Irgendwie alles egal ...

  • Ich kannte Tage wie diesen, aber sie lagen derart lange zurück, dass sie bestenfalls als vage Erinnerung im Gedächtnis existierten. Da gab es diese Stimmung, bei der im Grunde alles egal war, das Vergangene, Zukünftiges und selbst was aktuell geschehen könnte. Daher ließ ich mir zu nächtlicher Stunde eine warme Palla bringen und verließ die claudische Villa in Rom - ohne Begleitung. Dunkelheit umfing mich, von Ferne leise Schritte von Soldaten, vielleicht der Vigiles. Ich zog die Palla enger und schritt weder zügig noch betont langsam Richtung Stadtinneres aus.


    Während ab und an ein Nachtvogel schrie, kamen und gingen die Gedanken. Das letzte Mal war ich alleine des Nachts durch Roms Straßen spaziert, als ich mit Sophus auf diesem Empfang in der Casa Decima war. Er hatte mich zwar als Begleitung mitgenommen, sich aber den ganzen Abend um nichts weiter als seinen Alkoholpegel gekümmert. Irgendwann war ich gegangen, hatte Vic. getroffen und eine nette Unterhaltung geführt. Ich wusste damals wie heute, dass es auch hätte anders kommen können, damals wie heute, sollte es doch, es war mir egal.


    Vielleicht war es die Chance, andere Eindrücke zu gewinnen, Belastendes zu vergessen. Oder war es mehr der Zwang, weil dieser Spaziergang ja nicht in Ordnung war? Auch wieder egal, wodurch die Ablenkung, der ich mich bewusst aussetzte, hervorgerufen wurde, Hauptsache sie war da. Hauptsache sie füllte die Gedanken derart aus, dass jegliches Grübeln bereits im Ansatz unterbunden wurde. Ich lauschte angestrengt den Geräuschen der Nacht, spürte den kühlen Luftzug des Februarwindes, zog fröstelnd die Schultern zusammen und ging entschlossen weiter …

  • Dunkle Wolken schoben sich langsam und träge im kühlen Wind vor den klaren schwarzen Nachthimmel. Nur das Sternenbild Bootes sah noch mit kleinen blinkenden Lichtern auf die römische Stadt hinab. Gierig schienen die Wolken ihre Fühler nach der schmalen Mondsichel auszustrecken, verschlangen den silbrigschimmernden Rand und schluckte das fahle Licht des Mondes. Schritte hallten durch die Strasse, langsam und unstet. Quintus Tullius blieb an einer Häuserecke stehen, hielt in seiner Hand eine Weinamphore fest umschlossen. So hatte er doch den festen Vorsatz gehabt sich heute Nacht zu betrinken und sinnlos auf die dunkle Oberfläche des Tibers zu starren. So lenkte er seine Schritte langsam in Richtung des Flusses und hatte schnell die Subura hinter sich gelassen. Seine Zähne knirschten leise als er sie fest aufeinander presste. Ein Stich raste durch seine Seite und er stöhnte leise auf, hielt sich an der Mauer einer Insula fest. Ein Nachtvogel schrie in der Nähe, Hass keimte in Quintus Tullius auf. Was für ein Abstieg. Vor nicht allzu flüchtiger Zeit war er noch Kapitän eines Schiffes gewesen, seine Kajüte voll mit Kisten von Gold und Silber. Und jetzt hatte er nicht mal eine Handvoll Sesterzen, nur jene, die er vor einigen Tagen, ähnlich einem elenden und dreckigen Strassenräuber, einem italischen Mann abgenommen hatte. Doch was sollte man machen, wenn das Schicksal es so schlecht mit einem Mann meinte?
    „Verflucht sollst Du sein, Lucilla!“, grollte Tullius und starrte auf die dunkle Gasse vor sich.
    Und dann schien die Nacht und die Götter einen Streich mit seinen Augen zu spielen. Vor ihm schritt eine Frau entlang, ihre Palla flatterte federleicht im Wind, ihre dunklen Haare umrahmten ihr Gesicht, was er nicht zu erkennen vermochte. Einer derLemuren gleichend schien Lucilla ihn zu verfolgen. Tullius Faust ballte sich fest um den Hals der Amphore und der Ton brach. Der Wein ergoss sich zu seinen Füßen und die Scherben fielen um ihn herum auf den steinernen Boden. Dieses Mal würde er nicht lange zögern, er würde sie töten. Tullius löste sich aus dem Schatten der Mauer und trat auf die Gasse. Seine Hand griff nach dem Dolch an seinem Gürtel als ihm im letzten Moment sein Irrtum bewusst wurde. Es war nicht Lucilla vor ihm, sondern eine fremde Frau. Alleine, auf den düsteren Strassen Roms und gut gekleidet. Verwundert wölbte sich die Augenbraue von Tullius in die Höhe. Seine, für Reichtum geschulten, Augen wanderten an Deandra hinauf und hinab, erblickten ihre Schuhe und seine Konsternation wuchs, auf seinem Gesicht breitete sich ein wölfisches Lächeln aus.
    “Salve!“
    Wie töricht war eine Frau ihres Standes nachts alleine durch die Strassen zu laufen, das gehörte schon bestraft.
    „Hast Du Dich verirrt, wenn ich fragen darf? Mir dünkt, eine junge Frau sollte doch nicht alleine auf den Strassen herum irren.“

