angesichts für den cursus rei vulgaris. Übermorgen ist der letzte Tag und Abgabe der Prüfungsergebnisse.


    "Das römische castrum. Wie sieht es aus?" Woher soll ich das wissen? Wozu muß man das überhaupt wissen? Werd' ich Soldat? "Beschreibe den Werdegang und die Aufgaben eines tresvir capitalis?" Das ist jetzt'n Witz, oder? Ist das meine Frage oder kriegt die jeder candidatus? "Was versteht man immolatio, was unter dedicatio?" Nicht schwer, steht irgendwo da unten im Stapel II, wenn ich mich recht erinnere. "Ovid hat über welche Kunst geschrieben?" Oh, eine Schweinkram-Frage ...


    Langsam füllen sich meine Notizzettel, Tabulae, Papyri, auch das Pult hat schon eine Information aufgetritzelt bekommen, Gänsefedern liegen verschmiert herum, meine Hände sind tintenblutig, ein leichter Hauch Tinte hat einen Streifen auf meiner Wange hinterlassen. Luca, der Dompteur in den Wogen des Wissens.


    Sim-Off:

    [SIZE=7]Nicht, daß jemand meint, hier stünden Fragen des oder Hinweise zum CRV XXXIII - alles frei erfunden und fiktiv, jeder wirkliche Bezug zum CRV XXXIII ist rein zufällig. [/SIZE]

  • Nachdem ich mein Zimmer bezogen hatte und ein erholsames Bad genossen hatte, trieb es mich in die heimische Bibliothek. Die Schriftrolle, die ich für meine Reise in Massalia erstanden hatte, bevor ich das Schiff nach Ostia bestieg, war längst ausgelesen. Jetzt brauchte ich dringend Nachschub! Ich hatte schon seit jeher eine Schwäche für gute Literatur. Dabei mußten es nicht nur die klassischen Dichter sein, denen ich frönte. Nein, auch so manches zeitgenössische Stück erregte gelegentlich meine Aufmerksamkeit. Drum war es für mich ein Vergnügen, in einer für mich bislang fremden Biblothek auf Entdeckungsreise zu gehen.
    Ylva wollte ich mit solcherlei Dingen nicht beauftragen. Ihr war leider der Sinn für schöne Literatur bislang verborgen geblieben und so, wie ich sie kannte, würde sie sich mit derlei Zeitvertreib auch nicht mehr anfreunden wollen. Sie in eine Bibliothek zu schicken, hätte ähnlich viel Sinn gehabt, wie der Versuch, einer Ziege das Singen beizubringen. Beides hätte fatale Folgen gehabt.
    Langsam öffnete ich die Tür und ein überwältigender Anblick bot sich mir. Ein ganzer Raum, gefüllt mit Schriftrollen noch und nöcher. Dieser Anblick erfreute mein Herz und sogleich wollte ich hineintauchen in das Reich des Wissens und der Kurzweiligkeit.
    Schon während meiner Ehe war die Bibliothek meines Gatten eine Zufluchtsstätte gegen die Langeweile für mich gewesen. Hier konnte sich meine Phantasie erquicken und hier lebte ich wirklich.
    Ich näherte mich den Schriftrollen und interessiert stöberte ich herum. Ich war für alles offen und ich wollte mich überraschen lassen, was die Bibliothek mir zu bieten hätte.

  • [Blockierte Grafik: http://img153.imageshack.us/img153/711/magopq3.png]
    Mago (Bibliothecae Praefectus)


    Seit der junge Flavius Lucanus erkannt hatte, daß es sich in der Bibliothek viel besser arbeiten ließ als in seinem cubiculum, ging es Mago viel schlechter. Bislang hatte man ihn und seine Bibliothek seit den Tagen jenes für Mago albtraubhaften Knaben Flavius Serenus in Ruhe gelassen, nur wenige fanden ihren Weg in den lichtdurchfluteten Raum mit einem wohlausgewogenen Tonnengewölbe, der von zwanzig großen Fenstern, zwei halbrunden über den einander gegenüberliegenden Exedren und je neun über den Nischen an den Längswänden weiteren in der Mitte des langgestreckten Raumes den ganzen Tag über beleuchtet ist.


    Die Präsenz von Lucanus' Leibburschen, dieses verstuwelten Etwas, das manchmal auf den Namen Lars hörte, meistens aber nicht, hatte Mago sich in einem Aufbäumen verbeten, nachdem er Lars dabei erwischt hat, wie er
    Dattelkerne durch ein zu einem Blasroh gerollten Papyrus durch die Bibliothek fliegen ließ. Lars, der sich jedesmal in der Bibliothek tödlich gelangweilt hatte, war Mago dafür durchaus dankbar.


