Mons Aventinus | Auf Werbers Füßen, Teil 2 - Ein Hortus Domesticus

  • Sanft und schaukelnd bewegte sich die ebenholzfarbene, flavische Sänfte durch die dicht gedrängten Strassen Roms, gesäumt links und rechts von zwei Leibwächtern, die der Sänfte und den darin verborgenen kostbaren Inhalt den Weg durch das römische Gedränge bahnten und alle unliebsamen Zwischenfälle oder Pöbeleien verhinderten, die so manches mal das Erscheinen einer noblen Sänfte in der Stadt hervorrief. Vorbei am forum romanum, dem flavischen Amphitheater und östlich des palatinus, hinauf die Strasse, an dem Tempel des Divus Claudius vorbei, in Richtung des mons aventinus strebte die Sänfte. Schon nahe der Stadtgrenze bog die Sänfte in eine gepflasterte Seitenstrasse zu und hielt vor einem großen steinernen Torbogen.


    Aus den weit geöffneten hortustoren, von zwei dunkelhäutigen Sklaven bewacht, lief hastig ein junger Mann heran und warf sich vor der Sänfte auf den Boden, um mit seinem Rücken als Treppe zu dienen. Ihm folgte ein groß gewachsener älterer Mann in einem langen, prunkvollen orientalisch bestickten Gewand, sein Gesicht war aufgequollen, wenngleich aufs äußerste gepflegt und geziert mit verhaltener Schminke um sowohl seine Augen als auch seine Lippen. Trotz seiner vollen Leibesmitte kniete sich der Orientale erstaunlich geschmeidig vor Epicharis auf den Boden und berührte mit seiner Stirn den Boden ehe er sich schweigend wieder erhob.


    “Edle domina, sei willkommen im hortus Lucretius. Wenn es Dir beliebt und Du so gnädig sein möchtest, bitte ich Dich untertänigst mir zu folgen, oh Du strahlende Sonne am Firmament des römischen Himmels und honorable Claudia.“


    Mit rauschendem Gewand drehte sich der Orientale um und führte Epicharis an dem vergoldeten Tor vorbei, in deren geschwungenen Metallstreben Gestalten von grotesk verzerrten Gesichtern eingeschmiedet waren. Ein Garten, der kein Ende zu nehmen schien und von hohen Mauern gesäumt wurde breitete sich vor Epicharis Füßen aus, ebenso ein Weg, der aus weißen Marmorsteinen gemischt mit Bruchsteinen aus purpurnem Amethyst und goldgrauen Pyrit bestand und im Sonnenlicht in strahlenden Farben funkelten. Am Rande des Weges sprossen zarte Frühlingsblumen, die sorgfältig geschnittenen Sträucher erwuchsen in vielen Grüntönen, kleine Wasserbäche rieselten von einer Marmorstufe zur Nächsten. In den alten Bäumen, Pinien, Zypressen, Zedern, Zitronenbäume und zartraschelnde Kirschbäume sangen ungezählte Vögel und priesen mit ihren hellen Stimmen den sonnigen Tag.


    Gemessenen Schrittes führte der Orientale die Herrschaft den Weg entlang. Zahlreiche Vogelvolieren -aus goldenem Metall geschmiedet -standen im Garten verteilt, gefüllt mit Papageien bis zu zarten und kleinen bunten Vögeln. An einer Voliere strich eine goldrot getigerte und geschmeidige Katze entlang, deren Augen gierig zu den Vögeln hinauf sah. Vor einer elegant geschwungenen, hölzernen Brücke blieb der Orientale einige Herzschläge lang stehen und deutete auf die mit einer Balustrade versehene Brücke, die über ein großes marmornes Wasserbecken führte, an deren Grund sich große und dunkle Krokodile tummelten. Eines dieser riesigen Flußechsen lag am Rande des Beckens, was mehrere Schritt im Boden eingelassen war, und sonnte sich träge in den warmen Frühlingsstrahlen.


    „Sorg Dich nicht um die heiligen Tiere im Wasser, sie können die Mauer nicht erklimmen, domina!“


    Sicheren Schrittes überquerte der Orientale das große Wasserbecken und trat auf einen kreisrunden Platz, gesäumt von Buschmalven und Jasminsträuchern. Der Platz war mit ebenso weißem Marmor bestreut, glatt geschmirgelte und runde Steine, die dieses Mal mit Chrysoberyll- von blaugrün bis zu einem tiefen blau schimmernd, aber auch tiefrot und violett leuchtend- vermengt waren. Zwei Klinen mit einem purpurnen, satten Stoff und einer strahlend goldenen Borte bezogen standen in der Mitte des Platzes und auf einem kleinen Plateau. Am Rande des Platze säumten dezent bemalte marmorne Statuen in fantastischen Tiergestalten den Platz, eine Hydra beugte ihre Schlangenköpfe zu ihrer Nachbarin, einer Echidna vor, die mit ihrer Nymphengestalt zu einer Sphinx hinüber sah.


    Neben einer lebensechten Steinsirene stand Marcus Flavius Aristides und sah über die treppenartige Terrasse, die sich anschloss und einen atemberaubenden Blick über die Stadt und den Tiber bot, auf Rom hinab. Als Marcus die Schritte hinter sich vernahm, wandte er sich zu dem ankommenden Tross um, holte tief Luft und trat auf die Ankommenden zu. Seinen linken Arm hielt er vor seinem Bauch, damit die Falten der- passend zu der seines Sklaven- roten toga nicht verrutschte, die am Rande ein schmales goldenes Band aufwies. Darunter trug Marcus eine weiße tunica, die in der Mitte einen breiten rotgolden gemusterten Streifen aufwies und dazu die schwarzen calcei patricii. Mit einem höflichen Lächeln neigte er, vor Epicharis angekommen, den Kopf.


    Salve, verehrte Claudia Epicharis. Es ist mir eine Freude, daß Du die Zeit für dieses kleines Treffen finden konntest. Ich hoffe, es war nicht zu unangenehm in der Sänfte bis zum Aventin?“

  • Es war ein langer Weg und er führte tatsächlich nicht zur Villa Flavia, aber das hatte Hannibal ihr schließlich bereits mitgeteilt. Es ging zum Aventin, und während des Weges dorthin hatte Epicharis ausreichend Zeit, sich in Ruhe umzusehen und sich zu fragen, was dieser Tag noch für sie bringen mochte. Die claudischen Leibwächter hatten wenig zu tun und begannen sich spätestens nach der Passierung des Forum Romanum zu fragen, ob sie die flavischen Leibwächter nun ergänzten oder wirklich umsonst mitgekommen waren, doch Epicharis interessierte das herzlich wenig. Als sie den Tempel des Divus Claudius passiert hatten, wurde ihr zusehends mulmiger zumute, doch die Sänfte kroch unaufhaltsam immer weiter durch die pulsierenden Straßen Roms, auch wenn das Leben immer weiter abnahm, je näher sie dem Aventin kamen.


    Bald darauf nahmen sie eine letzte Wendung und vor ihnen lag ein geschmiedetes Tor, das von zwei Nubiern bewacht wurde. Epicharis tauschte einen vielsagenden Blick mit Dhara. Die Sänfte hielt und wurde behutsam abgesetzt, derweil bildete sich ein kleiner Kloß im claudischen Halse, der rasch an Größe zunahm. Jemand wischte die luftigen, goldgesäumten Vorhänge der Sänfte zur Seite, doch vorerst wurde Epicharis keine helfende Hand gereicht. Auch Flavius Aristides sah sie nicht, stattdessen kamen ein junger und ein älterer Herr in seltsamer Kleidung auf das Grüppchen zu. Der junge Mann warf sich sogleich in den Staub vor der Sänfte, so dass Epicharis seinen Rücken als eine Art Treppe benutzen konnte. Und nun war auch sofort eine helfende Hand zur Stelle, die sie sicher aus der Sänfte geleitete. Wenige Sekunden später fand sich die Claudierin auf dem Pflaster stehend wieder, hinter ihr rappelte sich der junge Mann auf und klopfte sich verstohlen den Staub vom Körper. Epicharis hatte nun Zeit, den älteren Mann etwas eingehender zu mustern. Er wirkte auf eine seltsame Art künstlich, ohne dass sie hätte sagen können, woran sie das festmachte. Vielleicht war es seine Kleidung in Verbindung mit der Schminke, die er vermutlich dazu benutzt hatte, sein aufgedunsenes Gesicht zu kaschieren. Er wirkte dabei jedoch keinesfalls abstoßend. Im Gegenteil, seine Gesichtszüge ähnelten denen von Dhara, die Kleider entsprachen der Beschreibung ihrer Heimat zudem sehr. Er kniete sich erstaunlich tief und dabei erstaunlich flink nieder und begrüßte sie erst, als er wieder stand. Von einem Hortus Lucretius hatte sie zwar schon einmal etwas gehört, aber als unwichtig abgetan. Ein Fehler, wie sich nun herausstellte.


    „Welch freundliche Begrüßung“, entgegnete sie erfreut und nickte dem Mann leicht zu. Da hatte er sich auch schon umgedreht und führte sie durch das Tor hindurch und an den beiden Wächtern vorbei. Es eröffnete sich eine wahre Pracht an Blumen, Sträuchern, Bäumen und Gewächsen, die allesamt den Frühling willkommen hießen und der Sonne ihre grünen Triebe entgegen reckten. Epicharis konnte sich nicht satt sehen, wandte den Kopf hierhin und dort hin, betrachtete zarte Blütenköpfe und blinzelte in die warme Frühlingssonne. In der Ferne brüllte eine Raubkatze, in der Nähe standen Volieren mit den herrlichsten Vögeln darin, die sie je gesehen hatte. Epicharis war in höchstem Maße angetan. Der Mann führte sie und ihre beiden Sklaven durch den Garten, vorbei an Volieren und Käfigen mit den unterschiedlichsten Tiere darin – hatte sie eben tatsächlich einen Elefanten trompeten gehört? In einiger Entfernung folgten weitere Sklaven, vermutlich die des Flavius Aristides. „Schau Dhara, wie wunderschön!“ flüsterte Epicharis fasziniert und deutete auf ein leuchtendblaues Papageienpaar mit gelben Flügelspitzen. Natürlich war sie schon einmal in einem solchen Garten gewesen, damals, mit Tante Sagitta in Tarraco. Aber so wundervoll wie dieser war jener fern der Heimat ganz gewiss nicht gewesen.


    Gerade, als sie einen kleinen, kreisrunden Platz mit zwei Bänken passierten, krächzte es schräg neben ihnen „Willkommen, arg, im Hortus Lucretia, arg! Willkommen! Arg!“ Epicharis schmunzelte und bedachte den rotgefiederten Papagei mit einem Lächeln, doch schnell folgte sie ihrem Führer, um den Anschluss nicht zu verlieren. Alsbald steuerte er auf ein großes, eingelassenes Wasserbassin zu, über das sich eine hölzerne Brücke spannte. Epicharis trat näher heran, um hinunterspähen zu können, doch machte sie hastig wieder einen Schritt zurück. Der Grund dafür waren die riesigen, dunkelgrünen Krokodile, die sich am Grund tummelten, und eines von ihnen lag gefährlich nahe am Rand. Der Orientale bemerkte ihre Sorge und beruhigte sie sogleich, und auch Nordwins furchtloses Verhalten (er trat heran und sah lässig hinab) trug dazu bei, dass die Claudierin bald wieder einen Schritt nach vorn machte.