  • Grübelnd schritt ich durch Roms Straßen, überlegte weitere wichtige Schritte die es eventuell zu tun galt, aber verwarf sie letztlich. Auch wenn ich von umher irren nie viel hielt, war es dennoch Gedanken lösend. Einfach mal an nichts denken, keine Pläne schmieden, keine Fehler analysieren, einfach die Umgebung auf sich wirken lassen, der Welt, in der es so viele Entscheidungen zu treffen gilt, wenn auch nur kurz, den Rücken zuzukehren und anzuhalten. Die Luft war klar und kühl, ein leichter Nebel schien aufzuziehen, verschwand aber wieder, den Wind hörte man rascheln und man spürte, wie er sanft die Haare in das Gesicht warf.


    Manchmal huschte jemand an mir vorbei oder torkelte aus einem der Häuser, die Vigiles stampften auf den Strassen und eine eins Dame zog einsam durch die Nacht. Schon beim ersten Blick war deutlich, dass dies keine Frau war, die man sonst um diese Tageszeit erwarten würde, dafür war sie zu vornehm gekleidet. Natürlich fragte ich mich, warum eine Frau um diese Zeit allein durch die Strassen läuft. Was da alles passieren kann. Vielleicht ist etwas schlimmes passiert oder sie wandelt im Schlaf. Da halft nichts, ansprechen und sie sicher geleiten, zumindest anbieten. Ich trat auf sie zu und sagte mit sanfter Stimme:


    „Verehrte Dame, die Strassen der Hauptstadt sind für eine zierliche Person wie Euch nicht sicher. Darum wäre es mir ein Vergnügen und Bedürfnis Euch sicher zu Eurem Ziel zu geleiten!“

  • Selten, eigentlich so gut wie nie, gab ich mich widrigen Umständen gegenüber geschlagen. Ich besaß immer Energie, zumeist die nötige Entschlossenheit, Unmögliches möglich zu machen, den Mut, zwar hohe, aber durchaus abschätzbare Risiken einzugehen oder Kämpfe zu wagen. Diese gezählten Tage, in denen ich ratlos an einer Kreuzung stand und kein Ziel vor Augen hatte, waren mir annähernd fremd, gleichsam beunruhigend, Kraft raubend, auslaugend… Und noch seltener erlebte ich Situationen, in denen ich scheinbar aufgeben wollte, unerwünschten Ereignissen, nicht bewusst entgegen zu wirken, mich von ihnen erdrücken zu lassen, mich dem Strudel auszuliefern, meine Zukunft von mehr als meiner Lenkung und dem Willen der Götter abhängig zu machen. Heute war so ein Tag, oder besser so eine Nacht.


    Um der aufkeimenden Angst vor der Leere der Zukunft nicht die Möglichkeit zu geben, Besitz von mir zu ergreifen, suchte ich die Aufregung einer unklugen Handlung, den Kitzel, der die Nerven in einem solchen Maß beschäftigte, dass ein Grübeln über die Ursache praktisch unmöglich war: Nicht einmal tags sollte eine Frau, wie ich, ohne Begleitung durchs Roms Straßen wandeln. Oft genug wurde mir das eingetrichtert, selten missachtete ich diesen Rat.


    Es war die Gier nach Ablenkung, der Wunsch nach aufgepeitschten Nerven, die mich beim Zerschellen einer Tonamphore umsehen und gleichzeitig alle belastenden Gedanken vergessen ließen. Furcht empfand ich nicht, als kurz darauf ein Mann aus dem Schatten einer Mauer trat und seine Hand zu der Höhe griff, wo üblicherweise ein Gürtel um die Hüfte oder Taille geschlungen war. Ich blieb stehen und harrte der Dinge, deren Brisanz ich mit Absicht gesucht und deren Eintreten ich fast schon erhofft hatte. Und doch kam alles anders…


    „Nein, ich habe mich nicht verirrt. Ich kenne mich recht gut in Rom aus“, erwiderte ich auf seine Frage, als er auf mich zugetreten war.


