Hortus | Fischefangen

  • Es war spätabends, und zu dieser Zeit war es glücklicherweise ruhig in der Villa Flavia Felix. Jene, die früh zu Bett gehen mussten, um ihre Kräfte für den nächsten Tag zu sammeln, waren längst im Schlaf, und jene, die sich leisten konnten, nachts lange wach zu bleiben, beschäftigten sich in ihren Zimmern oder waren ausgegangen, um anderswo ihr Abendessen einzunehmen. Ich hatte diese Stunden in der Villa immer gemocht, denn sie vermittelten den flüchtigen Eindruck, man könnte in dieser ewig lebendigen Stadt vielleicht doch einmal allein mit seinen Gedanken sein, sich alleine um sich selbst kümmern, ohne allzu sehr auf andere achten zu müssen, die auch ihre Wünsche und Sehnsüchte mit sich herumschleppten.


    Ich vermisste das Meer, das einfache Leben, das einfache Essen, das es abends nach einem harten Arbeitstag gegeben hatte, nur die rauhen Schwielen in meinen Händen waren eine lebendig gebliebene Erinnerung an eine ganz andere Welt. Ich überlegte, ob ich Orestilla und ihren Vater mitsamt der weitverzweigten Sippe an unmündigen Verwandten hierher bringen sollte, um ihnen ein besseres, einfacheres Leben zu ermöglichen, aber ... ich fürchtete gleichzeitig, ich könnte sie damit verderben und zerstören. Sie waren einfache Menschen, denen die Liebe der Römer zur Intrige vollkommen abging, und sie wären Freiwild für die Tratschmäuler der urbs aeterna.


    Dennoch, ich musste meine Gedanken sammeln, und hatte mir einen einfachen Spieß geholt, der wohl meist für die Jagd benutzt worden war, bevor er in einer der Kammern verstaubt war, in denen so viele Hinterlassenschaften verschiedenster Familienmitglieder herumlagen. Ein Spieß, den man auch benutzen konnte, um Fische zu stechen, genug Geduld und Können in dieser schwierigen Disziplin vorausgesetzt. Eine Lektion, die der Fischer Caius hatte lernen müssen, um seine Familie zu ernähren, eine Lektion, die der Patrizier Aquilius noch immer verinnerlicht hatte. So war ich in den Garten hinausgegangen, den mir nur der Mond beleuchtete, passend eigentlich, schrieb man doch der Jagdgöttin Diana das Mondlicht zu, in welchem sie es wagte, sich unbekleidet dem Bade hinzugeben.


    Ich wusste, dass es hier nicht nur einen Teich gab, sondern auch einen künstlich angelegten Zufluss, der den Zierfischen ein wenig mehr ihres natürlichen Lebensraumes vorgaukeln sollte, und für ein angenehmes, leises Rauschen und Plätschern sorgte, das einen müßigen Spaziergänger zu entspannen wusste. Aber mir stand der Sinn nicht nach Spaziergängen, ich wollte etwas anderes, die Karpfen hier im Teich waren ohnehin zu fett geworden und ich hatte mich an den Geschmack von Fisch inzwischen gewöhnt.


    Still schlich ich mich an den kleinen Bach heran, in dem immer wieder silbrige Fischleiber aufblitzten, die anscheinend sehr gut gefüttert wurden. Aber wie es die Götter gefügt hatten, gab es immer welche, die gefressen wurden und welche, die fraßen. Einen Fuß plazierte ich am einen Ufer, den anderen am anderen, den Spieß stichbereit - und so verharrte ich schweigend, denn ich wusste, dass die Fische eine ganze Zeit brauchen würden, bis sie sich an meine Gegenwart gewöhnt hatten. Aber ich hatte ja Zeit. Niemand wartete auf mich, niemand würde mich abhalten, kein Sklave würde es wagen - und die anderen Flavier in diesem Haus waren zumeist ohnehin mit allem Möglichen beschäftigt, mit sich selbst vor allem, um dem Garten des Nachts viel Aufmerksamkeit zu schenken.


    Mein Blick folgte den schnell vorbeiflitzenden Fischen, und ich suchte mir schließlich einen der besonders dick gewordenen Karpfen als Opfer für meinen Spieß aus - einer weniger würde es auch den kleineren Fischen leichter machen, hier im Teich samt Bach zu überleben. Der gewählte Karpfen kam wieder näher, passierte den Schatten, der durch meinen Körper auf dem Wasser lag, und in dem Augenblick, in dem er in eine günstige Position kam, stieß ich die Waffe vor - und reckte sie triumphierend mit dem aufgespießten Fisch in die Höhe, allein vom Mondlicht beleuchtet.