    Bald traten sie vom marmornen Weg herunter und auf die Brücke, die sich über das Bassin spannte, überquerten sie und langten auf einem kleinen Platz an, der vielleicht den Mittelpunkt der ganzen Anlage darstellte, vermutete Epicharis. Neben den knirschenden Kostbarkeiten unter ihren Füßen bemerkte die Patrizierin auch die beiden Klinen, die hier standen, und hob verwundert die Brauen. Sie hatte angenommen, dass man nach der Begehung des Parks speisen würde, aber im Park? Nur am Rande registrierte sie, dass sie sich würde legen müssen, denn sie sah nur die beiden Klinen, nicht aber einen Sessel oder ähnliches. Nun ja, da musste man eben improvisieren.


    Der runde Platz war umsäumt von marmornen Statuen, die Fabelwesen zeigten. Greifen, Nixen und anderes Getier bäumte sich in elegantem Weiß auf, und neben einer Hydra erblickte sie auch Flavius Aristides. Epicharis bückte sich kurz geziert und hob einen der tiefrot funkelnden Steine auf, um ihn in der Hand zu drehen und um sich damit von ihrer Aufregung im Inneren abzulenken, dann trat sie dem Flavier nur wenige Schritte mit Dhara an ihrer Seite und Nordwin einige Schritt hinter sich entgegen. Der Orientale wartete in respektvollem Abstand. Epicharis musterte Aristides beim Näherkommen, er hatte eine enorme Ausstrahlung in seiner Aufmachung, die ihm vermutlich nicht einmal selbst bewusst war. Epicharis jedoch war er sympathisch, aber das war nichts Neues, immerhin hatte sie auch auf dem Bankett schon so gedacht. Wenigstens, so schoss es ihr durch den Kopf, würde sie die Wahl ihres Vaters so nicht vollkommen abstoßend finden. Artig lächelte sie bei der Begrüßung.


    „Flavius Aristides, ich bedanke mich sehr für die unverhoffte Einladung. Der Weg hierher war lang, aber angenehm. Du hast gute Träger gesandt und ich gestehe, dass ich mit allem gerechnet habe, nur nicht mit einem Mahl in einem Hortus Domesticus. Die Überraschung ist geglückt“, entgegnete sie verschmitzt und neigte den Kopf ganz leicht zur Seite. Dabei erfasste ihr Blick nur ganz kurz die Aussicht, die man von diesem erhöht liegenden Plateau hatte, und sie hielt ergriffen den Atem an. Beinahe meinte man, ganz Rom von hier oben betrachten zu können. Atemberaubend schön.

  • Dhara folgte ihre Herrin stumm und mit weit aufgerissenen Augen. So pompös hat sie Römer noch nciht gesehen, in der Villa Pompeia war alles... bescheidener, leicht ausgedrückt. Besonders angetan war sie vor dem Sklaven und dachte an die Anweisung, sich gerade auf diese unterwürfige Art nicht zu benehmen und jetzt... Sie war aus dem Bann geworfen, obwohl man ihr das nicht anmerken konnte. Sie lachte leise dem Vogel und betrachtete den Römer in seiner Aufmachung. Sie fand ihn ein wenig künstlich. Besonders diese Pose. Aber vielleicht wußte der arme Mann nicht anders. Ihre Herrin strahlte heute Anmut und Grazie vereint mit Stolz und Schönheit. Dhara verneigte sich fast im Einklang mit dem Nicken ihrer Herrin und hielt sich dezent zurück, doch immer bereit, der Herrin zu dienen. Sie versuchte ihre neugierigen Blicke im Schach zu halten. Ob es ihr gelungen hat..wer weiß.

  • Mild wärmten die Strahlen der Sonne das Plateau und nur wenig von dem Lärmen der Stadt drang bis zu dem verborgenen Park auf dem mons aventinus hinauf. Und noch lag die Wärme wie ein sanfter und angenehmer Hauch über der Stadt und verwandelte sich nicht in die brütende Hitzeglocke, die im Sommer die Stadt schier zu erdrücken schien. Am Rande bemerkte Marcus noch seinen Sklaven, der die junge Patrizierin zu dem nicht kleinen hortus geführt hatte. Doch mehr als einen unmerklichen Blick schenkte Marcus weder seinem eigenen Sklaven, noch dem Tross von Epicharis- vielleicht Dhara sah er ein klein bisschen länger als die Anderen an, aber unmerklich. Stattdessen richtete Marcus seine Aufmerksamkeit zur Gänze auf die Patrizierin. Marcus Wundwinkel verzogen sich zu einem galanten Lächeln.


    “Wenn Du mir gestattest, das anzumerken? Deine Schönheit erstrahlt heute heller als die Sonne über dem Firmament.“


    War das jetzt nicht doch übertrieben? Noch ehe Marcus die Worte in seine Gedanken formulierte, befand er: Nein, es war nicht so. Schließlich verblüffte ihn Claudia Epicharis durchaus mit ihrer Erscheinung, ihrer Noblesse und ihrer Beauté. Die hauchzarte Röte auf ihren Wangen verlieh ihr eine strahlende Lebendigkeit und einige Herzschläge blinzelte Marcus durchaus bezaubert von der schönen Helena vor sich. Außerdem entging Marcus so- ohne es zu ahnen- vielleicht einem Anschlag auf seine Sehkraft. Doch schon schoß ihm ein anderer Gedanke durch den Kopf: Sie ist eine Frau mit scharfem Verstand. So oder ähnlich hatte es ihr Vater ausgedrückt. Und jene Tatsache, nicht die venusgleiche Erscheinung der jungen Frau, ließ ein verlegenes Gefühl in ihm aufsteigen. Marcus, ganz ruhig, einfach keine Philosophen ansprechen!, mahnte er sich, lächelte weiter und deutete einladend auf die Klinen.


    „Es gibt doch nichts Schöneres als einen solchen sonnigen Tag in einem hortus verbringen zu können, meinst Du nicht auch, werte Claudia?“


    Eigentlich hätte Marcus das Wort Elysisch, statt Schön wählen wollen, wenn ihm in dem Moment der passende Ausdruck eingefallen wäre. Aber er war ihm abhanden gekommen auf dem Weg von seinem Geist zur Zunge. Mit einem Lächeln strebte er auf die Klinen zu, wartete bis Epicharis Platz genommen hatte. Selbst wenn man sich auf die Klinen setzte- sie waren dementsprechend arrangiert- konnte man immer noch zur Gänze über die Stadt sehen, auf die vielen roten Dächer, die breiten, aber auch die kleinen und verwinkelten Strassen, die Dächer der großen Tempel, das flavische Theater oder auch die vielen Gärten der reicheren Viertel, die man nur von oben einsehen konnte, da sie- genauso wie der hortus Lucretius oder der hortus Flavia- von einer hohen Mauern vor neugierigen Augen verborgen war.


    Mit einer toga auf einer Kline Platz zu nehmen, war fast genauso schwierig als wenn man von einem Pferd damit absteigen musste, doch nicht gänzlich unmöglich- unzählige Männer vor Marcus hatten es schon bewiesen- und so gelang es Marcus mit Obacht und Vorsicht durchaus. Mit seinem Kinn deutete er dem Orientalen etwas- eine dezente Geste- die dem jedoch vollkommen ausreichte. Der Orientalte wandte sich um und klatschte kurz in die Hände. So braun wie die Farbe von Ton oder der südlichen Erde Italias erschienen die orientalischen Sklaven, die den runden Platz betraten und goldsilberne Platten heran trugen und so leise und gewandt- in ihrer Art sklavischen Lemuren gleichend- die ersten Speisen auftrugen und mit einem leisen Glucksen einen zartrosa Wein in ägyptisches blaues Glas einschenkten. Auf den Tabletts reihten sich gekochte Schnecken in einem Dillschaumsößchen neben halbierte Eier, gefüllt von Olivenpasten bis hin zu Fischcreme, und mit genießbaren Frühlingsblumen und Weinblättern umhüllte kleine Röllchen, in denen eine Mischung aus Käse, Kräutern und Nuss beherbergt wurde. Auf Muscheln hatte Marcus- auf Rat des vilicus des Anwesens verzichtet- sie hätten selbst den Weg von Ostia bis nach Roma nicht genießbar überstanden.


    „Ich hoffe, es bringt Dich nicht in allzu große Verlegenheit, mit der Art der Sitz-, beziehungsweise Liegegelegenheiten? In Baiae ist es üblich, daß die Frauen auf die Art an einem Mahl teilnehmen, wie die Männer es tun. Und der Besitzer dieses Gartens ist eindeutig der Meinung, auch hier sollte es so sein.“


    Marcus war durchaus derselben Ansicht, wie der Besitzer- schließlich pflegte selbst seine Mutter, die in vieler Hinsicht doch sehr sittentreu war, es so zu halten. Und dann konnte es nicht falsch sein oder gar unmoralisch. Auf einen feinen und ovalen Teller wurde Epicharis derweil eine Auswahl der dar gebotenen und mit Frühlingsblumen garnierten Vorspeise dargereicht. Ebenso Marcus, der Epicharis abermals ein Lächeln schenkte und hoffte, daß sich die junge Frau in Essensangelegenheiten nicht vor Männern zierte. Er mochte Frauen, die durchaus einen gesunden Appetit aufwiesen. Einige Herzschläge lang betrachtete Marcus sinnend die junge Frau vor sich, überlegte, ob sie sich nach einer Hochzeit auch als patrizische Furie herausstellen würde oder in ähnliche Weise unerträglich wurde, wie seine erste Frau. Was ihn in Gedanken zu dem ganzen Grund brachte- den er immer nur kurz verdrängen konnte. Aber Marcus dachte nicht daran, gleich mit dem Zaunpfahl ins Haus zu fallen, wie er- in seiner Art- es formulieren würde. Somit schnitt er ein weniger verfängliches Thema an.


    „Dann besuchst Du zurzeit Deine Familie hier in Rom? Leben nicht die Meisten Deiner Familienangehörigen in Mantua?“




    [SIZE=7]/edit: Was ein Buchstabe alles im Sinn ändern kann, erstaunlich.[/SIZE]

  • Dhara versuchte durch die halbgeschlossenen Augen nicht anmerken lassen, wie sehr sie alles beeindruckt, ein höfliches Gesicht und ein sanftes Lächeln zeigten, wie sehr sie darauf bedacht war, diesem Bild gerecht zu werden. Sie sah die orientalischen Sklaven, wie sehr wünschte sie sich, mit ihnen zu sprechen. vielleicht war der eine oder der andere sogar aus ihrer Heimat. sie beobachtete ganz genau deren Bewegungen, ihre Kleidung. Als sie die Worte des Römers hörte, wie er die Schönheit ihrer Herrin gepriesen hatte, versuchte sie nicht all zu breit zu lächeln und beugte ihren hübschen Kopf mit graublauen Mandelaugen nach unten. Ihre rote Tunika umspielte den schlanken Körper mit leicht üppigen Hüften und kurviger Taille, die in mehreren kleinen Zöpfen geflochtenes Haar schmückte die kleinen runden Schulter. Die Speisen, die sie beäugete, waren alle exuisit. sie beneidete ihre Herrin insgeheim.

