"Seitdem ich mich auf die Reise nach Rom gemacht habe, sehne ich diesen Moment herbei, endlich meinen Bruder kennenzulernen. Und glaube mir, ich bin heute mit gemischten Gefühlen hierher gekommen. Ständig habe ich mir die Frage gestellt, wie man mich hier aufnehmen würde. Aber ich wurde bislang auf angenehme Weise überrascht! Man ist mir gegenüber sehr zuvorkommend. Onkel Gracchus möchte heute Abend eine cena für mich ausrichten, damit ich alle anwesenden Familienmitglieder kennenlerne. Doch ich freue mich sehr, bereits jetzt deine Bekanntschaft zu machen, Lucanus."
Wenn ich es mir recht überlegte, konnte eine solche Überraschung bei manchen doch sehr auf den Magen schlagen. Als Hauptgericht eine Schwester zu erhalten war schließlich nicht alltäglich. Auch wenn er es jetzt auf die leichte Schulter nahm, es würde doch Zeit brauchen, bis wir uns soweit angenähert hatten, wie es für Bruder und Schwester üblich war.
"Nun, ich wuchs in einfachen Verhältnissen in Tarraco auf. Wie ich erst kürzlich herausfand, war unser Vater mit meinem Pflegevater befreundet. Wahrscheinlich hat r mich aus diesem Grund dort abgegeben. Wir waren drei Kinder. Ich bin mit einem älteren und einem jüngeren Bruder aufgewachsen. Und ich kann dir versichern, es war nicht immer leicht. Doch ich habe gelernt, mich durchzusetzen!"
Auch ich begann nun aus meinem Leben zu erzählen. Meine Kindheit als glücklich zu bezeichnen, wäre übertrieben gewesen. Wenigstens hatte ich alles, was ich brauchte. Doch hatte ich damals schon gespürt, daß man mich anders behandelte, als meine vermeintlichen Brüder. Damals glaubte ich, der Grund dafür wäre, weil ich ein Mädchen war.
"Als ich fünfzehn Jahre alt war, wurde ich verheiratet. Mein Ehemann war ein reicher Kaufmann, der allerdings fast dreimal so alt war, wie ich. Nach der Hochzeit folgte ich ihm nach Gallien. In Lutetia lebte ich im Luxus, doch der Preis dafür war ein Mann, der mich nicht liebte, der mich betrog und der mich all die Jahre fast wie eine Gefangene hielt. Nachdem ich mit achtzehn eine Fehlgeburt erlitt , blieben uns Kinder verwehrt. Mit Als er vor zwei Monaten starb, kam dies für mich einer Befreiung gleich."
Ich nahm kein Blatt vor den Mund, als ich über meine Ehe berichtete. Diese acht Jahre waren für mich eine reine Tortur! Und ja, ich war froh, daß er tot war!