    Sim-Off:

    Wer mag, der darf ^^

  • Es war schon sehr spät am Abend, aber Nero mußte einfach noch einmal raus und einen Haufen setzen. Heute hatte er Probleme und es wollte am frühen Abend beim regulären Gassi gehen mit dem Haufen im Garten nicht so recht klappen. Serenus konnte das gut verstehen, denn heute gab es kein gutes Futter. Heute war Spinat- und Gerstenbreitag gewesen. Bäh! “Ein wichtiger Bestandteil einer kindgerechten Ernährung” wie Oma gerne zitierte. Und so hatte sie dem Koch in der Villa per Brief aus Baiae ganz genaue Anweisungen gegeben. Drei Mal im Monat war Spinat- und Gerstenbreitag angesetzt. Das war der Tag, wo scheinbar jeder in der Familie eine Ausrede hatte nicht an den gemeinsamen Mahlzeiten teil zu nehmen, so daß Serenus es meistens alleine durchstehen mußte. Selbst Dido und Hannibal schienen an diesem Tag immer ihren “religiösen Fastentag der Sklaven” zu haben. Mit den Obsttagen, dem vielen Gemüse und drei Mal die Woche Fisch und einmal die Woche Fleisch hatten sie und die anderen Bewohner der Villa weniger Probleme. Zumindest hatte er keine Beschwerden seitens der Familie gehört, daß es seit seiner Ankunft deutlich mehr Fisch und Meeresfrüchte und dafür weniger Fleisch auf dem Speiseplan gab. Und immer Gemüse. Alles Anweisungen von Oma wie Serenus wußte.


    Serenus ging also totmüde Gassi mit Nero durch den Garten. Dido pennte tief und fest und war nicht wach zu bekommen und er hatte auch schon gepennt. Aber der Hund mußte raus, hatte gequengelt und er sollte seinen Haufen ja nicht bei Onkel Furianus oder Onkel Milo vor die Tür setzen. das würde Ärger geben.


    Serenus sah eine Gestalt im Mondlicht in einem der Fischteiche stehen, mit einem Spieß in der Hand. Er kannte die Person nicht, aber da die Mauern der Villa sehr hoch waren und auch Glas- und Tonscherben auf der Krone das Überklettern erschwerten, musste es ein Sklave aus der Villa sein. Alle Familienmitglieder waren im Haus. Bei Onkel Furianus und Onkel Senator Felix brannte noch Licht in den Arbeitszimmern. Onkel Gracchus hatte er am Abend bei Tante Leontia reingehen gesehen. Und dort brannte auch noch Licht. Bei Tante Antonia war alles dunkel. Tante Minervina war nicht da. Onkel Lucullus und Onkel Milo wollten in die Stadt gehen, wenn er es richtig mitbekommen hatte, aber um diese Zeit durfte er nicht mit. Bei Arrecina war auch schon alles dunkel, ebenso bei “der Anderen”, mit der er nicht sprechen sollte, Callpunistra oder so. Und Papa und Tante Agrippina waren auch nicht da. Tante Agrippina mußte wohl jede Nacht im Haus der Vesta verbringen. Sie kam ab und an tagsüber, aber blieb nie nachts. Also war das da ein Sklave. Und er spiesste heimlich die Karpfen auf, dabei konnten die Haussklaven sich doch nicht beschweren, daß sie schlecht gefüttert wurden. Von Dido wusste er, daß sie jeden Tag zu Essen bekamen und auch ab und an die Reste von der Familie. Dido bekam dasselbe wie er selbst, denn sie war seine Leibsklavin und leistete ihm oft Gesellschaft, wenn sich der Rest der Familie wieder rar machte.


    Er schlich näher und schnipste mit den Fingern.


    “Na warte, Sklave! Für diese Frechheit wirdt du schlimm bestraft. Onkel Gracchus und Onkel Senator Felix werden da sehr böse. Nero! Fass! Nero! Apport!”


    Der riesige Kampfhund, Modell 103 n.Chr., setzte seine gut 80 Kg Fell, Knochen und Muskeln in Bewegung und machte Anstalten zähnefletschend und bedrohlich knurrend die Gestalt am Teich anzuspringen.

  • Rom war im Grunde eine sehr schöne Stadt, zumindest vermochte es die urbs aeterna doch immer, ihre Besucher zu faszinieren und zu beeindrucken. Es gab nicht umsonst die ein oder andere Legende von Barbarenhäuptlingen, die sich Rom unterworfen hatten, als sie die Pracht der ewigen Stadt erblickt hatten, da sie Zeit ihres Lebens nur schäbige Lehmhütten gekannt hatten. Aber ich als Flavier wusste es besser. Rom war eine abgetakelte, dreckige und vor allem kranke Hure, die sich pfundweise die Schminke auf ihre verwitterten Züge kleisterte, um Fremde zu blenden, aber jeder, der mehr als einmal auf ihr gelegen hatte, kannte sie genauer als die Männer, die von ihr für gewöhnlich ausgenommen wurden.