  • Natürlich bemerkte Epicharis das entzückte Blinzeln des Flaviers, und natürlich schlug sie in genau jenem Moment die Lider kokett nieder, da das Verlegenheitsgefühl in ihm aufkeimte, von dem sie nichts ahnte. Immerhin hatte sie von einem Gespräch mit ihrem Vater rein gar nichts mitbekommen. Auch für sie war das Gefolge nun Unwichtig, doch mit einem zufriedenen Blick bemerkte sie Dharas auf sie abgestimmte Verbeugung und ihre Bereitschaft, ihrer Herrin jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Nordwin sah sie nicht, er stand irgendwo etwas abseits, vermutlich bei Hannibal und Aristides’ anderen Sklaven. Doch auch er würde bereits sein, einzugreifen, auch wenn Epicharis davon überzeugt war, dass keine Gefahr drohte. Aber wissen konnte man schließlich nie.


    „Hab Dank für dein Kompliment“, entgegnete sie und zeigte in einem Lächeln die glänzenden, weißen Zähne, um die sich Dhara zuvor extra noch mittels Stoff und Marmorstaub bemüht hatte. Sie überlegte, wie weit er ihr wohl voraus sein musste mit seinem Wissen. Dass er bei ihrem Vater gewesen sein musste, stand eigentlich außer Frage. Kein Patrizier hätte es je gewagt, eine unverheiratete Frau ohne die Einwilligung ihres Vaters einzuladen. Nur: Worüber hatten er und Vesuvianus noch gesprochen? Stand am Ende gar schon alles fest, von der Entscheidung über die Mitgift bis zu den Terminen? Oder würde Epicharis morgen bereits von einem anderen Herren eingeladen werden, musste eine Art Konkurrenzkampf mitmachen? Ihr fiel auf, dass sie rein gar nichts von der Ehe wusste. Sicherlich, ihre Tante und auch die Lehrer hatten gute Arbeit geleistet, aber alles wusste Epicharis sicherlich nicht. Sie beschloss, es baldig herauszufinden, gewahrte Aristides’ Geste und wandte sich zu den Klinen.


    „Da hast du wahrlich recht. Es ist wunderschön hier! Die vielen buntgefiederten Vögel auf dem Weg hierher haben mich verzaubert, wenn ich doch auch gestehen muss, dass in den Krokodilen etwas reservierter gegenübergetreten bin. Und die Blumen erst, ich wusste nicht einmal, dass derzeitig schon so viele blühen! Eine wahrhaft gelungene Überraschung“, lobte sie seine Idee und unterdrückte im allerletzten Moment die Frage nach dem Brüllen einer Raubkatze, die sie vorhin zu hören geglaubt hatte. Epicharis war schrecklich neugierig. Das war eine Eigenschaft an ihr, die sie schon manches Mal in unschöne Situationen gebracht hatte, und es fiel ihr außerordentlich schwer, Fragen zurückzuhalten, welche der Besänftigung ihrer Neugier dienten. Sie ging um eine Kline herum und wählte unbewusst diejenige, die näher an dem Terrassensturz und weiter weg vom Krokodilbassin lag. Zuerst setzte sie sich, blickte kurz zu Dhara und legte sodann die Füße ebenfalls hoch, zwar leicht widerstrebend, aber sie würde sich daran gewöhnen, zumindest für dieses Mahl. Mit einem Blick deutete sie Dhara, dass jene ihr die Tunika an den Füßen richten mochte, da sie dort unakkurate Falten warf und Epicharis fand, dass dies nicht schön aussah. Wenn sie schon liegen musste, dann mit Würde.


    Interessiert fiel Epicharis’ Blick nun auf Roms Silhouette, die unter ihnen lag und dem ganzen Ambiente auf eine ganz besondere Art ein gewisses Flair gab und das Gefühl, erhaben zu sein. Der Anblick gefiel ihr durchaus. Doch als ein Klatschen ertönte, wandte sie sich um. Ihr Blick glitt von Aristides zu dem Orientalen, und von dort zu den vielen Sklaven, die nun mit goldenen und silbernen Platten erschienen und Speisen auftrugen. Als Epicharis die Menge derselben erblickte, beglückwünschte sie sich insgeheim, vor dem Aufbruch hierher noch rasch einen Apfel und etwas Brot gegessen zu haben, damit sie hier nicht über die Strenge schlug. Sie fand, dass es sich einfach nicht gehörte, als Frau in der Öffentlich zu viel zu essen. Epicharis war mit bestimmten Verhaltensregeln groß geworden, und diese gehörte dazu, ebenso wie die, dass eine Patrizierin nur sehr selten und wenn überhaupt verdünnten Wein trank und sich nach Möglichkeit setzte zum Speisen. Von alledem konnte Flavius Aristides allerdings nichts wissen, also verzieh sie ihm diese Unwissenheit und richtete sich darauf ein, im Liegen zu speisen und Wein dazu zu trinken. Vermutlich hatte sie dennoch kritisch die Liegen beäugt, denn seine Frage kam gewiss nicht von ungefähr. Epicharis lächelte entschuldigend.


    „Ich bin es nicht gewohnt, liegend zu speisen, doch wird es heute gewiss gehen“, erwiderte sie und schenkte ihm ein kurzes, untermauerndes Lächeln. Eine andere Information allerdings hatte sie aufhorchen lassen. „Du kommst aus Baiae? Ich war nur einmal dort, mein Großonkel residierte ebenfalls dort, bis er vor kurzem zum Rest der Familie zurückkehrte. Baiae ist nett.“ Nett hatte Epicharis höchstens die Einkaufsmöglichkeiten gefunden an Baiae. Alles andere war eher ein billiger Abklatsch von Rom gewesen für ihr Befinden. Das Meer war noch hübsch gewesen, aber rückwirkend und insgesamt betrachtet war der fünfwöchige Aufenthalt sterbenslangweilig und Epicharis froh gewesen, wieder nach Hause zurückkehren zu dürfen. Allerdings musste sie ihm das nicht auf die Nase binden.


    Die Sklaven kümmerten sich ganz aufopferungsvoll um Epicharis und ihre Wünsche, reichten ihr eine Auswahl an blumenverzierten Delikatessen und einen schicken Glasbecher aus verziertem Glas. Verwundert begutachtete sie die Blumen. Noch nie zuvor hatte sie gehört, dass man sie mitessen konnte, auch wenn sie nicht giftig waren, wie Kühe auf der Weide jeden Tag aufs Neue bewiesen. Daher sah sie den Sklaven ungläubig an, der sie dezent darauf hinwies, das es essbare Blumen waren. Noch rührte sie nichts von dem an, was sich auf dem Teller oder in ihrem Glas befand, denn vielleicht kam noch ein Trinkspruch von Aristides, man konnte nie wissen. Doch zuerst bemerkte sie den auf ihr ruhenden Blick, dann stellte er eine weitere Frage.


    „Bedauerlicherweise nicht“, erklärte sie. „In Mantua sind nur eine Handvoll meiner Familienmitglieder anzutreffen, die meisten wohnen in Rom. Meine Schwester Prisca, meine beiden Onkel und meine Cousinen. Allerdings haben sie derzeit wenig Zeit für mich, Onkel Marcellus ist sogar nach Germanien gereist, denn er wurde zum Quaestor Classis ernannt. Du hattest Glück mit dem Zeitpunkt deiner Einladung, denn ich gedenke, in den nächsten Tagen zurück nach Mantua zu reisen. Wie steht es mit deiner Familie, wohnt sie nicht ausnahmslos in Rom?“

  • Unauffällig musterte Marcus die Bewegungen der Patrizierin- in der Tat, nur Frauen hatten die Gabe sich derart graziös zu bewegen, ob im Gehen, Liegen oder beim Hinsetzen- und Epicharis schien das noch zu vervollkommnen. Noch ehe Marcus einen Ton von sich geben konnte betraten drei gerstenschlanke junge, blau gewandete, Frauen den Platz. Ihre Augen waren alle mit einem feinen silbrigen Tuch verbunden und sie nahmen auf kleinen Kissen Platz, die ihnen drei Sklaven hinter her trugen. In ihren Händen hielten die jungen Frauen- auf den zweiten Blick erschienen sie dann doch nicht ganz so jung- je ein unterschiedliches Instrument. Die Erste hielt eine griechische Harfe auf dem Schoß, deren Holzrahmen mit einem Vogelschnabel verziert war, die Zweite eine Syrinx -eine Doppeloboe- und die Dritte eine kleine Doppelaulos -der römischen Doppelflöte nicht unähnlich. Schon schwebten die ersten Klänge über den Garten von leiser, anmutiger kleinasiatischer Musik. Nur einen Herzschlag gab sich Marcus der Muse hin, der Musik zu lauschen, ergriff dabei eines der gefüllten Blütenblätter.


    „In Baiae, wahrlich meine Heimatstadt, blüht und grünt es um die Zeit noch sehr viel mehr. Überall sprießen dort jetzt die Frühlingsblumen. Die ganzen Wiesen um die Klippen sind in einen Regenbogen geformt aus einem Blütenmeer getaucht. Wenn man sie vom Land aus betrachtet, wirkt es scheinbar so, als ob die Blumen auf dem blauen Wasser wachsen. Es ist fast die schönste Zeit in Baiae.“


    Marcus liebte seine Heimat abgöttisch, verband all- zumindest die Meisten- schönen Lebensjahre seiner Kindheit und Jugend damit. Die Zeit des unbeschwerten Lebens, des Genusses, den Fahrten mit dem kleinen Segelschiff auf dem Meer oder das Verbummeln in einer der versteckten Buchten bei der Villa seiner Mutter. Später dann natürlich verbunden mit der Lebekunst der Menschen dort, der Dekadenz und den vielen Feiern oder Orgien, die er dort erlebt hatte und an kaum einem anderen Ort so erfahren hatte, wie in seiner Heimatstadt. Es wunderte Marcus nicht, daß es die Noblesse, sogar die Kaiser, immer wieder nach Baiae zog. So lächelte er einen Moment mit dem Hauch von Heimweh und aß die gefüllte Blüte. Irgendetwas von einem Großonkel hatte Epicharis doch erwähnt? Kam der von Baiae oder wollte der nach Baiae? Es war Marcus glatt entgangen, denn Baiae nur als Nett zu empfinden konnte Marcus gar nicht verstehen. Aber vielleicht war Epicharis zu sehr behütet worden und hatte nicht wirklich die grandiosen Seiten der Stadt erlebt. Sollten sie tatsächlich heiraten, würde Marcus das noch zu ändern wissen.


    “Die heißen Quellen bei Baiae sind auch wunderbar zu genießen. Hast Du sie besuchen können?“


    Schon war Marcus bei seinem dritten Vorspeisenteilchen und genoss es genauso wie das Erste. Die Schnecke ließ er sich von einem Sklaven richten und aß sie genauso lukullisch. Daß ständig Sklaven um sie herum wieselten, bemerkte Marcus nicht einmal. Mit so was war er aufgewachsen und das gehörte zu seinem Leben dazu. Früher, als er noch jünger und in Baiae war, war er morgens, wenn nicht sogar nachts schon von Sklaven umgeben, hatte sich waschen oder ankleiden lassen und war noch nicht mal alleine zum Abort geschritten. Aber das war mehr als selbstverständlich für einen Patrizier und Gedanken hatte sich Marcus darüber nie gemacht. So konnte er seine ungeteilte Aufmerksamkeit weiter auf Epicharis richten und nickte unmerklich.


