Aristides schien einen kurzen Moment zu brauchen, ehe er ihre Antwort realisierte, doch dann Lächelte er und tastete an seiner Toga entlang, bis er fündig wurde und seine Hand sich um etwas schloss. Zum Vorschein kam ein blutrotes Seidentuch, das etwas zu verbergen schien. Augenblicklich war Epicharis’ Neugier geweckt, denn das Objekt zog sie in Bann und veranlasste ihren Blick dazu, sich von Aristides’ Antlitz loszureißen und auf das Tuch zu sehen, welches farblich abgestimmt zur Kleidung des Flaviers war. Insgeheim fragte sich Epicharis, ob Aristides wohl selbst dafür Sorge getragen hatte, dass alles einfach perfekt war, oder ob sein getreuer Sklave einen nicht unerheblichen Teil bei der Ausführung dieses Plans gehabt hatte, doch dann fiel das Tuch und schmiegte sich eng an die hellen Kiesel, und Epicharis sog überrascht die Luft ein.
Sicherlich, ein Schmuckstück zum Zeichen ihrer Absprache war durchaus üblich, doch dieses Schmuckstück, dieser filigrane Ring aus Gold und Silber übertraf ihre Erwartungen bei weitem. Epicharis hielt den Atem an. Nur mit Mühe konnte sie Aristides den Blick wieder zukehren, als dieser einige Worte an sie richtete. Ihr Vater wusste also Bescheid, das war gut – für Aristides. Alle weiteren Worte verursachten bei ihr ein erfreutes Lächeln. Ob sie mit dieser vermeintlich selbstgetroffenen Entscheidung glücklich war, würde sich erst in einigen Tagen herausstellen, wenn überhaupt vor der Hochzeit. Aber, und dieser Gedanke war ihr bereits vor ihrem Entschluss durch den Kopf gegangen, sie war eine Patrizierin aus angesehenem Hause. Ihr Vater wünschte sich, dass das claudische Blut nicht aussterben würde, und da Vesuvianus keinen Sohn hatte und sie seine älteste leibliche Töchter war, sah sie es zudem als ihre Pflicht an, diesem Wunsch nachzukommen. Die Flavier waren angesehen und Aristides ein guter Mann, wenn sie den Erzählungen einiger Leute Glauben schenken durfte, die sie ausgehorcht hatte – ohne dass sie es bemerkten, natürlich. Also gab es für Epicharis nichts, was gegen eine Vermählung mit einem Flavier, insbesondere Flavius Aristides – sprach. Diese Tatsache hatte ihre Entscheidung maßgeblich beeinflusst. Er mochte sich für unbedeutend halten, doch das war er nicht und sie wusste es so gut wie er. Noch war jene besondere Bindung zwischen ihnen nicht geknüpft, weswegen sie hier darauf verzichtete, ihm diese Annahme auszureden. Irgendwann später, vielleicht sehr viel später, wer wusste das schon, würde diese Verknüpfung zwischen ihnen Bestand haben und dann wäre es ihre Aufgabe, ihrem Ehemann Halt und Rat zu geben, ihn zu unterstützen und gegebenenfalls auch zu kritisieren – doch das hatte Zeit und war noch nicht akut.
Sie schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln und warf nun wieder einen Blick auf den Ring, der in diesem Moment den flavischen Daumen und Zeigefinger verließ und ihr angesteckt wurde. Aristides ließ sie nicht los, und Epicharis hatte das Gefühl, dass es etwas bedeuten musste – oder war das bei jeder dieser Situationen derart? Sie drehte die schlanke Hand um eine Winzigkeit in seiner Hand, sodass ein einzelner Sonnenstrahl sich auf eine der unzähligen kleinen Perlen verirrte und sternförmig funkelte. Die feine Gemme aus Elfenbein zeigte ein Abbild der geflügelten Fortuna mit einem winzigen Caduceus. Epicharis sah noch eine Weile selig lächelnd auf den Ring hinab und hob den Blick erst, während sie sprach. „Er ist wunderschön. Ich danke dir....“ Oh weh, sollte sie ihn nun schon beim Praenomen nennen oder wäre das fatal und viel zu früh? Und wäre ein Küsschen angemessen? Ach nein, sie kannten sich doch noch gar nicht! „...Aristides.“ Epicharis entschloss sich schließlich dazu, den Cognomen zu verwenden. Kurz fragte sie sich, wer wohl sein Vater war, denn Aristides bedeutete doch ‚Sohn des Besten’, verwarf diesen wirren Gedanken jedoch gleich wieder und ließ sich bereitwillig von der grollenden schwarzen Katze fort und zur Sitzbank führen. Bei seiner Bemerkung musste sie schmunzeln und lachte leise, als sie sich an ihre Antwort zu dieser Kinderfrage erinnerte. „Ja, das stimmt wohl. Hättest du diese Erklärung umgehend geliefert, hätte ich mich gewiss vor Schreck verschluckt“, gestand sie und lachte. Sie setzte sich neben ihn und ließ sich die Sonne auf den Körper scheinen. Sie fand diese Bemerkung nicht profan, sondern regelrecht erfrischend, denn so konnte man zumindest ein wenig Abstand von diesen schrecklichen Höflichkeitsfloskeln nehmen und sich vertrauter werden, ohne jede Wort dreimal abzuwägen hinsichtlich Opportunität und Dignitas. Die Aufforderung an Epicharis, ihn auszufragen, hätte sich Aristides wohl zweimal überlegen müssen, denn damit hatte er sozusagen den Startschuss zum Pilumwurf gegeben. Epicharis schmunzelte.
„Oh, da gibt es einiges“, begann sie und lächelte ihn seitlich an. Um besser sprechen zu können, rutschte sie etwas herum, sodass sie leicht schräg zu ihm saß und ihn während des Sprechens ansehen konnte, ohne den Kopf zu drehen. „Da wäre zunächst einmal die einfache Frage nach deinem Alter, wenn du das gestattest. Ich selbst bin neunzehn Jahre alt. Und als was dienst du in der Legion?“ Außerdem interessierte sie, was mit der Frau passiert war, die seine zwei Kinder geboren hatte, aber diese Frage war nichts für den Anfang, also sparte Epicharis sie sich vorerst und fragte stattdessen etwas anderes. „Du hast ganz gewiss mehr Erfahrung als ich in solchen Dingen, aber lass mich dennoch fragen, wie du es mit der Sponsalia halten möchtest. Gedenkst du, sie zu feiern oder schlicht eintragen zu lassen?“ Epicharis blinzelte Aristides an, im Hintergrund saß der Löwe am Gitter und starrte stumpf auf die zwei köstlichen, lebendigen Beutestücke, die so friedlich und nichtsahnend auf der Bank saßen. Ein Jammer, dass er nicht hinaus konnte. „Ich würde auch gern den Rest deiner Familie kennen lernen, wenn du erlaubst.“ Nun schien sie eine Weile nachzudenken. Genaugenommen erinnerte sie sich an den Gesichtsausdruck des Flaviers, als die drei blaugewandeten Damen begonnen hatten zu spielen. „Du magst Musik, nicht?“ fragte sie sodann. Epicharis fiel kurz danach auf, dass sie zu viel und zu schnell fragte, also lächelte sie in Verlegenheit etwas unsicher und forderte ihren Gesprächspartner nun auf „Quid pro quo, nun bist du an der Reihe“ und blinzelte ihm aufmunternd zu.