    Und wie jede abgehalfterte Hure überraschte sie einen, wenn sie es tat, meist ausgesprochen unangenehm. Dass um diese Zeit jemand noch wach sein würde, war erstaunlich genug, dass dieser jemand ein Monstrum an Hund mit sich führte, noch mehr, irgendwie konnte ich mich nicht an eine sabbernde stinkende Bestie erinnern, seit ich das letzte Mal hier gewesen war - und dass dieser jemand anscheinend nicht einmal wusste, wer ich war, machte das Maß voll. Der alte Aquilius hätte vielleicht zu erklären versucht, wer er war, aber inzwischen war ich ein überzeugter Anhänger der 'wer nicht hören will, muss fühlen' Theorie geworden. Noch mit dem aufgespießten Fisch auf der Spitze wandte ich mich dem anrennenden Koloss zu und reckte ihm den Spieß entgegen, bereit, mich zur Not zu verteidigen.


    "Wer bist Du, Bursche, dass Du einen Flavier davon abhältst, in seinem Garten seine Fische zu fangen?" Mein Blick blieb jedoch auf den Hund gerichtet, denn der war eindeutig gefährlicher als sein Herrchen, dessen Stimme eine gewisse Jugend anzuhören gewesen war.

  • Nero war ein schlauer Kampfhund. Ohnehin wurde die Intelligenz von Hunden weit unterschätzt. Hunde konnten fast so schlau sein wie Sklaven oder ihre Herrchen, wenn man sich mit ihnen beschäftigte. Nero wusste was ein Spieß war. Er hatte erfahren was man damit anstellen konnte und wie er dann anzugreifen hatte. Normalerweise wäre das kein Thema gewesen und das Ziel wäre bereits unter 80kg Fell und Muskeln begraben gewesen. Spieß hin oder her. ABER heute war Spinat- und Gerstenbreitag gewesen und an der Spitze des Spießes steckte ein Fisch. Ein großer, leckerer, duftender Fisch. Normalerweise war er unbestechlich, aber an Tagen wie diesen …


    Der Hund bremste im letzten Moment ab, blieb aber in Angriffsposition und lauerte.


    „Mein Name ist Dominus Flavius Serenus, Sklave, und für deine Frechheit dich als Flavier auszugeben wird Dir mein Onkel Gracchus oder Onkel Senator Felix sicher noch 100 Peitschenhiebe zur normalen Strafe dazu geben, bevor du erst mal für lange Zeit in „das Loch“ geworfen wirst. Die Idee dich als Flavier auszugeben ist originell und zeugt von einer gewissen Schlagfertigkeit, aber gerade das wird Dir jetzt vielleicht sogar eine Kreuzigung einbringen. Ich kenne alle Flavier und alle Onkels hier im Haus, selbst den muffeligen und wortkargen Onkel Milo, der kaum aus seinem Cubiculum kommt. Und du gehörst nicht dazu!
    Und außerdem gehören die Fische alle Onkel Lucullus, denn das ist der hiesige Zierfischzüchter. Auch wenn er viel schlechter ist als Oma, denn seine Fische sind nicht so schön.


    „Nero! Was bitte soll denn das? Ich habe Dir einen Befehl gegeben. Muß ich schimpfen? FASS!“


    Den strengen Ton von Herrchen kannte Nero durchaus. Blitzschnell schnappte der Hund zu. Eine Geschwindigkeit, die man seiner Masse kaum zugetraut hatte.


    KNACK !!!


    Holz splitterte in einem mörderischen Gebiss. Aquilius hielt jetzt noch einen Spieß in der Hand, welcher um ein Drittel kürzer war und keine Spitze mehr hatte.


    GRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRR
    WAU! WAU!
    GRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRR !!!

    Der Hund machte Anstalten dem Befehl nachzukommen und setzte zum Sprung an.


    Serenus dagegen zückte seine Schleuder und legte eine Murmel von Tante Leontia ein. Der Sklave schien aufmüpfig zu sein. Nero würde natürlich mit ihm fertig werden, aber vielleicht gab es ja Gelegenheit ihm noch eine Murmel zu verpassen.


    *Schwirrschwirrschwirr*



    Sim-Off:

    Hundeknurren wurde auf mehrfachen Wunsch gekürzt, damit es keine seitenverschiebung gibt und alles besser lesbar ist. Onkel Aquilius trete ich am Wochenende ans Bein! Als Ausgleich.