    „Die Flavier sind weit verstreut. Manche wohnen in Baiae, manche in Ravenna oder sogar in Griechenland, andere in Hispania und die Wenigsten von ihnen in Rom. Aber einige meiner engsten Verwandten, auch meine beiden Kinder, residieren ebenfalls in der Villa Flavia in Rom.“


    Die steten Sorgen um seine Tochter beherrschten Marcus Gedanken, wenn er an seine Kinder dachte, aber auch immer mehr sein Sohn, der außer Reichweite seiner eigenen Mutter immer launischer und unbändiger wurde, wie Marcus schien. Aber Marcus war in dieser Hinsicht sehr nachsichtig, Jungs mussten nun mal die Welt erforschen und sich den ein oder anderen blauen Fleck holen.


    “Wenn Du innerhalb der nächsten drei Tage auch nach Mantua reisen willst, würde ich mich Deinem Tross mit meinen Sklaven anschließen. Ich muss auch wieder zur legio zurück. Die Strassen nach Mantua sind letztlich immer unsicherer geworden, durch einige Banden, die in der Gegend immer noch marodieren, leider.“

  • Dhara drapierte ihrer Herrin die Füsse, legte den Rock der Robe in schönen langen Falten und gab auch einen kleinen Blick auf ihre Länge und makellose Struktur. sie plazierte sich anschließend so, dass sie ihre Herrin gut beobachten konnte, in ihrer Reichweite war und leiß das Gespräch und diese ihr nicht unbekannte Atmosphäre auf sich wirken. Unter den langen Wimpern, die Dharas Augenausdrücke dem fremden Blick versperrten, glänzten Neugier, Interesse und Heimweh. Doch sie versuchte ihre ganze Aufmerksamkeit und Künste ihrer Herrin schenken, wenn auch den Römer - so nannte sie Marcus Flavius Aristides insgeheim - ließ sie nicht aus ihrem Augenwinkel. Die Speisen waren alle köstlich anzuschauen, doch Dhara war sich nicht sicher, ob sie ihrer Herrin was bringen, anbieten soll. Es war neu für sie und sie hatte Angst, was falsches zu machen und ihre Herrin zu blamieren. Doch sie war auch fest überzeugt, dass ihre Herrin keine dumme Gans ist und ihre Wünsche artikulieren konnte, vor allem, dass sie über die Zweifel von Dhara bestimmt weiß und eine Blamage nicht zulassen wird. Zumindest dachte Dhara so. Sie verfolgte auch Bewegungen von Sklaven, versuchte sie innerlich nachzumachen und dachte, wie typisch dies sei, oder ist das vom Haus zum Haus unterschiedlich? Sie muß es unbedingt in Erfahrung zu bringen.! Dhara konnte ihre Unwissenheit schon jetzt nicht ausstehen. Ob ihr jemand in der claudischen Villa helfen kann? Vielleicht dieser Nordwin? Sie fragt ihn und wenn nicht... Dann ihre Herrin. Vielleicht kennt sie die Antwort. wie auch immer... Dharas innerliche Gespräche wurden von der Musik unterbrochen, fast wäre sie aufgesprungen und ihren Körper im Takt dieser Musik bewegt, wahrscheinlich hat sie eine unbeachtete Bewegung losgelassen? Sie wußte es nicht und das machte ihr ein wenig zu schaffen. Doch ihr Körper antwortete dieser Musik, unmerklich, leidenschaftlich, für Dhara sogar unbewußt. Leise ermahnte Dhara sich zum Stillen und drückte ihren Blick noch mehr nach unten, damit nicht einmal ein kleines Stückchen von ihr selbst nach außen kommen könnte.

  • Während Dhara noch damit beschäftigt war, Epicharis’ Tunika zu richten, begann die Claudierin ebenfalls mit dem Essen. Zuerst kostete sie den Wein, der das blaue Glas violett Schimmern ließ. Er war gar nicht so trocken, wie sie vermutet hatte, im Gegenteil, schmeckte sogar richtig gut. Dennoch würde sie aufpassen müssen, dass der Wein ihre Sinne nicht benebelte, denn sie war Alkohol einfach nicht gewohnt. Epicharis tat es Aristides gleich und zupfte an einer Blüte, aß sie schließlich und erkannte, dass sie ganz ausgezeichnet schmeckte. Anerkennend nickte sie. Sehr unerwartet kamen nun drei blausilberne Frauen mit Instrumenten, die die Luft alsbald mit zarten, orientalischen Klängen erfüllten. Das alles musste eine ziemliche Menge gekostet haben, vermutete Epicharis, als sie den Flavier nachdenklich musterte. Ein Blick zu Dhara offenbarte ihr, dass diese am liebsten getanzt hätte und nur mit Mühe die Füße stillzuhalten vermochte. Kurz überlegte Epicharis, ob sie ihre Sklavin nicht bitten sollte, zu tanzen, verwarf den Gedanken jedoch rasch wieder, denn damit hätte die babylonische Sklavin nur die Blicke des Mannes auf sich gezogen und das wollte Epicharis nicht.


    Wie Aristides Baiae beschrieb, hatte Epicharis es nie gesehen. Das war auch kein Wunder, denn ein Tross besorgter Hütesklaven hatte sie nie aus den Augen gelassen und damit die vermeintliche Schönheit der Region getrübt. „Ich war zwölf, als ich Baiae bereiste. Es waren auch nur fünf Wochen, die ich dort verbrachte, immer in Begleitung von Leibwächtern und Sklaven, die das Wort meines Vaters fürchteten und mich kaum einen selbstständigen Schritt tun ließen.“ Kein Wunder, denn er hatte ihnen angedroht, die Haut in Streifen abzuziehen, wenn Epicharis etwas zustieß. „Von den Quellen hörte ich, doch konnte ich nicht in den Genuss kommen, mir ein eigenes Bild zu machen. Dieses Blütenmeer würde ich wirklich gern einmal sehen, ich war leider im Herbst dort.“ Epicharis dachte an die vielen Bäume, die ihr Laub abgeworfen hatten und einfach nur trist wirkten. Auch wenn es in Italia nicht so häufig regnete, hatte es während dieses Aufenthalts beinahe ständig genieselt. Die wenigen Stunden am Tag, die es nicht geregnet hatte, war Epicharis natürlich unterwegs gewesen - und zwar einkaufen, vorwiegend. Eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen, daher war es gar nicht einmal so schlecht, wenn Aristides so viel Geld hatte, dass er sich diese pompöse Einladung leisten konnte, überlegte Epicharis und verspeiste eine Schnecke. Auch die Eier kostete sie und befand, dass die gerade in Verbindung mit diesem Dillschaum sehr köstlich waren.


    Nach diesem Ei begann das Gespräch wirklich interessant zu werden. Aristides hatte wunderbare Vorlagen für die Fragen geboten, die Epicharis unter den Nägel brannten. „Deine Familie wohnt in Rom, du dienst aber der Legion in Mantua. Fühlst du dich nicht manchmal einsam? Besonders, wenn deine Kinder einige Tagesritte entfernt in Rom wohnen. Ein Besuch wird nur in Ausnahmesituationen möglich sein, vermute ich, da wird es dir nicht anders ergehen als meinem Vater. Und selbst er findet selten genug die Zeit, auch nur für die Dauer einer Cena daheim zu weilen, obwohl das Kastell doch nur einen Steinwurf entfernt liegt.“ Davon, dass Vesuvianus zur Stunde auf dem Weg nach Rom war, um beim Kaiser um die Entlassung aus seinem Amt zu bitten, wusste Epicharis noch nichts. „Du sagst, deine Kinder leben hier. Dass du eine Tochter hast, weiß ich aus unserem letzten Gespräch auf dem Bankett. Dann hast du noch einen Sohn?“ Epicharis sah Aristides fragend an und nippte an dem Wein. Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Dieser kleine, vorlaute, unerzogene Katzenquäler, der mit dem Mastino – das war doch nicht etwa...?


    „Ja, ich hatte vor, recht bald nach Mantua zurückzureisen. Du kannst dich mit deinem Gefolge gern uns anschließen. Aber darf ich fragen, warum du Rom bereist hast? Es muss doch schwer sein, einige Tage frei zu bekommen“, fragte Epicharis die Frage der Fragen und schlug die Augen kokett nieder. Flüchtig tauschte sie einen Blick mit Dhara.

  • Unmerklich nickte Dhara dieser Frage. In diesen ein paar Tagen hat sie die geheimen Botschaften ihrer Herrin stets verstehen gelernt und ein leises keckes Lächeln ließ ihr Gesicht erhellen, bevor dort wieder die Höflichkeit den Platz annahm, die keine anderen Gefühle und Emotionen durchließ. Dhara verstand sehr gut, dass sie bald mit ihrer Herrin nach Mantua reist, und war schon jetzt von dieser Idee nicht sonderlich begeistert, obwohl ihre Neugier sie nicht losließ.

  • Einen Moment konnte sich Marcus nicht entscheiden: aß er lieber eine gefüllte Malvenblüte, eine Schnecke oder dann doch lieber ein Ei. Doch der Qual der Wahl ausweichend, entschied sich Marcus einfach für alles drei und ließ es sich abermals munden. Eine Vorspeise regte tatsächlich immer nur seinen Appetit an, die Musik im Hintergrund brachte ihn ebenfalls in Genießerlaune. Ein junger Sklave trat, scheinbar unaufgefordert, an ihn heran und kniete sich neben Marcus, der- ohne darauf zu achten- seine Finger in das lauwarme Wasser tunkte, auf denen blassrote Blütenblätter trieben. Schon war der Sklave wieder entschwunden- Epicharis hatte ebenfalls einen Sklaven, der Zwillingsbruder von ihm, der ihr auch ab und an das reinigende Wasser reichte- und Marcus genoß noch mehr von den Speisen. Und natürlich auch den Anblick vor sich- freilich nicht der atemberaubende Blick über die Stadt, den er schon einige Male in dem Garten seines Freundes genossen hatte, und in den letzten Stunden auch- sondern die junge Frau, die im Sonnenlicht und an diesem Tag besonders bezaubernd wirkte, Marcus wußte durchaus schöne Frauen zu schätzen, selbst wenn sie nicht in sein Beuteschema fielen. Noch während er sich Epicharis Erscheinung einige Herzschläge- abermals- versunken betrachtete, räumten die Sklaven diskret die ersten Speisen ab, man sollte sich ja auch nicht zu lange bei der Vorspeise aufhalten.


    „Einsam? Nein, nicht wirklich. Sicherlich hätte ich lieber meine Kinder um mich herum, schließlich habe ich sie früher immer mit mir mitgenommen, selbst auf meine Reise nach Africa, aber sie sind beide mitunter in einem Alter, wo ihnen die beständige Familie in Rom gut tut.“


    Eigentlich hätte es Marcus für Besser befunden, Beide wären in Baiae geblieben. Seine Mutter hätte ein viel besseres Augemerk auf Beide werfen können, als seine- mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigten- Verwandten in Roma. Obwohl er sich kaum ein besseres Vorbild für seinen Sohn wünschen könnte als seinen Vetter Gracchus, zumindest in den Gelehrtendingen. Vielleicht würde sein Sohn dann nicht so ganz nach ihm- Marcus- schlagen, der sich oft unwissend in der Gegenwart seiner Verwandten vorkam. Aber seine Tochter, die war leider seiner Mutter ausgebüxt, aber wegschicken wollte Marcus sie auch nicht.