    Meine Kalkulation funktionierte noch, denn ich wusste das Lächeln abseits der Rubrik „ehrlich besorgt“ einzuordnen. Mit angstfreiem, aber dennoch starrem Blick wartete ich auf seine Reaktion und Antwort. Die Anziehungskraft war derart groß, dass ich den zweiten Mann erst in dem Moment registrierte, als er unmittelbar hinzugetreten war. Überrascht wandte ich den Kopf, denn die Worte ließen einen Mann anderer Bildung und Erziehung erwarten, als es der erste der nächtlichen Kontaktpersonen war.


    „Ich… Ich habe gar kein Ziel“, gab ich wenig überlegt zur Antwort. Ein kurzfristiges, teils hilfloses Lächeln ließ meinen desolaten Zustand erkennen.

  • Ich trat näher heran.


    „Es ist recht ungewöhnlich für diese Tageszeit, dass jemand ohne Ziel in den Strassen Roms herumgeistert, auch wenn er bzw. sie sich noch so gut in ihnen auskennt ;). Ungern möchte ich indiskret erscheinen, aber gibt es dafür einen speziellen Anlass, bei dem wir 2 Männer behilflich sein können?“

  • Du singest Thebens Kriege,
    Und jener Trojas Schlachten,
    Ich meine Niederlagen.
    Kein Reiterheer, kein Fußvolk
    Schlägt mich, und keine Flotte.
    Ein andres Heer bekriegt mich-
    Aus jenem Augenpaare.


    Auf düsteren Schwingen schienen die Frauen in letzter Zeit das Pech zu Tullius zu tragen. Als eine leichte Beute erschien ihm die Frau, von dem möglichen Geschmeide unter ihrer Palla wollte Tullius sie befreien, ungeachtet er diese Übeltat auch nicht auf offener Strasse und mitten an Ort und Stelle vollführen wollte, eigentlich hätte er die junge Frau mit einigen galanten Worte, derer er sich noch überlegen wollte, einige Gassen weitergelockt. Jedoch dem sollte nicht so sein, vielleicht wollte Furrina ihm damit beweisen, dass das letzte Opfer schon allzu lange her war. Was für eine ständige Demütigung war sein Los zurzeit. Zeigte Tullius noch der Dame ein wohl gespieltes Lächeln, warf er dem Neuankömmling einen düsteren Blick zu. Kühl und vertraut spürte er seinen scharfen Dolch am Rücken. Eine schnelle Bewegung und er könnte dem Mann den Dolch in den Hals rammen, wie er das mit den Reisenden etliche Male auf fremden Handelschiffen auf offener See getan hatte. Seine Muskeln spannten sich schon an, sein Körper wollte die Tat schnell ausführen. Im selben Augenblick wurde Tullius gewahr, dass sich der Aufwand nicht lohnte, wenn es ihm auch wenigstens einen Moment der Befriedigung gegeben hätte. Der Atemzug verging, Tullius wandte sich zu Deandra, deutete eine Verbeugung an.
    „Da bin ich doch sehr erfreut, dass Du scheinbar doch nicht den rechten Pfad verlassen hast. Denn nur einige Strassen weiter beginnt die Subura. Und wer weiß, was eine Frau wie Dir dort alles passieren könnte?“
    Tullius wußte es ganz genau. Doch er hatte keine Lust noch länger seine Zeit an diesem Ort zu vertun. Und behilflich, wie der Fremde es auszudrücken pflegte, wollte Tullius wahrlich nicht sein.
    „Vale!“
    Beim Abwenden sah Tullius noch mal zu dem anderen Mann, in seinen Augen lag eine stumme und unausgesprochene Drohung: ‚Komm mir noch mal in die Quere und das nächste Mal geht es nicht so friedlich vonstatten.’
    Schlecht gelaunt wanderte Tullius weiter, ignorierte Beide nun, wenngleich er bei jeder falschen Bewegung des ihm Unbekannten sofort reagiert hätte. Seine Augen streiften nochmalig die Tonscherben, Geld für neuen Wein hatte er nicht. Was für ein mieser Abend. Tullius entschwand in der nächsten Gasse.

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