  • Es gab für alles Grenzen. Und seit ich mich als Fischer durchgeschlagen, als Mann der Familie Räuber durch meine Kampfkraft vertrieben und überhaupt so einiges über das Leben selbst gelernt hatte, waren meine Grenzen deutlich enger gesteckt, als sie es vielleicht noch vor einigen Monaten gewesen waren. Manche Dinge konnte und durfte sich ein Mann nicht gefallen lassen, schon gar nicht von einem Dreikäsehoch mit der typisch flavischen Arroganz und einem sabbernden Muskelberg an Hund, der zudem noch meinen Fisch und einen Teil meines Spießes okkupiert hatte.


    Das Maß war voll, und ich richtete mich zu voller Größe auf - für einen Mann meines Volkes war ich groß gewachsen, ein Vorteil vor allem bei Opferfeiern und wenn es darum ging, jemanden einzuschüchtern. Mit dem gerechten Zorn eines durch einen Köter und seinen naseweisen Herrn in seiner Freizeitbeschäftigung gestörten Mannes und der ganzen Autorität eines Mittlers zwischen den Göttern (in meinem Falle des Kriegsgottes Mars) und den Menschen donnerte ich dem Hund das einzige Wort entgegen, das ein gut dressiertes Rassetier, mit dem entsprechenden Nachdruck ausgesprochen, vielleicht noch von einem Angriff abbringen würde:


    "SITZ!"


    Dann richtete sich mein Blick auf den kleinen Flavier, der alle schlechten Eigenschaften unserer Familie in vorzüglicher Weise kultiviert zu haben schien - auch wenn mir sein Name nicht sagte, zu welchem meiner Vettern er wohl gehören mochte, vielleicht ein weiteres Zeugnis von Aristides' Freizügigkeit mit seinem Samen?
    "Also, ... 'dominus' Flavius Serenus, wenn Du nicht für alle Zeiten den größten Ärger Deines Lebens haben willst - vor Mars verflucht zu werden - rate ich Dir dringend, die letzten Reste irgendeiner in unserer Familie vielleicht einmal vererbter Intelligenz zu benutzen und Dir gut zu überlegen, wie Du das Wort an mich richtest - Caius Flavius Aquilius! Welchem Zweig der Familie Du auch immer angehören magst, ich bin mir sicher, für Deine Unbotmäßigkeit werde ich die angemessene Strafe finden. Ich kann es nicht leiden, im eigenen Haus bedroht und angegriffen zu werden!" In diesem Augenblick sah ich wohl wirklich nicht mehr wie ein Sklave aus ... zumindest hoffte das ein Teil des alten Aquilius in meinem Inneren, der dem neuen Aquilius staunend dabei zugesehen hatte, wie er Autorität entwickelte.

  • Seit Tagen schon war Gracchus an den Abenden mehr als leidlich, denn sein Zahn machte ihm immer dann zu schaffen, sobald er liegen ging, und so sehr sich Sciurus auch bemühte, Gracchus' Laune war nicht zu bessern, durch nichts war er zu befriedigen und wohin der Sklave seine Hände legte war dies falsch. Als an diesem späten Abend schließlich das Lärmen im Garten der Villa begann, verlor Gracchus endgültig die Geduld. Barsch riss er Sciurus' Hände von seiner Hüfte, schob den Sklaven mit einer Heftigkeit aus dem Bett, dass jener sich eilen musste auf den Füßen zu laden und setzte sich auf, bereit jeden Eindringling in der Villa mit eigenen Händen zu erwürgen.
    "Tunika!"
    Noch ehe der Sklave reagierte, hatte sich Gracchus erhoben. Die gehaltene Tunika warf er sich im Gehen über, strich sich nachlässig durch die Haare und strebte ohne seine Schuhe zu beachten aus dem Zimmer hinaus. Obgleich dies selten der Fall war, so verlor Sciurus beinahe den Anschluss an seinen Herrn, musste er doch nicht nur ihm folgen, sondern gleichsam für einen angemessenen Geleitschutz Sorge tragen. Die spitzen Kieselsteine unter seinen Fußsohlen waren dazu angetan, Gracchus' Rage weiter anzutreiben, so dass er wenig umgänglich war, als er auf seinen Vetter, seinen Neffen und dessen Hund traf. Hinter ihm folgten Sklaven mit Fackeln und beleuchteten das merkwürdige Aufeinandertreffen der drei Flavier. Obgleich Gracchus nicht genau wusste, was er eigentlich erwartet hatte, so war es doch nicht dieser Anblick - sein liebster Vetter mit einem Stecken bewaffnet in Angriff auf den Lieblingshund seines Neffen - wodurch ihm ein wenig seiner ohnehin völlig untypischen Angriffslust genommen wurde.
    "Caius! Bei Dianas Bogen, wenn du ein Jäger sein willst, so sei dies, aber nicht in dieser Villa und nicht mitten in der Nacht! Und du, Lucius Flavius Serenus, was, bei Summanus, machst du um diese Uhrzeit noch im Garten? Ist denn in dieser Familie kein normales Leben mehr möglich?!"
    Wie als Antwort auf seine Frage zuckte der stechende Schmerz aus Gracchus' Backenzahn durch seinen Kopf, dass er glaubte, jener müsse in diesem Augenblick bersten, mehr noch, dass er sich wünschte, er würde bersten, dass der Schmerz endlich ein Ende fand. Er verzog das Gesicht, sog scharf Luft ein, presste seine Hand auf die Wange und stöhnte auf. Warum hatte er auch diese Frage stellen müssen?