    „In der Tat, Lucius, mein Sohn, ist noch nicht mal zehn Sommer alt und ein kluger Junge. Er kommt ganz nach meiner Mutter. Er dient bereits im cultus deorum als Gehilfe meines Vetters Flavius Gracchus. Und da ist er nun mal auch besser in Rom aufbewahrt als in Mantua.“


    Einerseits wollte Marcus Epicharis nicht mit seinen Familiengeschichten langweilen, aber andererseits wäre es vielleicht nicht so verkehrt, wenn die junge Patrizierin wußte, was auf sie zukommen würde, sollte sie heute noch einwilligen. Eine Frage oder eine Angelegenheit, die Marcus auf den Zeitpunkt nach dem Nachtisch verschieben wollte. Und schon wurden die nächsten Speisen aufgetragen- auf den Fischgang hatte Marcus auch- auf Rat des vilicus- verzichtet, der Fisch war einfach nicht wirklich genießbar in Rom, höchstens im Winter, wenn der Transport von Ostia sich nicht so schwierig erwies. So wurde Entenfleisch- nur die Brüstchen und hauchfein geschnitten- dargereicht, ebenso gebratene Wachteln, zartes Lammfleisch- innen noch mit einem Hauch von Rosa-, dazu gebackene Gänseleber und zarte Hühnerherzen, gepaart- überraschenderweise- mit wenig von der Fischsoße, die die Römer so liebten und mehr mit würzigen, wenngleich sogar etwas scharfe Soßen diverser Kräutersorten und beim Lamm mit Wein gemischt. Abermals tunkte Marcus seine Hände in das Wasser, trocknete es am Linnen bei dem Sklaven ab und ließ sich schon von den nächsten Speisen eine Auswahl reichen, wie auch Epicharis aufmerksam bedient wurde.


    „Das ist wohl der einzige Vorteil als Patrizier in der legio zu dienen. Meine Pflichten bei den salii palatini bringen mich ab und an in die Hauptstadt, wenn erneut ein größerer Feiertag ansteht. Gerade gestern war einer, das regifugium.“


    Marcus lächelte, noch erfüllt von dem Feiertag, den er mit dem Waffentanz sehr genoßen hatte. Er fand durchaus Vergnügen darin, den würdevollen Tanz vor den Römern aufzuführen. Und je sicherer er damit wurde, desto mehr wuchs das Gefühl des Stolzes in Marcus darüber, was er freilich nicht äußern würde. Dennoch kehrte Marcus lieber zurück zu dem Thema, was mehr das Private anschnitt, wenngleich auch mit einer eher profaneren Frage.


    „Magst Du eigentlich Kinder, Claudia Epicharis?“

  • Für Dhara war diese Unterhaltung uninteressant, die Namen klangen ihr fremd und unbekannt. Über die Gens von beiden wußte sie nichts und eigentlich, solange es Dhara nicht betraf und sie sich darin nicht auszukennen brauchte, interessierte sie es wenig. Sie horchte der Musik und tanzte in ihren Gedanken, ließ die Musik auf ihren Körper und Gemüt wirken. Hier hätte gerade der Schlag mit dem Fuß gepasst und das Klingen der Tanzglöckchen an den Fuß- und Handgelnekn... und hier ... ihr Körper streckte sich und der Bauch wiederholte sanfte Musikschwingungen. Jetzt würde sie mit den Armen leichte bewegungen zu machen, damit die Glöckchen erklingen, ihr Gesicht in die Hände vergraben und die Finger auseinanderspreizen...Jetzt zu dieser Passage wird es besonders passen. Wie schön spielen die Musikerinnen. Dhara sah den Hortus nicht mehr, sie sah die Berge, den kleinen Brunnen, den Hirten und oben den kleinen Tempel. Sie wußte nicht einmal seinen Namen, nur, dass er immer dann kam, wenn sie das Wasser für den Tempel holte. Er grinste sie an und einmal bat er sie zu tanzen und... sie tanzte, langsam, sich zeigend, damit er Dhara nie vergisst, auch dann nicht, wenn er bei einer anderen Frau liegen würde. Sie sah die rote Sonne aufgehen, die Hitze, die kühlen Abende und Nächte. Das Plätschern des Wassers von Tigris... Als die Musikerinnen ab und zu Pausen machten, schrie Dharas Inneres WEIER! MEHR! Sie war fix und fertig. Nur die eiserne Disziplin und ihr höfliches Lächbeln retteten Dhara aus dieser Lage. So kniff sie ab und zu in ihren Innenschenkel, damit der Schaden nicht zu merken war, und gab sich still ihrer Sehnsucht hin.

  • Sie war sich des Blickes wohl bewusst, denn wer spürte nicht, wenn er beobachtet wurde? Und dennoch gab sich Epicharis so, als bekäme sie von alledem nichts mit und aß mit bedachten Bewegungen ein weiteres Ei und eine bläuliche Blüte mit Kräuterfüllung. Schon kamen Sklaven, um die Vorspeisen allmählich abzuräumen und den Hauptgang aufzutragen. Die Claudierin fragte sich, was sich Aristides wohl hatte einfallen lassen, während sie es ihm gleich tat und die Fingerspitzen in das mit Blüten versetzte Wasser tauchte, anschließend trocknete. Seine Antwort verwunderte sie etwas, was in einer gehobenen Braue zum Ausdruck kam. „Für mich war es nicht leicht, zwei Jahre lang in Tarraco zu leben und den Rest meiner Familie nicht besuchen zu können. Diese Zeiten waren schwer. Ich habe mich sehr gefreut, alle wiederzusehen“, berichtete Epicharis von sich. Ein warmes Lächeln strahlte über ihr Gesicht, als sie daran dachte, wie herzlich sie alle zu Hause empfangen hatten. „Aber Mantua und Rom liegen nicht so weit voneinander entfernt, da hast du noch Glück, auch wenn man es beim Militär nicht unbedingt leicht hat, ein paar Tage frei zu bekommen.“ Sie dachte da an ihren Vater. Vielleicht aber wollte er auch keinen Freistellung bekommen...


    Die Vorspeisen waren mittlerweile von fleißigen Sklavenhänden durch die Hauptspeisen ersetzt worden – viel ausgesuchtes Fleisch und leckeres Gemüse – und Epicharis ließ sich eine Auswahl zusammenstellen. Mit zum Zeigen erhobener Hand verharrte sie aber, als Aristides ihre Befürchtung bestätigte: Dieser Lucius musste sein Sohn sein. „Lucius Serenus?“ hakte sie dennoch noch einmal nach. Immerhin konnte es viele Lucii geben, Epicharis kannte sich bei den Flaviern nicht so gut aus bisher. „Oh. Ich habe ihn getroffen, als ich meine Großcousine Antonia neulich besucht habe. Wir waren anschließend gemeinsam auf dem Markt, Antonia, Serenus, Leontia und ich. Ein netter Junger“, sprach sie und es ging ihr wirklich leichtfertig über die Lippen. Auch, wenn sie am liebsten angefügt hätte, dass er äußerst unerzogen, frech und augenscheinlich schwer zu bändigen war. Doch Epicharis ließ es, auch wenn die Aussicht darauf, dass es vermutlich zukünftig ihr obliegen würde, ein Auge auf den kleinen Wilden zu haben, ihr nicht gerade behaglich vorkam. Wie der Junge gen nötigen Ernst aufbrachte, um einem Priester in Götterbelangen zur Hand zu gehen, war Epicharis schlicht ein Rätsel. Insgeheim hoffte sie, dass Aristides’ Tochter nicht genauso sein würde. Anderenfalls würde das eine harte Zeit werden. Aber, so sagte sie sich, noch war dies nichts weiter als ein Essen unter dem Stern der Güte ihres Vaters.


    Die Antwort auf die Frage aller Fragen, die vermutlich auch Licht hätte ins Dunkel bringen können, was die Überlegungen bezüglich seiner Kinder betraf, fiel nichtssagend aus. Ein salischer Festtag war der Grund, den er vorgab. Epicharis kaute gesittet auf einem Stück Wachtel und fragte sich, ob sie vielleicht zu viel interpretierte. Doch das Vorhandensein von Dhara bestätigte eigentlich schon das Gegenteil, denn wer schenkte einer Patriziern schon eine Sklavin, wenn nicht aus gutem Grund?


    „Das Regifugium. Ja, ich hörte davon“, gab sie daher lediglich zurück und fragte sich, wie sie nun am besten aus dem Flavier herausbekommen konnte, was seine wirklichen Absichten waren. Und das am besten, ohne dabei neugierig oder gar dreist zu wirken. Schon riss sie die nächste Frage aus diesen Gedanken. Kinder, ob sie Kinder mochte. Epicharis lächelte flüchtig und sah Aristides an. Wenn sie nicht so sind wie dein Lucius, dann ja, wollte sie sagen, doch war das nicht ausreichend höflich. Stattdessen verließen andere Worte Epicharis’ Lippen, denn sie erkannte, dass diese Frage perfekt zu dem passte, was sie wissen wollte. „Nun ja, ehe ich mir über eigene Kinder Gedanken mache, sollte ich zumindest einmal verheiratet sein“, sagte sie und lächelte verschmitzt. „Aber falls deine Frage auf Kinder im Allgemeinen abzielt, so lautet die Antwort Ja. Kinder sind stets eine Bereicherung für die Familie, von den Eltern einmal abgesehen. Sie tragen das Erbe und führen die Geschichte der Familie fort“, fügte sie dann etwas ernster hinzu. Und dann – sie konnte es nicht lassen – kam die unschuldig wirkende Frage: „Warum fragst du?“

  • Die Strahlen der Sonne fielen nun, am späten Nachmittag, genau auf die Terrasse, die sich in Südwestlicher Seite ausbreitete und wärmten alle, die sich darauf befanden- ob zum Speisen, Dienen oder Wartend. Mit einem Schluck Wein, Marcus hatte sich schon das zweite- oder war es mehr das dritte?- Glas mit Wein eingießen lassen, spülte er den Geschmack der Wachtel herunter, ehe er vom Gänsefleisch aß. Marcus gefiel es durchaus, daß Epicharis sich sehr wohl von den Speisen bediente, beziehungsweise sich reichen ließ. Wenngleich er auch dachte, sie könnte etwas mehr Appetit haben. Mit einem andeutungsweisen Kopfnicken deutete er ihr, daß er ihren Worten Beachtung zollte und ihr aufmerksam lauschte. Das fiel ihm momentan noch nicht allzu schwer, schließlich bewegten sie sich in einer Materie, die ihm par force gut verständlich war. Einige Herzschläge dachte Marcus darüber nach, ob es ihn belasten würde, seine Familie für ein oder zwei Jahre zu verlassen. Eigentlich war dem nicht so, schließlich hatte Marcus das schon einige Male getan. Aber seine Kinder hatte Marcus in Germania, nebst gutem Essen und schönen Frauen, sehr vermißt.


