Sanft und schaukelnd bewegte sich die ebenholzfarbene, flavische Sänfte durch die dicht gedrängten Strassen Roms, gesäumt links und rechts von zwei Leibwächtern, die der Sänfte und den darin verborgenen kostbaren Inhalt den Weg durch das römische Gedränge bahnten und alle unliebsamen Zwischenfälle oder Pöbeleien verhinderten, die so manches mal das Erscheinen einer noblen Sänfte in der Stadt hervorrief. Vorbei am forum romanum, dem flavischen Amphitheater und östlich des palatinus, hinauf die Strasse, an dem Tempel des Divus Claudius vorbei, in Richtung des mons aventinus strebte die Sänfte. Schon nahe der Stadtgrenze bog die Sänfte in eine gepflasterte Seitenstrasse zu und hielt vor einem großen steinernen Torbogen.
Aus den weit geöffneten hortustoren, von zwei dunkelhäutigen Sklaven bewacht, lief hastig ein junger Mann heran und warf sich vor der Sänfte auf den Boden, um mit seinem Rücken als Treppe zu dienen. Ihm folgte ein groß gewachsener älterer Mann in einem langen, prunkvollen orientalisch bestickten Gewand, sein Gesicht war aufgequollen, wenngleich aufs äußerste gepflegt und geziert mit verhaltener Schminke um sowohl seine Augen als auch seine Lippen. Trotz seiner vollen Leibesmitte kniete sich der Orientale erstaunlich geschmeidig vor Epicharis auf den Boden und berührte mit seiner Stirn den Boden ehe er sich schweigend wieder erhob.
“Edle domina, sei willkommen im hortus Lucretius. Wenn es Dir beliebt und Du so gnädig sein möchtest, bitte ich Dich untertänigst mir zu folgen, oh Du strahlende Sonne am Firmament des römischen Himmels und honorable Claudia.“
Mit rauschendem Gewand drehte sich der Orientale um und führte Epicharis an dem vergoldeten Tor vorbei, in deren geschwungenen Metallstreben Gestalten von grotesk verzerrten Gesichtern eingeschmiedet waren. Ein Garten, der kein Ende zu nehmen schien und von hohen Mauern gesäumt wurde breitete sich vor Epicharis Füßen aus, ebenso ein Weg, der aus weißen Marmorsteinen gemischt mit Bruchsteinen aus purpurnem Amethyst und goldgrauen Pyrit bestand und im Sonnenlicht in strahlenden Farben funkelten. Am Rande des Weges sprossen zarte Frühlingsblumen, die sorgfältig geschnittenen Sträucher erwuchsen in vielen Grüntönen, kleine Wasserbäche rieselten von einer Marmorstufe zur Nächsten. In den alten Bäumen, Pinien, Zypressen, Zedern, Zitronenbäume und zartraschelnde Kirschbäume sangen ungezählte Vögel und priesen mit ihren hellen Stimmen den sonnigen Tag.
Gemessenen Schrittes führte der Orientale die Herrschaft den Weg entlang. Zahlreiche Vogelvolieren -aus goldenem Metall geschmiedet -standen im Garten verteilt, gefüllt mit Papageien bis zu zarten und kleinen bunten Vögeln. An einer Voliere strich eine goldrot getigerte und geschmeidige Katze entlang, deren Augen gierig zu den Vögeln hinauf sah. Vor einer elegant geschwungenen, hölzernen Brücke blieb der Orientale einige Herzschläge lang stehen und deutete auf die mit einer Balustrade versehene Brücke, die über ein großes marmornes Wasserbecken führte, an deren Grund sich große und dunkle Krokodile tummelten. Eines dieser riesigen Flußechsen lag am Rande des Beckens, was mehrere Schritt im Boden eingelassen war, und sonnte sich träge in den warmen Frühlingsstrahlen.
„Sorg Dich nicht um die heiligen Tiere im Wasser, sie können die Mauer nicht erklimmen, domina!“
Sicheren Schrittes überquerte der Orientale das große Wasserbecken und trat auf einen kreisrunden Platz, gesäumt von Buschmalven und Jasminsträuchern. Der Platz war mit ebenso weißem Marmor bestreut, glatt geschmirgelte und runde Steine, die dieses Mal mit Chrysoberyll- von blaugrün bis zu einem tiefen blau schimmernd, aber auch tiefrot und violett leuchtend- vermengt waren. Zwei Klinen mit einem purpurnen, satten Stoff und einer strahlend goldenen Borte bezogen standen in der Mitte des Platzes und auf einem kleinen Plateau. Am Rande des Platze säumten dezent bemalte marmorne Statuen in fantastischen Tiergestalten den Platz, eine Hydra beugte ihre Schlangenköpfe zu ihrer Nachbarin, einer Echidna vor, die mit ihrer Nymphengestalt zu einer Sphinx hinüber sah.
Neben einer lebensechten Steinsirene stand Marcus Flavius Aristides und sah über die treppenartige Terrasse, die sich anschloss und einen atemberaubenden Blick über die Stadt und den Tiber bot, auf Rom hinab. Als Marcus die Schritte hinter sich vernahm, wandte er sich zu dem ankommenden Tross um, holte tief Luft und trat auf die Ankommenden zu. Seinen linken Arm hielt er vor seinem Bauch, damit die Falten der- passend zu der seines Sklaven- roten toga nicht verrutschte, die am Rande ein schmales goldenes Band aufwies. Darunter trug Marcus eine weiße tunica, die in der Mitte einen breiten rotgolden gemusterten Streifen aufwies und dazu die schwarzen calcei patricii. Mit einem höflichen Lächeln neigte er, vor Epicharis angekommen, den Kopf.
“Salve, verehrte Claudia Epicharis. Es ist mir eine Freude, daß Du die Zeit für dieses kleines Treffen finden konntest. Ich hoffe, es war nicht zu unangenehm in der Sänfte bis zum Aventin?“