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  • Ich verharrte in meiner Angriffsabwehrhaltung, denn der Gedanke daran, dass dieses Riesenvieh unter Umständen Teile meines Körpers abbeissen wollte, an denen mir unmittelbar gelegen war, ließ mich vorsichtig bleiben, auch als Gracchus zwischen mich und den kleinen Rotzlöffel getreten war. Wir waren also tatsächlich mit dem Kleinen verwandt? Aber die Tatsache, dass er anscheinend mit einem Ego gesegnet war, das locker für drei Imperatoren gereicht hätte, hätte es mir auch zeigen sollen, zweifelsohne war der Kleine ein Flavier. Den nunmehr abgebissenen Spieß in beiden Händen haltend, verharrte ich lauernd und wartete ab.


    "Warum um alles in der Welt kann man in dieser Villa nicht einmal nachts seine Gedanken sammeln, ohne dass eine sabbernde Bestie, geführt von einem Kind, über einen herfällt? Es hat sich hier wirklich absolut nichts geändert. Demnächst werde ich mit einem gladius bewaffnet einen Abendspaziergang machen müssen, um kein Bein zu verlieren oder dergleichen." Er klang genervt, und ich war es nicht minder - zu wem der Junge auch gehören musste, im Augenblick war mir sehr stark nach strammgezogenem Tunikarückteil für dieses Kind.

  • Die Hand noch immer auf die Wange gepresst, wandte sich Gracchus an Serenus, und obgleich sein Tonfall keinen Widerspruch duldete, verlor seine Stimme doch an Schärfe dadurch, dass sie sich halb hinter seiner Hand hervorkämpfen musste.
    "Du gehst zurück in dein Bett, Serenus, und zwar ohne ein Wort ... ohne ein einziges Wort. Der Herr bestimmt seinen Hund, nicht der Hund seinen Herrn. Entweder Nero schafft es die Nacht hindurch, du gibst ihn bei den Sklaven ab oder er kommt in einen Zwinger. Morgen früh wirst du dich bei deinem Onkel entschuldigen, doch jetzt wird geschlafen. Wenn ich an deinem Cubiculum vorbei komme und du schläfst noch nicht, dann bekommen wir beide ernsthafte Schwierigkeiten."
    Er hoffte, dass die Legio I noch nicht abgezogen war, sobald Antonia und er nach Mantua würden reisen können, denn er musste dringend mit Aristides bezüglich seines Sohnes sprechen. Im Allgemeinen war Serenus ein äußerst wohlerzogenes Kind, aufgeweckt und interessiert, doch manches mal wusste Gracchus einfach nicht, wie er ihm begegnen sollte, und war gänzlich mit der Verantwortung über den Jungen überfordert. Ohne seine Hand sinken zu lassen, trat Gracchus zu Aquilius, legte die Linke auf den Stecken und drückte ihn hinunter.
    "Diese Villa ist kein Ort, Gedanken zu sammeln, Caius. Sie war es nie und deplorablerweise wird sie es vermutlich auch niemals werden."
    Ein marginales Lächeln schlich sich auf seine Lippen, bevor er es ziehen ließ, da ihm jede diesbezügliche Bewegung schmerzte.
    "Zumindest nicht, solange Aristides uns seinen Nachwuchs überantwortet. Der Junge ist Lucius Serenus, Marcus' Sohn."