    „Wahrlich, Lucius Serenus ist mein kleiner Wirbelwind. Ein sehr kluger Junge, wenn ich das als Vater mal so unbescheiden anmerken darf.“


    Marcus lächelte mit dem unerschütterlichen Stolz eines Vaters über seinen Erben und Sohn. Und stolz war Marcus auf ihn, sah- genauso wie bei Arrecina- über die meisten Schwächen oder Makel hinweg, war demgegenüber sogar schier blind. Dafür sah er umso deutlicher die Klugheit und den Scharfsinn seines Sohnes und seine Begeisterung für Wagenrennen. War nicht bald wieder Serenus Geburtstag, wollte er ihm nicht sogar einen auriga schenken? Oder war es Arrecinas Geburtstag? Vergeßlich wie immer in solchen Angelegenheiten dachte sich Marcus nur, daß er vielleicht noch Hannibal befragen sollte darüber. Doch schon nach den nächsten drei Herzschlägen hatte er das Ganze abermals vergessen. Ein netter Junge! Das klang in Marcus Ohren wunderbar, scheinbar hatte sich Serenus wohl ganz vorbildlich verhalten. Noch mal übermannte Marcus der Stolz und er lächelte freudig darüber. Dann würden die beiden Kinder Epicharis bestimmt nicht abschrecken, wobei das Marcus bei Arrecina nie befürchtet hatte. Die Beiden würden sich bestimmt gut verstehen, fast wie Schwestern…, dachte Marcus, verschluckte sich fast am Wein und verbot sich noch mal so einen Gedanken. Seinen Appetit trübte das Ganze natürlich nicht, so aß er weiter, ließ sich auch von dem laganum reichen, welchen schon Cicero schätzte, und verspeiste sie nicht sonderlich geschickt, aber ohne ein großes Malheur.


    “Dann hast Du bereits schon die halbe Familie in Roma kennen gelernt, Epicharis? Das ist erfreulich.“


    Was er groß zu einem Einkauf auf dem Markt sagen sollte, überlegte Marcus einen Augenblick. Aber ihm fiel nur ein: „Schöne Kleider gefunden?“, „Frauen kaufen gerne ein, oder?“ oder ein „Hat Leontia wieder Folterinstrumente erstanden?“. Aber das schien ihm alles wenig geeignet zu sein. Darum lächelte er nur ein wenig- vielleicht ein bisschen befangen für einen sehr kurzen Augenblick- und trank einen tiefen Schluck Wein und noch einen, gerade als Epicharis ihre letzte Frage stellte. Fast hätte sich Marcus verschluckt, hustete einige Male und gestand sich ein: Epicharis hatte wohl schnell das Ganze durchschaut. Oder tat sie nur so? Marcus, ahnungslos in dem Moment, grübelte über seine Antwort. Was nun? Wie weiter? Sollte er jetzt einfach alles sagen? Vom Thema wieder wegschwenken? Entschlossen, nach einem marginalen Augenblick des Schweigens, stellte Marcus das nun abermals leere Glas auf den Tisch. Obwohl sein Hunger noch nicht sonderlich gestillt war- Marcus konnte noch sehr viel mehr essen- entschloss er sich, seinen Plan vor zu verschieben.


    „Nun, die Antwort ist nicht so einfach zu erklären. Vielleicht magst Du einige Schritte mit mir gehen, ehe wir uns den anderen Speisen widmen?“


    Marcus winkte den Wassersklaven heran, wusch sich seine Hände und erhob sich dann wieder. Dezent richtete ein Sklave hinter ihm die Falten an seiner toga.

  • Epicharis hingegen gab sich sehr zurückhaltend, was den Weingenuss betraf. Nach dem ersten Glas bat sie den Sklaven, der ihr nachschenken wollte, um kühles Wasser statt des wirklich vollmundigen Rosé. Wieder einmal erlangte sie den Schluss, dass Wein nur etwas für Männer war, denn da sie – Epicharis’ Meinung nach - öfter tranken als Frauen, konnten sie mit der Wirkung des Rebensaftes weitaus besser umgehen. Da blieb sie lieber klaren Verstandes und trank Wasser. Während sie sich zartes Geflügelfleisch auf der Zunge zergehen ließ, sah sie sich um. Inzwischen beschien die Sonne die ganze Terrasse, spielte in herrlichen Reflektionen mit dem Wasser des Krokodilbassins und ließ die auf dem Boden liegenden Edelsteine hin und wieder geheimnisvoll funkeln. Die Claudierin schloss einen Moment die Augen und genoss das wunderbar warme Gefühl, dass die Sonne auf der Haut verursachte. Hoffentlich würde sie nicht zu braun werden, aber die Frühlingssonne war auch noch nicht so stark, dass sie die blasse, aristokratische Haut erheblich dunkeln lassen konnte. Gerade überlegte sie, was sie als nächstes kosten sollte, als Aristides Epicharis’ Vermutung bestätigte und Serenus seinen Sohn nannte. Keine besonders verlockende Aussicht, wenn dieses Essen wirklich das war, wofür Epicharis es immer noch hielt (wenngleich Aristides sich doch beträchtliche Mühe zu geben schien, ihre Neugier immerfort zu schüren, indem er einfach nichts sagte – aber wer weiß, vielleicht war das ein abgekartetes und genau berechnetes Spiel?). Sie lächelte lediglich, denn so genau hatte sie den kleinen Lucius nicht kennen gelernt. Es reichte natürlich, um sich ein erstes Bild zu machen, das nicht gerade positiv ausfiel, aber... Epicharis beschloss, erst weiter über den Jungen nachzudenken, wenn es wirklich akut werden sollte. Kurz glitten ihre Gedanken zu der Tochter, die der Flavier erwähnt hatte, und sie fragte sich, ob sie wohl genauso war oder aber anders - und wenn ja, wie anders – dann gewahrte sie Aristides’ Blick und nahm erneut etwas zu essen. „Diese Wachteln sind einfach köstlich“, sprach sie, um ihr Gefallen auszudrücken. Noch dazu die Idee, in einem Hortus Domesticus zu speisen, unter freiem Himmel mit der wärmenden Sonne im Nacken – eine wunderbare Idee. Sie begann, den Einfallsreichtum des Flaviers zu schätzen. Gleichzeitig hörte sie wie aus dem Nichts die Stimme ihrer verstorbenen Tante Sagitta sagen: ‚Kind, eine Frau muss sich stets rar machen, wenn sie einem Mann gefallen und ihn für sich gewinnen will.’ Epicharis seufzte leise. Sagitta war Zeit ihres Lebens gefüllt mit guten Ratschlägen gewesen. Epicharis vermisste ihre Tante, blinzelte und sah gen Himmel. Wenigstens war sie im Elysium wieder mit ihrem Onkel vereint. Erneut lenkte Aristides ihre Aufmerksamkeit auf sich.


    „Naja, deinen Sohn und Leontia, um es genau zu nehmen. Sonst habe ich keinen gesehen außer Antonia, und sie kenne ich natürlich schon. Bedauerlicherweise war es mir vergönnt, damals der Hochzeit beizuwohnen, sonst hätte ich sicherlich einen besseren Überblick, was deine Familie anbelangt“, erwiderte Epicharis und lächelte. Auf ein Stück des Laganum verzichtete Epicharis, denn sie befand, dass die Wachteln eindeutig besser schmeckten und Eierkuchen einfach nicht recht dazu passten. So tat sie sich weiterhin gütlich am Fleisch, mahnte sich aber zugleich, nicht zu viel zu essen, auch wenn es wirklich köstlich schmeckte. Auf ihre Frage reagierte Aristides zuerst gar nicht, dann stellte er abschließend seinen Weinbecher fort und bat Epicharis, einen kleinen Spaziergang mit ihm zu unternehmen. Die Claudierin tat das nur zu gern, denn so würden die Speisen sacken und sie die anderen Tiere des Parks sehen können. „Gern“, gab sie daher zurück und setzte sich auf. Dhara war zur Stelle und Epicharis ließ sich aufhelfen, während ein Vestispicius die Toga des Flaviers richtete. Epicharis stibitzte sich noch eine Olive, ließ sie verstohlen im Mund verschwinden und trat sodann neben den Flavier, blieb aber – scheinbar unschlüssig – in kurzem Abstand stehen. Sie ging davon aus, dass er sie führen würde, doch wartete sie einfach ab, was geschehen würde. "Gibt es hier Raubkatzen? Ich würde schrecklich gern zu den Raubkatzen gehen."

  • Ich stand ziemlich gelangweilt neben einigen anderen Sklaven und gab mir größte Mühe, auszusehen wie ein Stein. So war das eben als Sklave, da musste man herumstehen und aufpassen, obwohl es nichts aufzupassen gab. Die Herrschaften kauten einem eins vor und unterhielten sich gestelzt über irgendwelche absolut unwichtigen Dinge. Aber als Sklave stand man daneben und war sofort Gewehr bei Fuß, wenn auch nur eine Winzigkeit im Argen schien oder ein viel sagender Blick dich traf und deine sofortige Anwesenheit von Nöten zu sein schien. Bisher hatte ich da Glück gehabt, keine Regung der Herrin deutete darauf hin, dass sie augenblicklich ihren Leibwächter brauchte. Und so war genug Zeit, um die anderen Sklaven aufmerksam zu mustern. Dieser Hannibal schien schmächtig, der wäre sicherlich kein Problem für mich. Aber zwei der anderen flavischen Sklaven hatten ganz schöne Muskeln unter der Tunika. Naja, abwarten. Nun sah es ersteinmal so aus, als ob das Essen zugunsten eines kleinen Spaziergangs unterbrochen werden würde. Ich machte mich also bereit, in einigem Abstand hinter dem Pärchen herzulaufen. Vielleicht musste ich die Herrin ja vor den Krokodilen retten oder sowas. Das wär wenigstens etwas abwechslungsreich, auch wenn sie gewiss kreischen würde wie eine Sirene...

  • Als der Sklave noch hinten an seiner toga herumzupfte, dachte Marcus einen Moment an die Hochzeit von seinem Vetter Gracchus zurück, entsann sich jedoch nicht viele von den anderen Claudiern kennen gelernt zu haben, mal von der Braut selber abgesehen. Als es ihm schließlich zuviel mit dem Sklaven wurde, der ein Perfektionist zu sein schien, trat er einfach einen Schritt nach vorne, die marmornen Steine unter seinen Füßen knirschten leise, unauffällig tauschte er mit Hannibal einen Blick aus, konnte jedoch nicht aus dessen Mimik erkennen, ob er schon ein schlimmes Desaster während des Essens begangen hatte, was ihn für die nächsten Schritte vorwarnen könnte. Marcus wartete bis auch Epicharis aufgestanden war und hergerichtet, fragte sich in dem Moment, warum bloß Kleidung so unpraktisch sein musste, wenn sie vornehm war. Mit einem durchaus kordialen Lächeln auf den Lippen nickte Marcus andeutungsweise.