    Der junge Flavius Lucanus erledigte in der Bibliotheca Flavia seine Korrekturen für die Bibliotheca der Schola Atheniensis, deren scriba Logei er ewar, machte seine Hausaufgaben für den cursus und schien ansonsten wie weiland Flavius Serenus diese Waffenkammer gegen die Dummheit zu seinem Wohnraum machen zu wollen. Oft aß er sogar zu abend, eine Gewohnheit, die Mago völlig eindeutig gegenüber stand, nämlich strikt ablehnend. Da der junge Neuzugang allerdings mehr kluge als dumme Fragen stellte und sich auch sonst nicht lästiger benahm, als von einem Benutzer Magos Bibliothek erwartet werden konnte, wandelte sich Magos Einstellung langsam von "inakzeptabel" zu "kann ich in Kauf nehmen".


    Mit einer mehrrolligen Ausgabe von Ciceros Gerichtsreden, die der junge Herr erbeten hat, schlurft Mago breit- und spreizfußig an einem Regal vorbei und entdeckt zu seinem Schrecken einen zweiten Leser hier in der Biblothek. Ein Ereignis, das ihm beinahe die Fassung verlieren läßt, zwei Personen gleichzeitig in der Bibliotheca Flavia waren schon seit Jahren nicht mehr gesichtet worden. Und das sollte auch so bleiben.


    "A-hem", räusptert sich Mago und tritt mit den Rollen auf dem Arm zu der jungen Dame. Frauen in der Bibliothek. Er war alles andere als entzückt. "Kann ich Dir irgendwie behilflich sein? Suchst Du etwas?"

  • Lesen war für mich schon immer eine der favorisiertesten Freizeitbeschäftigungen. Aus diesem Grund bevorzugte ich es, dabei auch eine möglichst angenehme Kleidung zu tragen. So hatte ich nach meinem Bad meine Lieblingstunika angelegt, die zugegebenermaßen schon bessere Tage gesehen hatte. Selbstredend war sie nicht verschlissen oder gar löchrig, doch machte sie schon einen etwas ausgewaschenen Eindruck. Auch meine Frisur, die ansonsten, dank Ylva stets perfekt saß, wirkte etwas leger.

    Just hatte ich eine Ausgabe von Ovids Metamorphoseon libri entdeckt und wollte mich schon auf einem Stuhl niederlassen, als mich ein Räuspern aufzucken ließ. Mir war fast, als hätte man mich bei einem Vergehen erwischt, doch war ich mir keiner Schuld bewußt!
    Lächelnd sah ich in das Antlitz jenes Mannes, der mich soeben angesprochen hatte. Ein mürrischer älterer Mann, der wohl nicht im Mindesten damit einverstanden war, mich hier vorzufinden, stand vor mir. Doch ich wollte und mußte nicht unbedingt seine Hilfe in Anspruch nehmen. "Oh, nein. Besten Dank für deine Hilfe, doch diese wird nicht notwendig sein. Ich glaube, ich werde auch gut alleine zu recht kommen. Eigentlich möcht ich nur etwas herumstöbern und werde auch alles wieder zurück an seinen Platz legen!"

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    Mago (Bibliothecae Praefectus)


    Eigentlich hatte Mago der jungen Frau keine Frage gestellt. Am Ende der Aussage befand sich zwar jenes syntaktische Symbol des auf den Kopf gestellten Angelhakens mit einem punctus darunter, das war aber nur der Convention entsprechend und hatte auch keine Auswirkung auf den Tonfall, in dem der praefectus Bibliothecae diesen Satz sprach. Auch ein Angebot war es nicht, daß die junge Frau wählen oder ablehnen konnte.


    Sie war offensichtlich ein Leser. Der prototypische Feind einer Bibliothek, schimmer als die Parther, die Germanen und die Kelten zusammen. "Eigentlich möcht ich nur etwas herumstöbern und werde auch alles wieder zurück an seinen Platz legen!" äffte Mago sie im Geiste nach. Herumstöbern! Erst Chaos und dann Ordnung, natürlich, natürlich. Aber die Frau war wohl ein Gast des Hauses oder noch schlimmer, eine Verwandte, die sich hier im Speck niederließ und womöglich noch öfters in der Bibliothek mit ihrer Anwesenheit das silentium sapientium, die Stille der Weisen störte.