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  • Manius hatte eindeutig die richtigen Erbanteile unserer einstmals so mächtigen Vorfahren erhalten, diese Stimme der Autorität war etwas, das selbst ich nicht gern als Kind gehört hätte, denn sie ließ genau eine Lösung zu: gehorchen oder den größten Ärger des Lebens kassieren. Ich beäugte den jüngsten Sproß unserer viel zu großen Familie misstrauisch und nickte schließlich beifällig zu den Worten meines Vetters. Von mir hätte er weniger Worte denn Taten zu erwarten gehabt, und das wäre wohl nicht unbedingt der richtige Weg gewesen. Vor allem, wenn der Kleine der Sohn Aristides' war - ich hatte nicht einmal gewusst, dass er einen Sohn hatte, oder hatte ich es einfach nur vergessen? Einige Male blinzelnd, versuchte ich die Schatten aus meinem Hinterkopf zu vertreiben, um klarer zu sehen, aber es war wie so oft nicht von Erfolg gekrönt. Den ehemaligen Fischspieß nun sinken lassend, atmete ich tief ein und aus, um mich wieder ein wenig zu beruhigen.
    "Aristides geht wohl davon aus, Serenus könnte hier in dieser elenden Stadt etwas Nützliches lernen, das ist wirklich kaum zu glauben," meinte ich dann und blickte auf den Jungen herab, dann zurück zu Manius, dessen Haltung irgendwie eigenartig war. "Was ist eigentlich mit Dir, Vetter? Fühlst Du Dich nicht wohl?"

  • "Zuvor war er in Baiae bei seiner Großmutter Agrippina,"
    nuschelte Gracchus hinter seiner Hand hervor, weshalb womöglich nicht ganz so deutlich aus seiner Stimme sprach, was er von dieser Option hielt. Ein Kind dieses Alters sollte fern der Familie aufwachsen und sich ganz auf seine Bildung konzentrieren, weder von seiner Großmutter verwöhnt, noch von ihrem zerfressenden Ehrgeiz gedrängt werden. Womöglich war auch Rom diesbezüglich keinen Deut besser für Serenus, denn auch hier lauerte die Familie omnipräsent, doch zumindest setzte hier niemand dem Jungen Flausen über den kaiserlichen Titel in den Kopf, die zwar zu gegebener Zeit möglicherweise durchdacht werden sollten, doch war diese Zeit für Serenus längst nicht gekommen und darauf, dass der Imperator kindliche Träumereien, welche ihn von seinem Thron stürzen wollten, nachsah, darauf sollte man bei Ulpius nicht bauen, vor allem nicht hinsichtlich der flavischen Familie, welche diesbezüglich bereits vorbelastet war. Mit einem gewaltigen Seufzen, nicht nur ob dieses Umstandes, ließ Gracchus seine Hand und gleichsam seine Schultern sinken. Er verzog seine Miene und seine Stimme bekam einen beinahe als weinerlich zu bezeichnenden Unterton, für dessen Plazet er sich zuvor mit einem hastigen Blick vergewissert hatte, dass Serenus bereits fort war, denn obgleich er seinem Vetter nichts verheimlichen brauchte, so galt dies nicht für seinen Neffen, für welchen Aristides ihn als Vorbild auserkoren hatte.
    "Es ist dieser Zahn. Seit Tagen, ach, was sage ich, Wochen schon, lässt er mir keine Ruhe. Er pocht und er schmerzt, raubt mir jegliche Freude am Essen und ganz besonders hartnäckig äußert er sich des Nachts. Der Schmerz zieht dann durch die gesamte Backe, bis in meinen Kopf hinein, von welchem ich dann glaube, er müsse jeden Augenblick zerbersten in tausende und aber tausende Splitter, und bei den Göttern, nicht selten wünschte ich dann, es würde sich so ereignen, um der qualvollen Pein zu entgehen. Ein Amulett liegt bereits unter meinem Kissen, ich spüle den Mund mit saurem Essigwasser, hernach mit einem gar widerlichen Kräuterzeug, lege noch widerwärtigeres Kräuterzeug um den Zahn herum, den ganzen Tag schmecke ich schon nichts anderes mehr als diesen bitteren Geschmack und es kommt mir bald die Galle hoch, wenn ich dies noch länger muss ertragen, doch gleichsam ist es nichts im Vergleich mit dem Augenblick, wenn der Schmerz mir durch den Kopf reißt. Ich verliere langsam die Geduld und gleichsam mit ihr die Contenance, Caius, denn wie soll ich sie wahren, wenn ich nicht einmal mehr meine Zähne zusammen beißen kann?"

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  • Irgendwo in meinen tiefsten Regionen der Erinnerung herrschte ein vages Gefühl der Furcht vor, welches wohl noch aus Kindertagen stammte und sehr viel eben jener Großmutter und deren spitzer Zunge zu tun hatte. Römische Damen waren fähig, dem Selbstwertgefühl eines jungen Römers empfindlichen Schaden zuzufügen, wenn es um Bemerkungen zum Sitz der Toga oder ähnliches ging, und irgendwie war ich froh, dass ich mich an diese Verwandte nicht allzu genau erinnerte.