    „Ich denke, das lässt sich einrichten, Epicharis!“


    Mit einer Hand deutete er auf den Weg und schritt langsam los, ließ die Klinen und die Speisen, die nun von den Sklaven ausgetauscht wurden, während sie sich schon entfernten, zurück. Die sanften Klänge der Musik folgten ihnen noch viele Schritte lang, selbst als sie schon außer Sichtweite waren. Auch ohne zu zögern überquerte Marcus die geschwungene Brücke über die Krokodile, sah nur kurz hinab und ging dann, durchaus Respekt vor diesen Tieren in sich verspürend weiter. Aus den Augenwinkeln bewunderte Marcus die Art, wie sich Epicharis hielt. Der gerade Rücken, der schwebende Gang, die stolze Art ihren Kopf zu halten, das edel geschwungene Profil von ihr. Das mit dem Gang konnten nur Frauen, und insbesondere Patrizierinnen. Wobei er auch schon Frauen aus seinem Stand erlebt hatte, die wie ein nasser Sack umher liefen. So nahm Marcus solche Kleinigkeiten nicht als selbstverständlich hin.


    „In Ägypten habe ich einmal beobachtet, wie ein Mann, der von einem Boot in den Nil gefallen war, von einem Krokodil aufgefressen wurde. Ich habe schon fast mehr Ehrfurcht vor einem Krokodil als vor einem Löwen. Aber nicht zu unrecht sehen die Ägypter in den Tieren heilige Wesen.“


    Daß der Mann, dem der Garten gehörte, auch zum Amüsement mancher seiner Gäste dort Sklaven hinunter warf, sie zerfleischen ließ, erwähnte Marcus auch nicht. Er hatte so ein Spektakel durchaus mehrmals beobachten dürfen. Aber ehe er nicht wußte, ob Epicharis zu den zart beseiteten Patrizierinnen gehörte, wollte er so etwas nicht ansprechen. In Baiae pflegte man selbiges gerne mit Muränen zu tun oder lieber mit Wildkatzen. Seine Schritte lenkte er an hoch gewachsenem und dichtem Goldflieder vorbei, nahe an einem Käfig mit Rotkehlchen, die ihr zartes Gefieder in der Sonne aufspreizten und putzten, ohne sich von den Menschen stören zu lassen.


    Im warmen Sonnenlicht kamen sie zu einem steinernen Tor entlang, was von bunt leuchtenden Mosaiken aus blauen Steinen geschmückt waren, die altorientalische Muster zeigten. Bilder von Löwen, Tiger und Affen tummelten sich stilistisch einfach gehalten in den Mustern. Und schon tönte ein tiefes Grollen durch den Garten, vielleicht derselbe Laut eines Raubtieres, was Epicharis schon vorher vernommen hatte. Mit einem hintergründigen Lächeln auf dem Gesicht trat Marcus durch das Tor und abermals auf einen runden Platz. Ein breiter Säulengang umgaben den Platz, in der Mitte plätscherte ein kleiner Brunnen mit einer marmornen Bank darum herum. Das Wasser glänzte grünlich schimmernd im Sonnenlicht. Aber was sofort die Augen anzog war die schattenhafte Bewegung einer geschmeidigen Raubkatze, eines Panthers hinter den Säulen. Die Schulterblätter bewegten sich spielerisch unter dem glänzenden schwarzen Fell, welches nur schemenhaft noch die Fleckung seiner Gattung offenbarte. Pflanzen rankten vor dem Panther herab und einen Augenblick schien es als ob die Raubkatze frei hinter den Säulen lief. Erst auf dem dritten Blick waren die Gitter hinter den Pflanzen zu erkennen, die der Katze einen Ausbruch aus dem Gang verwehrte. Und dann war auf der gegenüberliegenden Seite noch ein wildes Tier zu sehen, was sich hinter einem nach oben wachsenden Efeuband herausschälte, ein Löwe mit einer rotgoldenen Mähne.


    „Ira und Herkules!“


    Marcus deutete zuerst auf den Panther und dann auf Herkules.


    „Der Besitzer des Gartens versucht schon eine geraume Weile sie zusammen zu bringen, um eine Chymäre zu züchten.“


    Marcus gewährte Epicharis einige Augenblicke, wo sie sich die Tiere genauer anschauen konnte, ging dabei auf die marmorne Bank zu, wo einige Kissen bereit lagen, die der Verwalter am Morgen heraus gelegt hatte, erst nach vielen Herzschlägen, die Marcus ruhig wartete, erhob er wieder sein Wort. Das alles war doch mehr als neu für Marcus- freilich nicht der Garten- aber der gesamte Umstand. Bei seiner ersten Ehe hatte Marcus keinen Antrag machen müssen, es hatte sich mehr oder minder alles so ergeben. Aber das schon alles mit ihrem Vater geklärt war, er sogar schon die Formalität der Mitgift abgesprochen hatte, wollte Marcus ebenso unerwähnt belassen. Er wußte, daß Frauen in dieser Hinsicht sehr empfindlich sein konnten. War jetzt der richtige Zeitpunkt? Vielleicht ja, womöglich auch nicht. Doch Marcus gab sich einen Ruck. Zuerst den Ring, dann die Frage? Marcus war weniger ein Romantiker, dennoch versuchte er nicht mit der Tür ins Haus zu fallen.


    „Werte Epicharis, wir kennen uns noch nicht all zu lange oder gut, das ist mir durchaus bewusst, dennoch gibt es eine sehr bedeutsame Frage, die ich Dir gerne stellen würde. Vielleicht magst Du es schon erahnen, schließlich konnte ich mich schon von Deiner geistreichen Art, die sich mit Deiner strahlenden Schönheit messen kann, bewundern.“


    Wenn sie so klug war, wie ihr Vater behauptete und was Marcus auch ahnte, würde sie das bestimmt gerne hören. So hoffte Marcus zumindest. Marcus stand auf- die gesammelte Sklavenschar mit der Erziehung eines Patriziers gekonnt ignorierend- und trat auf Epicharis zu, wünschte sich in dem Moment die Eloquenz seines Vetters herbei, der das Ganze sicherlich schon längst bravourös gemeistert hätte. Marcus holte Luft, sammelte all seine Künste zusammen, sich charamant und überzeugend einer Frau gegenüber zu benehmen. Auch Marcus hielt sich gerade, versuchte wenigstens den Anschein von Würde zu offenbaren. Er trat noch einen Schritt näher an Epicharis heran, sah sie aufmerksam und mit einem bestrickenden Ausdruck in seinen Augen an, kaum drei Handbreit trennten sie nun als Marcus die folgenschwere Frage stellte.


    „Ich möchte Dich fragen, ob Du Dir vorstellen könntest, mich zu heiraten?“

  • Epicharis hatte eine ähnliche Ansicht wie Aristides, was das ständige Richten der Kleidung anbelangte. Glücklicherweise war die Tunika, die sie trug, aus weichem, luftigem Stoff gefertigt, der beinahe von selbst in die ursprüngliche Form zurückfiel. Die wenigen Knitter und Falten, die noch verblieben, hatte Dhara im Nu säuberlich ins Gesamtbild eingepasst, sodass Epicharis guten Gewissens neben Aristides her schlendern und sich dabei umsehen konnte. Hier und dort verbreiteten Blumen und Sträucher herrliche Düfte nach Frühling, der Kies knirschte unter ihrem Füßen und die Edelsteine funkelten im hellen Sonnenlicht dieses Tages. Epicharis gab sich Mühe, angemessen zu schreiten, nicht nur zu gehen. Doch als sie diese Krokodilbrücke erreichen, zögerte sie kurz. Sie tauschte einen besorgten Blick mit Dhara, setzte sich dann jedoch wieder in Bewegung und folgte Aristides nur unwesentlich verzögert. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie die trägen grünen Tiere, die scheinbar unbeteiligt im Wasser lagen, aber sicherlich nur darauf warteten, dass jemand oder etwas von der Brücke oder über den Rand fiel. Sie ertappte sich bei dem Gedanken daran, was passieren würde, wenn tatsächlich jemand hinunterfiel. Nicht, dass sie es irgendjemandem wünschte, doch sicherlich würden die Krokodile kurzen Prozess machen und im Nu den Unglücklichen vertilgt haben. Epicharis schauderte kurz und war froh, als sie die Brücke hinter sich ließen und Aristides einen Käfig mit kleinen bunten Vögelchen ansteuerte, vor dem Epicharis kurz stehen blieb und das neckische Spiel der kleinen Piepmätze beobachtete.


    „Krokodile sind garstige Wesen. Sie liegen im Wasser und tun desinteressiert, aber wenn es Fütterungszeit ist, kommt Bewegung in die Sache und sie gehen sogar aufeinander los“, sagte sie und dachte an die Stelle in einem Buch über die Tiere Ägyptens, welches sie einmal gelesen hatte. Sie riss sich vom Anblick der kleinen gefiederten Geschöpfe los und schritt an Aristides’ Seite weiter auf dem schmalen Kiesweg entlang. Ab und zu schien die Sonne durchs Geäst oder durch ein Blätterdach, malte filigran wirkende Muster auf Stoff, Haut und den Weg gleichermaßen. Hinter einem Oleanderbusch, dessen lanzettenartige Blätter bereits die ersten kräftigrosanen Blüten schmückten, gewahrte die Claudierin alsbald ein bläuliches Schimmern. Beim Näherkommen stellte es sich als viele kleine blaue und von der Sonne beschienene Mosaiksteinchen heraus, die miteinander ringende Löwen, sich jagende Leoparden und kreischende Äffchen zeigten. Während Epicharis noch diese einfachen, aber durchaus reizvollen Bilder betrachtete, vernahm sie erneut das tiefe Knurren einer Großkatze. Sie warf Aristides einen vorfreudigen Blick zu und trat noch vor ihm beflügelt und neugierig durch das hübsche Tor hindurch.


    Direkt vor ihr eröffnete sich ein runder, mit Marmorkies ausgelegter Platz, auf dem – passenderweise – Tigerauge und Hämatit funkelten und die Präsenz der Raubkatzen allein durch ihr spärliches Vorhandensein noch intensivierten. Epicharis sog die Luft ein, die hier leicht scharf roch, wie sie es in Gegenwart solcher Tiere immer tat. Aristides’ Erklärung bezüglich der Namen vernahm Epicharis nurmehr am Rande, denn sie war bereits auf dem Weg zur rechten Seite des Säulenganges. Raubkatzen flößten ihr kaum Angst ein, denn es waren doch auch Katzen, nur eben größer und vielleicht etwas wilder. Aber es waren und blieben Katzen, auch bei der eingehenderen Betrachtung.


    Die nähere Betrachtung allerdings offenbarte Epicharis auch, dass die Katzen augenscheinlich frei herumliefen. Sofort stoppte sie ihre Schritte und sah ängstlich zu Aristides hinüber. Der Panther, ein Derivat eines Leoparden, wie sie wusste, streifte hinter einigen Rankpflanzen entlang und knurrte erneut. Epicharis’ Blick glitt zu dem Löwen namens Herkules, dessen prächtige Mähne bei jedem gebieterischen Schritt wallte. Erst jetzt sah sie das Gitter, welches die Katzen daran hinderte auszubrechen. Erleichtert seufzte sie und wagte sich nun doch noch etwas vor. Dass der Besitzer eine Chimera züchten wollte, fand sie absonderlich. Mit locker vor dem Schoß zusammengefalteten Händen wandte sie sich zu Aristides um. Waren nicht Chimeren eine Mischung aus Löwe und Tiger, in Verbindung mit Ziege und Schlange? Mit gerunzelter Stirn folgte sie ihm mit dem Blick, wie er sich auf die weiße Bank mit den dunkelblauen Sitzkissen setzte, dann wandte sie sich erneut um und beugte sich leicht herunter, um die schwarze Katze genauer in Augenschein nehmen zu können. „Wie wunderschön sie sind, so edel und majestätisch. Und sie verursachen keinen Laut mit ihren samtenen Pfoten. Katzen sind herrliche Tiere“, bewunderte sie den Panther, sprach aber zu Aristides dabei. Dabei schien Ira nicht recht als Name zu passen, bedeutete er doch ‚der Friedliche’. Doch vielleicht war der Schwarze im Gegensatz zu den Löwen wirklich noch friedlich. In diesem Moment brüllte der Löwe jedenfalls, und Epicharis wandte sich leicht erschrocken um, um den König der Tiere zu begutachten, welcher gerade seine Mähne schüttelte. Eines war sicher: Aristides hatte inzwischen große Sympathiepunkte bei ihr, denn Epicharis liebte Katzen mindestens genauso sehr wie Brettspiele und Schuhe - und das wollte etwas heißen!