    "Das ist eine Präsenzbibliothek und ich bin Mago, der Bibliothekar." Er hätte auch sagen können: Das ist eine Festung und ich bin Mago, die Schildwache. "Dort vorne ist der alphabetische Autoren-Katalog. Sage mir, was Du brauchst, und ich werde es Dir bringen." Daß jemand eigenständig ein Buch in die Hand nahm, war von Mago nicht vorgesehen.


    "Warte bitte, ich muß nur angeforderte Bücher bereitstellen." So das Gespräch abschließend ging er weiter nach hinten in die Halle, von wo eine helle, aber schon dem Stimmbruch entwachsene Jungenstimme rief: "Bringst Du auch pro rege Deiotaro mit, bitte?"

  • Soso eine Präsenzbibliothek! Was er nicht sagte! Der Gute begann, mich etwas zu irritieren!
    "Oh, keine Sorge! Selbstverständlich werde ich alles hier belassen!" wollte ich den Bibliothekar, der sich mir als Mago vorgestellt hatte, beschwichtigen. Schließlich wollte ich noch einige Zeit hier lesend verbringen. Dafür war doch dieser Ort hier prädestiniert, so dachte ich jedenfalls. Offensichtlich war da mein Gegenüber völlig anderer Meinung.
    "Ach, danke! Doch ich denke, ich bin fürs erste fündig geworden!" Ich deutete auf Ovids Metamorphosen, die in einer, aus mehreren Schriftrollen umfassenden Ausgabe bereits vorlag. Das würde mir für heute genügen. Also bedurfte ich auch keiner weiteren Hilfe, was dem Bibliothekar doch eigentlich entgegenkommen sollte, so dachte ich wenigstens. Doch mir wurde schon bald klar, dieser Mann würde jede einzelne Schriftrolle in diesem Raum mit seinem Leben verteidigen wollen.
    Noch ehe ich etwas dazu sagen konnte, vernahm ich eine jugendliche Stimme. Augenscheinlich war ich nicht die einzige Leserin in dieser Bibliothek. Ich versuchte in die Richtung zu spähen, aus der die Stimme kam, doch konnte ich nichts erkennen.


    Noch einmal versuchte ich es mit einem freundlichen Lächeln, um den Bibliothekar zu bändigen.
    "Du kannst ruhig gehen. Ich komme alleine zu recht!" wiederholte ich mich und ersehnte die wiedereinkehrende Ruhe, auf daß ich mich endlich wieder Ovid widmen könnte.

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    Mago (Bibliothecae Praefectus)


    Mago grummelte sich in sein Schicksal ergebend etwas vor sich hin und entfernte sich endgültig. Wenn die junge Frau außer dem Ovid nichts anfaßte, soll es halt in Ordnung gehen. Manchmal war Mago einfach nur müde.


    "Bitte. Ich könnte Dir auch pro Ligario und pro Marcello bringen, dann hast Du die Reden vor Caesar komplett zur Hand, Flavius."


    "Ja, das ist eine prima Idee, vielen Dank. Stell' die Rollen da hin, nein, da. Genau. [SIZE=7]"Ist noch wer gekommen? Meine Tante?"" [/SIZE] Die Jungenstimme senkt ihre Stimme ins kaum hörbare.


    [SIZE=7]Nein, Flavius, die junge Dame ist wohl ein Gast des Hauses. Sie liest Ovids Metamorphosen.[/SIZE] Womit Mago sein Urteil gefällt hatte wie ein iudex über einen nutzlosen Tagedieb.


    Der Junge kichert leise, Papier raschelt, etwas fällt leicht klatschend zu Boden. "Mist, verdammter."


    "Du sollst in einer Bibliothek nicht fluchen, Flavius - und eigentlich auch nicht essen."


    Ein Stuhl knarzt, "Entschuldigung." Der Stuhl knarzt wieder, der Junge ächzt. Dann ist es still, Schritte kommen durch die Bibliothek, Mago geht zu seinem eigenen Schreibtisch beim alphabetischen Autorenkatalog.