    "Du hast diesen Schmerz nun schon seit Wochen?" echote ich ein wenig ungläubig die Worte meines Vetters, kaum fähig, sie zu glauben, denn er wirkte nun wirklich nicht wie ein Mann, der sich von einer solchen Sache allzu lange würde quälen lassen, ohne radikale Maßnahmen zu ergreifen. "Warum hast Du den Zahn denn nicht ausreißen lassen? Es klingt, als hätte sich die Fäule eingeschlichen, und wenn man solche Zähne nicht entfernt, dann können die anderen Zähne davon auch angesteckt werden." Vor allem konnte ich mir einen Manius mit zahnfaulbedingtem Mundgeruch nicht wirklich vorstellen, ich wollte ihn mir so auch nicht vorstellen müssen.

  • Entsetzen schlich sich auf Gracchus' Gesicht und er wich einen Schritt zurück als hätte Aquilius nach ihm geschlagen. Jegliche Spur von Wehleidigkeit war aus seiner Stimme gewichen, durch Ablehnung, ein wenig Ärger und Furcht verdrängt worden.
    "Nicht auch noch du, Caius! Was wollt ihr mir nur alle an meinen Zahn!? Warum reißt ihr nicht gleich den gesamten Kopf ab? Würdet ihr mir auch das Herz herausreißen wollen, wenn es mir schmerzte? Der Zahn bleibt wo er ist! Der Schmerz soll hinfort, nicht der Zahn!"
    Unwirsch schüttelte er den Kopf und verstärkte die Ablehnung durch eine abwehrende Geste mit der Hand, gleichsam ungeduldig und verzweifelt.
    "Ohnehin sind es so viele Wochen auch nicht. Vielleicht zwei, oder drei. Und der Zahn fault auch nicht! Bei den Blitzen des Apollon, Caius, glaubst du etwa ich würde einen faulenden Zahn in meinem Munde ertragen!?"
    Allein der Gedanke an solcherlei ließ Gracchus sich schütteln. Viel größer noch, als die unglaublich große Furcht davor, irgendein Medicus würde mit einer Zange in seinem Mund herumfuhrwerken und ihm den Zahn aus dem Fleische entreißen, viel größer noch als diese Furcht wäre der Ekel vor dem fauligen, übel riechenden Fleisch in jener von Aquilius angedachten Szenerie.
    "Es ist eher ... als würden kleine Geister in meinem Zahn hausen, von innen mit ihren Hämmern und Meißeln dagegen pochen und allenthalben türmen sie ihren Rammbock heran, beginnen den Beschuss mit ihren Katapulten und versuchen die Mauern zu durchbrechen, es ist wie ein ... wie ein Fluch!"
    Noch ehe er den Satz zu Ende gesprochen hatte, stockte er. Die ohnehin schon ob dieser nächtlichen Stunde geringe Farbe in seinem Gesicht wich nun gänzlich daraus, ließ ihn bleich im fahlen Licht der Fackeln und des nächtlichen Nachthimmels stehen. Wie hatte er nur so töricht sein können, diese Möglichkeit nicht längst bedacht zu haben? Er musste sich erinnern, wann genau dies begonnen hatte, Sciurus musste sich erinnern und er musste herausfinden, was an jenem Tage, was an den Tagen zuvor geschehen war. Womöglich hatte Gracchus irgendwem ein Erbe verweigert, aus guten Gründen und nach geltendem römischen Recht, doch womöglich scherte dies diesen jemand nicht, fühlte sich durch eine testamentarische Fügung übergangen, schob die Schuld nun auf die Decemviri litibus iucandis und projizierte seinen Zorn auf ihn. Vielleicht war es die Helvetia, welcher ihr rechtmäßiges Erbe vorenthalten wurde, vielleicht war es der von Helvetius beerbte Agrippa, der ob der Widrigkeiten des Testamentes nun seinen Erbteil nicht ausgezahlt bekam. Dies mochte von der Zeit her durchaus passen, doch gleichsam gab es unzählige Möglichkeiten und womöglich unzählige Personen, welche einen Grund sahen, Gracchus mit einem Fluch zu belegen.
    "Wir müssen das Grundstück absuchen,"
    murmelte Gracchus vor sich hin, sich kaum mehr seines Vetters gewahr.
    "Die Villa auch, ein Sklave, ein Bote könnte eine Tafel mit ins Innere hinein gebracht haben. Die Sänften ebenfalls, dazu braucht nicht einmal jemand in die Nähe des Hauses zu gelangen. Haben wir neue Sklaven gekauft?"
    Fragend blickte er zu Aquilius auf, doch Aquilius würde nichts wissen. Gracchus nickte abwesend.
    "Sciurus wird sich darum kümmern. Du solltest jetzt schlafen gehen, Aquilius, versuche es zumindest. Ich werde dies ebenfalls tun."
    Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um, und strebte aus dem Garten hinaus, floh vor Aquilius und seinem Ansinnen, ihm seinen Zahn zu entreißen, floh vor dem Fluch, der gleichsam fest an ihm hängen musste, in seinem Zahn, floh vor dem Schmerz ohne von ihm hinfort zu kommen, vergaß sogar völlig an Serenus' Cubiculum vorbei zu gehen - wozu auch, das Kind würde sicherlich ohnehin längst friedlich im Schlaf der Unschuldigen schlummern- und eilte in sein eigenes Cubiculum, um augenblicklich und noch in dieser Nacht seinen Leibsklaven auf die Suche nach jener Fluchtafel zu schicken, von deren Existenz er nun überzeugt war, denn sie musste einfach existieren, sie musste vernichtet werden, um seinen Zahn in seinem Leibe zu bewahren.