    Den weiteren Verlauf des kurzen Abstechers zu den Raubkatzen hatte sich Epicharis rückblickend allerdings anders vorgestellt. Hatte sie eben noch wissen wollen, woran sie war, so wurde sie nun regelrecht überrumpelt. Das jedoch auf eine charmante Art und Weise. Sie stand noch dort, nahe des Pantherkäfigs und betrachtete den entfernten Löwen und bekam daher nicht die Mühe mit, die Aristides mit der Formulierung der Worte hatte, die nun folgen sollten. Als er jedoch zu sprechen begann, wandte Epicharis ihre volle Aufmerksamkeit auf ihn. Dhara und die anderen, die nahe des Tores standen, waren vollkommen ausgeblendet und ihre Kehle wurde augenblicklich trocken. Es war also so, wie sie vermutet hatte. Ob des vermutlich ernstgemeinten Kompliments lächelte sie und neigte den Kopf leicht nach links, ein Zeichen dafür, dass sie sehr aufmerksam lauschte. In der Ferne zwitscherten Vögel und die Sonne wärmte den runden Platz, auf dem sie zwischen den Raubtieren standen, als Aristides sich erhob und mit langsamen Schritten näher kam. Mit jedem Schritt, der die Distanz zwischen ihm und ihr verringerte, klopfte Epicharis’ Herz eine Spur schneller. Sie war mit einem Mal innerlich sehr aufgeregt, ihr war kalt und heiß und sie war so gar nicht darauf vorbereitet, nun etwas Kluges und Angemessenes zu entgegnen. Der Blick, mit dem er sie maß, schien beinahe durch sie hindurch und auf ihre Seele zu blicken. Epicharis fühlte sich befangen und beklommen, als sie nun zu ihm aufblickte. Er stand so nah, schien sie mit seiner Anwesenheit zu erdrücken, doch Epicharis schluckte und hielt sich tapfer. Die Frage, die folgte, war so gestellt, dass ihr genügend Ausflüchte bleiben würden, wenn sie es denn wollte. Sie blinzelte ihn an, verzog nicht eine Miene und konzentrierte sich auf das wilde Pochen ihres Herzens, um es zu verlangsamen, was jedoch nicht gelang. Sie fühlte sich nun wieder wie ein kleines Mädchen und wäre es in selbigem Moment nur zu gern auch wieder gewesen. Solche Situationen lagen ihr nicht, in denen sie innerhalb weniger Augenblicke eine Entscheidung treffen sollte, die ihr weiteres Leben dauerhaft beeinflussen würde. Doch, so sagte sie sich, bestimmte auch ihr Vater, was aus Epicharis wurde. Und kein Flavier war so dumm, sich nicht an vorgegebene gesellschaftliche Maßstäbe zu halten. Sicherlich hatten sich die beiden bereits über sie unterhalten, schlussfolgerte die Claudia.


    Abermals schluckte sie dezent, wandte kurz den Blick fort und lächelte zaghaft, als sie zu Aristides zurückschaute. Die Aufregung und alles war noch dort, doch Epicharis versteckte sie meisterlich in ihrem Inneren, als sie ihm antwortete. „Flavius Aristides, du sprichst wahre Worte wenn du sagst, dass wir uns kaum kennen. Dennoch habe ich den Eindruck gewonnen, dass du ein ehrenwerter Mann bist, jemand, der prinzipientreu und einfallsreich ist. Meine Antwort lautet also ja – doch ich möchte hoffen, dass auch mein Vater bereits über deine Absichten Bescheid weiß?“


    Epicharis hoffte das für Aristides, denn wenn dem nicht so war, würde Vesuvianus ihn wohl einen Kopf kürzer machen, und das eigenhändig. Sie staunte selbst darüber, wie flüssig ihr diese Zusage über die Lippen gekommen war. In Gedanken war sie bereits wieder zu Hause und verfasste einen Brief an ihre beste Freundin und die Schwester nach Germanien. Was es da nicht alles zu erzählen gab! Bei Iuno, sie würde einen Flavier heiraten! Sie führte ihre kalten Hände zusammen und fragte sich, was sie nun tun sollte. Würde er sie jetzt schon küssen wollen, sie berühren oder...? Epicharis hatte so gar keine Ahnung davon, wie alles nun weitergehen würde. Etwas verloren stand sie vor dem Flavier, der nun also bald ihr Ehemann sein würde.....

  • Viele Momente, horae oder manch ein dies in einem Leben verstrichen im Nu, bedeutungslos, sang und klanglos. Und dann gab es in manchen Augenblicken Zeiträume von weniger als einem Dutzend Herzschlägen, die sich ins Endlose zu dehnen schienen, die wahrhaftig bedeutsam für einen Menschen sein konnten, wenn sie auch nur von sehr kurzer Dauer waren. Und einen Solchen erlebte Marcus justament, denn von einer Absage oder Zusage würde mit Sicherheit die nächsten Jahre oder gar den Rest seiner vita bestimmt werden. Mithin war Marcus durchaus angespannt und aufgewühlt in jener scheinbar endlosen Entscheidungsfindung von Epicharis. Doch dann währte dieser doch nicht allzu lang, ebenso schien sie nicht überrascht zu sein, zumindest sah Marcus ihr dies nicht an. Ob ihr Vater sie doch noch vorgewarnt hatte? Vielleicht hatten sie es beide sogar zusammen entschieden? Doch Marcus schob all diese störenden Gedanken beiseite, denn ihr letzter Satz widersprach doch dieser Vermutung, ebenso verdrängte er die Frage, welche Prinzipien er wohl hatte oder ob man ihn wirklich als einfallsreich bezeichnen könnte. Denn all das verblasste in dem Augenblick. Ein gewogenes Lächeln erschien auf Marcus Gesicht.


    Irgendwo in den Tiefen seiner toga hatte er noch das passende Geschenk für jenen Augenblick aufbewahrt, überlegt kurz bis ihm einfiel in welcher der Falten er sie aufbewahrte, so zog er das feine seidene Tuch hervor, in das der Ring eingeschlagen lag. Eigentlich hatte ihm seine Mutter von Baiae aus den Verlobungsring zukommen lassen, der schon seit Generationen in ihrer Familie weitergereicht wurde, und auf diese Tradition lag seine Mutter sehr viel wert. Dennoch hatte sich Marcus- und das schien schon ein kleines Wunder zu sein- dagegen entschieden. Denn diesen Verlobungsring hatte er schon an dem Finger seiner verstorbenen Frau gewusst- er war ihr am Totenbett wieder abgenommen worden- und Marcus war nun mal ein recht abergläubischer Mann. Er hatte das Gefühl, daß das Unglück und Pech all der Generationen an diesem Ring hafteten und auch die höllische Ehe vielleicht sich mit dem Ring weiter schleichen würden. Im Grunde glaubte Marcus stets, daß eine Ehe mehr einer Tartarusfahrt glich, aber so eine Schlimme wie die Letzte wollte Marcus nicht noch mal erleben. So hatte er Hannibal- der nicht minder über diese Entscheidung verblüfft war- noch am gestrigen Tage während der salliitänze zu einem Goldschmied geschickt. In jenem Augenblick erschien Epicharis in Marcus Augen noch sehr viel jünger. Sie könnte Deine Tochter sein, Marcus! , dachte sich Marcus abermals. Und so fielen ihm die nächsten Worte nicht allzu schwer, schließlich hatte er einige Jahre an Lebenserfahrung und vielleicht auch die damit verbundene Sicherheit der jungen Frau voraus. Somit, und um das Ganze doch zu erleichtern sprach auch Marcus mit Worten, die ihm vielleicht nicht so schnell über die Lippen gekommen wären.


    „Geschätzte Epicharis, Du erweist einem unbedeutenden und frohgemuten Mann eine große Ehre heute. Und sicherlich, Dein Vater ist in dieser Hinsicht nicht ganz unwissend, wenn ich das anmerken darf. Dennoch zählt in erster Linie Dein Wunsch und Dein Wille in dieser Hinsicht, weswegen mich Deine Zustimmung sehr glücklich stimmt.“


    Mit einer chevaleresken Geste und sanft erdreistete sich Marcus Epicharis linke Hand zu umfassen. Das Seidentuch fiel unbeachtet auf die glatt geschliffenen Steine zu ihren Füßen als Marcus Epicharis den Ring behutsam an ihren schlanken Finger streifte. Der Ring war aus feinem Gold und Silber zu einem filigranen Kranz geflochten, zwischen den Windungen waren zahlreiche kleine Fugen hineingearbeitet in denen Nadelkopf große, klare Seeperlen, die sanft milchig schimmerten, eingefasst waren und oben abgeschlossen wurde der Ring von einer zierlichen, Glück bringenden Gemme aus Elfenbein herausgearbeitet, deren feinen Muster von einer Kinderhand gearbeitet sein mussten, so klein und graziös waren sie heraus gearbeitet.


    Einige Herzschläge lang hielt Marcus die Hand von Epicharis in Seiner, betrachtete sie weiterhin aufmerksam. In jenem Augenblick stiegen unerklärlicherweise- oder vielleicht doch verständlicherweise- Fragen in Marcus auf und ihm wurde bewusst, daß er eigentlich gar nichts über die Frau vor ihm wußte. Doch hätte das ein Unterschied gemacht? Hätte er vielleicht anders gehandelt? Die Zeit würde wohl die Wahrheit schonungslos offenbaren und so sorgte sich Marcus in dieser Hinsicht nicht. Einfallsreich…das Wort hallte nach, aber Marcus fühlte sich völlig uninspiriert, was er als nächstes tun sollte. Nur überfordern wollte er Epicharis in dem Moment nicht- sich selber freilich auch nicht. Während der Panther geschmeidig zwischen den Säulen hin und her schritt, führte Marcus Epicharis zu der Sonnen beschienenen Marmorbank und nahm selber Platz.


    „Das war jetzt wohl eine doch sehr komplizierte Erklärung für meine Frage beim Essen.“


    Marcus schmunzelte andeutungsweise und fragte sich, ob das jetzt nicht eine profane Bemerkung war. Dennoch, er war nun mal kein Flavius Gracchus oder ein Flavius Milo und somit weniger beredsam als seine Verwandten. So sprach er, was ihm gleich in den Sinn kam.


    „Das Gröbste weißt Du wohl schon immerhin über mich, ich diene in der legio und habe zwei Kinder. Aber gibt es vielleicht etwas, was Du gerne von mir noch erfahren willst?“

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!