  • Endlich hatte ich es geschafft! Der Bibliothekar räumte mehr oder weniger freiwillig das Feld und ich konnte mich wieder in aller Ruhe meinem Text zuwenden. Diese seelige Ruhe! Oh wie war das schön, ungestört lesen zu können! Aber das Idyll hielt nicht lange an.
    Schon bald darauf drangen einige Gesprächsfetzen an mein Ohr. Der Bibliothekar unterhielt sich mit dem Leser, dessen jugendliche Stimme ich bereits vernommen hatte.
    Eigentlich brauchte es mich ja nicht zu interessieren, wer der andere Leser war und noch weniger sollte es mich etwas angehen, was zwischen den beiden gesprochen wurde! Doch die Wortfetzen, die an mein Ohr drangen, ließen mich aufhorchen. Tante? Wessen Tante?
    Es kam, wie es kommen mußte! Meine Neugier war geweckt und sie würde nicht eher Ruhe geben, bis sie gestillt war. An ein ungestörtes ruhiges Lesen war längst nicht mehr zu denken!
    Sachte erhob ich mich und schlich mich an den Regalen vorbei, um schließlich um die Ecke zu spitzeln. Dort erkannte ich einen jungen Mann, der gerade dabei war, dutzende Schriftrollen zu wälzen. War das auch ein Verwandter? Wenn ich seine Tante sein sollte, wer war dann sein Vater oder seine Mutter? Die wildesten Spekulationen gingen mir durch den Kopf. Gab es etwa noch mehr Geschwister? Aber vielleicht war es ja auch jemand, der mit mir nicht das Geringste zu tun hatte! Nun, von seiner Kleideung zu schließen, konnte er alles mögliche sein. Ich beschloß, ihn noch etwas zu beobachten, allerdings auf eine Weise, damit ich möglicht nicht entdeckt wurde.

  • Leicht indigniert beende ich die Inspektion des Hirsch-Sandwichs, das mir gerade - natürlich mit der Belagseite - auf den Marmorboden gefallen war. Wunderbar rosa Roastbeef vom Hirsch mit einem Kirsch-liquamen-Chutney, einer ordentlichen Streu Kümmel, zwei Scheiben säuerlicher Apfel und ein Salatblatt. Der Vergleich mit den drei Exemplaren, die noch auf der Platte liegen, ist frappant und enttäuschend für jenes derangierte Meisterwerk aus der Küche von O-Dominüs-O-Dominüs-Lücá!-Attalus.


    Ich nehme die beiden silbernen Karaffen, die im Licht des Tages glänzt und mische mir ein Birnenwasser in dem dazu passenden Becher. Jedesmal, wenn ich dieses Service zu Hand nehme - und ich bin quasi zu dessen Besitzer geworden, da es im Gegensatz zu den gläseren Karaffen und Pokalen unkaputtbar ist - frage ich mich, was eigentlich aus mir geworden ist. Hirsch-Sandwichs auf einer silbernen Platte, handgepreßten Birnensaft mit frischem Quellwasser aus den Tusculaner-Bergen (das aus den Albaner-Bergen finde ich zu eisenhaltig) in silbernen Karaffen auf silbernem Tablett und aus silbernen Bechern. Auf einem polierten Kirschholztisch, Kirschholzstühle mit hellbraunem Leder auf einem Meer von einem Marmorboden, blau-grau und weiß mit schwarzen Einfassungen. Wo zum Geier bin ich gelandet? Auf einer anderen Welt? Und wie schnell habe ich mich daran gewöhnt. Ich will dies, das, jenes, und bekomme auch dies, das, jenes. Leichte Ungeduld macht sich auch bemerkbar, mal stärker, mal schwächer als damals, als wir zur Inspektion im carcer waren. Peinliche Sache, eigentlich.


    Etwas gedankenverloren trinke ich, den Blick über die Tische und Regale schweifen lassend, leichte wäßrige Perlen kullern meine dunkelblaue Tunika herunter. Ich schiebe mir die traurigen Reste meines Sandwichs in den Mund und kaue kräftig und schicke noch einen Schluck Birnenwasser hinterher, als wieder Platz in meiner Fütterungsanlage ist.


    "Tempora mutant und nos mutamur in illis", wahrscheinlich trifft das auch auf mich zu. Und irgendwann werde ich Laas in den Katakomben der villa zu Tode peitschen lassen, weil er vor mir in der Nase gebohrt hat. Was hat der Terentier gesagt? "Herrlichkeit"? Kommt von "Herr" und "herrisch", nicht wirklich herrlich. Ich tunke die Feder in die Galltinte und male CAPRA auf meinen rechten Unterarm. Zicke.


    Während ich warte, bis es trocken ist, trinke ich den Rest aus und greife dann zu einer Rolle. "Pro Milione", mal sehen, welche Anregungen ich finde. Meinen Notizpapyrus auf der einen Seite die Feder in der Hand, Ciceros Rede auf der anderen, fange ich wieder an.

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