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  • Ich konnte ihm gar nicht antworten, ich war einfach viel zu perplex, um irgend etwas zu sagen. Ich hatte meinen Vetter ja schon in vielen Situationen erleb5t, traurig, müde, erschöpft, zufrieden, gelöst - aber dass er so deplorabel gelaunt war wie in diesem Moment - und ich stellte gleichfalls fest, dass ich selbst in Gedanken den Begriff benutzt hatte, dessen er sich gern bediente - erstaunte mich dann doch mehr, als ich sagen konnte. Vor allem wegen eines Zahnes. War mein Vater bei solchen Dingen einfach strikter gewesen als der seine, ich hatte auf diese Weise einen Zahn verloren und bereute die Entscheidung heute noch nicht. Er mochte politische Feinde haben, aber wer hätte schon einen solch sinnlosen Fluch ausgesprochen, wenn man einen schmerzenden Zahn auch ausreißen und das Problem damit beseitigen konnte? Ich hätte eher gewisse männliche Körperteile verfluchen lassen, das verdarb einem Mann auf Dauer sehr viel mehr das Leben.


    Seinem Murmeln hörte ich mehr ungläubig zu denn wirklich aktiv, und in diesem Augenblick fasste ich denn auch einen Entschluss: Manius mochte mir in vielem voraus sein, aber irgendwo musste die Abergläubigkeit auch enden. Wir Römer ließen uns viel zu leicht von Omen bestimmen, und zumindest bei seinem Zahn war ich mir relativ sicher, dass er nicht wegen eines Fluches entstanden war, sondern einfach, weil es eben so war. Miteinem solchen Schmerz sollte niemand leben müssen. Wenn Sciurus mit der Suche nach einer Fluchtafel fertig sein würde, würde ich mit ihm sprechen müssen, am besten morgen früh, sobald Manius aus dem Haus war, um sich um seine Arbeit zu kümmern. Und nachdem mein Vetter in Richtung des Villainnerenn davongeschritten war, folgte ich ihm, weit langsamer, meinen kleinen Plan schmiedend. Er würde mich danach verfluchen und beschimpfen, soviel war sicher, aber die Sache musste gelöst werden, ich würde nicht zulassen, dass mein Geliebter aus Furcht vor einem Fluch ewig mit diesem Schmerz leben müsste, bis der Zahn gänzlich verdorben war...

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    Serenus rief Nero zurück, welcher artig gehorschte. Er hob die Augenbraue in einer Art und Weise, wie seine Onkel es noch um Längen besser konnten, aber auch bei ihm gelang es schon recht gut. Dann brummelte er vor sich hin, packte Nero am Halsband und ging zurück in Richtung seines Cubiciulums, wobei er Onkel Aquilius böse Blicke zuwarf.


    Wenige Sekunden nachdem die Dunkelheit ihn verschluckt hatte erklang noch einmal seine Stimme.


    “Einen schmerzenden Zahn beseitigen wir am Besten, indem wir dich an eine Säule binden. Dann binden wir eine schnur um den Zahn. Und an das andere Ende der Schnur an das Halsband von Nero. Ich werfe einen Knochen so weit ich kann und Nero rennt los und apportiert. Und schon ist der üble Zahn raus. Und ich habe kein Wort mehr gesagt, das war Nero!”


    Dann verklangen Schritte auf dem Kiesweg in Richtung Haus und ließen den Schluss zu, daß Serenus weg war.

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